Außerschulische Bildung 3/2022

Tobias Müller: Die Wurzeln des Populismus

Eine Ideengeschichte in den USA des 19. Jahrhunderts

„Populismus“ ist heutzutage ein politischer Kampfbegriff, der, ähnlich dem Vorwurf des „Neoliberalismus“, recht vage definiert ist und als Totschlagargument gegen eine breitere Auswahl politischer Gegner eingesetzt werden kann. Historische Aufklärung kann da zur Verbesserung der Debattenkultur beitragen. „Neoliberalismus“ wird heute gegen jede Form von Liberalisierung gerichtet, während die historischen „Neoliberalen“ die Soziale Marktwirtschaft erfanden. Populisten sind heute eigentlich nur anti-elitäre Rechte, aber in Wirklichkeit waren sie ursprünglich einmal eine klar definierte progressive Bewegung in den USA des späten 19. Jahrhunderts.

Und genau hierhin entführt uns das überaus detailreiche und informative Buch „Die Wurzeln des Populismus“ des Politikwissenschaftlers Tobias Müller. Zum Hintergrund: Im Jahre 1891 formierte sich die meist als Populist Party bekannte People’s Party, die bei den Präsdientenwahlen im Jahr darauf über eine Millionen Stimmen und vier Staaten für sich gewinnen konnte und auf dem Wege zu sein schien, die dritte Partei im Lande zu werden.

Die Wählerbasis lag bei tendenziell verarmenden Farmern im mittleren Westen, die die Verlierer des amerikanischen Industrialisierungsprozesses nach dem Bürgerkrieg (von Mark Twain als „Gilded Age“ bezeichnet) waren. Man sah in der Erstarrung eines hierarchisierten Zweiparteiensystems, im beschränkten Wahlrecht, im Monopolismus und der staatlichen Privilegierung von großen Unternehmen (z. B. Eisenbahnen), im Landbesitz, im Goldstandard u. v. a. die tieferen Ursachen dafür, dass trotz Wachstums, die Armen ärmer, die Reichen reicher wurden (S. 223).

Dies machte ein in ihren Augen umfassendes Reformprogramm nötig, das verkrustete (Elite-)Strukturen aufbrach. Neben dem Anliegen, den heutigen amerikanischen „Populismus“ à la Trump vom historischen Populismus zu unterscheiden, der ja im Prinzip gegen fast alles kämpfte, wofür Trump steht, geht es Müller vor allem aber um die historische und politisch-philosophische Einordnung des Populismus in die amerikanische politische Tradition. Diese Analyse geht faktenreich in die Tiefe und setzt bei den Leser*innen sicher einiges Vorwissen voraus. Eine Anfängerlektüre ist der hochwissenschaftliche Text gewiss nicht, aber eine lohnende Lektüre.