Außerschulische Bildung 2/2021

Kinderrechtsbildung – über, durch und für Kinderrechte

Zur Bedeutung eines gesamtgesellschaftlichen Kinderbewusstseins

Der folgende Beitrag widmet sich zunächst den Kinder- und Jugendrechten, hergeleitet aus der UN-Kinderrechtskonvention von 1989. Kurz wird der Frage nachgegangen, welche juristische Grundlage die UN-Kinderrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland besitzt. Als Brücke zur Befassung mit der Kinderrechtsbildung wird Partizipation von Kindern und Jugendlichen als eine der drei grundlegenden Säulen der Konvention beleuchtet. von Katharina Gerarts

Wenn Kinder und Jugendliche ernst genommen werden, wenn sie ernsthaft partizipieren und an Gesellschaft teilhaben können, so ist dies die Basis für Kinder- und Menschenrechtsbildung Kinderrechtsbildung ist Menschenrechtsbildung! Die Kinderrechtsbildung widmet sich im Speziellen den Menschrechten, die für Kinder und Jugendliche zwischen null und 18 Jahren in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben wurden. und für ein gesamtgesellschaftliches Kinderbewusstsein, welches die Bedürfnisse von Kindern ernst nimmt und ihr Handeln an diesen ausrichtet und orientiert.

Warum eigene Rechte für Kinder?

Alle Kinder sind Menschen. Daher gelten auch für Kinder die allgemeinen Menschenrechte, wie sie 1948 von den Vereinten Nationen in der Deklaration der Menschenrechte von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris genehmigt und verkündet wurden. Auch das deutsche Grundgesetz bekennt sich im Artikel 1 zu den Rechten jedes Menschen.

Mit dem 1966 verabschiedeten Sozialpakt und dem Zivilpakt als völkerrechtlich bindende Verträge und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist ein internationaler Menschenrechtskodex entstanden. Mit der 1989 erstellten UN-Kinderrechtskonvention sind keine darüber hinausgehenden speziellen Rechte für Kinder und Jugendliche verabschiedet worden, sondern die in der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte formulierten Rechte wurden bezogen auf die besonderen Lebensumstände vulnerabler Personengruppen, hier Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren, ausformuliert und ergänzt. Weitere Ergänzungen sind die UN-Frauenrechtskonvention (1979) und UN-Behindertenrechtskonvention (2008) (vgl. Feige/Günnewig 2018).

Insofern gibt es gute Gründe, Rechte für Kinder und Jugendliche nicht nur unter den allgemeinen Menschenrechten zu subsumieren, sondern ihnen zusätzliche, ihr Alter berücksichtigende Rechte zuzusprechen. Denn Kinder und Jugendliche sind nicht einfach kleine Erwachsene und sie sind auch nicht nur eine gesellschaftliche Teilgruppe von vielen. In der Zeit zwischen der Geburt und dem Heranwachsen bis zur Volljährigkeit sind sie erstens besonders schutzbedürftig, zum zweiten benötigen sie verschiedene Formen von Förderung. Da sich die Lebenslagen, aber auch die Bedürfnisse und Interessen von Kindern und Jugendlichen von denen Erwachsener unterscheiden, bedarf es drittens altersgerechter Beteiligungsmöglichkeiten. Um diesen drei besonderen Bedürfnissen und Belangen von Kindern in den Bereichen Schutz, Förderung und Beteiligung weltweit gerecht zu werden, sind diese rechtlich verankert worden.

Am 20. November 1989 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ (UN-KRK) verabschiedet. Die UN-Kinderrechtskonvention umfasst in ihrem Verständnis von „Kind“ alle 0–18jährigen Menschen. Die Grundsäulen der UN-Kinderrechtskonvention bilden die Förder-, Schutz- und Beteiligungsrechte. Aufgrund ihrer engen Verbindung und dem Umstand, dass die Beeinträchtigung eines Rechts meist Einschränkungen eines anderen Rechts bedingt, sind sie gleichsam zu verwirklichen. Im Zentrum der Konvention steht die Anerkennung von Kindern als Träger von Menschenrechten. Der Staat hat in all seinem Handeln das beste Interesse von Kindern beziehungsweise des individuell betroffenen Kindes zu berücksichtigen. Die Umsetzung der Kinderrechtskonvention ist Aufgabe der Vertragsstaaten in ihren jeweiligen Staatsgebieten.

