Außerschulische Bildung 2/2021

Wunderwelten – Welt der Wunden?

Wie gelingt politische Bildung mit Kindern?

Das Projekt „Wunderwelten – Welt der Wunden?“ der Jugendbildungsstätte Kaubstraße in Berlin wird im Rahmen des AdB-Modellprojekts „Demokratie-Profis in Ausbildung! Politische Bildung mit Kindern“ realisiert. Es sensibilisiert Kinder für globale Machtstrukturen und ermutigt sie, Handlungsoptionen für eine inklusive und sozial gerechte Welt zu entwickeln. Hierbei wird das Konzept des Globalen Lernens zur Grundlage genommen: Neben dem Aneignen von Wissen bekommt das Berührtwerden eine zentrale Bedeutung. von Izabela Zarębska

Komplexe Welt oder Pädagog*innen mit Komplexen

Die Welt ist komplex. Es ist viel zu schwierig, mit Kindern über politische Themen zu diskutieren. Sie verstehen es ja noch nicht. Sie sind viel zu klein. Sie schaffen nur das, was wir Erwachsene ihnen aufbereiten, ihnen vorkauen – wie eine weise Vogelmutter. Zwitscher Zwitscher. Wir wollen sie ja nicht überfordern. Globale Wirtschaft, Klimawandel, politische Bewegungen, Unterdrückungsmechanismen in all ihren Formen und Farben – all das ist doch kein Kinderkram. Für politische Bildung muss es erst eine gewisse Reife geben. Wann die erreicht ist? Wenn ich es sage. Und wer ist dieses Ich? Die halluzinierte, adultistische, etwas einfallslose Fassung eines erwachsenen Gebildeten, im Laden gab es nur noch die Version in Weiß, männlich, ü60, die Reihe ist nach Belieben fortzusetzen.

So oder so ähnlich hören sich auch phantasierte Monologe von einem Großteil der Bildungsinstitutionen und Verwaltungen an, die es gut meinen. Die richtige Dosierung für Grundschulkinder von überkomplexen Themen möchte wohl überlegt sein. Die Kernkompetenzen müssten erst ausgebildet werden, um sicherzustellen, dass sie befähigt würden, das politische Wissen auch richtig zu analysieren und zu kontextualisieren. Dabei können mittlerweile empirische Studien belegen: Kinder in Primarschulen weisen politische Kompetenzen und Fähigkeiten auf, die in Bildungseinheiten weiter ausgebaut werden können, um sie für Vorurteile zu sensibilisieren (vgl. Kolleck/Eller-Eberstein 2020).

Foto: Izabela Zarębska

Es ist gut, dass es Studien gibt, die das belegen, was mit ein wenig aktualisiertem Scharfsinn erkennbar ist: Kinder sind nicht zuletzt durch die mediale Revolution weniger von politischen Themen abgegrenzt, als es noch vor 30 Jahren der Fall war. Gesellschaftliche, lokale und globale Umwälzungen sind in den Lebenswelten der Kinder präsenter denn je. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie sich, wie alle anderen Menschen jedweden Alters auch (Überraschung!), zu der Außenwelt verhalten lernen müssen, sich selbst also mit der Welt ins Verhältnis setzen, um ein Selbstbild zu gestalten, immer wieder aufs Neue. Erwachsene hören einen Podcast oder lesen Nachrichten mit einer hektischen Lesedauerangabe, um politische Prozesse zu verstehen und sich selbst zu ihnen ins Verhältnis zu setzen. Wie schaffen sie es? Durch Erfahrung, die durch eine Abfolge von gelebten Ereignissen entsteht. Grundschulkinder hingegen hatten im Vergleich noch nicht viel Lebenszeit, um viele verschiedene Erfahrungen zu sammeln und diese wie Perlen auf den Faden ihrer entstehenden Identitäten einzuordnen. Informationen in einem Podcast oder in einem Zeitungsartikel sind blankes Wissen, doch die Kompetenz, diesem Wissen Bedeutung zu verleihen, muss erst erlernt werden.

