Außerschulische Bildung 2/2021

Politische Bildung mit Kindern ist Demokratiebildung

Grundbegriffe, Begründungen und Handlungsprinzipien

Der 16. Kinder und Jugendbericht definiert: „Politische Bildung ist Demokratiebildung“. Das gilt auch für die politische Bildung von Kindern und mit Kindern, also für die Aneignung demokratischer Partizipation durch die Kinder selbst und deren pädagogische Anregung und Unterstützung in Settings außerschulischer Jugendbildung. Eine solche Bildungsarbeit versteht Kinder immer schon als grundsätzlich mündige, fähige und berechtigte Beteiligte an sie betreffenden Entscheidungen in ihrer Lebenswelt und unterstützt sie in der Entwicklung ihrer Demokratiebildung. von Benedikt Sturzenhecker und Laura-Aliki Vesper

In diesem Text werden zunächst die Grundbegriffe Politik, Erziehung und Bildung bestimmt und in einer kommunikationstheoretischen Gesellschaftstheorie verankert. Darüber wird die erzieherische Aufgabe einer Förderung von Demokratieerfahrungen von Kindern begründet. Im zweiten Teil des Textes wird erläutert, welche Handlungsprinzipien daraus für eine Anregung und Unterstützung von Demokratiebildung mit Kindern in der außerschulischen Jugendbildung folgen.

Grundbegriffe: Politik und Gesellschaft, Erziehung und Bildung

Der 16. Kinder und Jugendbericht der Bundesregierung definiert zunächst Politik als jenen „Bereich von Aktivitäten und Strukturen, der auf die Herstellung, Durchsetzung und Infragestellung allgemein verbindlicher und öffentlich relevanter Regelungen in und zwischen Gruppierungen von Menschen abzielt“ (BMFSFJ 2020, S. 47). Der Bericht führt keine explizite Gesellschafstheorie ein, die den Rahmen solcher „Aktivitäten und Strukturen“ bestimmbar machen würde. Aus unserer Sicht geht es in solchen politischen Prozessen in einer Gesellschaft inhaltlich vor allem um Regelungen, wie durch Arbeit und Interaktion das kollektive Leben produziert und reproduziert werden soll (wir beziehen uns im Weiteren gesellschaftstheoretisch auf Habermas 1968; 1981).

Menschen sind zur Erhaltung ihres Lebens grundsätzlich auf gegenseitige Zusammenarbeit angewiesen. Sie arbeiten zusammen, um das zu produzieren, was für ihr Überleben notwendig ist. Um das zu tun und auch um das Produzierte untereinander zu verteilen, müssen sie miteinander kommunizieren. Sie müssen sich darüber verständigen, wie sie ihre Überlebensmittel (im weitesten Sinne) produzieren wollen und auch wie sie ihr gemeinsames Leben jenseits von Arbeit gestalten wollen. Es geht also inhaltlich um eine Verständigung zur Regelung von Arbeit und Kultur des Zusammenlebens (im weitesten Sinne).

Eine solche allgemeine Vergesellschaftung ist jedoch (spätestens) in der Moderne durch die Ausdifferenzierung von zwei Prinzipien gekennzeichnet: System und Lebenswelt. Aus differenzierten Arbeits- und Interaktionsweisen in komplexen Gesellschaften hat sich das System entwickelt, zu dem die staatliche Verwaltung und der Markt gehören. Das System ist dadurch gekennzeichnet, dass Entscheidungen erfolgs- bzw. machtorientiert getroffen werden: Hier haben die zweckrationalen Imperative von Geld und Macht Vorrang und Kommunikation wird strategisch zur Erreichung solcher Ziele gestaltet. In der Lebenswelt jedoch, also in den Feldern des alltäglichen, vertrauten und selbstverständlichen Handelns (wie etwa in der Familie oder in zivilgesellschaftlichen Institutionen wie Vereinen und Initiativen), wird verständigungsorientiert kommuniziert, indem alle von anstehenden (Regelungs-)Fragen Betroffene Geltungsansprüche infrage stellen können und Positionierungen mit gegenseitig anerkennungsfähigen Argumenten begründet werden müssen. So können sie auch zu gemeinsam getragenen Entscheidungen kommen.

