Außerschulische Bildung 2/2021

Erfahrungen aus der Praxis: Politische Bildung mit Kindern

Eine Bestandsaufnahme im AdB

Kinder im Grundschulalter sind eine bisher wenig beachtete Zielgruppe der non-formalen politischen Bildung, der sich das Feld stärker zuwenden sollte. Anhand einer Bedarfserhebung im AdB rund um das Modellprojekt „Demokratie-Profis in Ausbildung! Politische Bildung mit Kindern“, werden Herausforderungen und Weiterentwicklungspotenziale in den Blick genommen. Dabei wird eine Antwort auf die Frage gesucht, ob wir unser Verständnis von politischer Bildung verändern müssen, wenn wir politische Bildung mit Kindern machen. von Rebecca Arbter und Damaris Wardenga

Politische Bildung und die Zielgruppe Kinder im Grundschulalter

Die non-formale außerschulische politische Kinder- und Jugendbildung richtet sich fast ausschließlich an Jugendliche und junge Erwachsene ab 12 Jahren sowie an Multiplikator*innen. Es mangelt zwar an repräsentativen Zahlen zu den erreichten Zielgruppen in der politischen Bildung, aber die vorliegenden Zahlen zeigen, dass Kinder ab 12 oder 14 Jahren deutlich häufiger erreicht werden als jüngere Kinder. In der statistischen Auswertung des „Programms Politische Jugendbildung“ im Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) wurde erst 2018, nach der Bestätigung der Förderfähigkeit von Maßnahmen über den Kinder- und Jugendplan des Bundes für Kinder unter 12 Jahren begonnen, die Altersgruppe 6–12-Jähriger als Teilnehmer*innen gesondert zu erheben. Ihr Anteil steigt seither stetig (vgl. AdB 2019, S. 15). Auch die Transferstelle politische Bildung hat in ihrer Auseinandersetzung mit wenig erreichten Zielgruppen der politischen Bildung konstatiert, dass Kinder nicht erreicht werden (vgl. Transferstelle politische Bildung 2016, S. 23).

Unsere Recherche zeigt hieran anknüpfend ein erwartetes Bild: Es gibt bisher nur wenige Angebote, die sich an Kinder richten und sich zugleich explizit als politische Bildung im Sinne eines weiten Politikbegriffs verstehen. Formate für Kinder, die unterschiedliche politische Themen behandeln (bspw. Klimaschutz, soziale Ungleichheit, Migration) und die diese im Kontext des gesellschaftlichen und politischen Zusammenlebens betrachten, kommen selten vor. Schnittmengen mit politischer Bildung lassen sich u. a. in den Angeboten der Kinderrechtsbildung und in vielen Beteiligungsformaten finden. Jedoch ist nicht jede Auseinandersetzung mit Kinderrechten oder jedes Partizipationsangebot automatisch auch politische Bildung. Die Grenzen sind zumeist fließend. Formate der politischen Bildung macht dabei aus, dass sie neben der Vermittlung von Wissen auch die alltagsweltliche Relevanz eines Themas erfahrbar macht und ihre gesellschaftspolitische Bedeutung unter Bezugnahme auf die Lebenswelt der Kinder reflektiert.

Politische Bildung: Eine Frage des Alters?

Eine der Ursachen für die geringe Aufmerksamkeit für die Zielgruppe Kinder ist mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Unterstellung zu finden, dass Kinder weder die Fähigkeit noch das Interesse haben, sich mit politischen Themen zu befassen. Diese Annahme stellt implizit auch die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von politischer Bildung mit Kindern in Frage. Da wir auch in der non-formalen politischen Bildung dieser Skepsis immer noch begegnen, möchten wir sie thematisieren und entkräften.

