Das Miteinander in Zeiten der Polarisierung
Der 7. Oktober war ein Fanal, eine Zäsur. Israel war schutzlos. In dieser Stimmung erschien die Sammlung der von Saba-Nur Cheema und Meron Mendel seit 2020 in der FAZ veröffentlichten Kolumnen: „Der 7. Oktober 2023, der Tag des Massakers der Hamas in Israel, hat unser Leben verändert. Als die ersten Nachrichten kamen, begannen wir, um Familie und Freunde zu bangen, die nicht weit entfernt vom Gazastreifen lebten. Der Verlust von Menschen, die wir geliebt haben, die Sorge um die Zukunft derer, die noch da sind, begleiten uns bis heute.“ (S. 5) Die Folge war jedoch nicht eine Welle von Empathie, sondern eine Explosion von Antisemitismus, und manche halten Muslimfeindlichkeit für die geeignete Therapie.
Ein hyperemotionalisiertes Symptom ist die Debatte um die „Kunstfreiheit“. Saba-Nur Cheema und Meron Mendel erörtern dies unter anderem am Beispiel des Streits um die Aufführung des Theaterstücks „Vögel“ des libanesisch-kanadischen Regisseurs Wajdi Mouawad in München, eine Romeo-und-Julia-Geschichte, die Liebe eines Juden und einer Muslima. Das Stück war in Paris und in Tel Aviv hoch gelobt worden. Doch dann gab es in München Proteste: „Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass nun ausgerechnet jüdische Studierende in unfreiwilliger Allianz mit BDS-Aktivisten das Stück verhindern wollten.“ (S. 108) In dem Stück gibt es Einseitigkeiten. Aber ist es deshalb antisemitisch?
Saba-Nur Cheema und Meron Mendel sagen deutlich, dass nicht die bloße Kritik an israelischer Politik antisemitisch wäre, aber dann Antisemitismus vorliege, wenn Israel insgesamt oder gar mit Israel alle Jüdinnen und Juden dieser Welt gebrandmarkt werden, selbst jüdische und israelische Künstler*innen, die sich klar für Frieden, gegen Besatzung, gegen die Praxis der israelischen Regierung engagieren. Ähnlich ist es in der Wissenschaft. „Ob sich Max Weber Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hätte vorstellen können, dass Wissenschaftler sich eines Tages lieber mit Unterschriften statt mit Argumenten gegenseitig überbieten wollen?“ (S. 128)
Das ist die eine Seite. Die andere ist die Vielfalt des Alltags mit den Untiefen der Integration. Dies impliziert schon der leicht ironische Titel, denn was kann es Deutscheres geben als „Abendbrot“. Das „Abendbrot“ ist etwas so einzigartig Deutsches, dass es in anderen Sprachen gar kein Wort dafür gibt. Man muss ja nicht gleich von „Leitkultur“ sprechen, Birgit Rommelspacher nannte dies „kulturelles Christentum“. (S. 180)