Nicht die Welt ist also zu komplex für Grundschulkinder. Es ist eher zu befürchten, dass erwachsene Pädagog*innen Komplexe nach außen tragen, wenn sie postulieren, bestimmtes politisches Wissen stünde nur bestimmten Altersklassen zu. Den Grundschulkindern das Recht zu verwehren, in ihrer frühen Bildungsbiographie politische Themen einzuordnen und zu reflektieren, ist schier undemokratisch.

Dabei haben sich Ansätze der politischen Bildung mit Kindern in Deutschland seit längerem bewährt. Das Konzept des Globalen Lernens ist eines davon, welches für das Projekt der Jugendbildungsstätte Kaubstraße „Wunderwelten – Welt der Wunden?“ eine fruchtbare Grundlage bildet. Grundschulkinder, aber auch Schüler*innen anderer Schulen dürfen aufgrund der allgemeinen Schulpflicht nicht darüber bestimmen, wie sie zu ihren eigenen Bildungsprozessen gelangen, die sie nachhaltig für politische Prozesse sensibilisieren. Das Konzept des Globalen Lernens wirkt in dem Zwang- und Machtgefüge wie eine pädagogisch-konzeptionelle Insel, auf der neben der nüchternen Wissensaneignung auch plötzliches Berührtwerden möglich ist. Aladin El-Mafaalani schreibt zu der pädagogischen Berührung in seinem aktuellen Buch „Mythos Bildung“ folgendes: „Bildung hat also ganz zentral etwas mit Wissen und Wissensaneignung zu tun, aber auch mit Auseinandersetzung, mit dem Erkennen von Zusammenhängen, mit Urteilsvermögen, also dem Fällen eines begründeten Urteils, mit einer kritischen Distanznahme und damit natürlich auch mit Reflexion. Alles Fähigkeiten, die in einer Bildungsinstitution eingeübt werden (sollen). Es gibt jedoch ein substanzielles Element eines Bildungsprozesses, das in den Einrichtungen nicht immer gelingt: Das Berührt- und Bewegt-Werden.“ (El-Mafaalani 2020, S. 24)

Wie kann das also gelingen? Wie kann Globales Lernen nutzbar gemacht werden, um vor allem für Grundschüler*innen ganze Wunderwelten erfahrbar zu machen? Wieso ist das Berührtwerden so elementar für erfolgreiche Bildungsprozesse? Und steht der Anspruch auf inneres Bewegtsein in Konkurrenz zur Faktenvermittlung? Fakt ist definitiv, dass Schüler*innen der Primarstufe genauso von politischen Entscheidungen betroffen sind, wie andere Bevölkerungsgruppen in der Gesellschaft auch. Daher haben auch sie einen Anspruch auf politische Bildung.

Globales Lernen – Mehr als methodische Globuli

Ein Lernen, das sowohl alle Sinne ansprechen wie auch die allumfassenden Entwicklungen des Erdplaneten thematisieren soll, hört sich erstmal ein wenig größenwahnsinnig an – oder eben global. Globales Lernen ist ein Sammelbegriff für zahlreiche pädagogische Ansätze, die auf soziale Gerechtigkeit und die weltweite Durchsetzung politischer, sozialer und ökonomischer Menschenrechte fokussiert. Es gibt keine eindeutige Definition des Konzeptes, und das ist auch gut so, denn eine Definition würde den Facettenreichtum wie eine zu enge Leggings um die pädagogische Seele einengen. Insbesondere die Perspektive von marginalisierten Menschen aus dem Globalen Süden ist zentral für Bildungsansätze des Globalen Lernens. Das Wechselverhältnis zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden wird dabei thematisiert und Aspekte wie Machtgefälle und Diskriminierung beleuchtet. Die Menschen als Weltbürger*innen werden als Handelnde verstanden. Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Ältere – die Altersunterscheidung spielt lediglich bei der didaktischen Aufbereitung der zu vermittelnden Inhalte eine Rolle, nicht jedoch als Grenzsetzung, ob Inhalte überhaupt vermittelt werden. Die Weltgesellschaft, darunter auch Grundschulkinder, werden als Akteur*innen befähigt, Herausforderungen der globalisierten, vernetzten, unübersichtlichen und komplexen Lebensrealität mit neu erworbenen Kompetenzen zu begegnen. Dabei wird den Themen Diversität und Rassismus eine bedeutende Rolle zugeordnet.

