Außerschulische Bildung 2/2020

Europapolitisch denken und handeln

Die Europäische Union zwischen Effektivität, Partizipation und Legitimation

Wenn auch die Europäische Kommission Anfang April 2020 einen umfangreichen „Marshall-Plan für Europa“ zur Abmilderung der Coronavirus-Krise vorlegte, lässt sich schwerlich leugnen, dass sich die EU in den ersten Wochen der Krise vor allem durch nationale Egoismen, Grenzschließungen und Reiseverbote auszeichnete. Deutschland verhängte gar ein Exportverbot für medizinische Ausrüstung. Und wieder einmal erwies sich der Europäische Rat als größte Integrationsbremse. Der Beitrag nimmt dies zum Anlass, einen Rückblick auf das letzte Jahrzehnt der EU zu wagen und die Spannungen zwischen der Effektivität ihrer Beschlüsse, der Partizipation in und Legitimation der EU zu diskutieren. von Jürgen Kalb

Obwohl die Europäischen Gemeinschaften von Beginn an in all ihren Etappen stets im Krisenmodus erschienen, erlebte die Europäische Union im vergangenen Jahrzehnt doch die größten Turbulenzen ihrer Geschichte: weltweite Finanzkrise, Euro-Krise, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Migrations- bzw. Asylrechtskrise, aufkommender Nationalismus und Rechtspopulismus in den Mitgliedstaaten, zunehmende Kriegsschauplätze wie Ukraine, Syrien, Libyen und in Schwarzafrika, Brexit mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU Ende Januar 2020 und schließlich (vorerst) das Scheitern der Haushaltsberatungen (2021–2027) der EU.

Neben den vier besonders auf Sparpolitik insistierenden Ländern Dänemark, Niederlande, Österreich und Schweden gilt auch die Bundesrepublik Deutschland trotz ihrer prinzipiellen Bereitschaft, ihren Beitrag nach dem Brexit etwas zu erhöhen, zu den Bremsern bei einem deutlich erhöhten EU-Etat. Bei den Etatberatungen blieb zudem strittig, ob Mitgliedstaaten wie z. B. Polen und Ungarn, die gegen rechtsstaatliche Normen der EU verstoßen und sich weigern, Asylsuchende aufzunehmen, durch niedrigere Auszahlungen von z. B. Agrarsubventionen sanktioniert werden sollen und können. Mit deutlichen Worten hat bereits 2016 der damalige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Lage der EU skizziert: Im ZDF sprach er von einer „Polykrise“: „An allen Ecken und Enden brennt es.“

Doch trotz aller Krisen des vergangenen Jahrzehnts sehen die Menschen in Deutschland und großen Teilen Europas die EU nach wie vor überwiegend positiv. 70 % der Deutschen halten z. B. die Mitgliedschaft in der Europäischen Union für „eine gute Sache“, nur 11 % teilen diese Auffassung nicht. Dies ging jüngst wieder aus einer Umfrage des Instituts YouGov im Auftrag u. a. der Zeitung DIE WELT (vgl. Geiger/Mülherr 2019) in acht ausgewählten Ländern der EU hervor. Eurobarometerumfragen bestätigen dies weitgehend, wenn man einmal von den Ergebnissen in Großbritannien und Griechenland absieht.