Abbildung 1: Aufbau der UN-Kinderrechtskonvention (eigene Darstellung)

Die Bedeutung der UN-Kinderrechtskonvention im deutschen Recht und ihre Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland wurde die UN-Kinderrechtskonvention 1992 ratifiziert, allerdings mit spezifischen Vorbehalten. So war es bis zum 15. Juli 2010 möglich, gegen Kinder und Jugendliche Abschiebehaft zu verhängen, was dem Artikel 3, Absatz 1 UN-KRK widersprach. 2010 wurden diese Vorbehalte seitens der Deutschen Bundesregierung zurückgenommen und erst seitdem gilt die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland uneingeschränkt. Die UN-Kinderrechtskonvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag und genießt damit über Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG – wie alle völkerrechtlichen Verträge – in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes. Sie steht aber nicht über der Verfassung. Im Falle einer Konkurrenz zwischen dem Grundgesetz und der UN-KRK kommt dem Grundgesetz Vorrang zu. Für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe stellt das Sozialgesetzbuch VIII den Bezug zur UN-Kinderrechtskonvention her.

Auch wenn Dokumente wie die Hessische Kinder- und Jugendrechte-Charta (HMSI 2018) aufzeigen, dass die UN-Kinderrechtskonvention aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen in einigen Bereichen bereits erfüllt wird, wird sie in Deutschland de facto bisher nicht ihrem gesetzlichen Status entsprechend umgesetzt. So werden beispielsweise Gesetzesentwürfe sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene nicht konsequent auf das Wohl des Kindes (Art. 3 UN-KRK) hin überprüft. Auch die Einbindung der Meinung von Kindern (Art. 12, UN-KRK) in sie betreffende Maßnahmen oder Entscheidungen ist bisher als unzureichend zu bezeichnen, z. B. bei der Anerkennung des Kindeswillens und der kindlichen Perspektive in juristischen Entscheidungen oder in der Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse in städtebaulichen Maßnahmen. Dies sind Beispiele für die mangelnde Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, die sich durch zahlreiche weitere ergänzen lassen.

Schon seit geraumer Zeit gibt es deshalb die Debatte um die Ergänzung der Kinderrechte im deutschen Grundgesetz (vgl. https://kinderrechte-ins-grundgesetz.de). Seit Januar 2021 liegt dazu ein konkreter Formulierungsvorschlag vor. Mit diesem soll noch in dieser Legislaturperiode die Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt werden. Der am 20. Januar 2021 im Bundeskabinett verabschiedete Referentenentwurf lautet:

„Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“

Das Aktionsbündnis Kinderrechte, bestehend aus führenden Nichtregierungsorganisationen, die sich für das Wohl von Kindern und Jugendlichen in Deutschland und weltweit einsetzen, bemängelt zurecht die unzureichende Reichweite dieses konkreten Vorschlags. Auch „der Deutsche Anwaltverein spricht sich durch den Verfassungsrechtsausschuss ausdrücklich für die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz aus, jedoch nicht in der von der Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vorgesehenen Formulierung. Diese bleibt – nicht nur – in Ermangelung eines relativen Abwägungsvorrangs gegenüber kollidierenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern deutlich hinter den völkerrechtlich und europarechtlich verbürgten Rechten Minderjähriger zurück.“ (Deutscher Anwaltverein 2021, S. 3)

Partizipation von Kindern und Jugendlichen

Eine der wesentlichen drei Grundsäulen der UN-Kinderrechtskonvention, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, findet in dem Formulierungsvorschlag keinerlei Berücksichtigung. Dabei muss gerade diese Säule mit einem besonderen Schwerpunkt betrachtet werden, da Kinder und Jugendliche bis 16 bzw. 18 Jahren in Deutschland über keinerlei strukturell verankerte und flächendeckend ausgebaute Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten verfügen, wie zum Beispiel ein vorhandenes Wahlrecht, flächendeckende Kinder- und Jugendparlamente etc.

