(Dis-)Kontinuitäten und Entwicklungsdynamiken
Am 19. Februar 2020 erschoss ein rechtsextremistischer Attentäter in Hanau neun Menschen mit Migrationsgeschichte, bevor er seine Mutter und sich selbst tötete. Nur wenige Monate zuvor wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Neonazi hingerichtet – ein Signal für die neue Dimension rechtsterroristischer Gewalt. Drei Jahre davor tötete ein 18-Jähriger in München neun Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Taten stehen in einer Kontinuität, die bis zu den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) reicht, bei denen zehn Menschen – überwiegend türkeistämmige Migranten – ermordet wurden.
Diese Beispiele zeigen: Rechtsterrorismus ist keine Randerscheinung, sondern eine tief verwurzelte Bedrohung für Menschenleben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Er ist immer auch symbolische Gewalt, die gezielt Angst schürt und politische Gegner*innen vernichten will (vgl. Borstel/Bozay 2020, S. 65 ff.). Während islamistischer Terror als existenzielle Gefahr behandelt wird, wurde rechter Terror in Deutschland lange ignoriert oder als Einzelfall abgetan – trotz seiner langen Tradition von der Ermordung Walther Rathenaus 1922 über die Wehrsportgruppe Hoffmann, die Brandanschläge der 1990er bis hin zum NSU und Hanau.
Besonders die Perspektive der Betroffenen spielt hier eine zentrale Rolle. Angehörige der NSU-Opfer mussten jahrelang gegen die offizielle Darstellung ankämpfen, die ihre Familien in den Fokus der Ermittlungen rückte, anstatt die Täter*innen und ihr Netzwerk. Auch nach den Anschlägen von Halle und Hanau kämpften Überlebende und Hinterbliebene darum, dass der Staat die rechten Strukturen hinter den Taten anerkennt und angemessen reagiert. Während sich der Rechtsterrorismus zunehmend über Online-Netzwerke organisiert und neue Radikalisierungsformen entwickelt, bleibt die zentrale Herausforderung, ihn als strukturelles Problem zu begreifen – und nicht erst dann zu handeln, wenn es zu spät ist.