Erhebungen, die sich mit Kindern im Grundschulalter und ihrer politischen Sozialisation, ihrem Verständnis von und Wissen über Politik sowie ihren Fähigkeiten befasst haben, zeigen: Kinder in der Grundschule haben Alltagserfahrungen und Vorstellungen zu politischen Themen (vgl. Asal/Burth 2016; Götzmann 2015). Die Ergebnisse der Studie „Demokratie Leben Lernen“ des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung „bestätigen, dass Kinder bereits in jungem Alter in der Lage sind, ihre politische und gesellschaftliche Umwelt wahrzunehmen und über ein gewisses politisches (Vor)verständnis verfügen“ (Abendschön/Vollmar 2007, S. 221). Neben diesem politischen Grundverständnis wurde auch ein Interesse von Kindern nachgewiesen, ihre Meinung und Einstellung zu gesellschaftspolitischen Themen und Ereignissen zu teilen und sich damit zu beschäftigen (vgl. ebd.).

Eine der Ursachen für die geringe Aufmerksamkeit für die Zielgruppe Kinder ist mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Unterstellung zu finden, dass Kinder weder die Fähigkeit noch das Interesse haben, sich mit politischen Themen zu befassen. Diese Annahme stellt implizit auch die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von politischer Bildung mit Kindern in Frage.

Erhebungen zu Kompetenzen von Grundschulkindern bestätigen außerdem, dass Kinder früh die Fähigkeit entwickeln, Themen des Politischen zu erfassen (vgl. Götzmann 2015). Hierbei wurde festgestellt, dass gemessene Kompetenzen „altersunabhängig“ sind und eher ein Einfluss von sozioökonomischen Faktoren und Bildungsgelegenheiten auf ihre jeweiligen Fähigkeiten festgestellt werden kann (Haug 2011, S. 42; vgl. auch Götzmann 2015, S. 186). Erhebungen mit Kita-Kindern kommen zu dem Ergebnis, dass auch junge Kinder bereits Demokratiebildung und Partizipation können und diese auch wollen und sich für Themen des Politischen in ihrer Alltagswelt interessieren (vgl. Richter et al. 2017).

Dass wenig Zutrauen in Fähigkeiten und Urteils- und Beteiligungskompetenz von Kindern und Jugendlichen besteht, lässt sich auch an der wiederkehrenden Debatte über eine Herabsetzung des Wahlalters ablesen. Wenn Jugendlichen mit 16 Jahren schon nicht zugetraut wird selbstbestimmt zu entscheiden, welche Partei sie wählen, wundert es wenig, dass politischer Bildung mit und Forderung nach echter Partizipation von Kindern weiterhin mit Skepsis begegnet wird. Spannend sind in diesem Kontext Debatten, die Kinderrechte dahingehend interpretieren, dass sie ein Wahlrecht für Kinder fordern (vgl. Hurrelmann/Schultz 2014). Wie sollen aber Bürger*innen heranwachsen, die sich gerne beteiligen und denen Mündigkeit zugetraut wird, wenn es wenige Anlässe für Partizipation und politische Bildung in den Bildungs- und Sozialisationsbiographien von Kindern und Jugendlichen gibt? Studien legen nah, dass das möglichst frühe Erleben von Beteiligungsmöglichkeiten, von Selbstwirksamkeit und von politischer Bildung sich nachhaltig positiv auf die persönliche Entwicklung und die Wahrnehmung der eigenen Handlungsfähigkeit auswirken und „in einem engen Zusammenhang mit Resilienz (stehen)“ (Lutz 2016, S. 90). Politische Bildung von Anfang an ist demnach eine demokratiestärkende Maßnahme.

Foto: AdB

Aus Perspektive der Kinderrechte kann die Frage, ob politische Bildung mit Kindern im Grundschulalter machbar ist, so gar nicht gestellt werden. Das Einbeziehen und Ermöglichen von Partizipation und Bildung zu u. a. Menschenrechten sind in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben (Art.12, 13 und Art. 28 und 29). Aus diesen Rechten ergibt sich die Notwendigkeit, allen Kindern unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten Partizipation zu ermöglichen. Aus diesem Blickwinkel ist politische Bildung mit Kindern auch essentiell, um Kinderrechte zu erfüllen (vgl. hierzu auch den Beitrag von Katharina Gerarts in diesem Heft).

Aus einem Professionsverständnis der politischen Bildung heraus, das anstrebt, Angebote für alle Menschen unserer Gesellschaft zu machen, sind Zweifel an der Mündigkeit und Fähigkeit bestimmter Zielgruppen unangebracht.

