Mit jungen Menschen auf dem gemeinsamen Weg, sich politisch zu bilden
Politische Bildung wird als wichtige Basis demokratischer Gesellschaften verstanden und daher als grundlegender Bestandteil der Begleitung und Förderung von jungen Menschen im schulischen und außerschulischen Bereich geachtet. Kennzeichen politischer Bildung sind u. a. die Förderung von Partizipation, kritischem Denken und nicht zuletzt die Wahrung von Grundrechten.
Mit dem vorliegenden Text wird das Thema politische Bildung mit Kindern aus einer intersektionalen Das Zusammentreffen mehrere Diskriminierungskategorien wird als Intersektionalität bezeichnet. Dabei ist „Intersektionalität (…) eine analytische Sensibilität, eine Möglichkeit, über Identität und ihr Verhältnis zu Macht nachzudenken.“ (Crenshaw 2019). Perspektive aufgegriffen. Dies tue ich auf der Grundlage meiner Zusammenarbeit mit jungen Menschen in Rahmen meiner pädagogischen Tätigkeit. Dabei wird eine Perspektive von machtkritischer politischer Bildung mit Kindern unter Beachtung von Diversität erläutert. Daraus werden Handlungsempfehlungen abgeleitet. Ausgangspunkt ist die Altersgruppe der 6- bis 12-Jährigen, wobei die meisten dargestellten Handlungen und Überlegungen im Sinne einer inklusiven, politischen Bildung, für heterogene Gruppen allgemein nützlich sein können.
Heterogene Gruppen und dekoloniale Praxis
Menschengruppen sind per se heterogen, insbesondere in pluralen Gesellschaften, sie bestehen aus verschiedenen Persönlichkeiten, die sich z. B. aufgrund ihrer Merkmale und Identitätsaspekte voneinander unterscheiden. Heterogene Gruppen sind Teil von formellen und informellen (politischen) Bildungskontexten, in denen junge Menschen agieren. Interaktionen und Erlebnisse in heterogenen Gruppen sind deshalb, wenn auch nicht nur, wichtig für die Beteiligten, da darin vielfältige Erfahrungen und Wissensstände gemeinschaftlich geteilt werden können und voneinander gelernt werden kann, nicht zuletzt im Rahmen von solidarischen und kollektiven Räumen.
Oft werden heterogene Gruppen als Herausforderung beschrieben. Dem liegt meist zugrunde, dass trotz (individueller) Bemühungen und Anstrengungen, demokratische Bildungsräume zu schaffen, diese Räume systemimmanente Rahmenbedingungen haben, die ein gleichberechtigtes Miteinander nicht zulassen. Damit sind Rahmenbedingungen gemeint, wie z. B. der Fachkräftemangel in Bildungseinrichtungen, die Zusammensetzung von Fachkräften, die vorhandenen Lernräume und Materialien oder organisationale Strukturen, die einen enormen Einfluss auf die Praxis und auf gemeinsame Lebensräume haben.
Interaktionen und Erlebnisse in heterogenen Gruppen sind wichtig für die Beteiligten, da darin vielfältige Erfahrungen und Wissensstände gemeinschaftlich geteilt werden können und voneinander gelernt werden kann, nicht zuletzt im Rahmen von solidarischen und kollektiven Räumen.
Es ist herausfordernd, im Bildungsbereich zu arbeiten. Ich selbst bewege mich oft in solchen Räumen und hadere mit der Divergenz, die in diesen Zusammenhängen gegenüber meinen eigenen Ansprüchen einer dekolonialen, machtkritischen Praxis besteht. Dekolonialisierung und dekoloniale Praxis verstehe ich als „(…) das Sich-Frei-Machen von gelernten und internalisierten, machtunkritischen und kolonialen Strukturen, vom einzelnen Menschen aus und denkt die persönliche Handlungsmacht von Akteur_innen, als Menschen, mit. Eine dekoloniale Praxis ist bemüht, Rangordnungen zu dekonstruieren, sodass alle Subjekte als Handelnde und Wissende anerkannt werden, unabhängig von ihren Identitätsmerkmalen wie Aussehen, BeHinderung, ethnischer Zugehörigkeit, geografischer Herkunft, geschlechtlicher Identität, sozioökonomischer Herkunft, Religion (und Weltanschauung), Lebensalter, Sexualität, Sprache(n) etc. Die dekoloniale Praxis lädt (pädagogische) Handelnde dazu ein, zunächst sich selbst und die eigene (pädagogische) Praxis zu betrachten, und mit dem Gegenüber, z. B. jungen Menschen und Kolleg_innen zusammen zu agieren.“ (Bordo Benavides 2017, S. 276 f.).
