Außerschulische Bildung 2/2021

Klaus-Peter Hufer: Zivilcourage

Mut zu Widerspruch und Widerstand

Wien 2020
Edition Konturen, 192 Seiten
 von Boris Brokmeier

Anfang der 80er-Jahre nahm ich als junger Bürger der alten Bundesrepublik das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Anspruch und verweigerte den Wehrdienst. Grundlage war der Artikel 4 des Grundgesetzes: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden (…).“ Die Wahrnehmung dieses Grundrechts musste beantragt und gegenüber einem Ausschuss dreier, zumeist betagter Männer im staatlichen Auftrag nachgewiesen werden. Nach der Lektüre des von Klaus-Peter Hufer vorgelegten Bandes zur Zivilcourage stellte sich mir die Frage, ob es sich bei der Kriegsdienstverweigerung auch um einen Akt der Zivilcourage handelte.

Der Autor nennt in seinem Buch eine Vielzahl von historischen Beispielen und Alltagssituationen, in die ein jeder geraten kann. Plötzlich steht man vor der Situation, eine Entscheidung treffen zu müssen und ggf. couragiertes Verhalten an den Tag zu legen, um in Situationen, in denen Menschen gefährdet sind oder bedroht werden, einzugreifen. Das Beispiel der massenhaften Kriegsdienstverweigerung junger Männer in der Geschichte der Bundesrepublik findet allerdings keine Erwähnung.

Aus meiner Sicht stellt das keinen Mangel dar, sondern führt durch die Reflexion des eigenen Verhaltens zu einem hervorragenden Einstieg in die Lektüre des Buches. Es gibt nämlich keine fertigen Antworten, sondern vor allem Hinweise und Anregungen, sich mit diesem facettenreichen Thema zu befassen.

Klaus-Peter Hufer, selbst jahrzehntelang Praktiker und Wissenschaftler der politischen Bildung, trug Vieles zum Thema des Buches zusammen und kam damit zu einem Zeitpunkt heraus, an dem sich nicht wenige Menschen Gedanken darüber machten, was angesichts der rechtspopulistischen und rechtsextremen Aktivitäten in diesem Land passieren kann und muss, um die Demokratie nicht vor die Hunde gehen zu lassen.

Der mit 200 Seiten nicht zu umfangreich geratene Band ist auf den ersten Blick logisch gegliedert und aufgebaut wie eine wissenschaftliche Studienarbeit. Hufer spannt einen Bogen von Begriffsdefinitionen und Begründungen für Zivilcourage bis hin zum Thema Widerstand und der Auseinandersetzung mit Menschenrechten. Einen breiten Raum nehmen am Ende alltagstaugliche und lebensweltbezogene Beschreibungen von Handlungsfeldern für Zivilcourage ein.

Der zweite Teil des Buchtitels „Mut zu Widerstand und Widerspruch“ deutet unzweifelhaft darauf hin, dass der Autor nicht nur eine Beschreibung des Phänomens liefert, sondern es mit einem Appell an den Mut der Leser*innen verbindet. Gewissermaßen als Zeugen für Mut und Entschlossenheit stellt Hufer 11 historische Vorbilder vor (z. B. die Göttinger Sieben, Ghandi, die Geschwister Scholl, Martin Luther King und Nelson Mandela) und beschreibt ihr couragiertes Wirken zu ihrer Zeit. Diese Beispiele sind prominent und herausragend, da sie mit einschneidenden persönlichen Konsequenzen verbunden waren und sogar, wie bei den Geschwistern Scholl, zum gewaltsamen Tode führten. Auch können wir gegen keinen König mehr aufbegehren, wie einst die Gebrüder Grimm in Göttingen.

Zivilcourage ist heute auf andere Art und Weise nötig, nämlich im Alltag und zur Festigung unserer Demokratie. Man kann gegen die Regierung aufbegehren, auch dazu braucht es Mut, aber die Verteidigung der Menschenrechte und der Demokratie und der Widerstand gegen Hass, Rassismus und Gewalt erfordert von Demokraten noch mehr Mut und Widerstand als bisher. Auch wenn der im Buch beschriebene Tyrannenmord als historische Quelle sich heute nicht unbedingt als alltagstaugliche Ausprägung couragierten Handelns eignet, liefert Hufer dennoch weitere notwendige Quellen, zitiert eine Vielzahl von Philosoph*innen und ergänzt diese mit Definitionen zu allerhand Begriffen, die im Zusammenhang mit Zivilcourage stehen.

Damit sind wir wieder bei der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen als Akt der Zivilcourage. Die grundgesetzlich zugebilligte Entscheidung des Gewissens als persönliche moralisch-ethische Instanz stellt in der Tat eine wichtige Kategorie für Zivilcourage dar und ist in seinem Wert nicht hoch genug anzusetzen. Das belegen die von Hufer zusammengetragenen Zitate von Kant, Nietzsche und Co. Und es bedurfte in bestimmten Milieus, Familien und gesellschaftlichen Gruppen einer Menge Mut, um zu verweigern, aber: Danach war alles von Anerkennung bis Zivildienst rechtsstaatlich geregelt und organisiert und weniger Ausdruck von Zivilcourage. Wer allerdings diese vorgegebenen Pfade verlassen hat und als sogenannter Totalverweigerer versuchte, Wehr- und Zivildienst zu entkommen, der musste ungleich mehr Mut aufbringen und sich der strafrechtlichen Konsequenzen ebenfalls bewusst sein.

Dass Widerstand und Mut auch von der „falschen“ Seite erfolgen und für sich in Anspruch genommen werden können, machen die wenigen Beispiele aus dem rechtextremen Spektrum rund um die AfD deutlich und offenbaren ein Dilemma. Der Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers ist da in seinem Urteil klar: „Aber von Widerstand kann nur sprechen, wer das Risiko auf sich nehmen will, Recht zu brechen und dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.“

Obwohl die rechtsphilosophische Dimension etwas zu kurz gerät, finden wir in Hufers Band fast alles, was wir schon mal über Zivilcourage wissen wollten und was uns zum Nach-Denken motivieren sollte, insbesondere die Erkenntnis, dass Zivilcourage und Demokratie zusammengehören.

Boris Brokmeier, Leiter von Mariaspring – Ländliche Heimvolkshochschule e. V. in Bovenden und Vorsitzender des AdB