Außerschulische Bildung 3-2024

Nikolaj Schultz: Landkrank

Ethnofiktion nennt Nikolaj Schultz, ein in Paris lebender, dänischer Soziologe, seinen Essay, an anderer Stelle spricht er von literarischer Soziologie. Passend kleidet sich der Essay auch stilistisch ins literarische Gewand. Bewusst, wie im Nachwort zu lesen ist. Denn klassische wissenschaftliche Textformen böten nicht die nötige Flexibilität in Ton und Darstellung und Schilderung inneren Erlebens. Dass der Autor kein Klima-Traktat schreibt, ist ein Gewinn, denn so ist der erhobene Zeigefinger dem Buch fern.

Inhaltlich haben wir es mit einem namenlosen Ich-Erzähler zu tun, der autobiografische Züge von Nikolaj Schulz trägt. Dieses Erzähler-Ich schwitzt. In Paris. Die Hitze ist unerträglich. Und das wird klimabedingt immer häufiger der Fall sein. Der Ventilator läuft. Er ist wach: „Es schläft sich schlecht im Anthropozän.“ Duschen würde Wasser verbrauchen, Kaffee gegen die Müdigkeit Strom – auch benötigt Kaffee weite Lieferwege, intensiven Anbau und stützt sozioökonomische Abhängigkeiten – ein Produkt als Ausdruck einer imperialen Lebensweise.

Die Hitze lässt Fragen der Existenz hochkochen. Die Hitze erinnert dabei an ein anderes Werk, in dem Existenz verhandelt wird, Albert Camus „Der Fremde“. Doch spricht hier kein Meursault, auch kein Roquentin (Sartre: Der Ekel). Weder Anerkennung des Absurden noch Freiheit des Selbstentwurfs kümmern den Ich-Erzähler. Das Ich im Anthropozän scheint eher von hyperreflexivem Selbstekel gekennzeichnet. Alles, was ich tue oder lasse, macht alles nur noch schlimmer: Mein Sein bedeutet Zerstören, mein Sein findet auf dem Rücken anderer statt.

Der Ich-Erzähler denkt aber nicht über Selbstmord (Camus) oder den Nachteil geboren zu sein (Cioran) nach. Weit weniger radikal wählt er eine Sommerflucht. In ein Paradies, wie er glaubt. Doch die französische Mittelmeerinsel Porquerrolles ist von Touristenströmen überrannt und trotz großflächiger Naturschutzzone ist alles mehr oder minder zum Klimakatastrophe bedingten Teufel.

Seine Reflexionen holen ihn auch hier ein. Sie sind eine Mischung aus philosophisch-soziologischen Theorieversatzstücken, Beobachtungen und Begegnungen mit Personen vor Ort.