Partizipation (lat.: participare) bedeutet Teilhabe. Dies meint, an Entscheidungen, die das eigene Leben oder das Zusammenleben in der Gemeinschaft betreffen, beteiligt zu werden und Einfluss nehmen zu können. Nicht erst seit dem Erstarken rechtsgerichteter oder sogar rechtsextremer Parteien in Europa und Deutschland ist Partizipation in unserer demokratischen Gesellschaftsform ein allgegenwärtiges und zentrales Thema. Das für die Demokratie notwendige Anliegen, für den Fortbestand und die Gleichberechtigung aller Mitglieder Sorge zu tragen, lässt neben der Beteiligung der Erwachsenen auch die der Kinder in den Mittelpunkt des Interesses rücken.

Gleichberechtigtes Mitbestimmen und dialogisches Abstimmen der eigenen Anliegen mit denen anderer unterstützt die Aneignung der Fähigkeit, Konflikte in konstruktiver Weise zu lösen, und wirkt sich positiv auf die Entwicklung von Empathie, Kompromissbereitschaft und Frustrationstoleranz aus.

Warum ist Beteiligung für Kinder und Jugendliche so zentral? Zwei wesentliche Argumentationslinien spielen dafür eine Rolle: In der kinderrechtlichen Argumentation wird Partizipation als konstitutives Merkmal der Demokratie betrachtet, als Grundrecht jedes Gesellschaftsmitglieds, so auch von Kindern. Kinder sind diesem Verständnis nach von Anfang an erwachsene, vollwertige Menschen und zur Teilhabe berechtigte (Rechts-)Subjekte. In diesem Zusammenhang bildet die Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention eine hohe verbindliche Grundlage. Aus gesellschaftlich-demokratietheoretischer Sicht sollen Kinder partizipieren, um eine eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeit zu entwickeln. Das Miteinander soll hier im Sinne demokratischer, partizipativer Grundsätze gestaltet werden.

Entwicklungspsychologische Theorien zeigen auf, dass Partizipation das Erwerben wesentlicher sozialer Kompetenzen sowie eine positive Selbstbildung begünstigt: Gleichberechtigtes Mitbestimmen und dialogisches Abstimmen der eigenen Anliegen mit denen anderer unterstützt die Aneignung der Fähigkeit, Konflikte in konstruktiver Weise zu lösen, und wirkt sich positiv auf die Entwicklung von Empathie, Kompromissbereitschaft und Frustrationstoleranz aus. Da die kindliche Meinung ernst genommen und berücksichtigt wird bzw. ihrem Handeln ein Effekt folgt, fördert es zudem das kindliche Selbstwirksamkeitsempfinden, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl.

Wichtig ist hierbei: Ohne ein zumindest partielles Abgeben bzw. Teilen der Macht und Entscheidungsbefugnisse, die Erwachsene in ihrer Position über das kindliche Leben innehaben, ist die Beteiligung der Kinder, ihre Selbst- und Mitbestimmung jedoch nicht zu realisieren. In einer partizipativen Pädagogik – sei es in der Schule, sei es in der Kinder- und Jugendhilfe – geht es folglich um die demokratische Gestaltung der Ungleichheiten, die Begrenzung der Überlegenheit der Älteren und Unterlegenheit der Jüngeren. Dies bedeutet, die Anliegen der Kinder mit den je eigenen Erziehungszielen in Form eines dialogischen Abstimmens angemessen in Beziehung zu setzen, ihre Beiträge und Ansichten als Betroffene im Entscheidungsprozess ernst zu nehmen sowie gleichwertig und gleichberechtigt mit einzubeziehen. Zudem gilt es, Kindern und Jugendlichen (altersentsprechend) begleitend die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen, auszudrücken und zu vertreten, aber auch die anderer zu respektieren, darüber in konstruktiver Weise zu verhandeln und gemeinsam Lösungen zu finden.

