Außerschulische Bildung 4/2021

Die geforderte politische Bildung

Einige Schlussfolgerungen aus den aktuellen Debatten um Sprache, Sichtbarkeit und strukturellen Rassismus

Angesichts aktueller gesellschaftlicher Debatten wird in diesem Beitrag der Blick auf drei Themen gelenkt, die eine besondere Relevanz für die politische Bildung haben bzw. bereits von den Akteuren politischer Bildung diskutiert werden: die Verwendung von Sprache, gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse, insbesondere bezogen auf Rassismus und Geschlechterverhältnisse, sowie die Auswirkungen der Debatten auf das Selbstverständnis der politischen Bildung. Welche Rolle soll politische Bildung bei der Gestaltung unserer Gesellschaft spielen? von Thomas Gill

Die Debatten darüber, wer wie über wen sprechen darf, wer sprachlich unsichtbar gemacht wird und wer das Recht hat, andere (neue) Regeln des über- und miteinander Sprechens zu setzen, haben die akademische Szene in Deutschland voll erfasst. „Im Vordergrund von Political Correctness steht die Berücksichtigung, Anerkennung und Gleichberechtigung gesellschaftlicher Minderheiten und Benachteiligter auch in der Sprache“, so Nina Degele in ihrer Studie zu Political Correctness (Degele 2020, S. 15). Und die Journalistin Kübra Gümüsay formuliert: „Menschen so zu bezeichnen, wie sie bezeichnet werden wollen, ist keine Frage von Höflichkeit, auch kein Symbol politischer Korrektheit oder einer progressiven Haltung – es ist einfach eine Frage des menschlichen Anstands. Ich verzichte darauf, andere trotz ihres Widerspruchs anders zu benennen, als sie es wünschen. Ich verzichte darauf, ihre Perspektive zu unterdrücken, der ich stattdessen Raum gebe.“ (Gümüsay 2020, S. 49) So gesehen ist kaum nachzuvollziehen, warum die Debatten so zu Aufregung und gegenseitigen Anschuldigungen führen, warum zum Beispiel von „Cancel Culture“ die Rede ist und sich 2020 ein „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ gegründet hat. Es ändern sich die sprachlichen Konventionen und die Etikette, so wie sie es schon immer getan haben. Wer wissen will, was sich verändert hat, schaut im aktuellen Duden nach. Wo liegt das Problem und inwiefern wird das Thema für die politische Bildung relevant?

Die Frage liegt nah, was im Hintergrund dieser Debatten steht. Kübra Gümüsay gibt einen Hinweis darauf, wenn sie schreibt: „Und so werden alte weiße Männer – vielleicht zum ersten Mal überhaupt – einem pauschalisierenden Typus zugeordnet: privilegiert, seine Privilegien nicht hinterfragend, feministische und antirassistische Positionen ablehnend.“ (Ebd., S. 49) Die, die es gewohnt waren, nie benannt zu werden, weil sie die Norm(alität) repräsentiert haben, sind plötzlich nur eine mögliche Variante der menschlichen Vielfalt – und vielleicht noch nicht mal die Erstrebenswerte. Ein Angriff auf das eigene Selbstverständnis und die (noch) bestehenden Privilegien.

Die geforderte Mitte