Aus einem Professionsverständnis der politischen Bildung heraus, das anstrebt, Angebote für alle Menschen unserer Gesellschaft zu machen, sind Zweifel an der Mündigkeit und Fähigkeit bestimmter Zielgruppen ebenso unangebracht. Im Sinne einer Subjekt- und Handlungsorientierung ist die Frage nach der Umsetzbarkeit und nach Zugängen dann eine von Methoden und Kompetenzen der politischen Bildner*innen und nicht eine, die nach Kompetenzen der Zielgruppe fragt. Anknüpfend hieran zeigt der Text von Benedikt Sturzenhecker und Laura-Aliki Vesper in diesem Heft, warum Erziehung ihrem Auftrag nach auch Demokratiebildung ist. Diese unterschiedlichen Argumente für die Umsetzung von politischer Bildung mit der Zielgruppe Kinder zeigen, dass es letztliche keine Frage, des „Ob“, sondern eine Frage des „Wie“ ist.

Ein Modellprojekt zu politischer Bildung mit Kindern

Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage und diesen Überlegungen setzt der AdB seit Januar 2020 das Modellprojekt „Demokratie-Profis in Ausbildung! Politische Bildung mit Kindern“ um. Es wird durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb gefördert. Das Projekt geht in seiner fünfjährigen Laufzeit (2020–2024) der Frage nach, welche Formate, Angebote und Methoden, in welchen Sozialräumen und unter Beteiligung welcher Kooperationspartner*innen, am besten geeignet sind, um gelungene Angebote der non-formalen politischen Bildung für Kinder umzusetzen. Ausgehend von der Annahme, dass es bisher wenig erprobte Praxisformate gibt, will das Projekt diese Lücke mit der Bearbeitung der folgenden drei Kernziele, verringern:

  • Entwicklung und Erprobung von Formaten der politischen Bildung mit Kindern im Grundschulalter, orientiert an den erhobenen Bedarfen, dem aktuellen wissenschaftlichen Stand sowie bereits existenten Praxiserfahrungen
  • Erweiterung der Kompetenzen von Bildungspraktiker*innen in der formalen und non-formalen politischen Bildung zum Thema politische Bildung mit Kindern im Grundschulalter
  • Fachliche Weiterentwicklung der Politischen Bildung und Erweiterung der Zielgruppen politischer Bildungsarbeit

Die Erprobungen von Formaten erfolgt in Kooperation mit sieben bundesweit ausgewählten Pilotstandorten. Diese Standorte setzen mit unterschiedlichen Methoden und Kooperationspartner*innen zu unterschiedlichen Themen Angebote der politischen Bildung mit Kindern um. Detaillierte Beschreibungen der einzelnen Pilotstandorte sind auf der Projektwebsite unter: https://demokratie-profis.adb.de/pilotstandorte zu finden. D. h. es wird vor Ort mit lokalen Partner*innen und unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontexts Praxis mit Kindern erprobt. Da es zur non-formalen politischen Bildung und besonders zur Zielgruppe Kinder wenig Literatur und Forschung mit Praxisbezug gibt (vgl. BMFSFJ 2020, S. 200 f.), werden die Pilotstandorte von einem weiteren Projektbaustein gerahmt: einer wissenschaftlichen Begleitung. In dieser begleitenden Evaluation geht es vor allem darum zu verstehen, welche Angebote von den Fachkräften vor Ort, den Kooperationspartner*innen und von den Kindern als gelungen eingeordnet werden und warum. Erste Ergebnisse aus der Begleitung können voraussichtlich ab 2023 gemeinsam diskutiert werden. Ein fachlicher Beirat begleitet das Projekt mit einer multi-professionellen Expertise und bietet Raum für kritische Reflexion.

Neben der Erprobung an den Pilotstandorten begegnet das Projekt dem Bedarf an Qualifizierung zu politischer Bildung mit Kindern: Es werden Fortbildungsangebote für Fachkräfte der non-formalen und formalen politischen Bildung angeboten, die sich – orientiert an zuvor erhobenen Bedarfen – mit inhaltlichen Themen (bspw. rassismuskritischer Bildung mit Kindern) befassen. Ergänzt werden diese durch Angebote, die sich praxisorientierten Inhalten, Methoden und Rahmenbedingungen für die Arbeit mit Kindern widmen.