Globales Lernen ist ein Sammelbegriff für zahlreiche pädagogische Ansätze, die auf soziale Gerechtigkeit und die weltweite Durchsetzung politischer, sozialer und ökonomischer Menschenrechte fokussiert.

Nach Neda Forghani ist „der Ausgangspunkt des Globalen Lernens die Erkenntnis der Notwendigkeit einer Entwicklung im menschlichen Bewusstsein hinsichtlich globalverträglicher und globalverantwortlicher Denkstrukturen, Wertvorstellungen und Lernformen. Es wird davon ausgegangen, dass die herkömmliche Erziehung und Bildung nicht in der Lage ist, die heranwachsende Generation mit den notwendigen Kenntnissen, Fähigkeiten und Einsichten auszustatten, um den globalisierten Herausforderungen entgegenzutreten. (…) Globales Lernen versteht sich als die pädagogische Antwort auf die Erfordernisse einer nachhaltigen Entwicklung der Weltgesellschaft, als die notwendige Transformation pädagogischen Denkens und Handelns im Kontext einer sich globalisierenden Gesellschaft.“ (Forghani o. J.)

Forghani bietet uns das Stichwort der Stunde: Transformation. Dabei können wir an Cyborg-ähnliche, futuristische Gestalten denken. Oder eben an transformatives Lernen, welches vor allem eine Prozessperspektive aufzeigt statt Inhalt oder Lernergebnis, das am Ende zu verzeichnen wäre. Solch eine Perspektive gehört grundsätzlich zu den zahlreichen Facetten des Globalen Lernens. Hier haben politische Bildner*innen endlich die Möglichkeit, Zeit als große Mitspielerin ihrer Bildungserfolge zu nutzen. Denn Prozesse der Anerkennung von Wandel und Irritation haben einen längeren Atem als bloße Faktenakkumulation.

Stephen Sterling beschreibt transformatives Lernen als ein Lernen vom Wandel, welches das Potenzial birgt, „eine andere ethische Verantwortlichkeit und Sensibilität für die Fragen der Beziehungen des Menschen zu sich selbst, anderen Menschen und zur natürlichen Mitwelt zu entwickeln“ (Sterling 2010). Dazu entwickelte Jack Mezirow ein zehnstufiges Schema (vgl. Fett 2017), welches aufzeigen kann, wie ein Transformationsprozess in einer Bildungsveranstaltung des Globalen Lernens (aber nicht nur) verlaufen kann. Die Stufen sind teilweise austauschbar oder treten nicht immer in derselben Reihenfolge auf. Das ist nicht weiter relevant, denn es wird, egal in welchem Tanzschritt, die innere Bewegung der Pädagogik aufgezeigt (vgl. Abbildung).

Zehnstufiges Schema des transformativen Lernens von Jack Mezirow (vgl. Fett 2017)

Transformative Prozesse im Globalen Lernen ermöglichen also der Gemeinschaft der Lernenden zu verstehen, welche Grundannahmen keine allgemeingültige Begründung haben, und ermöglichen, dem Wandel in der Perspektive mit Zeit und Zuversicht zu begegnen – Zuversicht, dass all die Gefühle der Abwehr, Orientierungslosigkeit und der neuen Zuversicht Raum finden. Globales Lernen ermöglicht dies, im besten Fall, mit kreativen, Erfahrung bringenden Methoden, die von Simulationsspielen über Zeitreisen bis hin zu eigenverantwortlich gestalteten Schüler*innenläden reichen. Die Doppelsemantik des Globalen Begriffs beim Globalen Lernen verhält sich wie eine Matrjoschka: Die Puppen stehen für globale Perspektiven, welche in sich weitere Globale Prozesse beherbergen, die in Wechselwirkung zueinanderstehen. Und gleichzeitig ist das Ineinander-Verschachtelt-Sein und das Auseinandernehmen der verschiedenen Puppen ein kreativer, ja global verspielter Ansatz, der für jede Überraschung gut ist, denn niemand weiß, welche Matrjoschka mit welcher Bemalung als nächstes in Erscheinung tritt.