Kinder- und Menschenrechtsbildung – die Grundlage für ein gesamtgesellschaftliches Kinderbewusstsein

„Kinderrechtsbildung ist Menschenrechtsbildung: Sie fokussiert systematisch die Menschenrechte der Kinder und Jugendlichen, ausformuliert für die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen von null bis 18 Jahren. Die dafür wesentlichen Prinzipien sind das Kindeswohl/best interests of the child (Art. 3), Nicht-Diskriminierung (Art. 2), Leben und Entwicklung (Art. 6) sowie das Recht, angehört und ernst genommen zu werden (Art. 12).“ (National Coalition 2020, S. 3)

Der internationale Menschenrechtskodex und die UN-Kinderrechtskonvention enthalten eine Pflichtentrias: So verpflichten sich alle ratifizierenden Staaten, die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu fördern bzw. zu gewährleisten. All diese Pflichten sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in der UN-Kinderrechtskonvention und auch in der Erklärung der Vereinten Nationen über Menschenrechtsbildung und -training (Resolution von 2011) verankert: In diesen Dokumenten sind zahlreiche Aufforderungen zur Kinderrechtsbildung verankert. Diese sind im Folgenden aufgeführt.

Artikel 26, Absatz 2, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Recht auf Bildung
„Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen ethnischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.“

Artikel 42, UN-Kinderrechtskonvention: Verpflichtung zur Bekanntmachung
Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Grundsätze und Bestimmungen dieses Übereinkommens durch geeignete und wirksame Maßnahmen bei Erwachsenen und auch bei Kindern allgemein bekannt zu machen.

Artikel 29, Absatz 1, UN-Kinderrechtskonvention: Bildungsziele; Bildungseinrichtungen
Die Vertragsstaaten stimmen darin überein, dass die Bildung des Kindes darauf gerichtet sein muss,
(…)
b) dem Kind Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten und den in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Grundsätzen zu vermitteln;
(…)
d) das Kind auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft (…) vorzubereiten“.

Artikel 4, Erklärung der Vereinten Nationen über Menschenrechtsbildung und -training (Resolution von 2011)
– „Bewusstsein, Verständnis und Akzeptanz der universellen Normen und Prinzipien der Menschenrechte (…) stärken,
– eine „universelle Kultur der Menschenrechte fördern, in der sich jede/r der eigenen Rechte und der Verantwortung gegenüber den Rechten anderer bewusst ist“
– „die tatsächliche Verwirklichung aller Menschenrechte sowie Toleranz, Nichtdiskriminierung und Gleichheit fördern“,
– „Chancengleichheit für alle frei von jeglicher Diskriminierung (…) sicherstellen“,
– „zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen und Übergriffen sowie zur Bekämpfung und Beseitigung (…) der zugrundeliegenden schädlichen Einstellungen und Vorurteile beitragen.“

Zur Bildung von jungen Menschen zu Kinder- und Menschenrechten werden immer auch andere Begrifflichkeiten verwendet, die in einem engen Zusammenhang zur Kinder- und Menschenrechtsbildung stehen.