Beobachtungen aus der Praxis: Gelungenes und Herausforderndes

Die sieben Pilotstandorte im Projekt erproben seit Oktober 2020 Formate der politischen Bildung mit Kindern. Aufgrund der pandemischen Lage konnten bisher nur wenige Veranstaltungen mit Kindern umgesetzt werden, sodass es aktuell noch an Praxisbeispielen aus dem Projekt mangelt. Im Folgenden greifen wir daher auf Beispiele aus der Bedarfserhebung im Projekt zurück (vgl. AdB 2021). Zur Praxis der politischen Bildung mit Kindern in der non-formalen Bildung haben wir neben Recherchen in 2019 auch 14 Leitfadeninterviews mit AdB-Mitgliedern geführt. Aufgrund des Vorgehens, der geringen Teilnehmendenzahl und der Befragung von überwiegend Akteur*innen, die zur Mitgliederstruktur des AdB gehören, sind die Ergebnisse nicht zu verallgemeinern und nicht repräsentativ. Jedoch lassen sich qualitative Aussagen im Hinblick auf bisherige Praxiserfahrungen und zukünftige Bedarfe treffen. Ziel dieser Bedarfserhebung war es, die unterschiedlichen Formate, Themen, Methoden und Erfahrungen zu überblicken, die in der Umsetzung von Angeboten der politischen Bildung mit Kindern im AdB bestehen. Auch diente sie dazu, Bedarfe und Leerstellen aufzudecken. Die folgenden Beispiele geben exemplarisch einen kurzen Einblick in die bestehende Praxis der politischen Bildung mit Kindern im AdB.

Die bestehende thematische Vielfalt der Angebote für Kinder macht deutlich, dass – sofern ein Bezug zur Lebenswelt der Kinder hergestellt wird – eine breite thematische Vielfalt auch bei Angeboten für Kinder möglich ist.

Die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein in Brandenburg hat mit Kindern in den vergangenen Jahren u. a. zum Thema „Migration und Vielfalt“ und „Ich & die Anderen“ gearbeitet. Dabei lag der Fokus auch darauf, Selbstwahrnehmung und Konfliktfähigkeit zu fördern. Andere Maßnahmen haben sich auf die Förderung der Stärkung von Kindern im eigenen Sozialraum fokussiert. Auch Ferienangebote mit eher erlebnispädagogischer Ausrichtung werden regelmäßig umgesetzt. Bei Angeboten mit Übernachtung handelt es sich meist um 5-tägige Formate, bei denen im Idealfall Kinder das Thema zuvor mitbestimmt haben.

Das Anne Frank Zentrum in Berlin arbeitet bereits seit langer Zeit mit Kindern im Grundschulalter und hier vor allem in Kooperation mit Schulen zu unterschiedlichen Themen im Bereich der politisch-historischen Bildungsarbeit. Hierfür nutzen sie oft biographische Ansätze, u. a. auch, um das Thema Flucht und Migration zu bearbeiten (Projekt „Flucht im Lebenslauf“). Für Lehrkräfte entwickelt das Anne Frank Zentrum Materialien, um sie zur Umsetzung von Themen zu befähigen und bietet hierzu auch Weiterbildungen an. Eine Handreichung zur Bearbeitung des Themas Antisemitismus in der Grundschule ist 2020 erschienen.

Der Träger Teilseiend e. V. Muslimische Akademie i. G. in Baden-Württemberg setzt Ferienprogramme für Kinder zu überkonfessionellen Themen (bspw. Nachhaltigkeit) und interreligiösen Themen (Nächstenliebe, Mut) um. Bei Exkursionen in sakrale Räume (Moschee, Synagoge) oder Einrichtungen wie bspw. Seniorenheime, werden mit den Kindern Zusammenhänge zwischen religiösen und gesellschaftspolitischen Themen hergestellt.

