Die Politisierung eines Arbeitsfelds angesichts aktueller Herausforderungen
Bei der Betrachtung der Europawahl (vgl. als Überblick: Hofmann-van de Poll 2024; Pirker 2024 und die Beiträge in dieser Ausgabe) lassen sich mit Blick auf junge Menschen in Europa grob zwei Trends festmachen: Sie gaben ihre Stimme an Parteien und Menschen, die ihrer Meinung nach authentischer mit bestehenden Herausforderungen umzugehen versprechen. Und: Junge Menschen wählen rechts-konservativ bis extrem rechts – und zwar in verschiedenen Ländern. Bei aller Unterschiedlichkeit der Wahlsysteme, der biografisch durchaus unterschiedlichen Herausforderungen, vor denen junge Menschen in den Mitgliedsstaaten der EU stehen, und vor allem unter Berücksichtigung dessen, dass wir zum Wahlverhalten junger Menschen europaweit kaum vergleichbare Daten haben, ist der Rechtstrend beunruhigend. Man kann festhalten, dass Europa als Projektionsfläche rechter Politikentwürfe eine zentrale Rolle in der Mobilisierung spielt. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament stark abzuschneiden, war ein wichtiges Anliegen auch rechter Parteien, da sie die EU – anders als in der Vergangenheit – für das Vorantreiben der eigenen ausgrenzenden Politikagenda zu nutzen suchen.
Bei der Betrachtung der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg fällt auf, dass weniger das Thema Europa im Fokus stand, jedoch mit den Fragen nach dem Umgang mit dem Krieg in der Ukraine (bzw. Frieden mit Russland, US-Atomwaffen), mit den Themen Zuwanderung/Asylpolitik (Sicherheit, Migration) und dem Thema Soziale Sicherheit gleich drei bedeutende Fragen europäischer und internationaler Politik Gegenstand der Auseinandersetzung waren. Bei den Landtagswahlen bestätigte sich der Trend zum rechtsextremen Votum auch bei der jungen Generation. Zieht man zum Vergleich die jüngsten Wahlen zum Nationalrat in Österreich vom September 2024 heran, liegt in der jüngeren Alterskohorte ebenfalls die rechtsextreme FPÖ deutlich vorn. Bei der französischen Parlamentswahl im Juni 2024 haben junge Menschen mehrheitlich das Linksbündnis gewählt, jedoch lag auch hier der Rassemblement National an zweiter Stelle. Gerade was die starken Ergebnisse für Rechts betrifft, haben junge Menschen analog zur Generation der bis 50-Jährigen gewählt, wenngleich mit der Betonung, dass die Altersgruppe der bis 24-Jährigen demographisch eine absolute Minderheit darstellt und prozentual keinen signifikanten Beitrag zu den Wahlergebnissen beisteuert – weder bei den Landtagswahlen noch bei der Europawahl. Das soll den alarmierenden Befund, dass in der Altersgruppe rechte Parteien die größten Stimmzuwächse erreicht haben, nicht kleinreden. Das Gros der Wählenden sind Adressat*innen der Erwachsenenbildung, mit Überschneidungen zu Jugendbildung in der Gruppe junger Erwachsener. Trotz einer Vielzahl an Bundesprogrammen, Initiativen und Finanzmitteln und Angeboten, die sich der Stärkung der Demokratie, der Prävention von Extremismus und dem gesellschaftlichen Dialog verschrieben haben, unterscheiden sich die Wahlergebnisse bei der Europawahl in Deutschland nicht signifikant zu anderen Ländern, in denen es gar keine – der deutschen vergleichbare – politische Bildung gibt. Das gibt zu denken.
Es ist sicherlich nicht falsch, wenn man konstatiert, dass die Wahlen vor dem Hintergrund einer in vielerlei Hinsicht seit Jahren krisenhaften, strapazierten, verunsicherten und herausgeforderten gesellschaftspolitischen Situation stattfinden, und auch, dass Politik vielerorts in Europa nicht in der Lage zu sein scheint, Wähler*innen Antworten auf die bestehenden Herausforderungen zu liefern. Der Soziologe Ivan Krastev formuliert: „Man muss sich klarmachen, dass das Tempo der Transformationen, dazu Krieg, Inflation, Revolution des gesamten Alltagslebens, Migration, einfach viele in Panik versetzt. (…) Linke wie Rechte arbeiten beide mit einer Vorstellung vom Ende der Menschheit – die einen wegen des Klimas, die anderen weil sie fürchten, sie seien die letzten Franzosen, Deutschen, Italiener oder Engländer. Das ist für die Demokratie ein großes Problem, denn sie lebt davon, dass die Zukunft offen ist. Wenn sie das nicht mehr ist, braucht man die Demokratie in den Augen vieler womöglich nicht mehr.“ (Krastev 2024)