Mit dem Globalen Lernen bzw. der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sind Bildungskonzepte gemeint, die eine „Bildung für eine soziale, weltbürgerliche und ökologisch nachhaltige Entwicklung“ (National Coalition 2020, S. 4) beinhalten. BNE ist ein wesentliches Konzept, um die Ziele der Agenda 2030 Zur Agenda 2030 heißt es auf der Homepage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: „Im September 2015 wurde die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet. Mit der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft 17 Ziele (Sustainable Development Goals, SDGs) für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung gesetzt. Die 17 Ziele gelten universal und für alle Länder gleichermaßen. Sie reichen von der Beseitigung des weltweiten Hungers über die Stärkung von nachhaltigem Konsum und nachhaltiger Produktion bis hin zu Maßnahmen für den Klimaschutz.“ (www.bmz.de/de/themen/2030_agenda; Zugriff: 23.03.2021) zu erreichen. Sie soll Kinder und Jugendliche dazu befähigen, sich aktiv an gesellschaftlichen Aushandlungs- und Gestaltungsprozessen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung beteiligen zu können. Fridays for future ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie junge Menschen in schulischen und außerschulischen Bildungskontexten sich mit der Frage der Nachhaltigkeit auseinandersetzen – für sich und ihre Mitmenschen sowie für künftige Menschen auf dieser Welt. „Die nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals SDGs) stellen einen geeigneten Rahmen zur Erreichung der Kinderrechte dar. (…) Die Umsetzung der Kinderrechte ist im Umkehrschluss direkt relevant für messbare Fortschritte und das Erreichen der SDGs.“ (National Coalition 2020, S. 4) Fritzsche benennt zudem die folgenden fünf Gemeinsamkeiten: Menschenrechtsbildung und Bildung für Nachhaltige Entwicklung „basieren beide auf dem Recht auf Bildung, sie haben eine globale Perspektive, sie reflektieren die politischen Rahmenbedingungen, sie haben eine kritische Ausrichtung und sie zielen auf einen kulturellen Wandel“ (Fritzsche 2013, S. 34 in Reitz/Rudolf 2014, S. 21).

Menschenrechtsbildung und Demokratiepädagogik sind ebenfalls aufeinander bezogen: „Die Menschenrechte sind der wesentliche und unveränderliche Kern der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland (Art. 1-19)“ (National Coalition 2020, S. 3), und sie erfordern zu ihrer Realisierung demokratische Verhältnisse. „Die Kinderrechtskonvention stärkt demokratische Prozesse durch das Recht auf Anerkennung und Aushandlung von Interessen, auf wirksame Beteiligung und auf ermöglichte Selbst- und Mitverantwortung für die Erfüllung von Menschenrechten.“ (Ebd.) Politische Bildung sorgt für das notwendige systematische und praktisch erfahrbare Wissen.

Wesentlich für die Umsetzung der Kinder- und Menschrechtsbildung ist, dass sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene als Adressat*innen der Bildung verstanden werden müssen.

Kinderrechtsbildung wird deshalb in diesem Beitrag fokussiert, weil sich anhand der Umsetzung der Kinderrechte laut UN-Kinderrechtskonvention die Qualität des Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen messen lassen kann. Die Monitoring-Stelle zur UN-Kinderrechtskonvention, als unabhängige Stelle angesiedelt am Deutschen Institut für Menschenrechte, beschäftigt sich für die Messung des kindlichen Wohlbefindens auf Basis der UN-Kinderrechtskonvention mit der Entwicklung von sogenannten Kinderrechte-Indikatoren: „Kinderrechte-Indikatoren dienen der Analyse und Bewertung bestimmter Maßnahmen bei der Umsetzung der UN-KRK. Sie sind ein Set von Informationen, um Standards für die effektive Umsetzung bestimmter Vorgaben zu setzen. Anhand dieser Standards können politische Maßnahmen entwickelt und anschließend evaluiert werden. Indikatoren dienen dazu, Maßnahmen messbar zu machen und damit bewerten zu können, ob mit diesen Maßnahmen die gewünschten Ziele erreicht werden oder Fortschritte erzielt werden konnten.“ (www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut/abteilungen/monitoring-stelle-un-kinderrechtskonvention/kinderrechte-indikatoren; Zugriff: 23.02.2021) Mit den Kinderrechte-Indikatoren soll und kann die Umsetzung der Kinder- und Jugendrechte in Deutschland beobachtet, in ihren Fortschritten überprüft und letztlich auch deren mangelhafte Umsetzung durch die Bundesrepublik Deutschland angemahnt werden.