Der Verein Waldritter e. V. bietet u. a. in Herten (NRW) in seinen unterschiedlichen, nach Alter strukturierten Gruppen erlebnispädagogische Angebote auch für Kinder an. Die Gruppen treffen sich wöchentlich, um Rollenspiele zu spielen. Hierbei können Elemente enthalten sein, die auch Bezug zu gesellschaftspolitischen Themen beinhalten. Explizit als Angebote der politischen Bildung mit Kindern umgesetzt wurden ein Projekt zu „Was ist Demokratie?“ und ein Rollenspiel, das sich mit Interkulturalität und Kooperation auseinandersetzt.

Aus unserer Erhebung lassen sich mit Blick auf die Praxis ein paar Beobachtungen und Herausforderungen festhalten. Auch wenn sich diese Beobachtungen nicht verallgemeinern lassen, so weisen sie doch darauf hin, wo Ansatzpunkte liegen, um gelungene Maßnahmen der politischen Bildung mit Kindern umzusetzen. Die bisher im Projekt umgesetzten Angebote scheinen diese spannenderweise zu bestätigen. Die o. g. Beispiele zeigen, dass Angebote der politischen Bildung mit Kindern durchaus existieren. In den Angeboten, die wir in der Bedarfserhebung erfasst haben, zeigt sich eine Vielfalt an Themen, Methoden und Formaten. Vertreten sind alle Themenfelder der politischen Bildung. Dies lässt den Schluss zu, dass auch in der Arbeit mit Kindern keine Einschränkungen beim Themenspektrum besteht. Bei der expliziten Frage nach den verwendeten Methoden wurde ebenso eine große Sammlung an unterschiedlichen Methoden und Herangehensweisen benannt. Blickt man auf die benannten Formate, ist eine Tendenz zu Angeboten zu erkennen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, bspw. durch wöchentliche Treffen und häufig auch aufsuchende Arbeit. Angebote der politischen Bildung mit Übernachtung für Kinder im Grundschulalter werden, so die Erfahrung unserer Gesprächspartner*innen, seltener umgesetzt als bspw. für Jugendliche.

Auch ist laut ihrer Erfahrung die Heterogenität hinsichtlich der Kompetenzen höher und Konzentrationsspannen der Kinder niedriger als bei Jugendlichen. Für die Vorbereitung von Angeboten für Kinder bedeutet dies, dass von teils sehr unterschiedlichen Kompetenzprofilen ausgegangen werden muss. Entsprechend muss mit mehr zeitlichen und personellen Ressourcen in der Vorbereitung und einer hohen Flexibilität in der Anpassung von Methoden bei der Umsetzung gerechnet werden.

Bei der Umsetzung von Angeboten für Kinder ist es laut unseren Gesprächspartner*innen besonders wichtig, die Grundsätze von Subjekt- und Lebensweltorientierung sowie Handlungsorientierung stark zu gewichten. Das Anknüpfen an die Vorerfahrungen und Fragen der Kinder und ihre Lebens- und Alltagswelt, um Themen zu bearbeiten, wird als unumgänglich beschrieben. Wichtig ist es dabei, Partizipationsmöglichkeiten in der Gestaltung, bspw. bei der Themenwahl, den Rahmenbedingungen und durch Einbezug von Lernanlässen aus der Alltagswelt der Kinder, zu schaffen. In Hinblick auf die Umsetzung von Partizipation von Kindern in den Angeboten und der politischen Bildung insgesamt, besteht Ausweitungspotenzial. Hier lohnt sich ein Blick auf die Erfahrungen der Demokratiebildung und Partizipation im Bereich der Kita, der deutlich weiterentwickelt ist als der Bereich der politischen Bildung im Grundschulalter (vgl. Hansen et al. 2015).

Wenn wir Kinder als politische Subjekte mit dem Recht auf Beteiligung und Bildung verstehen, ist es Aufgabe der politischen Bildung, zur Umsetzung dieser Rechte beizutragen.

