Einstellungen, Erfahrungen und Haltungen von Spielleitenden
Kopaed Verlag, 257 Seiten
Dass sich ein Großteil der Lebensrealität vieler junger Menschen im digitalen Raum abspielt, ist eine Tatsache, die uns nicht erst seit der Corona-Pandemie bewusst ist. Die Wahrnehmung davon, womit sich Jugendliche und junge Erwachsene online beschäftigen, ist dabei stark abhängig von der eigenen sozialen Rolle und Funktion. Obwohl das Internet auf verschiedenen Kanälen Möglichkeiten für Lernprozesse und individuelle Weiterbildung bietet, die besser sind als je zuvor, hält sich der Vorwurf, dass dort nur Zeit mit Spielen, Selbstdarstellung oder Unsinn vergeudet wird.
In diesem Spannungsfeld arbeiten Medienpädagog*innen daran, eine Brücke zwischen „Sinn“ und „Unsinn“, zwischen „Lernen“ und „Spaß haben“ zu schlagen, indem sie digitale Spiele als Medium und Methode der Bildungsarbeit einsetzen. Der Erfolg dieser Projekte hängt dabei nicht nur vom Medium ab, sondern neben der Prozessgestaltung und dem didaktischen Design vor allem von der Person, die sie anleitet.
Der Art und Weise, wie Medienpädagog*innen digitale Spiele in der Bildungsarbeit einsetzen, geht Martin Geisler, Professor für Kultur und Medien an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena, mit dieser Veröffentlichung auf den Grund: Wer sind die Akteure, welche Erfahrungen, Qualifikationen und Kompetenzen sollten sie mitbringen, in welchen Bildungskontexten sind digitale Spiele besonders geeignet und wo liegen die besonderen Herausforderungen dieser Arbeit?
Entstanden ist eine Art praxisnahe Standortbestimmung (nicht nur) für Pädagog*innen, die digitale Spiele als Element ihrer täglichen Arbeit begreifen. Dabei gelingt es Geisler, einen sinnhaften Bogen von theoretischen Betrachtungen, über die quantitative Befragung von Spielleitenden bis hin zu ausgewählten Erkenntnissen aus Expert*innen-Interviews zu schlagen, um diese final in praktischen Handlungsempfehlungen zusammenzufassen.
Besonders faszinierend ist dabei Geislers Fähigkeit, ein sehr vielseitiges Handlungsfeld zu entwirren, zu strukturieren und mit einem theoretischen Unterbau zu untermauern. Klar und analytisch benennt er in der theoretischen Einordnung die Aufgabenfelder von kultureller Bildung und Medienpädagogik. Er skizziert die grundlegenden Perspektiven auf Spieltheorie und Bildungsmodelle, jedoch immer mit dem Ziel, einen Rahmen für die Praxis zu setzen, ohne sich zu sehr in Details zu verlieren. Viele Elemente dieser Handlungsfeld-Landkarte finden sich später auch in der Auswertung und Strukturierung der Interviews wieder. Nach der theoretischen Einordnung folgt ein zwar interessanter, aber sehr datenorientierter Abschnitt mit den Ergebnissen einer quantitativen Online-Befragung von 92 Spielanleitenden zu ihren Arbeitsweisen, Qualifikationen und Game-Bezügen.
Von den Befragten wurden anschließend 10 Medienpädagog*innen, welche zumeist als Lehrende oder Fachkräfte in medienpädagogischen Einrichtungen arbeiten, in Einzelgesprächen zu ihrer Haltung interviewt. Personen also, die sowohl einen praktischen als auch einen wissenschaftlichen Blick auf ihren Fachbereich mitbringen. Dieser Abschnitt nimmt den größten Teil der Veröffentlichung ein und er ermöglicht einen Blick in die tägliche Arbeit der ausgewählten Personen und ihre Haltungen zu den verschiedenen Bereichen ihrer Arbeit. Auch hier legt Geisler den Schwerpunkt auf Struktur, indem er handlungsleitende Aussagen der Interviews in ein formales Raster für Projektarbeit einsortiert. Er geht dabei näher auf verschiedene Elemente von Projektablauf, Rahmenbedingungen, Spiel, Zielgruppe und Wirkung ein. Zudem erfragt er erforderliche Kompetenzen, Haltungen und Qualifikationen, welche nach der Meinung der befragten Praxisexpert*innen für Anleitende erforderlich sind. Die Ergebnisse fasst er für jeden der genannten Bereiche nochmal zusammen und summiert sie als eine Art „Handlungs-Spickzettel“ für Medienpädagog*innen in 149 Leit-Sätzen.
„Digitale Spiele in der Medienpädagogik“ ist aufgrund seiner sehr analytischen Form stellenweise etwas sperrig zu lesen, ermöglicht aber gleichzeitig eine hervorragende Meta-Perspektive auf die unterschiedlichen Herausforderungen und Anforderungen, denen sich Medienpädagogen stellen müssen. Gleichzeitig ist es auch eine gute Standortbestimmung für das Handlungsfeld insgesamt. Wer in diesem Feld arbeitet, kann sich anhand dieser Veröffentlichung sicherlich gut selbst verorten oder distanzieren, sich verstanden oder ertappt fühlen und vor allem sicher sein, dass wir auf dem Weg, neue Methoden der Bildungsarbeit zu entwickeln, nicht alleine sind.
Dennis Lange (M.A.) ist Bildungsreferent und Gamedesigner für die Waldritter e. V.