Außerschulische Bildung 2/2020

Der 8. Mai – „im Kalender des Erinnerns – der beste Tag zum Feiern“

Die Bedeutung politischer Bildung über den Tag hinaus

„Haben wir im Moment nichts Wichtigeres zu tun, als uns an den 8. Mai 1945 zu erinnern? Schließlich sind wir im Krieg gegen ein Virus …“ fragt provokant der Berliner Historiker Paul Nolte im Tagesspiegel (vom 06.05.2020; www.tagesspiegel.de/kultur/tag-der-befreiung-eine-rede-macht-geschichte/25794392.html) und regt damit ein vielschichtiges Nachdenken und die Formulierung vielfältiger „Nachfragen“ an: Ist nur noch Corona eine Nachricht wert? Regiert Corona unser Denken und unser Handeln? Was ist darüber hinaus wichtig? Aber auch: Was bedeutet es, wenn wir einen Tag als „Tag der Erinnerung“ benennen, ihn gar zum Feiertag machen, wie in Berlin für dieses Jahr beschlossen? Ja, was bedeutet der 8. Mai 1945 heute überhaupt noch? Wer füllt dieses Datum mit welchen Gedanken, vielleicht Erinnerungen?

Gedenktage stehen nie einfach nur für sich. Sie sind eingebettet in Narrative, illustriert mit Bildern und Erinnerungen, und sie sind mit einer „offiziellen“ Erzählung verknüpft. Für die Nachfahren der Opfer und Verfolgten des Nationalsozialismus wird ein solcher Tag ein besonderes Gewicht haben. Der jüdische Autor Max Czollek sagt in diesem Zusammenhang, wenn überhaupt ein Tag im Kalender des Erinnerns zum Feiern sei, dann dieser (www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/religion_und_gesellschaft/202005/03/432430.html). Aber Gedenktage werden ihre Bedeutung für eine Gesellschaft nicht entfalten, wenn sie nicht mit Leben gefüllt werden, d. h., wenn sie keinen Bezug zu aktuellen Fragen und Lebenswirklichkeiten bekommen.

Genau das sieht die politische Bildung als ihre Aufgabe an: in schulischen und gerade auch außerschulischen Kontexten und Bildungsformaten Erinnerungskultur lebendig zu halten, Bezüge herzustellen und Fragen zu beantworten. Die Auseinandersetzung mit nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Diskursen ist ein Kernbestandteil politischer Bildung. Nicht nur an diesem Tag oder anderen Gedenktagen, sondern über das ganze Jahr, denn auch dieser 8. Mai im Jahr 1945 stand nie für sich, sondern hat eine Geschichte davor und danach.

Für Paul Nolte ist – Bezug nehmend auf die Rede Richard von Weizsäckers, die dieser vor 35 Jahren gehalten hat – dieser Tag nicht nur ein „deutscher, sondern europäischer, ja globaler Knotenpunkt der Erinnerung“. Der Gefahr, diese Europäisierung der Erinnerung als „Entlastung“, wie Max Czollek es benennt, zu verstehen, sollte man sich dabei bewusst sein. Es kann aber eben auch den Blick dafür schärfen, dass Erinnerung immer aus sehr unterschiedlichen Perspektiven geschieht.