EU-politische Bildung im polarisierten Seminarraum – eine Praxisreflexion
Obwohl die Ergebnisse der Europawahl medial als eine Art Schockmoment präsentiert wurden, gingen die meisten politischen Bildner*innen vermutlich von diesem oder einem ähnlichen Ergebnis aus. Am Europahaus Marienberg wird schon seit einer Weile diskutiert, wie mit den antidemokratischen Strömungen innerhalb der Gesellschaft, aber vor allem in der Jugendbildung umgegangen werden kann, wie wir Teilnehmende, Kolleg*innen und uns selbst vor menschenfeindlichen Äußerungen im Seminarkontext schützen können, wie wir dem Rechtsruck in der Gesellschaft entgegenwirken können.
Nicht selten kommen solche Äußerungen in verschiedensten Formen in unseren Seminaren vor: durch direkte menschenfeindliche Kommentare oder Bezüge zu rechtsextremen Gruppierungen, bildlich in Zeichnungen rechter Symbolik oder auch in anonymen Online-Evaluationen, die sich beispielsweise gegen queere Teamer*innen richten. In 3- bis 5-tägigen Seminaren sind solche Vorfälle kaum pädagogisch aufzugreifen, zumal manche Vorfälle auch erst im Nachhinein an die Oberfläche treten. Auch Gespräche mit begleitenden Lehrkräften laufen zum Teil ins Leere: Bei einer Gruppe sagten uns die Lehrkräfte beispielsweise, dass sie von rechtsextremen Gesinnungen unter den Schüler*innen wüssten, aber nicht an sie rankämen. Der Frust und die Verzweiflung, an den eigenen pädagogischen Maßstäben zu scheitern, war deutlich erkennbar. In einer anderen Gruppe, in der einige Schüler*innen sich sehr lautstark diskriminierend äußerten, wurden diese Äußerungen durch die Lehrkräfte als Provokation oder „Sprüche“ und damit als nicht ernst gemeint eingeordnet und somit normalisiert. Die Lehrkräfte freuten sich, die Klasse nach den Sommerferien und damit nach dem absolvierten Schulabschluss der Teilnehmenden endlich abgeben zu dürfen.
Selbstverständlich sind dies nur anekdotische Beispiele, die nicht repräsentativ für unsere Arbeit in der Jugendbildung als Ganzes stehen und doch werfen sie immer wieder die Frage auf, wie außerschulische EU-Jugendbildung in Zeiten des Rechtspopulismus und der Polarisierung gestaltet werden muss. Wie können wir in einem Seminarraum arbeiten, in dem wir uns nicht auf „Common Ground“ bewegen, in dem keine Einigung über die bestehenden Grundwerte besteht? Oft wünschen sich Lehrkräfte und auch Teilnehmende in Seminaren eine umfassende Einführung in die Prozesse und Institutionen der Europäischen Union, doch wenn ein Teil derer, mit denen wir arbeiten, nicht (mehr) von den demokratischen Werten, auf denen diese Prozesse basieren, überzeugt sind, ist es dann wirklich sinnvoll, sie ihnen näherbringen zu wollen und was hat das zum Ziel?