In einer demokratischen Gesellschaft hat Erziehung die Aufgabe, Kinder zu befähigen, sich als Subjekte an einer demokratischen Gesellschaft zu beteiligen.

Kinder finden zunächst diese Struktur von Lebenswelt und System und die durch Verständigung und/oder Machtprozesse getroffenen Regelungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens schon vor. Sie sind als Kinder angesichts der Erziehungstatsache (Siegfried Bernfeld) darauf angewiesen, dass diese Verhältnisse (Lebenswelt und System) so gestaltet sind, dass Erziehung und Bildung für sie möglich werden. Erziehung hat die Aufgabe, Schutz und Fürsorge zu gewährleisten und die Kinder zu befähigen „als ein Subjekt“ zu handeln, „das zur Beteiligung am gesellschaftlichen Leben fähig ist“ (Mollenhauer 1982, S. 42 f.). Erziehung soll Voraussetzungen für Bildungsprozesse sichern und erweitern, also dafür sorgen, dass Kindern (gerecht verteilt) eine „Mannigfaltigkeit von Situationen“ (von Humboldt, 1792/1980, S. 64) zur Verfügung steht, die ihnen erlaubt, sich selbsttätig die sozial-gesellschaftliche und natürliche Welt auf ihre persönliche Weise anzueignen und sich dabei als Subjekt zu entwickeln. Durch Erziehung wird ihnen also Gesellschaft und mit ihr die politischen Regelungen des Zusammenlebens und -arbeitens sowohl durch die Erwachsenen vorgelebt (präsentiert), als auch vermittelt (repräsentiert). In der Erziehung beziehen sich zwei Subjekte in „Bi-Subjektivität“ (Sünkel 2010) vermittelnd (Erwachsene und Fachkräfte) und aneignend (Kinder) auf eine „dritte Sache“, also auf spezifische Inhalte und Regeln von Welt bzw. Gesellschaft, die zwischen ihnen relevant werden. Dadurch, dass Kinder auf die erzieherischen Vermittlungszumutungen als Subjekte, also mit eigensinnigen Intentionen und Perspektiven antworten können, wird ermöglicht, dass die gesellschaftlichen Regelungen nicht nur einfach reproduziert werden, sondern sie im Dialog zwischen Kindern und Erwachsenen erkannt und verändert werden können. Kinder sind in der Erziehung auf eine lebensweltliche Verständigung angewiesen, die ihnen erlaubt, Geltungsansprüche von „Regelungen“ auch kritisch zu hinterfragen und sich an der Findung neuer Entscheidungen zu beteiligen. Aber sie sind gleichzeitig auch Institutionen, Prozessen und Folgen des Systems, besonders von Ökonomie und politischer Macht, unterworfen.

Demokratiebildung versteht Kinder als grundsätzlich mündige, fähige und berechtigte Beteiligte an sie betreffenden Entscheidungen in ihrer Lebenswelt. Foto: ben-wicks/unsplash

Kinder sind also immer schon in ihrer Gesellschaft mit Politik (also mit strategisch und über Verständigung entstandene Regeln der Lebensführung) konfrontiert. Sie sind den Regelungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens ausgesetzt (Sozialisation), bekommen diese durch Erziehung vermittelt (möglichst dialogisch und so, dass diese kritisch verstanden und verändert werden können) und eignen sie sich selbsttätig an (Bildung). Ein emanzipatorischer Bildungsbegriff (wie er etwa vom 16. Kinder- und Jugendbericht vertreten wird) impliziert, dass diese Aneignungstätigkeit des Subjekts auf eine Maximierung von Selbstbestimmung und Mitbestimmung zielt, d. h. also auch auf kritische Reflexions- und Handlungsfähigkeit in sozialen/gesellschaftlichen Zusammenhängen und ihren politischen Regelungen und Regelungsprozessen.

