Außerschulische Bildung 2/2021

Ljiljana Radonić/Heidemarie Uhl (Hrsg.): Das umkämpfte Museum

Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung

Überall entstehen neue kulturgeschichtliche und zeithistorische Museen, die Besucher*innen-Zahlen der bestehenden sind sechsmal so hoch wie die der 1. Bundesliga – was meint dann also „umkämpft“? Der schon länger anhaltende Museumsboom geht einher mit grundlegenden Konflikten um ihre Diversität, Repräsentativität, um Partizipation und die Stimmigkeit ihrer „Erzählungen“ – ihre Leitbilder sind ins Trudeln geraten.

Die Herausgeberinnen rekonstruieren zunächst die Dilemmata der Museumsarbeit zwischen den Imperativen „Repräsentation/Sinnstiftung“ einerseits und dem der Dekonstruktion bzw. Deutungsoffenheit, zwischen konventionellen Helden-Narrativen und postmoderner Fluidität; ihre klare Präferenz für skeptische, historisierende und multiperspektivische Zugänge wird nicht versteckt. Nur mit knappen Hinweisen können die Beiträge erwähnt, kaum gewürdigt werden: Martin Sabrow steckt das Thema „Zeitgeschichtsschreibung und Subjektivität“ ab und kommt zur Forderung eines „relationalen Objektivismus“, in dem konstruktivistische und sachlich-„nüchterne“ Facetten verschmelzen können. Je näher an staatlicher Politik, umso stärker die Versuchung teleologischer Narrative, wie etwa Andrea Mork am Beispiel des Hauses der europäischen Geschichte und Daniel Logemann für das Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk beleuchten. In beiden Fällen sind postnationale und pluralistische Ansätze dem Vorwurf ausgesetzt, „Identitäten“ zu zerstören und multikulturelle „Umerziehung“ zu betreiben. Doch die fachliche Unmöglichkeit linearer Erzählungen wird bei der Zuwendung zur realen europäischen Heterogenität schnell greifbar.

Multiple oder diffuse Zugehörigkeiten als Normalität – das war politisch ein mühsamer Lernprozess, wirft aber in der musealen Arbeit ebenso vertrackte Fragen auf: Wie kann die Essentialisierung der Differenzen vermieden werden ohne überkomplexe Darstellungen? Wie können die verflochtenen Geschichten von Mehrheit und Minderheiten plastisch vorgestellt werden, ohne das „Othering“ zu überzeichnen? Eine „Blickumkehr“ auf die gesamte (Post-)Migrationsgesellschaft hin verwirrt dann auch die gewohnte Ordnung disziplinärer Schubladen und verlangt neue Aushandlungsprozesse (Dirk Rupnow, Regina Wonisch). Wie partizipative Veränderung aussehen kann, diskutiert Georg Traska anhand österreichischer Exempel: Mit dem Definitionsmachtverlust der Profis sind Kontingenz und „Chaos“ zu gewärtigen, ebenso anstrengende Rollenreflexionen für beide Seiten.

Drei „Fallgruppen“ werden genauer analysiert: Gedenkstätten, jüdische Museen und die Museen postkommunistischer Länder. Wenn Museen, wie Deborah Hartmann und Tobias Ebbrecht-Hartmann in Anlehnung an Hartmut Rosa postulieren, „Berührungspunkte“ mit geschichtlichen Ereignissen konstruieren, so sind die Prioritäten dieses „Zeigens“ akribisch zu begründen; für den von ihnen betrachteten Gedenkort Yad Vashem sind das der Akzent auf individuelle und vielstimmige Geschichten und die historische Konkretion von Handlungssituationen. Eine „resonante Verbindung von Raum, Bildern, Stimmen und Namen“ schließt die Ermöglichung emotionaler Reaktionen und forschend-lernender Zugänge ein – durchaus individuelle Vorgänge übrigens. Mirjam Zadoff umreißt einerseits die allgemeine „gedenkpolitische“ Lage und andererseits das Potenzial des Münchner NS-Dokumentationszentrums – in der Hoffnung, dass trial and error trotz der unabwendbaren Rollenzuschreibung als „Demokratiespritze“ möglich bleiben. Welche Verunsicherung Öffnungsprozesse der Vermittlungsarbeit auslösen kann, wird am Beispiel der Gedenkstätte Mauthausen verdeutlicht; Gudrun Blohberger und Christian Angerer setzen der befürchteten Überforderung die Attraktivität anspruchsvoller Bildungssituationen entgegen.