Außerschulische Bildung 2/2020

Carsten Reinemann/Angela Nienierza/Nayla Fawzi/Claudia Riesmeyer/Katharina Neumann: Jugend – Medien – Extremismus

Wo Jugendliche mit Extremismus in Kontakt kommen und wie sie ihn erkennen

Wiesbaden 2019
Springer Fachmedien, 256 Seiten
 von Ronja Inhoff

Die drei Begriffe Jugend – Medien – Extremismus in einer Studie zusammenzubringen und ihre Verbindung aufzuzeigen, ist unzweifelhaft aktuell und relevant, aber auch eine Herausforderung. Dieser haben sich mehrere Forscher*innen der Ludwig-Maximilian-Universität München angenommen. Die Studie stellt den Abschlussbericht des von der Landesanstalt für Medien NRW finanzierten Projekts „Extremismus in sozialen Medien“ dar.

In der Einleitung wird auf die Problemstellung aus Sicht der Kommunikationswissenschaft eingegangen. Die Forscher*innen benennen fünf Forschungsdefizite, deren Aufarbeitung dahingehend von gesellschaftlichem Interesse sei. Ein wesentlicher Teilbereich ist dabei die Vereinnahmung junger Menschen von extremistischen Organisationen im Internet. Daraus wurden wiederum fünf Forschungsfragen abgeleitet, die zu einem tiefergehenden Verständnis beitragen sollen, „wo und wie Jugendliche mit extremistischen Botschaften in Kontakt kommen, wie sie diese wahrnehmen, bewerten und auf sie reagieren, um so einen Beitrag zur Weiterentwicklung von Präventionsmaßnahmen zu leisten.“ (S. 3)

Kapitel 2 befasst sich mit einer Klärung, was aus Sicht der Forscher*innen unter Extremismus fällt. Als extremistische Verortungen werden Rechtsradikalismus, religiös begründeter Extremismus und auch Linksextremismus genannt. Gewaltbereitschaft wird dabei als ein wesentliches und einigendes Merkmal gesehen. Dass Linksextremismus hier mit aufgeführt wird, wird von den Forscher*innen selbst problematisiert, da u. a. auch die Forschungslage im Gegensatz zu den beiden anderen extremistischen Gruppen viel geringer ist.

In Kapitel 3 werden dann die fünf Forschungsfragen, die zuvor nur kurz angesprochen wurden, weiter konkretisiert und das theoretische Modell der Untersuchung erläutert. Ebenso wird auf die Methodik der Untersuchung eingegangen. In den Kapiteln 4–6 werden die Ergebnisse der aufeinander bezogenen einzelnen Untersuchungen vorgestellt. Dadurch, dass mehrere Untersuchungsformen genutzt wurden (Repräsentationsbefragung, qualitative Befragung, kontrollierte Rezeptions- und Wirkungsstudie), fällt die Studie sehr umfassend und komplex aus. Sehr interessant ist der Manipulations-Check in Teilstudie III. Dabei wurde experimentell untersucht, wie gut und woran Jugendliche potenziell extremistische Online-Inhalte erkennen. Dazu wurden Jugendlichen Memes vorgelegt, die in Quelle und Botschaft divergierten. Ein Ergebnis davon ist u. a., dass wenige Jugendliche extremistische Aussagen selbstständig erkennen, bzw. die politische Bewertung der Memes die Jugendlichen insgesamt auch überforderte. Memes der „Patriotischen Jugend Deutschlands“ wurden von den Jugendlichen kaum als extremistisch eingestuft. Besonders Mädchen wurden unsicherer bei der Bewertung, wenn zu dem Memes ein Kommentar hinzugefügt wurde, der das Meme bereits als extremistisch bezeichnete.

Es lässt sich vielleicht bereits mutmaßen, was als eine der sieben Empfehlungen in Kapitel 5 folgt. Viele der Ergebnisse und Empfehlungen sind sicherlich auch für die Praxis wichtig und bestätigen die bisherige Arbeit politischer Bildner*innen. Bemerkenswert ist, dass der Qualitätsjournalismus in die Pflicht genommen wird, bei der Berichterstattung noch stärker die Quelle und das Narrativ zu hinterfragen. Obwohl in der Studie häufig die Vermittlung von Kompetenzen in den Vordergrund gestellt wird, wird ebenso auch die Schulung von Vertrauen und Wertebildung empfohlen.

Insgesamt ist die Studie sehr klar strukturiert. Das wissenschaftliche Niveau und der Anspruch sind sehr hoch. Problematisch ist m. E. die gleichzeitige Benennung von Rechtsradikalismus, religiös begründetem Extremismus und „Linksextremismus“. Hier wird definitiv zu wenig differenziert und die bedenkliche „Hufeisentheorie“ gestärkt. Sich als Beleg für Extremismus hauptsächlich auf Verfassungsschutzberichte zu stützen und die G20-Proteste als Beispiel für die Gewaltbereitschaft der linken Szene heranzuziehen ist zu kurz gegriffen und beschädigt die Studie eher. Der massive und provokative Polizeieinsatz, die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit und die widerrechtlichen Massenverhaftungen und Inhaftierungen vor, während und nach dem G20 Gipfel sind noch lange nicht aufgearbeitet.