Außerschulische Bildung 2/2020

Statement Yael Ohana

„Was sind die wichtigsten Herausforderungen für die Europäische Jugendpolitik und was erwarten Sie von der Deutschen Ratspräsidentschaft?“

Die COVID-19-Pandemie zeigt, wie anfällig die europäische und internationale Jugendpolitik für unvorhergesehene Krisen ist und zugleich, welch großen Beitrag europäische Solidarität und interkulturelles Lernen in solchen Zeiten leisten kann.

Europäische Jugendpolitik und die EU-Jugendprogramme Erasmus+ JUGEND IN AKTION und das Europäische Solidaritätskorps sind durch die aktuelle Gesundheitskrise mehr oder weniger zum Stillstand gekommen. Die EU-Jugendprogramme basieren fast ausschließlich auf der Mobilität junger Menschen und der grundlegenden Annahme, dass europäische Solidarität, europäisches Bewusstsein und interkulturelles Lernen durch transnationale Begegnung und Austausch gefördert werden. Auch im Jugendbereich bemüht man sich daher aktuell, die digitalen Möglichkeiten der Begegnung auszunutzen und so viel wie möglich in den virtuellen Raum zu „verlagern“. Ironischerweise könnte so die lange erwartete digitale Transformation des europäischen Jugendarbeitsbereichs nun endlich den nötigen Schub bekommen, um wirklich Fahrt aufzunehmen.

Dennoch steht in Frage, ob Online-Erfahrungen bürgerliches und politisches Bewusstsein in gleicher Weise fördern, wie „reale“ Erfahrungen in der europäischen Jugendarbeit. Zugleich birgt das ehrenamtliche Engagement junger Menschen und ihre Bereitschaft zur Solidarität in Krisenzeiten ein noch ungeahntes Potenzial. Es gilt daher Wege zu finden, um dieses durch die EU-Jugendprogramme flexibel und wo nötig unbürokratisch zu fördern.

In dieser außergewöhnlichen Situation sehe ich zwei große Herausforderungen für die europäische Jugendpolitik und die EU-Jugendprogramme: Erstens besteht die Tendenz, in Aktionismus zu verfallen und alle Ressourcen und politische Aufmerksamkeit auf die Krise zu lenken, in der Hoffnung, so die Legitimation des Jugendarbeitsfeldes auch post-COVID zu sichern. Eigentlich jedoch sollte man sich mit Bedacht damit auseinandersetzen, was der konkrete und adäquate Beitrag von Jugendarbeit auch mittel- und langfristig auf diese epochale Krise sein kann und soll. Zweitens besteht durch die im Zusammenhang mit der Pandemie gefassten Maßnahmen eine reale Bedrohung für die Integrität europäischer Demokratien und damit für die künftigen politischen und sozialen Bedingungen junger Menschen. Die Einschränkungen freiheitlicher Grundrechte in der Europäischen Union zur Eindämmung von COVID könnten sehr leicht zur „neuen Normalität“ werden – nämlich dann, wenn Regierungen erkennen, dass sie nebenbei politische Macht und staatliche Autorität ausbauen können. Der schrumpfende Raum für die Zivilgesellschaft und die damit verbundenen Auswirkungen auf progressive Jugendbewegungen, die Zivilgesellschaft und Jugendarbeit sind eine reale und bestehende Gefahr in jeder Krise. Anti-demokratische Tendenzen, Nativismus und Rassismus, welche die Politik einiger Mitgliedstaaten der Europäischen Union schon vor der Pandemie zunehmend geprägt hatten, verstärken sich nun. Die Verantwortungsträger europäischer Jugendpolitik müssen daher darauf achten, dass COVID nicht als Vorwand dafür genommen wird, national-populistische Agenden voranzutreiben und politische Jugendarbeit weiter zu unterbinden. Europäische Jugendpolitik und Jugendprogramme können und sollten Rahmenbedingungen schaffen, damit europäische Solidarität verhandelt, definiert und als gemeinsames Projekt formuliert werden kann und damit junge Menschen und ältere Generationen die europäische Gesellschaft, in welcher sie jetzt und in Zukunft leben wollen, gemeinsam gestalten können. Aktives, kritisches bürgerschaftliches Engagement junger Menschen ist heute mehr denn je gefragt.