Kontexte, in denen Bildung geschieht, ob formelle oder informelle, können daher nicht entpolitisiert, sondern müssen machtkritisch betrachtet werden (vgl. Freire 1993). Denn darin werden meist normative und dominante Muster reproduziert, die mit bestimmten Denkweisen und Ordnungen einhergehen, wie z. B. mit der Auffassung, dass junge Menschen, die der Gruppe der Kinder angehören, nicht „fertig entwickelt“ seien: Sie seien noch nicht fertig gebildet und müssen sich zu leistungsfähigen Erwachsenen weiterentwickeln. Es sollte Anlass zum Nachdenken geben, dass diese Normative immer noch aktuell ist. Daraus folgt, dass es auch innerhalb (informeller) politischer Bildungsräume einer Reflexion und Professionalisierung bedarf (vgl. Gomis 2020a).
Zu beobachten sind die Bemühungen, aber auch die Barrieren, die sowohl normierte Räume als auch Menschen sich als Individuen selbst aufbauen. Erst in dem kritischen Austausch mit allen Beteiligten können diese Barrieren erkannt und nach Möglichkeit abgebaut werden. Jedoch bleiben oft strukturelle Aspekte, die Benachteiligung und Diskriminierung begünstigen oder aufrechterhalten. Für ein respektvolles Miteinander in heterogenen Räumen braucht es daher die Bereitschaft, in den Dialog zu gehen, Reflexionsräume und Reflexionsfähigkeit (vgl. Kinder/Piesche 2020) sowie Anerkennung und Wertschätzung des vorhandenen Wissens. Es ist von Bedeutung, Ressourcen und Partizipation als Kinderrecht zu achten und anzuerkennen, dass junge Menschen sich in der Gesellschaft als Expert*innen ihrer selbst positionieren können, ohne dass sie deswegen eine Bewertung erfahren.
Benachteiligung und Diskriminierung
Benachteiligungen und Diskriminierungen in außerschulischen Bildungskontexten sind kein neues gesellschaftliches Phänomen. Ebenfalls nicht neu ist, dass Ungleichbehandlungen aufgrund von festgefahrenen Strukturen und Institutionalisierungen im Bildungssystem Lebensrealität von jungen Menschen sind. Wie viele aktuelle Studien belegen und der Soziologe Pierre Bourdieu bereits in den siebziger Jahren aufzeigte: Die Reproduktion von sozialer Ungleichheit ist ein systemrelevantes, hartnäckiges Phänomen unserer Gesellschaft. Dabei geschieht Bildung, auch politische Bildung, unter Bedingungen von Differenz, Benachteiligung und Diskriminierung (vgl. Eggers 2012).
Junge Menschen werden oft anhand ihrer Identitätsmerkmale in Bildungseinrichtungen markiert („zu jung“, „zu klein“, „anders“, „nicht fähig“, „kann unsere Sprache nicht“) bei gleichzeitiger Aberkennung ihrer Expertise und des Wissens über sich selbst.
Für ein respektvolles Miteinander in heterogenen Räumen braucht es die Bereitschaft, in den Dialog zu gehen, Reflexionsräume und Reflexionsfähigkeit sowie Anerkennung und Wertschätzung des vorhandenen Wissens.
Diskriminierungserfahrene werden dabei oft mehrfach benachteiligt, z. B. aufgrund von Ableismus Diskriminierung gegenüber Menschen mit BeHinderung, behindert werden., Rassismus, Heterosexismus Diskriminierungsform, in der Heterosexualität als die Norm dargestellt wird. oder Klassismus. Im Fall von Kindern und Jugendlichen kommt das Merkmal vom jungem Lebensalter hinzu und somit Adultismus. Diskriminierung gegenüber Kindern und Jugendlichen.