Erziehung in der Demokratie eröffnet Demokratiebildung

Mit der bisherigen Argumentation lässt sich ein klarer Zusammenhang zwischen Erziehung/Bildung und Demokratie und Demokratiebildung herstellen. In einer demokratischen Gesellschaft hat Erziehung die Aufgabe, Kinder zu befähigen, sich als Subjekte an einer demokratischen Gesellschaft zu beteiligen. Erziehung wird Kindern dann Demokratie durch demokratisches Handeln der Erwachsenen präsentieren und demokratisches Handeln vermitteln. Dass dieses unter den Bedingungen von Bi-Subjektivität dialogisch, also unter einer gegenseitigen Anerkennung der beteiligten Kinder und Erwachsenen als Subjekte und damit der gegenseitigen Unterstellung von Fähigkeiten und Rechten der Selbstbestimmung geschehen soll, zeigt schon eine grundsätzlich pro-demokratische Struktur erzieherischen Handelns. Denn Demokratie ist ebenfalls auf eine gegenseitige Anerkennung und dialogische Aushandlung zwischen den Beteiligten angewiesen. Damit ist eine demokratische Erziehung in der Lebenswelt verortet, die selbst wiederum durch die Kommunikationsstruktur der Verständigung gekennzeichnet ist, in der Menschen Geltungsansprüche argumentativ prüfen und Entscheidungen bzw. „Regelungen“ zu den sie betreffenden Angelegenheiten aushandeln.

Eine Erziehung, die fördern will, dass Kinder sich politisch und demokratisch bilden, eröffnet mannigfaltige Situationen der selbsttätigen Aneignung der Partizipation an Politik und damit die Entwicklung kritischer Reflexion und Handlungsfähigkeit.

Eine demokratieorientierte Erziehung müsste also den Kindern Rechte und Möglichkeiten der Partizipation an den Entscheidungen zu den sie betreffenden Angelegenheiten gewährleisten. An dieser Stelle wird oft gefragt, ob Kinder denn dafür nicht Voraussetzungen mitbringen müssten. Jedoch: „Voraussetzung für die Partizipation unter den Bedingungen eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates ist einzig die Betroffenheit von möglichen und tatsächlichen Entscheidungen. Sie bürgt unabhängig vom Alter für Kompetenz und ist daher im Sinne des vom Grundgesetz her gesicherten Rechtes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) zu beachten. Die UN-Kinderrechtskonvention bestätigt, dass der Anspruch der Kompetenz wegen Betroffenheit auch und gerade für Kinder gilt.“ (Richter et al. 2016, S. 107) Für Kinder wird damit angenommen, dass sie aufgrund ihrer Betroffenheit zu den Fragen ihrer Lebensführung in Gesellschaft, Familie und pädagogischen Einrichtungen inhaltliche und formale Expertise, Kommunikations- und Handlungsfähigkeit mitbringen: Sie wissen um was es geht und sie sind als Menschen fähig, sich auf der Basis gegenseitiger Perspektivenverschränkung argumentativ zu verständigen. Über eine so verstandene grundlegende Mündigkeit verfügen Menschen ab Geburt (vgl. von der Pfordten 2016, S. 82). Immanuel Kant (1784) definiert Menschen als „naturaliter maiorennes“ also als von Natur aus „volljährig“ (maiorennes) bzw. mündig.

Angesichts dieser Voraussetzungen kann man sich also mit Kindern über die sie betreffenden Fragen und Regelungen der gemeinsamen Lebensführung in den pädagogischen Institutionen, der Kommune und der Gesellschaft verständigen, d. h., man kann sich mit ihnen über Politik verständigen. Eine Erziehung, die fördern will, dass Kinder sich politisch und demokratisch bilden, eröffnet mannigfaltige Situationen der selbsttätigen Aneignung der Partizipation an Politik und damit die Entwicklung kritischer Reflexion und Handlungsfähigkeit. Damit kann konstatiert werden: „Politische Bildung ist Demokratiebildung.“ (BMFSFJ 2020, S. 128)

Die Förderung einer solchen Demokratiebildung muss zunächst ihr Verständnis von Demokratie klären. Wir beziehen uns dazu auf Habermas‘ Konzept einer deliberativen Demokratie, danach sollen die Mitglieder des Volkes (gr. „demos“) an der Herrschaft (gr. „kratia“) teil-nehmen, also partizipieren, als gleichberechtigte Urheber*innen und Adressat*innen von Entscheidungen (vgl. Habermas 1992, S. 52). Der symbolische Kern von Demokratie (vgl. Richter 2016) kennzeichnet sich durch gleichberechtigten Zugang zu und gleichrangige Beteiligung an intersubjektiven und öffentlichen Auseinandersetzungs- und Entscheidungsprozessen zu Fragen der kooperativen Lebensgestaltung. Anders gesagt: Die Mitglieder eines Entscheidungskollektivs bestimmen (als Urheber*innen) die Regeln über das, was sie betrifft, also über das, was für sie Folgen hat (Adressat*innen).