Die politischen Bildner*innen in unserer Bedarfserhebung schätzen ihre eigenen Kompetenzen und die ihrer Kolleg*innen hinsichtlich der pädagogischen Erfahrung mit Kindern als gering ein. Diese Einschätzung und das geringe Zutrauen in die eigene fachliche Qualifikation für diese Altersgruppe mag auch ein Grund dafür sein, dass sich nur wenige an Kinder als Zielgruppe „heranwagen“. Neben einem Bedarf an Qualifikation wird ein Mangel an Materialien und Methoden für die Konzeption von Angeboten der politischen Bildung konstatiert. So wird es als Herausforderung beschrieben, Inhalte und Methoden für Jugendliche so herunter zu brechen, dass sie auch mit Kindern funktionieren. Auch der Bedarf der Zielgruppe, mehr mit Visualisierung zu arbeiten als mit Schriftsprache, wird teilweise als nicht einfach erlebt. Es wird deutlich, dass es politischen Bildner*innen an einem umfänglicheren, praxisbasierten Wissen fehlt, das hier eine Einschätzung erleichtern würde.

Häufig wurde in den Gesprächen auch auf einen Veränderungsbedarf bei Förderstrukturen hingewiesen. Die strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen sind oft nicht passfähig für die Umsetzung von Maßnahmen der politischen Bildung mit Kindern. Zumeist gibt es keine Förderung für Projekte mit Kindern, die jünger als 12 oder 14 Jahre sind oder es wird nicht berücksichtigt, dass Vorbereitungen zeitintensiver sind und die Anzahl der Bildner*innen bei der Umsetzung höher sein muss, um der Zielgruppe gerecht zu werden.

Unsere Gesprächspartner*innen beschreiben den Zugang der außerschulischen Bildung zur Zielgruppe Kinder teilweise als Herausforderung. Da Bildungsstätten zumeist keine Bildungsorte sind, an denen Kinder sich unabhängig von ihren Eltern aufhalten, ist die Zusammenarbeit mit Kooperationspartner*innen unerlässlich. Insbesondere in der Zusammenarbeit mit Schule berichten sie, dass Themen und Anliegen der außerschulischen Träger manches Mal auf wenig Interesse treffen. Dennoch bietet der Ausbau der Ganztagsbildung im Bereich der Grundschule auch die Chance einer Verstetigung der Zusammenarbeit mit Grundschulen (vgl. BMFSFJ 2020, S. 351; GEMINI 2021). Häufig begleiten und behindern aktuell aber gegenseitige Vorurteile die Zusammenarbeit. Die Bildner*innen berichten von einem Verständnis von politischer Bildung als Institutionen- und Verfahrenslehre, das unter Fachkräften in der Frühkindlichen- und Primarbildung vorherrscht und daher für die Vermittlung an Kinder zu komplex sei. Politische Bildner*innen hingegen gehen nicht immer optimal auf Bedarfe von Schule ein (vgl. hierzu auch BMFSFJ 2020, S. 351). Es zeigt sich hier, dass in der Lehrkräfteausbildung für die Grundschule sowie in den Lehrplänen der Grundschule das Thema Politische Bildung wenig Bedeutung hat. Dies ist insbesondere auch deswegen zu bedauern, da in der Kita ein wachsendes und vielfältiges Angebot besteht und die Fachdebatte und Forschung hier wesentlich weiter ist. Spannend ist in diesem Kontext auch die Frage, was diese bestehende Diskrepanz mit Kindern macht, die diese in ihrem Übergang von der Kita in die Schule erleben. Hier besteht die These, dass es im Übergang der Kinder in die Grundschule einen Bruch in den Erfahrungen und Zugängen zu Partizipation und politischer Bildung gibt. Eine Studie zu dieser Frage wird aktuell vom Kompetenznetzwerk Demokratiebildung im Kindesalter erstellt (vgl. DEKI 2021). Mehr Austausch und ein gemeinsames Verständnis von politischer Bildung als Auseinandersetzung mit Themen, die Demokratie als Lebens- und Gesellschaftsform berühren, wäre für die weitere Zusammenarbeit hilfreich.