Im Konzept des Globalen Lernens werden die Kompetenzbereiche Erkennen, Bewerten, Handeln gefördert. In diesen werden folgende Ziele (vgl. EPIZ 2015, S. 2) verfolgt:

  • globale Zusammenhänge wahrnehmen, vernetztes Denken fördern
  • Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven heraus betrachten, bewerten und Empathie fördern
  • historische Dimensionen von globaler Ungleichheit thematisieren, Zusammenhänge insbesondere zwischen kolonialer Geschichte und Gegenwart herstellen
  • Wertschätzung von unterschiedlichen Identitäten fördern und für Diskriminierung sensibilisieren
  • Macht und Machtstrukturen sowie die eigene Position darin kritisch reflektieren und Stellung beziehen
  • eigenes Handeln auf globale Auswirkungen überprüfen
  • Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösung entwickeln
  • zur Beteiligung an der Entwicklung einer zukunftsfähigen Gesellschaft anregen

Die Jugendbildungsstätte Kaubstraße arbeitet bereits seit vielen Jahren im Bereich des Globalen Lernens und nimmt in verschiedenen Projekten einzelne oder mehrere dieser Ziele ins Visier. Dabei erstrecken sich unsere Bildungserfahrungen von Primarschulen bis zu jungen Erwachsenen, mit denen wir einwöchige Seminarwochen zu spezifischen Themen des Globalen Lernens durchführen. Unser Ausgangspunkt ist, stets die Lebensrealität der Teilnehmenden ernst zu nehmen und möglichst niedrigschwellige thematische Zugänge zu schaffen. Doch das heimliche und heilige Ziel ist es, die Teilnehmenden zu bewegen, zu irritieren und ihre Denkstrukturen wie auch festgefahrene Positionen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Denn nur so schaffen wir es, junge Menschen zu ermutigen und zu befähigen, ihre Meinungen, Positionen und Rollen in der Gesellschaft im Sinne des Menschenrechtsvertrags zu stärken. Dabei spielen selbstverständlich Professionalisierungsansprüche an uns Bildungsreferent*innen eine entscheidende Rolle. Denn ohne Aktualisierung unserer mentalen Infrastrukturen können wir wenig ehrlichen Erfolg in unseren Seminaren und Workshops erwarten. Um solche Veranstaltungen voller globaler Widersprüche ausbalancieren zu können, bedarf es Folgendes: Wissen darum, in welchen Verhältnissen wir leben, von welchen Widersprüchen diese Verhältnisse geprägt sind und aufgrund welcher historischen Bedingungen und gegenwärtigen Strukturen diese zu verstehen sind. Entscheidend ist also die Einbettung der Faktenlage in einen globalen Kontext und gleichzeitig die Befreiung der deutschen Bildung von ihrer nationalstaatlichen Orientierung und Überführung in die Sphäre der Trans- oder Postnationalität (vgl. Karakaşoğlu/Mecheril 2019, S. 32). Das klingt womöglich wie ein aktionistisches Pamphlet aus einem übersteuerten Megaphon, ist aber gleichzeitig die pädagogische Antwort vieler kritischer Erziehungswissenschaftler*innen auf die Fragen, wie Pädagogik in der Migrationsgesellschaft umgesetzt werden kann und globale Prozesse in ihrer Vernetztheit in Bildungsveranstaltungen Eingang finden können.

Projekt Wunderwelten – Welt der Wunden?

Als die Jugendbildungsstätte Kaubstraße das Projekt Wunderwelten – Welt der Wunden? konzipierte, waren zumindest zwei Gedanken leitend, nämlich die von Partizipation und Nachhaltigkeit. Dies könnten an dieser Stelle Worthülsen sein, tausendmal benutzt als Dekoration, wie Plastikblumen für die schöne Illusion. Doch schnell waren wir uns einig, im Projekt Wunderwelten eine authentische Form der Bildungsbegegnung für Grundschüler*innen zu schaffen. Das bedeutete gleichzeitig, Teilnehmende in ihren Lebenswelten zu respektieren und mit ihnen gemeinsam nach ihren Themenschwerpunkten zu fischen. Aber alles der Reihe nach.