Der symbolische Kern von Demokratie kennzeichnet sich durch gleichberechtigten Zugang zu und gleichrangige Beteiligung an intersubjektiven und öffentlichen Auseinandersetzungs- und Entscheidungsprozessen zu Fragen der kooperativen Lebensgestaltung.

Unsere Position der Demokratiebildung geht nun davon aus, dass Kinder Mitglieder der demokratischen Gesellschaft sind und sie das Recht haben, sich an demokratischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Art. 1 des Grundgesetzes sichert Kindern wie allen Menschen Würde, d. h. Selbstbestimmung Menschenwürde und Selbstbestimmungsrecht sind nach GG nicht teilbar. Nach der Wertordnung des Grundgesetzes ist der Mensch ein Wesen, das „in Freiheit (über) sich selbst bestimmt“ (BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/05). zu. In sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhängen muss aus Selbstbestimmung der Einzelnen eine Mitbestimmung des Kollektivs werden. Aus dem Recht auf Würde leitet sich also auch das Recht auf Mitbestimmung ab.

Aus pädagogischer Sicht muss dieses Recht besonders in den pädagogischen Institutionen selbst realisiert werden; also in Kita, Grundschule, Kinder- und Jugendarbeit, kultureller Jugendbildung und außerschulischen Bildungsangeboten. John Dewey versteht pädagogische Organisationen als „miniature community, an embryonic society“ (1899/1915, S. 15), also eine Gesellschaft im Kleinen. Damit sind sie Orte, an denen Demokratie durch die beteiligten Menschen praktiziert werden soll und kann. Es geht darum, Kindern Demokratiebildung zu eröffnen, als selbsttätige Aneignung von Demokratie durch ihre Ausübung, durch die Wahrnehmung der Rechte auf Mitentscheidung, Mitgestaltung und Mitverantwortung. In Hinblick auf Ermöglichung von Demokratiebildung eröffnen Fachkräfte erzieherisch intentional den Kindern Möglichkeiten, demokratisch zu partizipieren. Sie vermitteln die Normen und Werte, Verfahren und Regeln von Demokratie in der demokratischen Gesellschaft durch die Angebote konkreter demokratischer Mitentscheidungen an die Kinder betreffenden Fragen der gemeinsamen Lebensführung.

