Außerschulische Bildung 2/2021

Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST): Erinnern und Vergessen

Psychosoziale Arbeit mit Überlebenden der Shoah und ihren Nachkommen

Zu den Skandalen der jüngeren politischen Entwicklung in Deutschland gehört die Forderung nach „einer erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“. Die Verfechter*innen dieser Parole verherrlichen oder verharmlosen die Täter*innen, verhöhnen die Opfer der Shoah und aktueller antisemitischer Attentate und Morde. Sie wollen nicht an die zwölf Jahre NS-Herrschaft erinnert werden und glorifizieren die deutsche Geschichte davor und danach (mit Ausnahme der DDR-Geschichte). Diese Einstellung ist ihr politisches Programm.

Als Gegenmittel wird in Festtagsreden, Leitartikeln und Appellen an Bildung und Kultur immer wieder die ständige Erinnerung an die Shoah angemahnt, doch die „Erinnerungskultur“, auf die Deutsche so stolz sind, wirkt offenbar nicht mehr, sofern sie das überhaupt jemals getan hat. Wie sie wirkt und wirkte, wissen wir kaum, denn es fehlen empirische Studien zur Wirksamkeit von Erinnerungskultur, Gedenkstättenpädagogik oder einem die Shoah thematisierenden Schulunterricht. „Erinnern und Vergessen“ enthält Beschreibungen der Ergebnisse der offensichtlich fehlenden Wirksamkeit.

In Deutschland wurde das Leid der Opfer der Shoah nur oberflächlich anerkannt. Richard von Weizsäcker hat in seiner bahnbrechenden Rede vom 8. Mai 1985 zwar den 8. Mai 1945 mit Recht als „Tag der Befreiung“ bezeichnet, aber auch die Deutschen pauschal in die Reihe der Opfer eingereiht und die Verantwortung für Krieg und Shoah auf eine einzige Person projiziert. Abgesehen davon war die Shoah keine Kriegshandlung. Sie vollzog sich unabhängig vom Krieg, obwohl der Krieg sie beschleunigte.

23 Autor*innen bieten ein Panorama der Erscheinungsformen und Wirkungen von „Erinnern und Vergessen“ in deutschen und jüdischen Gemeinschaften nach 1945. Die Botschaft des Buches: Wir müssen das Verhältnis zwischen Opfern und Täter*innen neu definieren, wir müssen die Traumata und Retraumatisierungen durch die Shoah verstehen, für die Überlebenden und Zeitzeug*innen wie für deren Kinder und Enkel*innen. Niemand kann sich auf die „Gnade der späten Geburt“ berufen. „Die Shoah hat die Welt grundlegend verändert.“ (S. 28)