Außerschulische Bildung 4/2024

Selbstbehauptung und Demokratieverteidigung

Die Aufgaben Europas in der Welt

Im dritten Jahr der Rückkehr des Krieges nach Europa und angesichts bedrohlicher Entwicklungen weltweit steht die Europäische Union (EU) vor gewaltigen Herausforderungen, die ihr eine Politik der Selbstbehauptung und Demokratieverteidigung geradezu aufzwingen. Denn in den letzten Jahren hat eine bedrohliche Erosion der regelbasierten, auf ausgleichendem Multilateralismus basierenden Weltordnung stattgefunden, die geradewegs in eine neue Weltunordnung mit deutlichen Entdemokratisierungstendenzen führte. Darauf hatte die EU mit dem Versprechen reagiert, sich geopolitisch stärker aufzustellen und Kurs zu nehmen auf eine europäische strategische Souveränität. Dieses Großprojekt ist bisher zwangsläufig noch Stückwerk geblieben und muss dringend weiterverfolgt werden. von Gisela Müller-Brandeck-Bocquet

Da sich die internationalen Rahmenbedingungen derzeit kontinuierlich verschlechtern, stellen sich anlässlich des Beginns der zweiten Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erneut und besonders dringlich die Fragen, welche internationale Rolle die EU in den kommenden Jahren einnehmen kann und will, wie sie mit den globalen Machtverschiebungen umgehen soll und welche Beiträge sie zur Lösung der aktuell gravierendsten Probleme wie Krieg, Klimawandel und Migration leisten kann. Ihre Antworten muss die EU in einem auch innereuropäisch schwieriger gewordenen Kontext formulieren; denn der deutliche Rechtsruck, der sich bei den Europawahlen vom Juni 2024 manifestierte, wird Spuren in der Politikgestaltung der EU hinterlassen.

Von der Weltunordnung zur post-westlichen Weltordnung?

Die aktuell größten Herausforderungen für die EU ergeben sich im internationalen Umfeld. So haben Wissenschaft und Politik im vergangenen Jahrzehnt die neue Weltunordnung vermessen, für die das Wiedererstarken von Autoritarismus und Nationalismus, die sträflichen Fehler insbesondere der USA in ihrem Kampf gegen den Terrorismus, die Schwäche der Vereinten Nationen und das immer krudere Machtgebaren wichtiger Akteure (wie China unter Xi Jiang, Indien unter Narendra Modi, Brasilien unter Jair Bolsonaro, die Türkei unter Recep Erdogan und nicht zuletzt die USA unter Donald Trump) verantwortlich zeichnen (vgl. Maull 2017; Daase/Kroll 2019; Müller-Brandeck-Bocquet 2019; Masala 2023). Heute mehren sich jedoch die Zeichen, dass diese Weltunordnung inzwischen zu einem neuen Ordnungsmuster gefunden hat: zu einer post-westlichen, gar anti-westlichen Weltordnung. Bezeichnenderweise gab die Münchner Sicherheitskonferenz sich 2020 den wuchtigen Titel „Westlessness“.