Wenn außerschulische Pädagog*innen Demokratiebildung ermöglichen wollen, muss noch ein weiteres Element einbezogen werden, denn Demokratiebildung geht nicht allein in der Ausübung von demokratischer Partizipation auf. Die zeitgenössische Bildungstheorie weist Reflexivität als zentrales Charakteristikum von Bildungsprozessen aus (vgl. z. B. Koller 2011; für die Jugendarbeit Sturzenhecker 2021). Reflexion oder Reflexivität meint „die Fähigkeit des Menschen, das eigene Denken und Handeln zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen“ (Foster 2014, S. 589). Das geschieht nicht nur im inneren Dialog über Sprache, sondern auch in sprachlicher Verständigung mit den anderen an einer gemeinsamen Erfahrung Beteiligten. Es geht also nicht nur darum, eine – in unserem Zusammenhang demokratische – Erfahrung zu machen, also etwa eine Abstimmung über eine Frage der gemeinsamen Lebensführung durchzuführen, sondern die Aneignungsprozesse einer solchen demokratischen Abstimmung im Nachhinein noch einmal zu reflektieren. Darüber entstehen gemeinsame Begriffe, die die konkrete Erfahrung im demokratischen Prozess in eine abstraktere Form bringen. Zum Beispiel: Kinder machen die konkrete Erfahrung zu wählen (z. B. Delegierte in einen Kita-Rat) und verstehen in der nachträglichen Reflexion dieser Erfahrung das Prinzip der Wahlen. Damit wird es möglich, die Einzelerfahrung zu transferieren, in unserem Fall auf prinzipielle Prozesse (demokratischer) Politik. Mit einer solchen Reflexion eröffnet sich die Chance, eigene Erfahrungen mit Demokratie auch kritisch zu befragen: Z. B. einseitige Machtausübung, Risiken von Ungerechtigkeit und Ausschluss, mangelnde Zugänge zur Beteiligung, Manipulation von Meinungen und Positionen und weitere mögliche Problemstellungen in der demokratischen Praxis werden analysierbar. Das kann wiederum dazu führen, individuell und gemeinsam bessere Handlungsweisen zur Realisierung von Demokratie zu entwickeln. Die Erfahrung der Realisierung konkreter demokratischer Partizipationsrechte durch die Kinder geht also über in eine kritische Reflexion auch der Grenzen und Probleme der Umsetzung von Demokratie. „Als mündige Menschen müssen sie (…) dabei gefördert werden, Herrschafts- und Machtverhältnisse zu analysieren, sich ein kritisch-reflektierendes Urteil zu bilden und Handlungsstrategien zu entwickeln, um selbst aktiv politische Prozesse zu beeinflussen.“ (BMFSFJ 2020, S. 71)

Förderung von Demokratiebildung in der außerschulischen politischen Bildung mit Kindern

Wenn damit die Grundprinzipien einer politischen Bildung als Demokratiebildung benannt sind, stellt sich die Frage, was daraus für die Praxis außerschulischer politischer Bildung mit Kindern folgt. Außerschulische Kinder- und Jugendbildung kann hier von den langjährigen Erfahrungen der Kitas lernen, wie solche Prinzipien der Förderung von Demokratiebildung erfolgreich angewendet werden können.

Durch Erziehung wird Kindern Gesellschaft und das Zusammenleben von Erwachsenen vorgelebt und vermittelt. Foto: fas-khan/unsplash

Bei der Betrachtung des Arbeitsfelds außerschulischer Kinder- und Jugendbildung fällt im Vergleich zu anderen Bildungsinstitutionen auf, dass hier ihre Adressat*innen häufig nur für einen begrenzten Zeitraum Bildungsangebote wahrnehmen. Die wechselnde Teilnehmer*innenschaft und die oft kurzzeitige gemeinsame Arbeit kennzeichnet häufig die Einrichtungen der außerschulischen politischen Jugendbildung im Unterschied zu Kita, Offene Kinder- und Jugendarbeit und Jugendverbänden. Anders als in der Kita oder etwa den Jugendverbänden ergibt sich damit keine gesicherte längerfristige Mitgliedschaft und damit nur ein situativ und sporadisch zusammenkommendes „Volk“ (gr. demos) im Sinne einer Entscheidungsgemeinschaft. Die in Prozessen demokratischer Partizipation thematisierbaren Konflikte und Fragen der Regelung der gemeinsamen Lebensführung in der „embryonic society“ der Einrichtung sind in solchen kurzzeitigen Settings deutlich beschränkt, ebenso wie die Zeit, gemeinsam an ihnen zu arbeiten. Zudem kommen häufig Gruppen in die außerschulische Bildungsarbeit, die schon aus anderen Einrichtungen oder sozialen Zusammenhängen kommen (ein großer Teil stammt wahrscheinlich aus der Schule), sich schon kennen und in gewisser Weise eine gemeinsame Lebensführung in ihrer Einrichtung gestaltet haben. So müssen die Pädagog*innen der außerschulischen Bildungseinrichtungen ihre Adressat*innen stets neu kennenlernen, während die Kinder und ihre Betreuer*innen (Klassenlehrer*innen, Gruppenleiter*innen etc.) bereits miteinander vertraut sind und potenziell schon eigene Kommunikationslogiken und -praktiken sowie Gruppenentscheidungsprozesse unter sich ausgemacht und eingeübt haben. Solche sozialen Kommunikationsstrukturen haben sehr unterschiedliche Charaktere und oft sind sie nicht besonders demokratisch ausgerichtet; gerade Schulen bescheinigen empirische Studien eher geringere Grade demokratischer Partizipation (vgl. Schneider/Gerold 2018; Billis 2020). Andererseits stoßen solche Gruppen von Teilnehmenden in den Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung auf neue Kooperationspartner*innen und auch auf Organisationsstrukturen, die sie wiederum nicht kennen und auch nicht kurzfristig beeinflussen können. Will außerschulische politische Jugendbildung ihren Teilnehmenden Demokratiebildung als konkrete Partizipation an der Gestaltung der gemeinsamen pädagogischen Arbeit eröffnen, muss für diese Bildungssettings mit den jeweils konkret Beteiligten stets neu geklärt werden, wer zusammen mit welchen Rechten und Verfahren welche Fragen der Gestaltung des gemeinsamen Lebens und Arbeitens in einem begrenzten Zeitraum bestimmen kann. Und d. h., auch die Grenzen einer solchen demokratischen Partizipation festzulegen und für die Beteiligten transparent zu machen. Diese Frage der Gestaltung von demokratischer Partizipation muss wieder in ein Verhältnis zur Umsetzung der Inhalte der Bildungsmaßnahmen gestellt werden.

