Außerschulische Bildung 2/2020

Stefanie Graefe: Resilienz im Krisenkapitalismus

Wider das Lob der Anpassungsfähigkeit

Bielefeld 2019
transcript Verlag, 196 Seiten
 von Norbert Tillmann

Resilienz hat Konjunktur. Ist Resilienz tatsächlich das neue Ideal der Persönlichkeit und der Lebensgestaltung? Widerstands- und Anpassungsfähigkeit, Erschöpfung, Stress und Depressionen – das sind nur einige Stichworte der modernen Gesellschaft. Die Autorin zweifelt an der neoliberalen Vorstellung einer lebenslangen Selbstoptimierung, einer uneingeschränkten Leistungsbereitschaft sowie an dem rastlosen Aktivismus mit Ellbogenmentalität.

Der Aufstieg der Resilienz als Gegenmittel zur Erschöpfung, so Graefe, führt zwar einerseits zu einer größeren Sensibilität für die personalen Belange, aber andererseits zum Verschwinden der Kritik an der Arbeitswelt. Sie fragt nach dem Zusammenhang zwischen Erschöpfung als sozialer Erscheinung und Resilienz als scheinbar neuem Leitbild einer flexiblen, widerstandsfähigen, leistungsbereiten Persönlichkeit. Dabei weitet die Autorin den Begriff der Resilienz vom Subjekt auf die Vorstellungen über Gesellschaft aus.

Die Argumentation: Die in Jena lehrende Soziologin geht zunächst davon aus, dass Resilienz uns die Fähigkeit gibt, mit der zunehmend unüberschaubaren, komplexen Lebenswelt fertig zu werden. Doch kann uns Resilienz heute noch gesund halten? Ist Resilienz die geeignete Antwort auf den Krisenkapitalismus? Stefanie Graefe beobachtet eine allgemein verbreitete Erschöpfung. Nach ihrer Auffassung sind Burnout und Depressionen das Ergebnis des flexiblen Kapitalismus. So zeigt sich die Erschöpfung als Wesensmerkmal der Gegenwartsgesellschaft. Das Beharren auf die individuellen Widerstandskräfte – im Sinne einer falsch verstandenen Resilienz – entspricht der neoliberalen Weltvorstellung des leistungsstarken, belastbaren, anpassungsfähigen und erfolgreichen Subjekts.

So zeigt sich dieses Resilienzkonzept als passgenaue Antwort auf die Erschöpfung im Krisenkapitalismus – mit der fatalen Wirkung, dass die Erfordernisse und Probleme im Selbst bearbeitet werden – die wirtschaftlich geforderte Selbstorganisation dringt ins Subjekt ein.

Stefanie Graefe folgert daraus, dass weniger die Konflikte verschwinden, sondern diese ins Innere der Menschen verlagert werden. Es verändern sich die Konfliktbereitschaft und die Konfliktformen. Graefe verweist darauf, dass die Autonomie des Subjekts mehr bedeutet als die viel gepriesene Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Hinzu komme die Autonomie im Sinne von Selbstorganisation. Das entspricht einem Konzept der Resilienz, also der Fähigkeit mit Schwierigkeiten fertig zu werden. Graefe argumentiert, dass sich dies aber nicht nur auf die individuellen Belange bezieht, sondern ebenso auf die organisatorische Verfasstheit der Gesellschaft, auf Organisationen und Systeme. Flexible Individuen und flexible Organisationen bedingen einander.

Graefe wendet sich dagegen, dass Resilienz zu einer Technik des Subjekts reduziert wird, in der die Beziehung des Subjekts zur Wirklichkeit lediglich unter optimierter Funktionalität verstanden wird. Sie kritisiert die Annahme, dass Resilienz jederzeit sinnvoll sei, da sie Handlungsfähigkeit garantiere. Daher bestehe die Gefahr des Resilienzkonzepts darin, dass die Unterscheidung von Alltäglichem und Existenziellem, von „positiver“ oder „negativer“ Gesellschaft hinfällig wird. Der Vorstellung, das Selbst helfe sich dank seiner Resilienz schon selbst, widerspricht die Autorin. Sie erweitert den Begriff der Resilienz von der individuellen Handlungsmaxime der eigenen bedrängten Existenz hin zu einer Kategorie politischer Vorstellungskraft. Graefe möchte den Blick vom Subjekt auf die Gesellschaft, das Soziale lenken. Es geht ihr nicht darum, dass sich die Menschen immer weiter anpassen, sondern dass die Welt veränderbar ist. Stefanie Graefes Fazit lautet: Es ist sinnvoll Resilienz zu stärken, z. B. in den Beziehungen, Familien, Bildung und Einkommen usw., aber man darf Resilienz nicht als allgemeingültiges Handlungsideal missverstehen, das per se schon eine emanzipatorische Wirkung habe. Die Subjekte sind sowohl abhängig, als auch autonom. Es gilt, die politische Handlungsfähigkeit gegenüber Interessen und Machtverhältnissen zu bewahren.

Die vorliegende Arbeit stellt einen wertvollen Hinweis für die politische Bildungsarbeit bereit. Gerade in der Arbeit mit sogenannten bildungsfernen Menschen am Rande der Gesellschaft, ist der Übergang zur sozialen Arbeit fließend. Es liegen multiple Problemlagen vor, Psychokarrieren sind an der Tagesordnung. Das „Modewort“ Resilienz sollte nicht unüberlegt als Lyrik in Förderanträge einfließen. Subjektive und gesellschaftliche Belange in der politischen Bildungsarbeit müssen ständig überprüft werden. Gibt es noch die Hinwendung zur politischen Aktion oder begrenzt sich die politische Bildung auf das Individuelle?