Außerschulische Bildung 3-2024

Miriam Meckel/Léa Steinacker: Alles überall auf einmal

Wie Künstliche Intelligenz unsere Welt verändert und was wir dabei gewinnen können

Starke KI oder schwache KI? Das ist die Frage. Wie sehr wird KI unser Leben verändern? Letztlich, so Miriam Meckel und Léa Steinacker in ihrem wissenschaftlich fundiert und unterhaltsam geschriebenen Buch, geht es aber um „die Frage, was es bedeutet, Mensch zu sein“, „die Zukunft der Mensch-Maschine-Kollaboration“ (S. 13). Nicht ohne Grund wählten die beiden Autorinnen einen Titel, der die Orientierungsversuche von Evelyn Wang, der Protagonistin des preisgekrönten Blockbusters „Everything Everywhere All at Once“ als Muster der Orientierungsversuche rund um die KI, in denen wir uns selbst das Leben schwermachen: „Die KI-Szene generell sieht sich derzeit einem fast religiös anmutenden Schisma gegenüber: die Vorkämpfer gegen die Untergangspropheten. Beide Seiten sind zuweilen von einer wahnhaften Idee der Weltverbesserung beseelt.“ (S. 291) Wird KI möglicherweise „zur Scientology der Fortschrittsfanatiker“? (S. 352)

Das Thema ist nicht neu, zumindest nicht in der Science Fiction, in „Neongrau“ von Aiki Mira, „Pantopia“ von Theresa Hannig, „The Circle“ und „Every“ von Dave Eggers und nicht zuletzt in der Populärkultur wie dem Franchise Star Trek mit Figuren wie Data, Soji oder dem holographischen Doctor. In der wissenschaftlichen Aufarbeitung ist die US-amerikanische Forschung der europäischen voraus, wie Miriam Meckel und Léa Steinacker kundig dokumentieren. Diskutiert werden verschiedene Modelle, zum Beispiel der „Zentaurenansatz“, eine Verschmelzung von Mensch und Maschine mit jeweils abgrenzbaren Fähigkeiten der beiden Teile, oder der „Cyborg-Ansatz“, eine Art „Mensch-Maschine-Hybrid“, der in der Populärkultur natürlich die interessantere, da transhumanistische Variante sein dürfte. (S. 129)

Aus der KI schallt nur heraus, was wir hineingeben. Ein zentrales Thema ist daher der Bias der KI, mit all den Rassismen, Diskriminierungen, die wir im Internet platzieren. KI’en wirken als „Imitationsmaschinen“ (S. 29), als „Wortwahrscheinlichkeitsvorhersagemaschinen“, (S. 81), als „Effizienzmaschine, die keine Gnade kennt“ (S. 249). Ein Beispiel für viele: „Die bisher bekannten Fälle von Verhaftungen nach einer falschen Gesichtsidentifizierung betrafen nur nicht weiße Menschen.“ (S. 238) Elon Musk wird als Protagonist der „technolibertären Szene der USA“ genannt, die mit ihrem Einfluss auf die Entwicklung von KI „einen politischen Vorteil“ zieht: „Zu befürchten ist, dass Anwendungen wie die von Elon Musk vor allem eines befördern – den Kampf zugunsten der Parteilichkeit und Propaganda, den Extremisten unter dem Label ‚Free Speech‘, der umfassenden Meinungsfreiheit, vorantreiben wollen. ChatGTP & Co. scheinen nur die nächste Zündstufe in dieser Eskalation zu sein.“ (S. 213) Die Entlarvung eines Bias wird dann als „woke“ angeprangert. Und was ist mit „Lethal Autonomous Weapons“? (S. 252 f.)

Die beiden Autorinnen stellen fest, dass schon 1843 Ada August Lovelace feststellte, dass Menschen sich in Maschinen replizieren, mit der richtigen Sprache alles berechenbar wird, Menschen aber auch die Regeln machen, nach denen sich das Sprechen und Handeln der Maschinen vollzieht (S. 35). Die daraus abgeleitete Ethik wären dann in etwa die Roboter-Gesetze von Isaac Asimov von 1942. Die Entwicklungsfähigkeit der KI’en führt allerdings zu einer Art Hase-Igel-Spiel. Je mehr wir an problematischen Äußerungen der KI entwickeln, umso schlauer wird diese und umso schwerer wird es, Deepfakes zu erkennen (S. 88 und S. 69 ff.). Mensch und Maschine befinden sich in einer „Co-Evolution“ (S. 145). Die Gefahr besteht vor allem darin, dass wir als Menschen verlernen: „Aber was geschieht, wenn wir über die nächsten Generationen das Lesen und Schreiben Schritt für Schritt verlernen, einfach, weil wir es ja kaum mehr selbst machen müssen? Und wie erklärt man einem Zehnjährigen, dass es wichtig ist, beides zu können, und dass man es dafür üben und sich anstrengen muss?“ (S. 154) Erkennt dies auch die Politik? Kürzlich meinte ein Ministerpräsident in einem Gespräch mit der ZEIT, es reiche, eine einzige Fremdsprache zu lernen, da KI ohnehin doch alles zu übersetzen verstehe.