Will außerschulische politische Jugendbildung ihren Teilnehmenden Demokratiebildung als konkrete Partizipation an der Gestaltung der gemeinsamen pädagogischen Arbeit eröffnen, muss für diese Bildungssettings mit den jeweils konkret Beteiligten stets neu geklärt werden, wer zusammen mit welchen Rechten und Verfahren welche Fragen der Gestaltung des gemeinsamen Lebens und Arbeitens in einem begrenzten Zeitraum bestimmen kann.

Um Anregungen für die Gestaltung demokratischer Partizipation in der außerschulischen Kinder- und Jugendbildung zu gewinnen, greifen wir Ergebnisse aus der aktuellen Forschung zur Umsetzung von demokratischer Partizipation in Kitas auf (vgl. Knauer/Hansen/Redecker/Rehmann 2020; Sturzenhecker/Knauer/Vesper 2020) und geben erste Anregungen, wie sie auch in anderen Settings der politischen Bildung mit Kindern realisiert werden könnten.

Die Pädagog*innen eröffnen demokratische Strukturen.

Dieser Schritt besteht im Prinzip darin zu klären, welche Rechte der Selbstbestimmung und Mitbestimmung den Kindern im Setting der Einrichtung (also zum Beispiel einer Jugendbildungsstätte) eröffnet werden sollen. Zudem müssen die Verfahren bereitgestellt werden, wie (also mit welchen Gremien, Prinzipien und Methoden) gemeinsame Entscheidungen gefällt werden können. In außerschulischen Bildungssettings müssen die Pädagog*innen abklären, welche organisationalen Rahmenbedingungen, pädagogischen Schwerpunktsetzungen und Kenntnisse über die jeweilige Gruppe der Teilnehmenden, welche demokratischen Rechte und Verfahren möglich machen und wo begründet Grenzen zu setzen sind. In vielen Bildungsstätten zum Beispiel stehen die Essenszeiten fest, jedoch können die Arbeitszeiten und auch die Schlafenszeiten gemeinsam festgelegt werden.

Die Pädagog*innen gestalten und vermitteln die demokratischen Verfahren.

Wie in der Kita haben die Fachkräfte die Aufgabe und Verantwortung, die Entscheidungsprozesse methodisch zu strukturieren und anzuleiten. Sie geben „Geschäftsordnungen“ vor, gestalten Entscheidungsprozesse durch Moderation mithilfe von Methoden und helfen den Kindern, ihre Diskussion zu strukturieren und zu Entscheidungen zu kommen. Dabei bringen sie (als Mitglieder der Entscheidungsgemeinschaft) ihre eigenen inhaltlichen Positionen ein und suchen mit den Kindern nach gemeinsamen, machbaren Lösungsmöglichkeiten. Unter Umständen verweisen sie auf bereits transparent gemachte Grenzen von Entscheidungsmöglichkeiten und begründen diese.