Es gibt eine Therapie- und Coachingtechnik, die nennt sich: Die Wunderfrage. Diese Technik wurde entwickelt von Steve de Shazer, amerikanischer Psychotherapeut und Autor (1940–2005). Sie eignet sich hervorragend, wenn man aus einem negativen Gedankenkarussell aussteigen möchte. Dafür ist es notwendig, an eben das Problem zu denken, dessen Lösung man anstrebt. Die Wunderfrage lautet in etwa so: Stell Dir vor, heute Nacht, während du schläfst, geschieht ein Wunder, und das Problem, das Dich gerade beschäftigt, ist verschwunden. Woran würdest Du das merken? Die Wunderfrage lenkt also den Fokus auf die Lösung des Problems und zusätzlich auf die Auswirkung der Lösung. Das eigentliche „Wunder“ an der Wunderfrage ist, mit dem Gedankenexperiment die Grenzen der eigenen Vorstellungskraft zu sprengen und somit mutiger und kreativer an der Lösung des Problems zu arbeiten. In unserem Projekt Wunderwelten arbeiten wir von Anfang an mit der Zielsetzung, unsere ganze Vorstellungskraft zu nutzen, um für ausgewählte Problemfelder unserer globalisierten Welt Gegenentwürfe zu skizzieren. Irgendwann stellen wir die „Wunderfrage“, in Form einer Fee, die vorbeikommt und alles Schlechte wegzaubert. Die Frage, die bleibt, ist dann immer noch: Wie geht es dir am Morgen? Was hat sich geändert? Woran merkst du die Veränderung?

Das eigentliche „Wunder“ an der Wunderfrage ist, mit dem Gedankenexperiment die Grenzen der eigenen Vorstellungskraft zu sprengen und somit mutiger und kreativer an der Lösung des Problems zu arbeiten.

Wunderwelt – Welt der Wunden? zielt darauf ab, Grundschulkindern einen Perspektivwechsel zu ermöglichen und sie als aktiven und politischen Teil der EINEN Welt zu empowern. Denn so viel steht fest: Die Realität der Kinder im Grundschulalter in Berlin ist geprägt von globalen Einflüssen. Die meisten Produkte des Alltags, ob Jeanshose, Sneakers, Smartphone, Banane oder Schokolade haben einen weiten Weg hinter sich, bis sie in Deutschland über die Ladentheke gehen. Aber auch die Musik, die wir hören, Serien, die wir gucken, die Klimademos, auf die wir gehen oder Freund*innenschaften, die mit Kindern mit und ohne Fluchtgeschichte geschlossen werden, erzählen eine globale Geschichte.

Foto: Izabela Zarębska

Die Schüler*innen werden für globale Machtstrukturen sensibilisiert und ermutigt, Handlungsoptionen für eine inklusive und sozial gerechte Welt eigenverantwortlich und demokratisch zu entwickeln. Daher auch der Titel des Projekts: Wir möchten mit den Teilnehmenden über den eigenen Tellerrand hinausschauen und mit vielfältigen Erfahrung bringenden Methoden einerseits „Wunder“ der Welt betrachten, wie solidarische Wirtschaftsstrukturen, Best-Practice-Beispiele von Zivilcourage und kreative Lösungsansätze für komplexe Problemlagen. Andererseits schauen wir uns die „Wunden“ an: Wie steht es um die Menschen – und/oder Kinderrechte bei der Herstellung unserer Konsumgüter? Wer genießt welche Privilegien in der Gesellschafft und wer wird diskriminiert?

Wunderwelt – Welt der Wunden? zielt darauf ab, Grundschulkindern einen Perspektivwechsel zu ermöglichen und sie als aktiven und politischen Teil der EINEN Welt zu empowern.

Das Projekt ist in vier Phasen gegliedert. In der ersten Phase werden vorhandene Wissensbestände geprüft und durch ein Globalisierungs-Quiz geschärft. Die gemeinsame Arbeitsgrundlage und die Abgrenzung der Begrifflichkeiten voneinander haben hier Priorität. Die Teilnehmenden arbeiten in Kleingruppen mit Rechercheaufgaben und Diskussionsmethoden. Es entsteht ein Begriffs-Alphabet zu globalen Themen, die die Teilnehmenden eigenständig entwickeln. In der nächsten Phase entwickeln die Grundschüler*innen ein Glossar aus dem Begriffsalphabet und setzen ihr Wissen in einen globalen Kontext. Dabei entstehen unverhoffte, kreative und doch plausible Erklärungen für Begriffe, die sonst als zu komplex galten. Und schon wieder ein Wunder: Die Kinder erhalten ihre Sprache als Instrument für alles Sagbare zurück, indem sie, nochmals Überraschung, einfach ihre eigene Sprache nutzen können.

