Außerschulische Lernarrangements zwischen Schule und sozialen Bewegungen
Das Klassenzimmer oder den Seminarraum verlassen: Spazieren, flanieren, erkunden, beobachten, befragen sind Aneignungsformen im Rahmen von Exkursionen, Führungen, Rundgängen, Reisen oder ähnlichen Lernformaten in der außerschulischen Bildung. Es gibt diese Angebote schon mindestens hundert Jahre, eine besondere Auffrischungsphase haben sie in den 1970er und 1980er Jahren im Rahmen von Geschichtswerkstätten, die sich mit der NS-Zeit im lokalen Raum befassten, erfahren. Viele Thematiken in der politischen Bildung können auf diese Weise kreativ bearbeitet werden. Lange Zeit wurden diese Herangehensweisen in der politischen Bildung einfach praktiziert, aber kaum reflektiert. Das hat sich in den letzten Jahren verändert. Es liegen inzwischen eine Reihe von Berichten und Untersuchungen vor, die sich vor allem auf die politische, die historische Bildung und die Umweltbildung beziehen.
Der umfänglichen, hier zu besprechenden Studie von Oliver Emde liegt seine von Bernd Overwien in Kassel betreute Dissertation zugrunde und sie konzentriert sich auf politische Stadtrundgänge. Darunter summiert Emde vor allem solche Rundgänge, die sich mit den Auswirkungen aktueller Krisen oder Konflikte auseinandersetzen: Umweltfragen und Konsumkritik, Globalisierung, Rassismus u. ä. m. Den Autor interessiert, was „das Lernarrangement politischer Stadtrundgang als in Kooperationen besuchte, außerschulische Lernorte auszeichnet“ (S. 14). Dabei geht es um bürgerschaftliche Aktivgruppen und Bewegungsorganisationen, die Stadtrundgänge anbieten und dabei Schulen und außerschulische Bildungseinrichtungen als Ansprechpartner und unterstützende Einrichtungen einbeziehen, ein breites Spektrum also, das in sieben Kapiteln diskutiert wird. Es gibt aber zwei Hauptteile: In der ersten Hälfte werden Strukturen, grundsätzliche Verständnisse und Prinzipien außerschulischer politischer Bildung und ihr Verhältnis zu sozialen Bewegungen erörtert. Der zweite Teil ab dem Kapitel 5 stellt die Ergebnisse einer empirischen Analyse von Stadtrundgängen vor. Der Text ist mit zusammenfassenden Randbemerkungen und vielen Tabellen und Abbildungen ausgestattet.
Der selbst gesetzte Anspruch ist, „einen Beitrag zu einer kritisch-emanzipatorischen politischen Bildung zu leisten“. Seine theoretischen Orientierungen bezieht der Autor hauptsächlich aus dem Diskursraum Kritischer politischer Bildung und der Frankfurter Erklärung. Dementsprechend bearbeitet er auch die einschlägigen kontroversen Themen oder auch „Spannungsfelder“: Parteilichkeit und Neutralität sowie politisches Handeln und politische Bildung und positioniert sich mit allerdings differenzierter Argumentation auf der kritischen Seite.
Da es das besondere Anliegen von Oliver Emde ist, die Rolle von Bewegungsorganisationen zu untersuchen, werden die Einrichtungen der außerschulischen politischen Bildung etwas kritisch und leider auch schematisch betrachtet. Es geht in erster Linie um Perspektiven auf außerschulische Lernarrangements. Die Rundgänger*innen – die Begriffe Führung, Führer*innen meidet Oliver Emde weitgehend – sind eben Mitglieder zivilgesellschaftlicher Gruppen, die im Rahmen von Rundgängen ihre dezidierte gesellschaftliche und politische Kritik äußern möchten. Die Einrichtungen der politischen Bildung werden als bewegungsunterstützende Organisationen gekennzeichnet, denen er eine gewisse institutionelle Starrheit und Formalität und auch eine fehlende Politizität zuschreibt. Demgegenüber werden die ehrenamtlichen Gruppen als flexibler, fluider, im ständigen Austausch und Reflexionsprozess befindlich und somit auch politisch eindeutig identifizierbar beschrieben. Hier ist die Argumentation ein bisschen verkantet und es scheint doch ein bisschen Bewegungsromantik durch. Man könnte die hier von Emde im zweiten Teil sehr konkret porträtierten Vertreter*innen von Initiativen und zivilgesellschaftlichen Akteuren aber auch einfach als alternative Experten betrachten, die in ein umfassendes Seminararrangement ein bezogen werden, wo es natürlich verschiedener Rahmungen professioneller Art und didaktischer Balancen bedarf. Expert*innen dürfen dezidierte oder auch zugespitzte Positionen vertreten.