Die Pädagog*innen unterstützen dabei, die Themen der demokratischen Partizipation zu bestimmen.

In der Kita geschieht das in den alltäglichen Interaktionen, in denen die Fachkräfte die Kinder unterstützen, Konflikte und Interessen zu erkennen und sie als Themen der Entscheidungsgemeinschaft in die öffentliche Diskussion und die Gremien einzubringen. In Settings außerschulischer Bildung wird es zunächst besonders darum gehen, wer wie das inhaltliche Thema der gemeinsamen Arbeit bestimmt. Gerade diese zentrale Entscheidung sollte demokratisch gefällt werden oder mindestens ihre Entstehung den Kindern transparent gemacht werden. Aber auch im gemeinsamen Arbeitsprozess tauchen Fragen, Interessen und Konflikte der Regelung der gemeinsamen Aktivitäten auf, die alle Beteiligten betreffen und auch zusammen diskutiert und entschieden werden müssten. Die Pädagog*innen sollten also prozessorientiert in der Lage sein, solche ad hoc auftauchenden inhaltlichen Bedarfe demokratischer Entscheidungsprozesse zu erkennen, sie mit den Kindern zu klären und methodisch unterstützt anzuleiten.

Die Pädagog*innen erkennen die Kinder als berechtigte und fähige Mitbestimmer*innen an und gestalten Interaktionen respektvoll und dialogisch.

Daraus folgt die Notwendigkeit, die unterschiedlichen Artikulationsweisen von Kindern zu erkennen und ihnen im demokratischen Prozess Gehör zu verschaffen. Hierzu zählen auch die nonverbalen Ausdrucksweisen, die verschiedenen Muttersprachen, ebenso wie Formen „abweichenden Handelns“, die demokratisch als Hinweise auf Konflikte, Protest, Randständigkeit und unerfüllte Bedürfnisse thematisiert werden können. Im Dialog ist dann mit den Kindern zu klären, um was es ihnen genau geht und wie sie dieses in den demokratischen Diskussions- und Entscheidungsprozess einbringen wollen und können.

Die Pädagog*innen berücksichtigen die Unterschiedlichkeit der Kinder und schaffen jeweils angemessene Möglichkeiten der Beteiligung.

Die meisten teilnehmenden Kindergruppen (etwa Schulklassen) sind außerordentlich heterogen. Demokratische Partizipation muss ermöglichen, dass sich die unterschiedlichen Teilnehmenden auf ihre jeweils gerecht werdende Weise artikulieren und in den Entscheidungsprozess einbringen können. Dazu gehört auch kritisch und selbstkritisch zu analysieren, wie Unterschiedlichkeit durch Fachkräfte, aber auch durch die Kinder selbst hergestellt wird und zu Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten führt, die dann behindern oder verhindern, gleichberechtigt und gleichrangig am demokratischen Prozess teilzunehmen.

Demokratische Partizipation muss ermöglichen, dass sich die unterschiedlichen Teilnehmenden auf ihre jeweils gerecht werdende Weise artikulieren und in den Entscheidungsprozess einbringen können.

Die Pädagog*innen ermöglichen Reflexion der Erfahrungen im demokratischen Prozess.

Um eine kritisch (selbst-)reflexive politische Bildung zu fördern, gilt es die erfahrenen demokratischen Prozesse im Nachhinein noch einmal metareflexiv einzuholen, für die unterschiedlichen Erfahrungen Begriffe zu bilden, Gelingen und Misslingen von Partizipation zu bezeichnen und zu analysieren, Prozesse der Machtausübung und Erzeugung von Ungleichheit kritisch zu hinterfragen und insgesamt auch persönliche und gemeinsame Handlungsperspektiven zur Stärkung der eigenen Beteiligung an Demokratie in pädagogischen Einrichtungen, Kommune und Gesellschaft zu entwickeln.

Insgesamt bedeutet eine solche politische Bildung als Ermöglichung von Demokratiebildung der Kinder in den Settings außerschulischer Jugendbildung, den demokratischen Prozess gemeinsamer Entscheidungen gegenüber der inhaltlichen Arbeit deutlich zu stärken.

