Politische Bildung nach der Europawahl 2024
Am 9. Juni 2024 waren rechtspopulistische Parteien bei den Wahlen zum Parlament der Europäischen Union erfolgreicher denn je. Aus Sicht der politischen Mitte und auch der politischen Bildung war das Ergebnis enttäuschend und wenig überraschend zugleich. Einige Enttäuschte retteten sich in die Rhetorik, es hätte noch schlimmer kommen können. Konkret aber hatten in Frankreich und Deutschland, politische und wirtschaftliche Zentren der EU, die rechtsextremen Parteien Rassemblement National (RN) und die Alternative für Deutschland (AfD) den ersten beziehungsweise zweiten Platz errungen! Pariser und Berliner Politik wurden folgenreich erschüttert: Präsident Emmanuel Macron löste die Nationalversammlung auf; bei den folgenden Neuwahlen konnte nur knapp eine rechtsextreme Parlamentsmehrheit verhindert werden. Nachdem die AfD bei den Europawahlen mehr Stimmen als jede Partei der Koalition erhielt, verbesserten sich die Nachrichten für Kanzler und Kabinett Olaf Scholz auch in den im September folgenden Landtagswahlen nicht; die Reaktion hierauf wiederum war auch die Einführung von Kontrollen an den deutschen Außengrenzen und damit der Auftakt zu einem deutschen Vabanquespiel mit der EU.
Die Wahlerfolge des RN und der AfD spiegeln eine Entwicklung wider, die sich in vielen europäischen Ländern zeigt. In Italien regiert seit zwei Jahren die einst als rechtsextrem eingestufte Giorgia Meloni nun als pragmatische Politikerin. Auch in Ländern wie Finnland und den Niederlanden haben rechtspopulistische Parteien an Einfluss gewonnen. In vielen Ländern der EU ist der Zulauf zu extremen Parteien kein rein jugendliches Phänomen. Auch ältere Wähler*innen entscheiden sich zunehmend für rechtsextreme Bewegungen. Doch gerade junge Menschen scheinen besonders enttäuscht von schleppendem Fortschritt und politischem Streit. Im Vergleich zu 2019 verdreifachte die AfD ihre Stimmenanteile unter jungen Wähler*innen auf 16 %. In Frankreich stimmten 32 % der unter 34-Jährigen für den RN, während Macrons Partei Renaissance lediglich fünf Prozent der Stimmen erhielt (vgl. Serhan 2024). Damit geht Kritik an rechtsstaatlichen Grundlagen und Institutionen einher. Für die Sicherung der demokratischen Zukunft Europas muss daher die politische Bildung für junge Menschen eine zentrale Rolle einnehmen.
Der Blick darf jedoch nicht allein auf die Wahlentscheidungen jüngerer Generationen fallen; auch viele Ältere wenden sich zunehmend extremen Positionen zu. Dennoch verdienen die Sorgen junger Menschen besondere Aufmerksamkeit, da sie empfänglicher für vereinfachende Lösungen scheinen und noch keine Bindung zu demokratischen Parteien entwickelt haben. Dieser Artikel stellt jene Fragen in den Vordergrund, die Europas Demokratien heute beschäftigen: Warum haben rechtsextreme Parteien in allen Altersgruppen, besonders aber unter jungen Menschen, so viel Zuspruch? Welche Rolle spielen Desinformation und soziale Medien in dieser Entwicklung? Wie kann die politische Bildung gestärkt werden, um die Demokratie zu schützen und Menschen jeden Alters in ihrer politischen Reife zu fördern? Wirtschaftliche Unsicherheit, der Einfluss sozialer Medien und generationelle Unterschiede stehen dabei im Zentrum.