Fazit: Was es für die Politische Bildung mit Kinder braucht

Diese Bestandaufnahme zeigt, dass Kinder als Zielgruppe der non-formalen politischen Bildung mehrheitlich (noch) nicht etabliert sind. Dennoch lassen sich ein paar Beobachtungen für Angebote mit Kindern festhalten: Die bestehende thematische Vielfalt der Angebote für Kinder macht deutlich, dass – sofern ein Bezug zur Lebenswelt der Kinder hergestellt wird – eine breite thematische Vielfalt auch bei Angeboten für Kinder möglich ist. Der Konzeption und Umsetzung neuer Angebote sind in dieser Hinsicht wenige Grenzen gesetzt. Wichtig für eine gelungene Umsetzung von Angeboten ist ein enges Anknüpfen an und Bezugnehmen auf die Perspektive der Kinder und ihre alltägliche Lebenswelt. In den Angeboten selbst und bei Trägern der non-formalen politischen Bildung muss Beteiligung von Kindern dabei stärker umgesetzt werden, das heißt bei der Themenwahl, den Rahmenbedingungen und Aktivitäten müssen Kinder stärker einbezogen werden. Das zu realisieren, ist auch ein wichtiges Anliegen im Projekt.

Die Bedarfserhebung zeigt auch, wo Bedarfe und Potenziale für die Weiterentwicklung der non-formalen politischen Bildung mit Kindern sind. Hierzu zählen die fachliche Weiterbildung, Qualifikation sowie der Austausch von politischen Bildner*innen, Lehrkräften, Erzieher*innen und Multiplikator*innen in Hinblick auf methodisches Vorgehen, die Sensibilisierung für die Bedarfe und Kompetenzen von Kindern, die kindgerechte Gestaltung von Angeboten sowie die Ausweitung der Partizipation von Kindern im Vorfeld und bei der Umsetzung. Die Zusammenarbeit mit Kooperationspartner*innen, die einen Zugang zu Kindern haben, sollte ausgebaut werden. Damit diese Kooperationen gelingen, muss ein gemeinsames Vorgehen auf Basis eines gemeinsamen Verständnisses des Anliegens von politischer Bildung getroffen werden. Auch das Thema Finanzierung muss bearbeitet werden: Wenn es keine passfähige Förderung gibt, ist die Umsetzung von Angeboten für Kinder mit großen Hürden konfrontiert.

Den Grundprinzipien der politischen Bildung – Subjektorientierung, Lebensweltbezug sowie Handlungsorientierung – muss in der politischen Bildung mit Kindern besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Um zukünftig eindeutigere Gelingensbedingungen und Empfehlungen für politische Bildung mit Kindern zu formulieren, ist die Ausweitung von Praxis und Forschung in diesem Themenfeld notwendig. Auch der Austausch mit angrenzenden Feldern und insbesondere mit Erfahrungen in der Kita sind hierfür ein guter Ansatz. Das Projekt „Demokratie-Profis in Ausbildung! Politische Bildung mit Kindern“ versucht dazu u. a. durch die wissenschaftliche Begleitung der Pilotstandorte beizutragen.

Der Blick in die Praxis der non-formalen politischen Bildung mit Kindern und auf das Projekt und die Zielgruppe Kinder war motiviert durch die Frage, ob wir unser Verständnis von und unsere Herangehensweise an Formate der politischen Bildung verändern müssen, wenn wir mit Kindern arbeiten. Vor dem Hintergrund unserer Beobachtungen können wir diese Frage mit einem „Nein, aber“ beantworten, an das sich zwei Punkte anschließen. Erstens ist unsere Haltung zur Zielgruppe entscheidend: Politische Bildung mit Kindern ist möglich und Kinder sind dazu fähig. Wenn wir Kinder als politische Subjekte mit dem Recht auf Beteiligung und Bildung verstehen, ist es Aufgabe der politischen Bildung, zur Umsetzung dieser Rechte beizutragen. Zweitens haben wir in der Praxis beobachtet, dass politische Bildung mit Kindern zu fast allen Themen mit gesellschaftspolitischer Relevanz möglich ist. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass bei der Umsetzung eine hohe Sensibilität für die Bedarfe und Kompetenzen der Kinder besteht. Darüber hinaus muss mit Inhalten und Themen stark an Vorerfahrungen und die Alltagswelt der Kinder angedockt werden sowie Partizipation in der Umsetzung stattfinden. Kurz zusammengefasst: Den Grundprinzipien der politischen Bildung – Subjektorientierung, Lebensweltbezug sowie Handlungsorientierung – muss in der politischen Bildung mit Kindern besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Zu den Autorinnen