Zum Autor/zur Autorin

Dr. Benedikt Sturzenhecker ist Univ.-Prof. für Sozialpädagogik und außerschulische Bildung an der Universität Hamburg. Vor seiner Tätigkeit an Hochschulen war er viele Jahre in der außerschulischen Jugendbildung (besonders am Jugendhof Vlotho) aktiv.
Benedikt.Sturzenhecker@uni-hamburg.de
Laura-Aliki Vesper (M. A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg im Arbeitsbereich Sozialpädagogik. Sie hat Erfahrungen in der außerschulischen Jugendbildung als Pfadfinderin und Jugendgruppenleiterin.
Laura-aliki.vesper@uni-hamburg.de

Literatur

Billis, Janina (2020): Partizipation. In: Bollweg, Petra/Buchna, Jennifer/Coelen, Thomas/Otto, Hans-Uwe (Hrsg.): Handbuch Ganztagsbildung. Wiesbaden: Springer VS, S. 367–378 (2. Auflage)
BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020): Kinder- und Jugendbericht. Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter. Berlin: BMFSFJ
Dewey, John (1899/1915): School and society. Chicago: The University of Chicago Press
Foster, Edgar (2014): Reflexivität. In: Wulf, Christoph/Zirfas, Jörg (Hrsg.): Handbuch Pädagogische Anthropologie. Wiesbaden: Springer VS, S. 589–597
Habermas, Jürgen (1968): Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser „Philosophie des Geistes“. In: Ders.: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 9–47
Habermas, Jürgen (1981): Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Habermas, Jürgen (1992): Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Humboldt, Wilhelm von (1792/1980): Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen. In: Flitner, Andreas/Giel, Klaus (Hrsg.): Wilhelm von Humboldt. Werke in fünf Bänden. Bd. 1. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 56–233
Kant, Immanuel (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? www.projekt-gutenberg.org/kant/aufklae/aufkl001.html (Zugriff: 20.02.2021)
Knauer, Raingard/Hansen, Rüdiger/Hansen, Sabine/Rehmann, Yvonne (2020): Studie zur demokratischen Alltagspraxis in erstzertifizierten Kindertageseinrichtungen des Arbeiterwohlfahrt Landesverband Schleswig-Holstein e. V. – Ansätze zur Reflexion und Weiterentwicklung demokratischen pädagogischen Handelns. Zwischenbericht. Kiel (i. E.)
Koller, Hans-Christoph (2011): Bildung anders denken. Einführung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Stuttgart: Kohlhammer
Mollenhauer, Klaus (1982): Theorien zum Erziehungsprozeß. München: Juventa (4. Auflage)
Pfordten, Dietmar von der (2016): Menschenwürde. München: C.H. Beck Verlag
Richter, Elisabeth/Richter, Helmut/Sturzenhecker, Benedikt/Lehmann, Teresa/Schwerthelm, Moritz (2016): Bildung zur Demokratie – Operationalisierung des Demokratiebegriffs für pädagogische Institutionen. In: Knauer, Raingard/Sturzenhecker, Benedikt (Hrsg.): Demokratische Partizipation von Kindern. Weinheim: Beltz Juventa, S. 107–129
Richter, Emanuel (2016): Demokratischer Symbolismus. Eine Theorie der Demokratie. Berlin: Suhrkamp
Schneider, Helmut/Gerold, Markus (2018): Demokratiebildung an Schulen – Analyse lehrerbezogener Einflussgrößen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung
Sturzenhecker, Benedikt/Knauer, Raingard/Vesper, Laura-Aliki (2020): Forschungsbericht: Partizipation und Inklusion in Demokratieorientierten Kitas. Hamburg (i. E.)
Sturzenhecker, Benedikt (2021): Bei Bildung assistieren in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. In: Deinet, Ulrich/Sturzenhecker, Benedikt/Schwanenflügel, Larissa von/Schwerthelm, Moritz (Hrsg.): Handbuch Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden: Springer VS, S. 1227–1244 (5., völlig erneuerte Auflage)
Sünkel, Wolfgang (2010): Erziehungsbegriff und Erziehungsverhältnis. Weinheim: Juventa Verlag