Außerschulische Bildung 2/2020

Wolfgang Benz: Alltagsrassismus

Feindschaft gegen „Fremde“ und „Andere“

Wer heute beabsichtigt ein Buch zum Thema „Rassismus“ zu schreiben oder zu veröffentlichen, sollte sich im Klaren darüber sein, damit vermintes Gelände zu betreten. Galt es bisher – zumindest unter Demokraten – als ausgemachte Sache, rassistischen Einstellungen und Handlungen ohne Wenn und Aber die Rote Karte zu zeigen, so ist das strikte Zurückweisen jeglichen rassistischen Denkens und Handelns gegenwärtig komplizierter geworden. Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen oder Künstler*innen haben sich unter dem Vorzeichen der political correctness zuerst zu befragen – und gegebenenfalls dafür zu rechtfertigen –, ob es ihnen zusteht, zu diesem Thema zu sprechen oder zu schreiben. Dies gilt umso mehr, wenn sich weiße europäische Männer kritisch zum Rassismus äußern. Vorrangig – so scheint es – kommt es darauf an zu (er)klären, wer für wen spricht und ob man autorisiert ist, im Namen anderer zu sprechen.

Der renommierte Zeithistoriker und langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Wolfgang Benz, lässt sich von dieser Entwicklung nicht irritieren. In seinem Buch bezieht er ohne weitere Rechtfertigung in klassischer Weise Stellung: „Aufklärung (…) soll in diesem Band geleistet werden“, Aufklärung über „alltäglichen Rassismus“ durch „Informationen über dessen historische Wurzeln, seine aktuellen Erscheinungsformen, über Akteure und Schauplätze, ideologische Komponenten und strukturelle Voraussetzungen und emotionale Dispositionen.“ (S. 8)

Für sein Vorhaben hat der Autor sein Buch in acht Kapitel gegliedert. Sie folgen einer Betrachtung vom Allgemeinen zum Speziellen. Im ersten Kapitel thematisiert Benz „Ressentiments und Methoden der Ausgrenzung“, wobei er auf Vorurteile, Feindbilder, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rechtsextremismus, Populismus eingeht, sich auch für „Integration statt Ausgrenzung“ ausspricht. Das zweite Kapitel behandelt die „Historischen Dimensionen des Rassismus“ u. a. mit den Unterpunkten Kolonialismus, Rassenlehre des Nationalsozialismus, „Volkstumspolitik“ und Vertreibung. „Rassismus als Ideologie“ (III.) beinhaltet die Aspekte Rasse, Kulturrassismus, Islamfeindschaft, Antiziganismus, Antisemitismus, Antizionismus. In seinen Ausführungen zu „Theorie und Praxis des Rassismus“ erläutert Benz gängige Begriffe und Postulate, die frühere und aktuelle Diskussionen zum Rassismus bestimmt haben, darunter Abendland, Asyl, Ethnopluralismus, Leitkultur, Nation, Volkstum, Heimat. Die folgenden Kapitel wenden sich stärker aktuellen Erscheinungsformen rassistischen Handelns in Deutschland zu. So werden im fünften Kapitel Parolen und Phrasen rassistischer Propaganda („Ausländer raus!“, Asyltourismus, Überfremdung …) beschrieben, im sechsten Kapitel Gruppen, die Abwertung erfahren, benannt. Darunter fasst Benz u. a. neben Afro-Deutschen, Jenischen, „Juden“, Muslime, „Neger“, Sinti und Roma, auch „Kopftuchmädchen“ sowie den Islam und Islamismus. Kapitel VII thematisiert die Akteure des Rassismus und stellt deren Aktionsfelder dar. Der Autor geht neben rechtsextremem Organisationen, Pegida, der AfD, Identitären, dem „III. Weg“ und weiteren hier auch auf soziale Medien und „Rassismus im Fußballstadium“ ein. Im achten Kapitel behandelt Benz konkrete „Strukturen und Formen rassistischer Gewalt“. Hier werden die seit der deutschen Wiedervereinigung erfolgten überregional bekanntgewordenen rassistischen Übergriffe und Morde an „Fremden“ – Flüchtlingen, Asylbewerbern, Ausländern – wie auch die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zur Sprache gebracht.

In seinem Vorwort weist Benz darauf hin, dass er seine Veröffentlichung als ein „Kompendium“ (S. 8) verstanden wissen möchte. So – als ein kurzgefasstes Lehr- oder Handbuch, das einen schnellen Überblick zu Dimensionen, Erscheinungsformen und Hintergründen alltäglicher rassistischer Praktiken beschreibt und analysiert – ist es auch zu lesen und zu beurteilen. Es vermittelt – gerade auch denen, die sich nicht wissenschaftlich mit diesem Thema beschäftigen – fundierte Kenntnisse über die unterschiedlichen Akteure, ihre Motive und ihre ideologischen Ausrichtungen. Insofern kommt es dem erklärten Ziel, den „Blick für rassistische Vorurteile und Feindbilder“ zu schärfen und damit „alltäglichem Hass und (…) Gewalt“ entgegenzuwirken, eindeutig nach. Als nachbesserungswürdig – für weitere Auflagen, die das Buch verdient – sind allein Details zu nennen: Den Islam und den Islamismus unter „Gruppen“ zu subsumieren zeugt nicht von begrifflicher Sorgfalt, die Rede von „Flüchtlingswelle“ (S. 61) und „Flüchtlingsstrom“ (S. 72) ohne Anführungszeichen ebenso wenig. Einige der im Buch erwähnten oder zitierten Autor*innen sind in der Literaturliste nicht aufgeführt, in der – sehr ungewöhnlich – zuerst deren Vornamen genannt werden. Hinweise auf weiterführende Literatur zum Thema wäre wünschenswert.