Außerschulische Bildung 2/2021

Kinderrechte, quo vadis?

Zum Stand der aktuellen Diskussion um Kinderrechte im Grundgesetz

 von Damaris Wardenga

1992 unterzeichnete Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention (KRK), die somit seit fast 30 Jahren als völkerrechtlicher Vertrag den Rang eines Bundesgesetzes in Deutschland genießt. Beinahe so lange wird von vielen Seiten in Deutschland die verbindliche Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz gefordert. So empfahl beispielsweise 2014 das Committee on the Rights of the Child die verfassungsrechtliche Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz, um diesen einen Vorrang vor einfachem Bundesrecht einzuräumen (vgl. CRC 2014). Weiterhin zeigen vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegebene Gutachten zur Umsetzung und Anwendung der KRK in Deutschland erhebliche Defizite auf, insbesondere im Hinblick auf das Kindeswohlprinzip sowie das Beteiligungsrecht von Kindern. Die Gutachten empfehlen, diese Prinzipien im Grundgesetz zu verankern (vgl. BMFSFJ 2017).

Nachdem im Bundestagswahlkampf 2017 nahezu alle im Bundestag vertretenen Parteien eine Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz forderten, einigten sich CDU und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung auf die Umsetzung. Im Januar 2021 wurde ein Referentenentwurf vorgelegt, der Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ergänzen soll:

„Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“

Was das Ende eines langen Prozesses sein sollte, war jedoch der Beginn einer kontroversen Diskussion in Parlament und Öffentlichkeit, bei der vielfältige Kritik am Entwurf laut wurde.

Gegner*innen des Vorhabens, wie beispielsweise die AfD sowie ihr nahestehende Familienverbände, lehnen die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz generell ab, da diese die Rechte der Eltern beschneide und staatliche Eingriffe in die Erziehung begünstige (vgl. Reichardt 2021). Indes ist die FDP von ihrer bisherigen Ablehnung abgerückt. Sie erklärte sich jedoch nur verhandlungsbereit, solange die geplanten Änderungen das Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat nicht antasten. Eine Nachbesserung des Beschlusses ist aus ihrer Sicht notwendig.

Kritische Stimmen zum Entwurf kommen auch von Befürworter*innen einer Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz. Ihre Kritik bezieht sich sowohl auf inhaltliche Formulierungen, als auch auf die Positionierung der Verankerung innerhalb des Grundgesetzes. Problematisiert wird der Begriff der elterlichen „Erstverantwortung“, da dieser „einen Vorrang der Elternrechte nicht nur gegenüber dem staatlichen Wächteramt, sondern auch gegenüber dem Kindeswohl“ zur Folge haben könne, so der Deutsche Anwaltverein (2021, S. 3). Nach Einschätzung des Anwaltvereins und des Aktionsbündnis KinderrechteDeutsches Kinderhilfswerk, Kinderschutzbund und UNICEF Deutschland in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind – stellt die „nur“ angemessene Berücksichtigung des Kindeswohls einen Rückschritt im Vergleich zur aktuellen Rechtsprechung dar. In einer Stellungnahme des Bündnisses kritisieren sie den vorliegenden Entwurf als inhaltlich unzureichend: „Das Kindeswohl muss ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt sein, wenn auch nicht immer Vorrang haben. Dieses Ansinnen muss auch in der Formulierung für die Grundgesetzesänderung zum Ausdruck kommen.“ (Aktionsbündnis Kinderrechte 2021) Darüber hinaus bleiben auch die Partizipationsrechte für Kinder hinter der aktuellen Rechtsprechung zurück. So halte der Entwurf zwar einen Anspruch auf rechtliches Gehör fest, formuliere aber keine, wie in der KRK vorgesehenen, umfassenden Beteiligungsrechte für Kinder.