Rebecca Arbter, Master Soziokulturelle Studien, leitet das Projekt „Demokratie-Profis in Ausbildung! Politische Bildung mit Kindern“ beim Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V.
arbter@adb.de
Damaris Wardenga, Bachelor Kulturwissenschaften, ist Mitarbeiterin in den Projekten „Demokratie-Profis in Ausbildung! Politische Bildung mit Kindern“ und „Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken“ beim Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V.
wardenga@adb.de

Literatur

Abendschön, Simone/Vollmar, Meike (2007): Kinder, Politik und die Zukunft der Demokratie: Können Kinder „Demokratie leben lernen“? In: Deth, Jan W. van/Abendschön, Simone/Rathke, Julia/Vollmar, Meike: Kinder und Politik. Politische Einstellungen von jungen Kindern im ersten Grundschuljahr. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 205–223
AdB (2019): Jahresbericht 2018: Politische Bildung mit Haltung. Berlin: AdB; www.adb.de/download/publikationen/JB_AdB_Web_Version_28_08_19.pdf (Zugriff: 29.03.2021)
AdB (2021): Wo wir stehen: Politische Bildung mit Kindern im AdB. Berlin (i. E., dann zu finden als Online-Publikation unter: https://demokratie-profis.adb.de/publikationen)
Asal, Katrin/Burth, Hans Peter (2016): Schülervorstellungen zur Politik in der Grundschule. Lebensweltliche Rahmenbedingungen, politische Inhalte und didaktische Relevanz. Eine theoriegeleitete empirische Studie. Opladen: Verlag Barbara Budrich
BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020): Kinder- und Jugendbericht. Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter. Berlin: BMFSFJ
DEKI – Kompetenznetzwerk Demokratiebildung im Kindesalter (2021): www.kompetenznetzwerk-deki.de/themen-/-angebote/forschung.html (Zugriff: 01.04.2021)
GEMINI – Gemeinsame Initiative der Träger Politischer Jugendbildung im Bundesausschuss Politische Bildung (bap) e. V. (Hrsg.) (2021): Team up! Außerschulische politische Jugendbildung in Kooperation mit Schule. Wuppertal: bap
Götzmann, Anke (2015): Entwicklung politischen Wissens in der Grundschule. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften
Hansen, Rüdiger/Knauer, Raingard/Sturzenhecker, Benedikt (2015): Partizipation in Kindertageseinrichtungen. So gelingt Demokratiebildung mit Kindern! Weimar: verlag das netz
Haug, Lena (2011): Junge StaatsbürgerInnen? Politik in Zukunftsvorstellungen von Kindern. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften
Hurrelmann, Klaus/Schultz, Tanjev (Hrsg.) (2014): Wahlrecht für Kinder? Politische Bildung und die Mobilisierung der Jugend. Weinheim Basel: Beltz Juventa
Lutz, Ronald (2016): Zusammenhänge von Partizipation und Resilienz. In: Knauer, Raingard/Sturzenhecker, Benedikt (Hrsg.): Demokratische Partizipation von Kindern. Weinheim Basel: Beltz Juventa, S. 90–105
Richter, Elisabeth/Lehmann, Teresa/Sturzenhecker, Benedikt (2017): So machen Kitas Demokratiebildung. Empirische Erkenntnisse zur Umsetzung des Konzepts „Die Kinderstube der Demokratie“. Weinheim Basel: Juventa Verlag
Transferstelle für politische Bildung (2016): Jahresbroschüre „Wenig erreichte Zielgruppen der politischen Bildung – Forschung zu Zugangsmöglichkeiten“. Essen; https://transfer-politische-bildung.de/fileadmin/user_upload/Transferstelle_Jahresbroschueren_PDF/Jahresbroschuere-2016-TpB-Zugaenge-web.pdf (Zugriff: 29.03.2021)