Hier folgen einige Beispiele aus dem Glossar:

Alkohol: Betrunken werden, Erwachsene werden betrunken und dann kann es schlimm werden, weil manchmal, wenn man zu viel Alkohol trinkt, dann kann irgendwas Schlimmes passieren.

Computer: Beim Computer gibt es so eine Platte, die wurde nicht umweltfreundlich hergestellt und die, die es machen, kriegen nicht so viel Geld dafür.

Cybermobbing: Beleidigungen übers Internet und Chat und dann kann man sich nicht wehren, dann ist man schwach.

Kapitalismus: Manche Menschen verdienen immer mehr und werden immer immer reicher. Und manche Menschen arbeiten viel aber werden immer ärmer. Das ist ungerecht.

Krieg: Beim Krieg ist es so, dass Kinder das Recht haben auf Freiheit, sie müssen fliehen wegen Krieg und dann werden sie nicht so freundlich in anderen Ländern aufgenommen. Im Krieg sterben ganz viele Menschen und alle Lebewesen unnötig. Sie sind doch unschuldig.

Plastik: Plastik ist Umweltverschmutzung, ist Dreck. Papier verrottet, aber Plastik nur ganz ganz langsam. Und wenn Fische das essen, dann fangen die Menschen sie und essen Plastik mit.

In der zweiten Phase suchen sich die Kinder einen Begriff aus und malen Bilder dazu. Diese Bilder nennen wir Kunstwerke von Heute. Daraufhin folgen Bildbesprechungen, Diskussionen, Analysen und Kontextualisierungen in globale Machtverhältnisse und historischen Perspektiven. In der folgenden Phase werden die Teilnehmenden mittels einer Traumreise und anderen Phantasie anregenden Methoden mit der „Wunderfrage“ konfrontiert. – Wie würde ihre Welt, die sie im Kunstwerk von Heute zeigen, nach dem sanften Stups der Wunderfee aussehen? Nun sind die Kinder eingeladen, mit all ihrer Phantasie Visionen einer sozial, umwelt, politisch und wirtschaftlich gerechten Welt zu entwickeln. Auch diese „Traumbilder“ werden besprochen und im wahrsten Sinne bewundert. Die letzte Phase des Projekts findet im Nachklang statt. Wir planen, ein Buch zu veröffentlichen mit den Realitätsbildern, Traumbildern und dem selbstgeschriebenen Glossar der Teilnehmenden. In Zusammenarbeit mit einer professionellen Illustratorin möchte das Buch als Spiegel und Sprachrohr der Kinder und ihrer Wissensbestände zu globalen Prozessen der einen Weltgemeinschaft fungieren. Es ist im besten Sinne ein empowernder Prozess, in dem Kinder sich von Vorurteilen befreien können, dass sie als Kinder eh nicht so viel verstehen und schon gar nichts zu sagen haben. Sie können die eigenen Stärken wahrnehmen und eben Gegenerfahrungen in vorurteilsbewussten Räumen machen. Nach der Erstellung des Buches erhalten alle Mitwirkenden mindestens ein Buchexemplar, welches auch gleichzeitig symbolisch für die erworbene Handlungskompetenz ganz im Sinne des Globalen Lernens steht.

Die Schüler*innen werden für globale Machtstrukturen sensibilisiert und ermutigt, Handlungsoptionen für eine inklusive und sozial gerechte Welt eigenverantwortlich und demokratisch zu entwickeln.