Auch die Monitoring-Stelle der UN-KRK spricht sich für die Aufnahme ins Grundgesetz aus, warnt jedoch: „Der Verfassungsgesetzgeber sollte sich bewusst sein, dass eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz, die nicht kongruent zu den internationalen Verpflichtungen ist und ein geringeres Schutzniveau vorsieht, die Rechtsposition von Kindern sogar schwächen wird.“ (DIMR 2021, S. 4)

Eine weitere Kritik richtet sich gegen den zweiten Satz des Entwurfes. Dieser stelle eine „Pflicht ohne Adressat“ dar, so Friederike Wapler, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, und lasse somit großen Spielraum für Auslegungen (Wapler 2021). Da er sich nicht explizit auf das staatliche Handeln beziehe, könne er leicht auch als Verpflichtung Privater gedeutet werden. Wapler sieht in dem Vorhaben, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, den Versuch, die bereits geltenden Grundrechte für Kinder sichtbar zu machen, ohne jedoch den Status von Kindern in der Verfassung grundlegend zu ändern. Der Vorschlag werde in seiner Formulierung dem Anliegen, Kinderrechte symbolisch zu stärken, nicht gerecht (vgl. ebd.).

Ob und in welcher Form die Kinderrechte bei dieser Gemengelage noch in dieser Legislaturperiode im Grundgesetz verankert werden, ist unklar. Seit Ende März 2021 finden Anhörungen und Lesungen im Bundestag statt. Für die Verabschiedung des Gesetzes, die frühestens im Juni 2021 erwartet wird, bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Diese scheint in Anbetracht der Kritik am aktuellen Entwurf jedoch fern. Sowohl Die Linke als auch Bündnis 90/Die Grünen schließen sich der Einschätzung an, dass der vorliegende Entwurf die Kinderrechte eher schwäche. In einem gemeinsamen Appell unter dem Motto „Kinderrechte ins Grundgesetz – aber richtig!“ anlässlich der 1. Lesung im Bundestag, forderten mehr als 100 Organisationen die Bundestagsfraktionen auf, sich noch vor der Sommerpause auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf zu einigen. Neben Nachbesserungen am Entwurf fordern sie den Einbezug der Zivilgesellschaft, insbesondere von Kindern und Jugendlichen (vgl. https://kinderrechte-ins-grundgesetz.de/wp-content/uploads/2021/03/Appell_Kinderrechte-ins-Grundgesetz-aber-richtig_FINAL.pdf).

In Anbetracht der lauten Kritik am Gesetzesentwurf scheint eine Umsetzung in dieser Legislaturperiode kaum noch realistisch. Um dem wohlbegründeten Verdacht entgegenzuwirken, nicht bloß wirkungslose Symbolpolitik zu sein, sondern auch Gefahr zu laufen, den rechtlichen Status von Kinderrechten effektiv zu schwächen, müsste der aktuelle Entwurf noch verändert werden. Ein Gutes bringt die Diskussion des Vorschlags im Bundestag aber schon jetzt mit sich: Das Thema erhält zurzeit eine ungewohnt breite Öffentlichkeit und Politiker*innen müssen Stellung beziehen. Zu wünschen wäre, dass all diejenigen, die sich für eine Stärkung der Rechte von Kindern aussprechen, diese nun auch in ihre politischen Entscheidungen mit einbeziehen.

Zur Autorin

Damaris Wardenga, Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V.

Literatur

Aktionsbündnis Kinderrechte (2021): Kinderrechte ins Grundgesetz: Einigung der Koalition ist inhaltlich noch unzureichend; https://kinderrechte-ins-grundgesetz.de/2021/01/12/einigung-der-koalition-inhaltlich-unzureichend (Zugriff für diesen und alle weiteren Links: 23.04.2021)
BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017): Neue Gutachten untersuchen Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland; www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/neue-gutachten-untersuchen-umsetzung-der-kinderrechtskonvention-in-deutschland-120470
CRC – UN Committee on the Rights of the Child (2014): Concluding observations on the combined third and fourth periodic reports of Germany. CRC/C/DEU/CO/3-4; www.refworld.org/docid/52f8a2074.html
Deutscher Anwaltverein (2021): Kinderrechte ins Grundgesetz; https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-13-21-kinderrechte-ins-grundgesetz
Reichardt, Martin (2021): Staatlichen Zugriff auf unsere Kinder stoppen – Keine Kinderrechte ins Grundgesetz; https://afdbundestag.de/reichardt-staatlichen-zugriff-auf-unserer-kinder-stoppen-keine-kinderrechte-ins-grundgesetz
Wapler, Friederike (2021): Und ewig grüßt das Kindeswohl. „Kinderrechte ins Grundgesetz“: der Groundhog Day des Verfassungsrechts; https://verfassungsblog.de/und-ewig-grust-das-kindeswohl