Das wirkt sich negativ sowohl auf Identitätsentwicklungsprozesse von jungen Menschen als auch auf ihre Bildungs- und Lebensverläufe aus. Eine unterschiedliche Behandlung von Menschen besteht, obwohl Menschen- und Kinderrechte als allgemeingültig deklariert wurden. Und trotzdem werden vielen jungen Menschen die Möglichkeiten der politischen Bildung verwehrt, insbesondere diskriminierungserfahrenen Kindern. Sie erleben, dass diese Thematisierung in Bezug auf Bildungskontexte ein polarisierendes Thema ist. Diese Ambivalenz, die junge Menschen auch im Kontext der politischen Bildung erleben, zeigt die Komplexität der Thematik. Darüber hinaus erlernen junge Menschen bereits im frühen Alter (ab ca. drei Jahren), wie gesellschaftliche Ordnungen und Machtbotschaften und somit, wie Differenzierung und Ungleichbehandlung funktionieren (vgl. Eggers 2012). Bereits im frühen Alter können wir Menschen Dominanzwissen in unserem Wissens- und Handlungsrepertoire aufnehmen. Selbst wenn wir verschiedene Fähigkeiten und gesellschaftliche Positionierungen haben und Diskriminierungserfahrungen machen, internalisieren wir das.
Durch Diskriminierungen und weitere systemimmanente Ausschlüsse wird begünstigt, dass junge Menschen von der Teilhabe und vom Einfluss auf ihre Belange ausgeschlossen werden, z. B. konkret bei der Auswahl ihrer Bildungsorte und -inhalte. Hier ist Beteiligung und die aufmerksame Wahrnehmung der Meinung von jungen Menschen in angemessener Form zu berücksichtigen: Beteiligung als Kinderrecht (vgl. Krappmann 2012, S. 31 ff.). Jahrelang fordern bereits zivilgesellschaftliche Akteur*innen mit ihren Expertisen, dass strukturelle und institutionelle Diskriminierungen abgebaut werden und dass diskriminierungskritische Bildung als Querschnittsthema in Bildungskontexten mitgedacht wird (vgl. Gomis 2020b).
In Räumen, in denen Dominanzen und Privilegien die Norm sind, besteht kaum Platz für vielfältige Lebensrealitäten von jungen Menschen. Auch hier gilt: Die, die sich (immer) melden können, die lernen können, sich Gehör zu verschaffen, die bestimmte Privilegierungen genießen, etwa in Form von sozialem oder ökonomischem Kapital oder aufgrund ihres Habitus, werden wahrgenommen und nehmen teil. Es bedarf großer Anstrengungen seitens diskriminierungserfahrener junger Menschen und ggf. ihrer Familien, um eine reelle Partizipation in unserer Gesellschaft erleben zu können, um politisch aktiv zu sein. Benachteiligung und Diskriminierung sind für alle Beteiligten schädlich, denn sie verwehren das Recht auf Teilhabe und auf heterogene Kinderwelten.
Beispiel aus der Praxis: Selbstverteidigungskurs mit Worten – SVK
Der SVK – Selbstverteidigungskurs mit Worten ist ein mehrsprachiges und intergenerationelles Kollektiv von Mädchen* und (jungen) Frauen* aus Berlin. Das Kollektiv hat sich 2015 eigeninitiativ zusammengetan, mit dem Ziel sich zu stärken, um sich mit Worten gegen Rassismus und Diskriminierung verteidigen zu können, um sich über Erfahrungen auszutauschen, sich gegenseitig zu unterstützen. Es ist im Bereich der Diskriminierungs- und Rassismuskritik und der (Selbst-)Bildung tätig. Die SVK-Mitglieder wollen ihr eigenes Umfeld aktiv gestalten. Das ist nicht immer einfach. Sie finden es wichtig, sich über Strategien auszutauschen, um mit bestimmten Erfahrungen umzugehen. Eigene Medien herzustellen, ist für sie ein Weg (vgl. SVK 2020 und 2021). 2017 veröffentlichte SVK als herausgebendes Kollektiv das Buch „Wir sind Heldinnen! Unsere Geschichten“ beim Berliner Verlag w_orten & meer. 2020 folgte die Veröffentlichung des Comics „Somos AMAZONAS!“ als Selbstpublisher, Herausgebende, Illustrator*innen und Autor*innen.