Perspektive – inclusive

Nun möchte ich an dieser Stelle die Wunderfrage stellen. Welches Problem liegt vor? Die oftmals eindimensionale Bildungsidee in Deutschland, welche wenig differenziert, sowohl in den inneren als auch in den äußeren Strukturen. Wenn ich aufwache, dann ist ein Wunder passiert: Kinder und Jugendliche gehen gern zur Schule. Und weil sie das tun, gehen sie freiwillig, denn es gibt keinen Schulzwang. Den braucht es nicht, weil das pädagogische Personal, das immer in Teams arbeitet – denn es weiß sehr wohl um die individuelle Begrenztheit – anregend, bewegend, theoretisch und praktisch, teilnehmendenorientiert und kreativ, authentisch und fehlerfreundlich, vorurteilsbewusst und machtkritisch ihre Bildungsveranstaltungen durchführt. Das Gleiche gilt für außerschulische Bildungsreferent*innen. Kinder werden ermutigt, selbständig teilzuhaben, Ideen für sozial gerechtere Zukünfte zu entwickeln, die respektiert und weitergetragen werden. Im weiteren Coaching könnte man sich nun den Fragen widmen, die aus den Bedürfnissen heraus formuliert werden: Wie schaffen wir es, dass Kinder lernbegeistert bleiben? Wie ermöglichen wir es, eigene didaktische und methodische Unsicherheiten nicht in einem Ausschluss von ganzen Themen münden zu lassen? Welche Professionalisierungsansätze braucht es, um pädagogischen Fachkräften zu vermitteln, dass in heutigen politischen Bildungsveranstaltungen Widersprüche dazu gehören und sogar die Regel sind und dass es nun darum geht, sich im Rahmen der Widersprüche so zu verhalten, dass es zu guten Lernprozessen kommt?

„Es geht darum, sich zu fragen, wo das (Grund)Schulkind steht, wo die pädagogische Fachkraft oder die Lehrkraft steht, wie sich die Distanz zum Kind überwinden lässt, wer oder was dabei im Wege stehen könnte sowie wo die Reise überhaupt hingehen soll.“ (El-Maafalani 2020, S. 223)

Zur Autorin

Izabela Zarębska, M. A. Pädagogin, Bildungsreferentin der außerschulischen politischen Jugendbildung. Ihre Schwerpunkte: Machtkritische Bildungsarbeit, Globales Lernen, Diversity und Feminismus.
izabela.zarebska@kaubstrasse.de

Literatur

El-Mafaalani, Aladin (2020): Mythos Bildung. Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft. Köln: Kiepenheuer & Witsch
EPIZ e. V. Zentrum für Globales Lernen (Hrsg.) (2015): G+ Sozialwesen – Mehr Globales Lernen für Erzieher*innen; www.epiz-berlin.de/wp-content/uploads/EPZ_BRO_Sozialwesen_W.pdf (Zugriff: 07.02.2021)
Fett, Othmar (2017): Lost in Transformation – Transformatives Lernen im Übergang. In: Forschung, Lehre & Wissenschaft, 5/2017, S. 55–59; www.dachverband-salutogenese.de/cms/fileadmin/user_upload/Mensch54/11_DM_54_Forschung-Lehre-Wissenschaft_Fett.pdf (Zugriff: 21.01.2021)
Forghani, Neda (o. J.): Was ist Globales Lernen? … und was ist es nicht?!; www.globaleslernen.de/sites/default/files/files/link-elements/Forghani%20GL.pdf (Zugriff: 26.02.2021)
Karakaşoğlu, Yasemin/Mecheril, Paul (2019): Pädagogik neu denken! Die Migrationsgesellschaft und ihre Lehrer_innen. Weinheim: Beltz
Kolleck, Nina/Eller-Eberstein, Maximilian von (2020): Für Demokratie zu jung? www.fes.de/themenportal-bildung-arbeit-digitalisierung/bildung/artikelseite-bildungsblog/fuer-demokratie-zu-jung (Zugriff: 02.03.2021)
Sterling, Stephen (2010): Learning for resilience, or the resilient learner? Towards a necessary reconciliation in a paradigm of sustainable education. In: Environmental Education Research 16 (2010), pp. 511–528

Informationen, Links und Hinweise zur politischen Bildung mit Kindern

Die Website zum AdB-Modellprojekt „Demokratie-Profis in Ausbildung! Politische Bildung mit Kindern“ bietet Informationen zum und Erkenntnisse aus dem Projektvorhaben, den beteiligten Pilotstandorten sowie zu Veranstaltungen und interessanten Publikationen. Im Zentrum des Projekts stehen Formate der politischen Bildung mit Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren mit dem Ziel, politische Themen für Kinder altersgerecht erfahrbar und zum Bildungsgegenstand zu machen. Die Website richtet sich an politische Bildner*innen, Lehrer*innen, Erzieher*innen und weitere in der Kinder- und Jugendhilfe Tätige sowie an alle, die sich im Feld der politischen Bildung mit Kindern engagieren und/oder weiterbilden möchten.