Wesentlich für die Umsetzung der Kinder- und Menschrechtsbildung ist, dass sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene als Adressat*innen der Bildung verstanden werden müssen. Kinder und Jugendliche deshalb, weil sie in ihren aktuellen Lebenssituationen befähigt werden müssen, sich hier und jetzt für ihre eigenen und für die Menschenrechte anderer einzusetzen. Zudem sind sie auch Akteur*innen des Wandels, die zu einer Kultur der Menschenrechte in einer Gesellschaft beitragen können, weil sie durch ihr Handeln heute und später als Erwachsene die Zukunft wesentlich mitbestimmen (vgl. Reitz 2015). Damit kann Kinderrechtsbildung national und international als wesentliches Instrument angesehen werden, um eine „Kultur der Menschen- und Kinderrechte“ zu schaffen (ebd.).

Erwachsene müssen Adressat*innen von Kinderrechtsbildung sein, weil Kinder und Jugendliche in der generationalen Ordnung und in ihrer besonderen Vulnerabilität auf das anwaltschaftliche Handeln und Denken Erwachsener angewiesen sind (vgl. Andresen et al. 2015; Gerarts 2019). Kinderrechtsbildung ist damit einerseits für die jeweiligen Rechtsträger*innen, in diesem Fall für Kinder und Jugendliche, relevant; andererseits sind Erwachsene als Inhaber*innen der Menschenrechte auch Pflichtenträger*innen für die Umsetzung der Kinder- und Menschenrechte.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte setzt sich deshalb schon lange für eine Kinder- und Menschenrechtsbildung auf drei verschiedenen Ebenen ein: Es muss eine Bildung über Menschenrechte, eine Bildung durch Menschenrechte und eine Bildung für Menschenrechte geben, analog über, durch und für Kinder- und Jugendrechte, wie Abbildung 2 verdeutlicht.

Abbildung 2: Dreieck der Menschenrechtsbildung, Deutsches Institut für Menschenrechte (Reitz 2015)
Bildung über Menschenrechte
„Bildung über Menschenrechte: dies umfasst die Bereitstellung von Wissen und das Verständnis von Normen und Prinzipien der Menschenrechte sowie der ihnen zugrundeliegenden Werte und Mechanismen zu ihrem Schutz.“ (Artikel 2 UN-MRBT)
– Die Adressat*innen erlangen Kenntnis und Wissen über grundlegende menschenrechtliche Prinzipien.
– Sie können damit einzelne Menschenrechte oder ihrer Universalität insgesamt in Frage stellen.
– Sie können die gesellschaftliche Wirklichkeit kritisch hinterfragen ebenso wie den Charakter der Menschenrechte als einen unabgeschlossenen Lernprozess (vgl. DIMR 2015).

Bildung durch Menschenrechte
„Bildung durch Menschenrechte; dies umfasst Formen des Lernens und Unterrichtens, welche die Rechte sowohl des Lehrenden als auch des Lernenden achtet.“ (Artikel 2 UN-MRBT)
– Die Lernumgebung ist ausgerichtet an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention, insbesondere der Achtung der Menschenwürde, der Anerkennung und des Respekts von Individualität, des Schutzes vor Gewalt, der Gewissens-, Religions- und Meinungsfreiheit, des Rechts auf Privatsphäre, der Nichtdiskriminierung und Inklusion sowie des Rechts auf Partizipation (ebd.).

Bildung für Menschenrechte
„Bildung für Menschenrechte; dies bedeutet Menschen darin zu stärken, ihre Rechte wahrzunehmen und auszuüben sowie die Rechte anderer zu achten und hochzuhalten.“ (Artikel 2 UN-MRBT)
– Das Ziel ist die Stärkung von Empowerment und Solidarität.
– Adressat*innen sollen dazu befähigt werden, der Gefahr von Ohnmachtsgefühlen angesichts der Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Menschenrechte und der Wirklichkeit begegnen zu können (ebd.).