Mit Publikationen und Interventionen teilt das Kollektiv eigenes Wissen und Perspektiven. „Das ist für uns wichtig, weil wir sehr oft erleben, dass viel über uns geschrieben, berichtet wird aber nicht mit uns.“ (SVK 2020)
Beim SVK waren Ende 2015 10 Teilnehmer*innen Kinder und Jugendliche von 6 bis 15 Jahren dabei. 2021 hat das SVK eine Kerngruppe von 9 Mädchen* und (jungen) Frauen* im Alter von 11 bis 47 Jahren.
Dieses Beispiel Alles hier Berichtete erfolgt in Absprache mit Mitgliedern des SVK, die mir den Auftrag gegeben haben, als erwachsene Person und pädagogische Begleitung bestimmte Inhalte und Erfahrungen zu teilen, die für weitere Gruppen und junge Menschen unterstützend sein könnten. erzählt über politische Bildung, Handlungsmacht und -strategien. Die Entstehung des Kollektivs ist eine Darstellung selbstermächtigten Handelns von jungen Menschen: 2015 wurde ich von zwei Grundschulkindern der 3. Klasse angefragt, mit ihnen einen „Selbstverteidigungskurs“ zu machen. Sie fragten mich konkret nach Unterstützung und bezogen sich auf das, was sie unter meiner Arbeit verstanden hatten: Ich würde „in diesem Bereich arbeiten“. Ich bin im Antidiskriminierungsbereich tätig.
Durch Diskriminierungen und weitere systemimmanente Ausschlüsse wird begünstigt, dass junge Menschen von der Teilhabe und vom Einfluss auf ihre Belange ausgeschlossen werden
Beide Kinder fragten beharrlich, wann ich Zeit für ihr Vorhaben haben würde. Sie ließen nicht locker. Bei jeder Frage berichteten sie immer mehr über ihre Vorstellungen für einen solchen „Selbstverteidigungskurs“. Zusammenfassend ging es darum, sich regelmäßig über Handlungsstrategien auszutauschen, bei Situationen, in denen sie sich ungerecht behandelt fühlten: in der Schule, auf dem Weg nach Hause etc. Das wollten sie mit Worten machen. Das heißt sie waren interessiert daran, ihr Vorhaben „sich mit Worten selbst zu verteidigen“ durchzusetzen und nutzten ihre Handlungsmacht. Die zwei Kinder hatten sich weitere Gedanken über die Gestaltung des Kurses gemacht. Ihre Ideen basierten auf ihren eigenen Erfahrungen und aus der daraus resultierenden Konsequenz für sie: Sie mussten in ihrem Umfeld (politisch) handeln. So wie der Name des Kollektivs es beschreibt: „Selbstverteidigungskurs mit Worten“: Aus ihrem Selbstverständnis und ihrer Erkenntnis entwickelten sie den Bedarf, sich gegenüber Diskriminierung und Ungleichbehandlung mit Worten aktiv „selbst verteidigen“ zu wollen und zu müssen. „Mit Worten“ als eine erfahrungsbasierte Entscheidung, die aus den Markierungen von jungen Rassismuserfahrenen entsteht, denn Rassismuserfahrene werden allzu oft in Bildungseinrichtungen als besonders aggressiv und körperbezogen deklariert.
Ein nächster Schritt war es zu präzisieren, was genau im Kurs geschehen sollte sowie die Rahmenbedingungen, um dies den Erziehungsberechtigten zu kommunizieren: dass wir uns über Anliegen und Erfahrungen der Kinder sowie über gesellschaftliche Themen austauschen werden und dass es sich um regelmäßige Treffen handelt. Es ging auch darum, die Erlaubnis der Eltern einzuholen.
