Vorläufer, Gemeinschaft und Konzepte
Am 15. März 2019 griff Brenton T. in Christchurch zwei Moscheen an und tötete 51 Menschen und verletzte fast ebenso viele, zum Teil schwer. Seine Tat kündigte er zuvor in einem Internetforum – einem sogenannten Imageboard – an und übertrug sie mittels Helmkamera und Facebook-Livestream ins Internet. Der Fall verdeutlicht nicht nur, dass digitale Kommunikation die Verbreitung rechtsterroristischer Inhalte erweitert, sondern auch, dass die Digitalisierung eine neue, kulturell geprägte Art der Radikalisierung erst ermöglicht. Exemplarisch für die damit einhergehende Kommunikation steht eine Szene, die sich am Folgetag ereignete, als der Attentäter dem Gericht vorgeführt wurde. Dort präsentierte er mit gefesselten Händen das OK-Zeichen. Gemeinhin wird damit symbolisiert, dass alles in Ordnung sei. Eine Kampagne auf einem verwandten Imageboard versuchte jedoch, die Geste zur rechtsextremen Symbolik umzudeuten. Eine vorgeblich lustige Aktion, die laut eigener Aussage angetreten war, um empörte Gegenreaktion zu ernten. Es liegt nahe, dass der Attentäter mit diesem Handzeichen nicht nur seine Überzeugungen in verschlüsselter Form vor einem großen Publikum erneut zur Schau stellen wollte. Vielmehr gab er damit unmittelbar Auskunft über seinen Radikalisierungshintergrund und den anderen Usern der Boards zu verstehen, dass er einer von ihnen sei. Diese griffen die Geste auf und kreierten daraus Memes, die den Täter zum Helden stilisierten und andere potenziell zur Nachahmung motivieren sollten – ein Kreislauf, in dem die Grenzen zwischen online und offline zunehmend verwischen.
Bereits eine Woche später kam es in den USA zu einem Brandanschlag auf eine Moschee, der deutliche Verbindungen zu der Tat in Christchurch aufwies. Der mutmaßliche und damals 19-jährige Brandstifter John E. wurde zu dem Zeitpunkt nicht gefasst und verübte etwa einen Monat später am letzten Tag des Pessach einen Anschlag auf eine Synagoge im kalifornischen Poway, bei dem er eine Frau ermordete und drei weitere Menschen verletzte. Diese rechtsterroristischen Anschläge mit deutlichen Bezügen zur digitalen Kultur reihen sich ein in eine blutige Serie, die ihre Spuren unter anderem in Oslo und Utøya (2011), Pittsburgh (2018), Christchurch (2019), Poway (2019), El Paso (2019), Bærum (2019), Halle (2019), Buffalo (2022), Bratislava (2022), Jacksonville (2023) und zuletzt in Nashville (2025) hinterlassen hat.
In diesem Artikel wird zunächst skizziert, welche Aktionsformen dem digital konditionierten Rechtsterrorismus vorausgingen. Anschließend wird ein besonderes Augenmerk auf die digitale Dimension samt ihren technischen, kulturellen und gruppendynamischen Charakteristika gelegt. Abschließend wird ein kritischer Ausblick auf die wesentlichen Konzepte gegeben, die in diesem Kontext Anwendung finden. Anknüpfend an die Arbeiten von Albrecht und Fielitz (2019) und Fürstenberg (2024) wird die These verfolgt, dass die Digitalisierung eine kulturelle Transformation des Rechtsterrorismus bewirkt hat, deren Verständnis für die Einordnung der jüngsten rechtsterroristischen Anschläge unerlässlich ist.