Fazit: Kinderrechtsbildung für ein gesamtgesellschaftliches Kinderbewusstsein

„Kinder werden nicht erst zu Menschen – sie sind bereits welche.“ (Janusz Korczak)

Mit diesem Zitat von Janusz Korczak wird eine wesentliche Haltung deutlich, die der Schweizer Kinderarzt Remo Largo (1943–2020) mit dem Begriff des Kinderbewusstseins ausgedrückt hat: Kinder sind Menschen von Anfang an und sie sind als Träger*innen von Rechten auf dieser Welt. Dafür müssen Kinder und Jugendliche selbst, aber eben auch erwachsene Menschen sensibilisiert werden – durch die hier beschriebene und begründete Kinderrechtsbildung. Kinderrechtliches Denken sollte somit jegliches (pädagogische) Handeln in (non-)formalen Bildungskontexten durchziehen. Denn mit kinderrechtlichem Denken und Handeln wird Bewusstsein für Kinder und Jugendliche als Akteur*innen im Hier und Jetzt geschaffen. Dies wirkt sich auf Beziehungen aus und schafft neue Erfahrungsräume, für Kinder und für Erwachsene (vgl. Edelstein et al. 2014).

Aus einer menschen- und kinderrechtlichen Perspektive ist nicht nur die Orientierung auf die verschiedenen Generationen wesentlich, sondern ebenso eine inklusive Orientierung. Dies bedeutet, dass alle Kinder von Anfang an selbstverständlich dazugehören und eingebunden sein müssen und mitgestalten und mitbestimmen können, in ausnahmslos allen Lebensbereichen (vgl. Feige/Günnewig 2018). Ein diversity-orientiertes Verständnis von Inklusion bezieht dabei alle Menschen ein, insbesondere dann, wenn sie beispielsweise aufgrund ihres Alters, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Hautfarbe, Muttersprache, ihres ökonomischen Status, ihrer Herkunft oder ihrer Geschlechtsidentität an der vollen und gleichberechtigten Teilhabe gehindert werden (vgl. ebd.). „Partizipation verlangt auch eine kritische Reflexion darüber, wer ausgeschlossen ist, und Schritte, um diese Barrieren – nicht allein für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen – zu überwinden, damit die Lernumgebung wahrhaft partizipativ und inklusiv ist.“ (DIMR 2015)

Wesentlich ist die Verankerung der Kinder- und Menschenrechte in einschlägigen Berufsvorbereitungen und Ausbildungen von Personen, die mit und zu Kindern und Jugendlichen arbeiten. Darüber hinaus – und nur so kann kinderrechtliches Denken und Handeln sich gesamtgesellschaftlich etablieren – braucht es ebenso eine Kinder- und Menschenrechtsbildung in der Aus- und Weiterbildung für Berufe, die für die Verwirklichung von Menschenrechten für Kinder und Jugendliche besonders relevant sind. Dies können Berufe in der Justiz und Anwaltschaft, im Gesundheitswesen, in der Sozialverwaltung, in der Sozialen Arbeit, aber auch bei der Polizei, im Verfassungsschutz oder im Militär oder Strafvollzug sein.

Zentral ist hierbei eine Qualitätsentwicklung aller (non-)formalen Bildungsräume mit klarer menschen- und kinderrechtlicher Ausrichtung. Es braucht Haltung, Wissen und Handlungskompetenzen bei allen beteiligten Professionen zu Menschen- und Kinderrechten und deren systematische Förderung durch eine verantwortliche Bildungspolitik auf allen Ebenen (vgl. National Coalition 2020). So kann eine verbindlich handelnde Verantwortungsgemeinschaft für die Kinderrechte im formalen und non-formalen Bildungsbereich aufgebaut werden. In diesem Sinne muss eine Kinderrechtsbildung über, durch und für Kinderrechte erfolgen, da sich damit auch ein Bewusstsein für das in Artikel 3 festgehaltene Wohl des Kindes gesamtgesellschaftlich steigern lässt.