Beim ersten Treffen, gleich nach der Schule, besprachen wir einige Situationen, die sie beschäftigten, wie Ungleichbehandlungen aufgrund von Diskriminierung und Vorurteilen. Konkret ging es um Rassismus und Sexismus. Ihnen war in der Schule, seitens pädagogischer Fachkräfte und Mitschüler*innen, einiges nicht erlaubt, weil sie Mädchen* seien und ihnen wurde oft vorgetragen, sie würden dieses und jenes nicht schaffen, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschen würden, obgleich diese einer ihrer beiden Erstsprachen war. Des Weiteren würden sie mit weiteren vorurteilbehafteten bis hin zu diskriminierenden Markierungen etikettiert, die sich auf ihre (sogenannten kognitiven) Fähigkeiten in Verbindung mit ihren Identitätsmerkmalen bezogen.
Im Austausch stellten sie fest, dass weitere Kinder dazu kommen sollten, sie würden ihre Geschwister einladen und weitere Freund*innen. So kamen wir zu einem Treffen mit sechs Personen zusammen. Ein paar wenige Male gab es Änderungen in der Gruppenkonstellation, weil Teilnehmer*innen gingen oder dazukamen. Die Zusammensetzung des Kollektivs wurde, wie alle weiteren Entscheidungen und Prozesse, auch im Kollektiv entschieden.
Die zwei Kinder erklärten den anderen ihr Vorhaben. Da Selbstverteidigung gegenüber Diskriminierungen (Rassismus, Sexismus und Adultismus) im Vordergrund standen, wurde entschieden, dass Teilnehmende Rassismus- und Sexismuserfahrene sein sollten: rassismuserfahrene Mädchen*.
Viele der Kinder besuchten gemeinsam eine Grundschule, sodass die ersten Interventionen auch in dieser Schule stattfanden. Eine erste Intervention war, dass sich einige der Kinder im Schulhof trafen, um von pädagogischen Fachkräften gemeinsam zu fordern, ihnen ein Fußball zu geben – auch um zu zeigen, dass Mädchen* Fußball spielen dürfen und können.
Mir wurde klar, dass es für solche Interventionen einer solidarischen, verlässlichen Unterstützung durch Erwachsene bedarf, da junge Menschen, die ihre Rechte einfordern, leider sehr oft mit Repressalien und Bestrafung von Erwachsenen rechnen müssen. Es besteht ein Machtgefälle. Daher braucht es ein Backup, das unterstützend wirken kann, wenn es um Repressalien geht. Dies als Unterstützung für das Abwägen der Interventionen und deren Vorbereitung, sowie um Verantwortung zu tragen, um u. a. weitere Handlungsstrategien anzugehen und/oder Gefühle und das Erlebte auszuwerten.
Leider ist die Erfahrung so, dass, wenn das Kollektiv als Gruppe etwa zu Interventionen oder Auftritten unterwegs ist, die Teilnehmer*innen zwar nicht nur, aber allzu oft Diskriminierungen erleben. Diese Situationen werden in der Gruppe thematisiert und daraufhin werden Handlungsstrategien entwickelt. Diese wiederum sind vielfältig. Es ist ermüdend, sich ständig mit Worten gegen Diskriminierungen selbst verteidigen zu müssen. Auch wenn das ein Privileg ist, sich mit Worten verteidigen zu können.
Eine andauernde Übung ist es, die eigenen dominanten Handlungen als Erwachsene zu reflektieren und Räume freizugeben.
Die aktive, politische Arbeit des Kollektivs ist ehrenamtlich. Für einige Aktivitäten und Vorhaben werden Anträge auf finanzielle Förderung, gleichfalls im Kollektiv, gestellt. Aufgaben, Finanzen und organisatorische Überlegungen werden im Kollektiv anhand verschiedener Entscheidungsprozesse festgelegt. Die Wirkung nach außen geschieht vor allem über den Auftritt in den sozialen Medien, durch Interventionen im eigenen Umfeld und durch Publikationen. Aber genauso auch durch erweiterte Aktivitäten mit Familien und Freund*innen, wie die Teilnahme an Demonstrationen.
