Außerschulische Bildung 2/2020

Bettina Bannasch/Hans-Joachim Hahn (Hrsg.): Darstellen, Vermitteln, Aneignen

Gegenwärtige Reflexionen des Holocaust

Göttingen 2018
V&R unipress, 528 Seiten
 von Paul Ciupke

Mit welchen Zielen, Formaten, Methoden und Anschauungsmöglichkeiten die Geschehnisse der Shoah vermittelt werden können, ist ein offenkundig unabschließbares Thema. Das beruht nicht nur auf der nicht endenden subjektiven Verstörung, die eine Beschäftigung mit den NS-Verbrechen in der Regel hervorruft, sondern auch auf dem Umstand, dass ein so beispielloses Ereignis Gegenstand mannigfacher kultureller Spiegelungen, Rezeptionswege und Darstellungsmöglichkeiten sowie unterschiedlicher disziplinärer Zugriffe ist. Der hier zu besprechende, recht umfangreiche Sammelband bietet nicht, wie man zunächst vermuten könnte, Einblick in weitere neue historiografische Forschungsergebnisse, sondern richtet den Blick vor allem auf die literarischen und ikonografischen Formen der Darstellung, Verarbeitung und Vermittlung des Holocausts. Die Frage ist nicht mehr, so die Herausgebenden in ihrem Einleitungsbeitrag, ob man sich mit dem Thema auseinandersetzt, sondern vielmehr die, wie man mit den vielfältigen Diskursen, Überlieferungen und Repräsentationsformen reflektiert und pädagogisch umgehen kann. Das macht diesen Band für die pädagogische Arbeit in der außerschulischen Bildung und ihre speziellen eigensinnigen Lernformen besonders interessant. Er beansprucht auch, eine aktuelle Bestandsaufnahme von Positionsbestimmungen zu bieten, was allerdings angesichts der Fülle an Diskursen, Untersuchungen und Parteinahmen ein vielleicht etwas zu hoher Anspruch sein mag.

Die 20 Autor*innen haben einen breiten geschichts- und kulturwissenschaftlichen Background, sind aber überwiegend Literaturwissenschaftler*innen. Wir finden drei Bereiche vor, die sich den literarischen Verarbeitungswegen, den bildlichen Darstellungen und den sich hier jeweils anschließenden Angeboten in den Gedenkstätten widmen und da, wo es relevant ist, auch ausreichend bebildert sind.

Hier können aus Platzgründen nur einige Beiträge exemplarisch erwähnt werden. Zu den Vorzügen des Sammelbandes gehört unbedingt die Möglichkeit, vergessene oder in der Aufmerksamkeit vernachlässigte literarische, filmische und sonstige bildliche Zeugnisse der Shoah wiederentdecken zu können. So beschäftigt sich Mona Körte mit Beispielen früher Prosa, insbesondere mit zum Teil sehr unterschiedlichen und hybriden Texten von Primo Levi, Charlotte Delbo und Robert Antelme. Die Auseinandersetzung von Jan Süselbeck mit den Autobiografien von Ruth Klüger und Otto Dov Kulka schließt hier an. Und Martin A. Hainz schlägt einen Bogen von Paul Celan über Rose Ausländer bis Max Czollek, um in der Lyrik festgehaltene Aspekte aufzuzeigen und zu deuten. Gerade in den ersten drei Jahrzehnten spielte das Theater eine zentrale Rolle bei der Thematisierung des Holocaust, bevor der Film seine große Bedeutung erlangte. Hans-Joachim Hahn erinnert dabei nicht nur an das bekannte Stück von Peter Weiß „Die Ermittlung“, sondern auch an frühe, weitgehend vergessene Dramen von Max Zweig und Erwin Sylvanus über die Geschehnisse im Warschauer Ghetto.

Holger Zimmermann beschäftigt sich mit Kinder- und Jugendliteratur zur Shoah. Er untersucht höchst problematische Darstellungen wie Richters „Damals war es Friedrich“, kommt aber zu dem Ergebnis, dass allzu schlichte moralische Imperative heute so nicht mehr formuliert werden und sich die Perspektive verschoben habe von einer eher schlichten Aufklärungsdidaktik zu einer komplexen erinnerungsdidaktischen Herangehensweise.

Nach anfänglichen Zweifeln hat sich das Medium des Comics inzwischen als ernstzunehmende Erzähl- und Darstellungsform etabliert. Hans Kruschwitz und Ole Frahm führen dies an teils bekannten, teils weniger bekannten Beispielen aus.

Fotografien haben frühzeitig als Zeugnisse der Verbrechen gedient, manche sind zu signifikanten Ikonen geworden. Hildegard Frübis analysiert unter anderem Fotos des bekannten Lily-Jacob-Albums über Auschwitz. Unbestritten stellt die Holocaust-Serie einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung des Holocaust dar. Erst ab Anfang der 1980er Jahre sickerte die Ungeheuerlichkeit der Verbrechen ins öffentliche Bewusstsein ein. Dass es aber schon vorher Spielfilmproduktionen gab, die bei aller Unterschiedlichkeit auch auf die Ermordung der Juden in Europa verweisen, zeigt Manuel Köppen in seinem Beitrag. Bettina Banasch schaut hingegen kritisch auf frühe Dokumentarfilme und deren projektierte Erziehungsfunktionen. Dabei geht es auch um die ethisch dimensionierte Frage, welche Bilder man zeigen kann und darf. Die Auseinandersetzung mit dem Thema in der bildenden Kunst behandelt schließlich Kathrin Hoffmann-Curtius.

In der letzten Sektion geht es in sehr unterschiedlich gerichteten Studien überwiegend um Fragen der pädagogischen Umsetzung. Anne Frank als „Ikone“, um die sich verschiedene Narrative spinnen, steht einmal mehr im Zentrum eines Beitrages. Gescheiterte Gedenkstätteninitiativen in Bayern sind ebenso ein Thema. Instruktiv und anschlussfähig an die vorherigen Abschnitte wirkt Christina Ulbrichts Bericht über den Einsatz von Zeitzeugenliteratur als Leitmedium bei Gedenkstättenführungen. Und eine biografieorientierte Bildungsarbeit zum Thema NS-Verfolgung von Sinti und Roma wird von Tobias von Borcke skizziert.

Der Nutzen des Bandes für eine historisch-politische Bildungsarbeit besteht aber vor allem in dem Aufzeigen von kulturell inspirierten Vermittlungsmöglichkeiten und der Ausdifferenzierung des Bildes von der Rezeptionsgeschichte der NS-Verbrechen.