Zur Autorin

Dr. Katharina Gerarts, Diplom-Pädagogin, ist qualitative Kindheitsforscherin und Vorstandsmitglied der Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie. Sie war Professorin für Kindheitspädagogik an der Evangelischen Hochschule in Darmstadt und mehrere Jahre als Senior-Researcher for Children Studies und Institutsleitung bei World Vision Deutschland, einem internationalen Kinderhilfswerk, tätig. Sie war die erste ehrenamtliche Beauftragte der Hessischen Landesregierung für Kinder- und Jugendrechte.
info@katharina-gerarts.de

Literatur

Andresen, Sabine/Koch, Claus/König, Julia (Hrsg.) (2015): Vulnerable Kinder: Interdisziplinäre Annäherungen. Wiesbaden: Springer VS
Deutscher Anwaltverein (2021): Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Verfassungsrechtsausschuss zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes zur ausdrücklichen Verankerung der Kinderrechte (Ergänzung der DAV-Stellungnahme Nr. 52/2010 Kinderrechte ins Grundgesetz). Stellungnahme Nr.: 13/2021
DIMR – Deutsches Institut für Menschenrechte (2015): „Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Partizipation. Was aus menschenrechtlicher Sicht im Bildungsbereich getan werden muss.“; www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Policy_Paper/PP_31__Kinder_und_Jugendliche_haben_ein_Recht_auf_Partizipation.pdf (Zugriff: 22.01.2020)
Edelstein, Wolfgang/Krappmann, Lothar/Student, Sonja (Hrsg.) (2014): Kinderrechte in die Schule. Gleichheit, Schutz, Förderung, Partizipation. Schwalbach/Ts.: Debus Pädagogik
Feige, Judith/Günnewig, Kathrin (2018): Kinder- und Menschenrechtsbildung in der Kita; www.nifbe.de/images/nifbe/Fachbeiträge/2019/KiTaFT_Feige_Guennewig_2018Kinder-undMenschenrechtsbildunginderKita.pdf (Zugriff: 20.01.2020)
Fritzsche, Karl Peter (2013): Zum Verhältnis von Menschenrechtsbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung – Gemeinsamkeiten verstehen und gestalten. In: ZEP – Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik (1), S. 34–40; www.waxmann.com/index.php?id=zeitschriftendetails&no_cache =1&eID=download&id_artikel=ART101267&uid=frei (Zugriff: 13.03.2021)
Gerarts, Katharina (Hrsg.) (2019): Methodenbuch Kinderrechte. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Kinderrechten für Politik & Co. Frankfurt am Main: Debus Pädagogik
HMSI (2018): Hessische Kinder- und Jugendrechtecharta; https://soziales.hessen.de/sites/default/files/media/hsm/rz_charta_webfassung_doppelseiten.pdf (Zugriff: 06.02.2021)
National Coalition (2020): Selbstverständnispapier des Themennetzwerks Bildung zu Kinder-Rechte-Bildung. Berlin (unveröffentlicht)
Reitz, Sandra/Rudolf, Beate (2014): Menschenrechtsbildung für Kinder und Jugendliche: Befunde und Empfehlungen für die deutsche Bildungspolitik. Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Berlin: DIMR; https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-414034 (Zugriff: 13.03.2020)
Reitz, Sandra (2015): Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Partizipation. Was aus menschenrechtlicher Sicht im Bildungsbereich getan werden muss. Berlin: DIMR, www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/43759/ssoar-2015-reitz-Kinder_und_Jugendliche_haben_ein.pdf?sequence=1&isAllowed=y&lnkname=ssoar-2015-reitz-Kinder_und_Jugendliche_haben_ein.pdf (Zugriff 13.03.2020)