Ein immer wiederkehrendes Thema für das Kollektiv ist Barriere-Abbau und Niedrigschwelligkeit. Die verschiedenen Aktionen, die angegangen werden, reproduzieren Barrieren und Ausschlüsse: Podcasts sind für Hörende. Nicht-taktile Bücher sind für Sehende und Lesende, das gilt auch wenn bestimmte Schriften benutzt werden, um etwa Zugänglichkeiten zu schaffen (Größe der Schrift oder spezielle Dyslexie Schriftart). SVK trifft sich oft in Räumen, die für Gehende geschaffen sind.
So ist festzustellen, dass, wenn Gruppen sich Räume schaffen, die Möglichkeit besteht, andere Gruppen und Menschen, etwa durch selbsterstellte Barrieren auszuschließen. Das ist entmutigend. Inklusive Räume zu schaffen braucht Ressourcen und Wissen und sie sind leider keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. Ausschlussmechanismen haben wir alle internalisiert, deshalb braucht es eine konstante Reflexion u. a. über die eigenen Privilegien und Positionierungen.
Im Laufe der Jahre und im Prozess wurden bestimmte Aspekte und eigene politische Positionierungen individuell und im Kollektiv verhandelt. Wofür konkrete, konzentrierte, themenspezifische Austauschrunden organisiert werden.
Die Rolle als Erwachsene, auch als Teil des Kollektivs, ist die der Begleitenden. Eine andauernde Übung ist es, die eigenen dominanten Handlungen als Erwachsene zu reflektieren und Räume freizugeben. Als rassismuserfahrene, migrantische Frau teile ich allerdings viele Erfahrungen mit den Mädchen* und jungen Frauen*, auch wenn mit einer anderen Gewichtung. Daraus können wir gemeinsam Erkenntnisse und Wissen für unsere jeweiligen Handlungsstrategien schöpfen.
Was ich gelernt habe: „Most children are amazing critical thinkers before we silence them.” (bell hooks)
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden folgende Aspekte hervorgehoben, die eine intersektionale, machtkritische und politische Bildung mit jungen Menschen begünstigen können:
Politische Bildung sollte Räume anbieten, in denen Beteiligte sich über ihre Erfahrungen und Handlungsstrategien austauschen können, ohne dass diese bewertet werden.
- Respektvoller Umgang: Ein respektvoller und wohlwollender Umgang in Bildungsräumen begünstigt Austausch- und Dialogräume. Außerdem unterstützt solch ein Umgang, eine diskriminierungs- und rassismuskritische Haltung zu entwickeln.
- Kritische Begleitung: Es bedarf einer kritischen Begleitung von jungen Menschen in Anerkennung ihrer Identitäten und der gesellschaftlichen Vielfalt.
- Stärkender Austausch über Handlungsstrategien in sicheren Räumen (Empowerment): Politische Bildung sollte Räume anbieten, in denen Beteiligte sich über ihre Erfahrungen und Handlungsstrategien austauschen können, ohne dass diese bewertet werden. Vielmehr sollte es um Stärkung gehen und darum, sich über mögliche Handlungen und Strategien auszutauschen bzw. abzuwägen, welche Strategien hilfreich sein können und für welche Situationen.
- Partizipation erleben: Das Erleben von Partizipation und Mitbestimmung unterstützt alle Beteiligten dabei, die vielfältigen Expertisen anzuerkennen. Das Ermöglichen von Partizipation und Bestimmung der eigenen Lebens- und Handlungsräume unterstützt eine gerechtere Gestaltung der Interaktionen Erwachsene – Kind.
- Konfliktfähigkeit gestalten: Hier geht es darum, dass Konflikte, Differenzen und Auseinandersetzungen thematisiert werden können und sich dabei die Beteiligten in einen kritisch-konstruktiven Dialog begeben. Konflikte dienen dabei als Lernmomente.
- Selbstwirksamkeit: Mit jungen Menschen sollten Räume geschaffen werden, in denen sie selbstwirksam und autonom, entsprechend ihren Möglichkeiten, Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnissen agieren können. Dies bestärkt sie darin, selbst weitere Räume zu schaffen in denen sie sich politisch aktiv beteiligen können und selbstwirksam sind.
