Erfahrungen, Herausforderungen und Handlungsempfehlungen aus einem Fortbildungsprojekt
Institutioneller Antiziganismus: Mechanismen und Herausforderungen
Antiziganismus ist weit mehr als eine bloße Ansammlung von Vorurteilen oder individuellen Ressentiments – er stellt eine tief verwurzelte und spezifische Form des Rassismus dar. Laut der Arbeitsdefinition der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA) handelt es sich um ein eigenständiges Macht- und Gewaltverhältnis, das historisch gewachsen ist und dessen radikalste Ausprägung der staatlich organisierte Genozid während des Nationalsozialismus darstellte (vgl. UKA 2021, S. 14). Dabei zeigt sich Antiziganismus nicht nur in Einstellungen, Haltungen und Handlungen von Einzelpersonen, die Sinti*zze und Rom*nja als vermeintlich „Andere“ stigmatisieren und abwerten. Antiziganismus ist als ideologische Struktur zu verstehen, die sich in verschiedenen Dimensionen manifestiert (vgl. End 2018, S. 7).
Besonders in staatlichen Behörden wirken diskriminierende Mechanismen oft unbewusst weiter und erschweren den Zugang von Sinti*zze und Rom*nja zu sozialen Dienstleistungen, Bildung oder Wohnraum (vgl. Randjelović et al. 2022), sei es durch „racial profiling“, herabwürdigende Behandlung, ausgeprägte Bildungsungleichheit, die Abwehr von Rechtsansprüchen oder – insbesondere im Bereich Wohnen – durch sozialräumliche Verdrängung in die urbane Peripherie. Die verschiedenen Studien für die Unabhängige Kommission Antiziganismus verdeutlichen, wie solche Mechanismen wirken und welche Auswirkungen sie haben (vgl. UKA 2021). Neuburger und Hinrichs identifizieren in ihrer Teilstudie „Mechanismen des institutionellen Antiziganismus: Kommunale Praktiken und EU-Binnenmigration am Beispiel einer westdeutschen Großstadt“ mehrere konkrete Ausschlusspraktiken und problematische institutionelle Routinen im kommunalen Verwaltungshandeln (vgl. Neuburger/Hinrichts 2021; Neuburger 2022). Besonders im Umgang mit EU-Binnenmigrant*innen aus Südosteuropa werden häufig pauschalisierende Zuschreibungen vorgenommen, die zu einer systematischen Benachteiligung führen. Als Kern des Problems wurde ein teils versteckter, teils offener antiziganistischer Diskurs festgestellt, der sich in institutionelle Praktiken und behördliche Routinen eingeschrieben hat. Die Studie beschreibt, wie dieser Diskurs dem Ausschluss, der Abwehr und Verdrängung von als „Roma“ gelabelten rumänischen und bulgarischen EU-Binnenmigrant*innen dient. Dieser Problematisierungsdiskurs zeigt sich in wahrgenommenen Bedrohungs- und Überlastungsszenarien in vielen kommunalen Verwaltungen. Er ist geprägt von der kategorialen Unterscheidung im Hinblick auf ökonomische (Nicht-)Verwertbarkeit und einer damit verbundenen Zuschreibung von (Nicht-)Leistungsfähigkeit. Dies hat weitgehende Folgen: Das Recht auf soziale Teilhabe und Partizipation an der Stadtgesellschaft wird beschnitten und verwehrt (vgl. Hinrichs/Neuburger 2021, S. 122).