Die internationale Sportpolitik in der Demokratiefalle
Kaum ein Bereich gesellschaftlichen Lebens schürt im 21. Jahrhundert stärkere Emotionen als der Sport. Vor allem Sportgroßereignisse haben sich zu globalen Events mit beträchtlichem Aufmerksamkeits- und Mobilisierungspotenzial entwickelt. Fußballwelt- und -europameisterschaften, Olympische Spiele, Tour de France und Formel1-Rennen, aber auch einzelne Endspiele wie der Super-Bowl oder die Finale der Cricket- und der Rugby-Weltmeisterschaften erreichen Hunderte Millionen von Menschen auf dem gesamten Globus. Bei der FIFA-Fußballweltmeisterschaft werden nach groben Schätzungen weltweit rund eine Milliarde Zuschauer an den Schirmen und auf öffentlichen Plätzen gezählt (vgl. Eisenberg 2008).
Ausrichter dieser Sportgroßereignisse sind in der Regel internationale Sportverbände (vgl. Thieme/Wojciechowski 2021). Im Mittelpunkt des internationalen Sports stehen infolgedessen neben dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als Dachverband die internationalen Sportverbände, die als Monopolisten für die Organisation und Entwicklung der Events ihrer jeweiligen Sportart verantwortlich sind (FIFA/UEFA Fußball; FIBA Basketball; World Athletics Leichtathletik etc.). Im Gegensatz zu den mit großer Begeisterung herbeigesehnten Ereignissen werden die internationalen Sportverbände jedoch vielfach mit Kritik konfrontiert (vgl. Rook/Heerdt 2023). Vor allem die beiden bekanntesten internationalen Sportverbände – das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Fédération Internationale de Football Association (FIFA), der internationale Fußballfachverband – besitzen mittlerweile ein ausgesprochen negatives Image. Während in eher gemäßigter Diktion moniert wird, dass der Fokus vieler internationaler Sportverbände stärker auf wirtschaftlichen Gewinnen als auf sportlichen Idealen liegt, apostrophieren erhitztere kritische Stimmen IOC und FIFA mittlerweile als kriminelle Organisationen. Nicht nur Skandale um Bestechung und Korruption wie bei der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 durch die FIFA haben das Vertrauen in die Organisationen erschüttert, sondern auch die Wahrnehmung, dass Organisationen wie das IOC politische und soziale Menschenrechtsfragen in den Austragungsländern ignorieren. Demokratie, Transparenz und gesellschaftliche Verantwortung hingegen scheinen keine Berücksichtigung zu finden.
Einen zentralen Erklärungsansatz für dieses eklatante Spannungsverhältnis zwischen der Begeisterung für Sportgroßereignisse und der Abstrafung internationaler Sportverbände bilden die spezifischen Strukturen der internationalen Sportpolitik. Während die internationalen Sportverbände nach Jahrzehnten der Kommerzialisierung als Monopolisten bei den Sportgroßereignissen über herausragende Einnahmequellen verfügen, bestehen zugleich nur sehr begrenzte externe oder interne Kontrollmechanismen. Demokratische Strukturen finden sich im internationalen Sport eher auf dem Papier, als dass sie gelebte Praxis sind. Angesichts der Fokussierung vor allem der Medien auf einzelne Ereignisse, Personen und deren Skandalisierung (vgl. Aumüller/Kistner 2024) sowie der Ausrichtung der Wissenschaft auf die Instrumentalisierung der internationalen Sportpolitik als politische Bühne (vgl. Mittag/Nieland 2007; Hebbel-Seeger et al. 2016; Güldenpfennig 2017; Beichelt 2018; Blaschke 2020), sind die Strukturen der internationalen Sportpolitik bislang erst nur in Ansätzen systematisch aufgearbeitet und dargestellt worden (vgl. Alm 2013; Grix 2016; Bairner et al. 2017). In diese Lücke beabsichtigt der vorliegende Beitrag zu rücken und in vier Kapiteln exemplarische Besonderheiten der internationalen Sportpolitik und der hier auszumachenden Demokratiefalle zu skizzieren. Abschließend werden in den Schlussfolgerungen knapp Reformpotenziale und -grenzen beleuchtet.