- Professionalisierung, Haltung und Flexibilität: Es bedarf eines großen Maßes an Flexibilität bei gleichzeitiger Professionalisierung, um z. B. fähigkeits- und bedürfnisorientierte, inkludierende Methoden im Austausch mit den Beteiligten flexibel anwenden zu können. Um reflektiert und kritisch politische Bildung anzugehen, braucht es das Wissen über gesellschaftliche Verhältnisse und Ausschlüsse, also Professionalisierung. Dazu gehört eine kritische Haltung und ein sicherer Umgang mit Ungleichheiten und diskriminierenden Vorfällen.
- Reflexion: Um politische Bildung voranzutreiben, bedarf es einer machtkritischen Betrachtung von (politischen) Bildungsräumen, um vorhandene, gesellschaftliche Schieflagen erkennen und diesen widerstehen zu können.
- Vielfältiges Team bzw. Austausch: Mehrfache, vielfältige Perspektiven wirken unterstützend und ermöglichen, Vielfalt als Normalität erfahrbar zu machen. Hier bedarf es eines vielfältigen Teams sowie Räume für einen kritischen (Fach)Austausch mit anderen Akteur*innen, um Erfahrungen, Handlungsmethoden oder Unsicherheiten kritisch-konstruktiv thematisieren zu können.
- Prozessorientiertheit und Entschleunigung: Um politische Bildung inklusiv gestalten zu können, bedarf es Orte und Rahmenbedingungen, die dynamisch sind und sich an Bedarfe und Bedürfnisse der Beteiligten anpassen können.
- Regelungen nachvollziehbar machen: Bei Regelungen und Vereinbarungen ist es wichtig, dass diese für alle Beteiligten nachvollziehbar sind und gelten. Ausnahmen, die auch Selbstverständlichkeiten in inklusiven, politischen Bildungsräumen sein sollten, können nach Möglichkeit und in Absprache mit den Betroffenen transparent gemacht werden.
- Transparenz und Klarheit: Transparenz und Klarheit sind unterstützende Aspekte, die politische Bildungsräume bereichern. Sie wirken u. a. unterstützend auf Dialogräume und auf Interaktionen. Außerdem können sie nützlich sein, um Konfliktsituationen aufzuklären.
- Konstante Kommunikation: Politische Bildung braucht kontinuierliche und diverse Kommunikationsmöglichkeiten. Hier geht es nicht um die Quantität, sondern um die Qualität.
- Verlässliche, unterstützende Erwachsene als Backup (Power-Sharing): Junge Menschen, die im Rahmen politischer Bildung gestärkt sind, trauen sich, sich für ihre Belange einzusetzen. Das ist super! Oft erfahren sie eine negative Bewertung dieser widerständigen Handlung, sehr oft einhergehend mit Bestrafung oder Repressalien. Hier braucht es einen empathischen Support, um diese Erfahrungen verarbeiten zu können und ggf. andere Strategien anzugehen. Denn die Wirkung dieser Bewertung kann sehr schmerzvoll sein, weil mit dieser Bewertung das sich für sich selbst und für die eigenen Belange einstehen in Frage gestellt wird.
Eine inklusive politische Bildung sollte jungen Menschen ermöglichen, in ihren Lebensräumen einen politischen Aktionsraum zu erleben. Solche Lern- und Erfahrungsräume sind zugleich Verhandlungs- und Prozessräume. Sie implizieren Ermächtigung, um sich in der Gesellschaft als Handlungssubjekte und Akteur*innen ihrer Belange wiederfinden zu können. Dies gilt für Menschen zwischen sechs und 12 Jahren, aber auch für Jüngere und Ältere.
Eine inklusive politische Bildung sollte eine kritische Antwort auf eine Praxis der Markierung und Unterdrückung bieten: als Antwort auf die Aberkennung der vielfältigen Lebensrealitäten von jungen Menschen etwa durch partizipative und respektvolle Formen des miteinander Lebens, Lernens und Agierens.
Ja, es besteht ein dringender Bedarf an machtkritischen, politischen Bildungsräumen für junge Menschen – von früh an.
Zur Autorin
olenka_bordo@online.de
Foto: Leoní Weber Bordo