Kuppelkucker.de ist ein Kinderportal des Deutschen Bundestages. Es richtet sich an Kinder zwischen 5 und 11 Jahren und bietet Informationen über die parlamentarische Arbeit, das demokratische System und das Reichstagsgebäude sowie aktuelle Nachrichten aus dem Bundestag.

Die Seiten des Kinder-Ministeriums, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) verantwortet, soll die Themen und die Projekte des Ministeriums für die Jüngsten der Gesellschaft verständlich erklären. Damit wird ein Beitrag dafür geleistet, dass Kinder von ihrem Grundrecht auf politische Mitbestimmung Gebrauch machen können. Es werden alle Fragen rund um Kinderrechte thematisiert, aber auch die Themen Teilhabe, Rassismus, Vielfalt und Familie werden mit Ton und Text aufgegriffen.

HanisauLand ist ein sich stetig erweiternder Webcomic der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. Er richtet sich an Kinder, die neugierig auf Politik und politische Zusammenhänge sind. Sie können zusammen mit Hasen, Nilpferden und Wildsauen eine fiktive Welt – HanisauLand – aufbauen und dabei viele Abenteuer erleben. In einem Lexikon werden Begriffe erläutert und auf weiteren Seiten werden Film- und Buchtipps gegeben. Dabei wird besonders auf die (Daten-)Sicherheit der jungen Surfer*innen geachtet.

Auf den Seiten Philosophieren mit Kindern werden von dem Fachbereich „Psychologie und Bewegungswissenschaft“ an der Universität Hamburg Hintergrundinformationen zum Philosophieren mit Kindern gegeben – Was ist das? Woher kommt das? Wozu ist das gut? Es werden Projekte vorgestellt sowie vielfältige Dokumente und Materialien geteilt.

Die von UNICEF ins Leben gerufene Child Friendly Cities Initiative (https://childfriendlycities.org) bildet einen Rahmen dafür, Kommunen kinderfreundlicher zu gestalten. Um die internationale Initiative auch in Deutschland aufzubauen, haben UNICEF Deutschland und das Deutsche Kinderhilfswerk im Februar 2012 den Verein Kinderfreundliche Kommunen e. V. gegründet. Das gleichnamige Vorhaben gibt Kindern in den betreffenden Kommunen die Gelegenheit, die Entwicklung ihres Lebensumfeldes mitzugestalten und die Kommunen dazu anzuhalten, Kinderrechte bei allen wichtigen Entscheidungen zu berücksichtigen, denn Kindheit findet dort statt, wo Kinder zu Hause sind. Städte und Gemeinden sind somit Schlüsselpartner bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Der Verein unterstützt die Kommunen und zeichnet die Bemühungen einer Kommune zur Umsetzung der UN-Kinderrechte mit dem Siegel „Kinderfreundliche Kommune“ aus.

www.kinderfreundliche-kommunen.de/deutsch/startseitehttp://www.kinderfreundliche-kommunen.de/deutsch/startseite

KidsCourage ist ein kostenloses Angebot der außerschulischen Jugendbildung im Netzwerk für Demokratie und Courage und wird getragen von SJD-Die Falken, Landesverband Berlin. KidsCourage setzt sich für die Bekanntmachung und Umsetzung der Kinderrechte ein. Als grundlegend für die Umsetzung der Kinderrechte wird das Recht auf die Gleichbehandlung aller Kinder erachtet. Das Ziel ist es, verschiedene Formen von Diskriminierung, deren Funktion und deren Konsequenzen schon in der Grundschule zu benennen, um ihre Abschaffung zu erreichen. Die Initiative lebt vom ehrenamtlichen Engagement der Mitglieder und Teamer*innen der Sozialistischen Jugend – Die Falken Berlin.

www.kidscourage.de

Weitere spannende Projekte der politischen Bildung mit Kindern: