Empowerment als Schnittstelle zwischen politischer Bildung und Suchtprävention
Transformation durch Erfahrung: Ein Verständnis politischer Bildung
Politische Bildung verstehen wir als einen Transformationsprozess, in dessen Verlauf sich (vor allem von Diskriminierung betroffene) Subjekte handlungswirksam erfahren können. Politische Bildung eröffnet (soziale) Räume, in denen sich Menschen mit gesellschaftlichen Phänomenen beschäftigen und Wechselwirkungen zwischen ihrem individuellen Wirken und struktureller Involviertheit reflektieren können.
Bildung verstehen wir dabei mit Hans-Christoph Koller gesprochen, als „einen Prozess der Erfahrung“, in welchem politischen Bildner*innen die Aufgabe zukommt, jene (sozialen) Räume zu schaffen, zu halten und zu gestalten, die den Teilnehmenden die Möglichkeit geben, sich in ihrer Lebensrealität zu zeigen. Räume, die es ihnen ermöglichen an jenen Transformationsprozessen teilzuhaben, welche „nicht nur das Denken, sondern das gesamte Verhältnis des Subjekts zu Welt, zu anderen und sich selber“ verändern (Koller 2012, S. 9). Diese Erfahrungen können grundsätzlich in den unterschiedlichsten Settings gemacht werden, wobei wir uns hier auf ein non-formales und außerschulisches Setting konzentrieren.
Politisch wird Bildung unserer Auffassung nach (spätestens) dann, wenn ein expliziter und/oder impliziter Bezug zu strukturellen Ungleichheitsverhältnissen vorliegt: wenn jener „Prozess der Erfahrung“ transformativen Anspruch erhebt, also beispielsweise Machtmechanismen entlarven und Widerstandspotenziale diskriminierter Subjekte verstärken möchte, z. B. indem eine gemeinsame (Bild-)Sprache entwickelt wird, um die eigenen und geteilten Lebensrealitäten sichtbar zu machen.
Um eine selbstwirksame und emanzipatorische Reflexion der komplexen Selbst-Weltverhältnisse zu ermöglichen, sollte politische Bildung unseres Erachtens nach stets eine differenzsensible Grundhaltung und einen diskriminierungskritischen Grundansatz verfolgen. Beide Vorzeichen sind durchaus als Querschnittsaufgabe zu verstehen, deren Bewältigung sich durch die verschiedenen Elemente der formalen wie non-formalen Kette politischer Bildung zieht. Und somit auch vor disziplinären Grenzen (beispielsweise zwischen politischer und kultureller Bildung oder Prävention) und den entsprechenden Trägerstrukturen nicht Halt machen sollte.
Sucht und Diskriminierung: Verhältnisprävention politisch gedacht
In der modernen Suchtprävention, deren grundsätzliches Ziel in der Förderung von Gesundheit besteht, wird mit dem Ziel einer differenzierten Benennung von Faktoren zwischen zwei Ansätzen unterschieden: Verhaltens- und Verhältnisprävention. Die Verhaltensprävention betrifft dabei direkt das einzelne Subjekt und setzt bei dessen individuellem Gesundheitsverhalten an. Ziel ist, die eigene Gesundheitskompetenz zu stärken, indem Risikofaktoren wie beispielsweise Fehl- oder Mangelernährung reduziert werden. Verhältnisprävention berücksichtigt darüber hinaus mit Faktoren wie den Lebens- und Arbeitsverhältnissen (z. B. Wohnumgebung, Einkommensniveau, Bildungsstand) genuin gesellschaftspolitische Felder. Lebensweltliche Schnittstellen wie die hier genannten „Lebens- und Arbeitsverhältnisse“ werden dabei strukturell von der Frage geprägt, ob ich als Individuum von den mich umgebenden sozialen Strukturen frei von Diskriminierung, Ausgrenzung und gewaltvollem Verhalten als gleichberechtigtes Subjekt anerkannt werde. Individuelles Sucht-Verhalten ist in dieser Lesart eng verflochten mit sozialen und gesellschaftspolitischen Verhältnissen, die dieses Verhalten begünstigen und in Teilen mit hervorrufen. Während die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht/geschlechtlicher Zuschreibung dahingehend bereits anerkannt wurde und in Form von geschlechtersensiblen Präventionsmaßnahmen bereits Verankerung im sogenannten Präventionsgesetz Vgl. dort den § 20 Absatz 1 Satz 2 PrävG gefunden hat, besteht in Bezug auf andere Diskriminierungsformen, beispielsweise aufgrund rassistischer Zuschreibungen, nach wie vor eine Leerstelle. Rassismus ist dabei unserer Auffassung nach in diesem Kontext als eine Ausgrenzungsform zu verstehen, die in einem Spektrum von alltäglich erlebten und subtilen Ausschlüssen, beispielsweise über die Frage „Wo kommst du eigentlich wirklich her?“ über diskriminierende Ausschlüsse aus dem Wohnungsmarkt bis hin zum Sterben von Schutzsuchende auf dem Mittelmeer wirkmächtig ist. Mit Amma Yeboah gesprochen lautet „Die Botschaft (…) in jedem Fall: Du gehörst nicht in diesen sozialen Resonanzraum. Du bist (sozial) tot.“ Gewaltvolle Erfahrungen wie diese können bei betroffenen Subjekten traumatisch wirken und selbstverletzendes Verhalten sowie Suchtverhalten begünstigen.
Um eine selbstwirksame und emanzipatorische Reflexion der komplexen Selbst-Weltverhältnisse zu ermöglichen, sollte politische Bildung stets eine differenzsensible Grundhaltung und einen diskriminierungskritischen Grundansatz verfolgen.
Moderne Suchtprävention operiert unserem Dafürhalten nach nun differenzsensibel und diskriminierungskritisch genau an jenen Verwobenheiten zwischen Verhalten und Verhältnissen. Auch sie bezieht sich, wie eingangs in Bezug auf die politische Bildung formuliert, hierbei auf strukturelle Ungleichheitsverhältnisse (z. B. rassistische Diskriminierung und ihre Auswirkung auf die Gesundheit, z. B. in Bezug auf – potenzielle – Suchterkrankung der Betroffenen). Auch moderne Suchtprävention möchte, dass sich Subjekte im Zuge eines Transformationsprozesses als handlungswirksam zwischen struktureller Involviertheit und individuellem Wirken erfahren.
Im Folgenden werden wir diese Schnittstelle zwischen politischer Bildung und Suchtprävention am Beispiel eines interdisziplinären Empowerment-Begriffs kurz skizzieren. Die darauffolgenden Abschnitte befassen sich vor diesem Hintergrund dann mit dem Projektbeispiel „Take Care – Strategien fürs Leben“ am Landesinstitut für Schule Bremen, einem Methodenvorschlag sowie einer abschließenden Auswahl an Reflexionsimpulsen.
Empowerment: Eine Schnittstelle zwischen politischer Bildung und Suchtprävention
Der Begriff „Empowerment“ zählt unseren subjektiven Eindrücken nach zu einer der beliebtesten Vokabeln zwischen Pädagogik, Sozialer Arbeit, Gesundheitsförderung und eben politischer Bildung. Die Prozesse seiner Aneignung von einem Konzept der Schwarzen, US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung hin zu einem interdisziplinären und entsprechend vielschichtigen Phänomen wollen wir hier nicht nachzeichnen. Es geht uns, wenn wir Empowerment hier an eine mögliche Schnittstelle von politischer Bildung und Suchtprävention setzen, nicht um begriffliche Trennschärfe oder disziplinäre Verortung. Vielmehr möchten wir mit dieser Setzung für eine Haltung werben, die Verschränkung von Verhaltens- und Verhältnisprävention differenzsensibel und diskriminierungskritisch in der eigenen Praxis als politischer Bildner*in aufzuspüren und einzubinden. Und zwar so, dass die Teilnehmenden dabei unterstützt werden, die eigene Wirkmächtigkeit im Angesicht (tagtäglich) erlebter Ungleichwertigkeiten zu steigern. Als Querschnitt zwischen individuellem Verhalten und struktureller Involviertheit bietet sich der Komplex der Gesundheit hierfür besonders an. In der Praxis einer solchen politischen Bildung geht es darum, Dinge zusammenzudenken und soziale Räume zu schaffen, in denen Teilnehmende eben dies – unterstützt durch Empathie, transdisziplinäre Informiertheit und dynamische Versinnbildlichungen – sicher und exemplarisch ausprobieren können.
Wie dies konkret in einer methodischen Rahmung aussehen kann, zeigt der folgende Praxiseinblick in das Projekt „Take Care – Strategien fürs Leben“ sowie die Skizze eines methodischen Settings.
Zwei exemplarische Zitate zeigen an dieser Stelle die Bandbreite unseres Empowerment-Begriffs:
„Empowerment bedeutet die Freiheit, als Selbst existieren zu können, ohne sich Handlungszwängen zu beugen, die von außen aufgrund sozialer Kategorien (wie „Rasse“, „Klasse“, Gender, Disability u. a.) an uns herangetragen werden und die uns in unserer Sozialisation prägen.“ (Nassir-Shahnian 2013, S. 16)
„Empowerment (…) bezeichnet biografische Prozesse, in denen Menschen ein Stück mehr Macht für sich gewinnen – Macht verstanden als Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen (…) oder aber als gelingende Bewältigung alltäglicher Lebensbelastungen (…).“ (Herriger 2014, S. 39)
Praxisbeispiel: Ressourcenorientierung, Empowerment und der Blick auf die Verhältnisse
„Take Care! Strategien fürs Leben“ ist ein lebenskompetenz- und empowermentorientiertes Projekt, das eine gesunde und suchtfreie Entwicklung seiner Teilnehmenden fördern soll. Es ist am Landesinstitut für Schule Bremen Das Landesinstitut für Schule der Freien Hansestadt Bremen ist eine Einrichtung der Senatorin für Kinder und Bildung. im Referat Gesundheit und Suchtprävention angesiedelt und hat Jugendliche und junge Erwachsene mit der geteilten Erfahrung der (Flucht-)Migrationsgeschichte als Zielgruppe. (Flucht-)Migrations- und Rassismuserfahrungen sind als voneinander getrennte Erfahrungsräume zu verstehen, die unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen berühren. Da Rassismuserfahrungen in Deutschland nicht erhoben werden, werden wir im Folgenden nicht klar zwischen Rassismus- und (Flucht-)Migrationserfahrungen differenzieren. Wir gehen davon aus, dass Menschen mit (Flucht-)Migrationserfahrungen mehrheitlich auch Rassismuserfahrungen in der Dominanzgesellschaft in Deutschland machen. (Flucht-)Migrationsgeschichte wird dabei als Risikofaktor für die Entwicklung einer Suchterkrankung verstanden.
Im Rahmen einer 5-tägigen Projektwoche werden soziale Räume geschaffen, in denen sich die Teilnehmenden mit eigenen sowie gruppenbezogenen Ressourcen auseinandersetzen. Des Weiteren werden gemeinsam Strategien der Lebensgestaltung und individuellen wie gesellschaftlichen Problem- sowie Herausforderungsbewältigung erarbeitet. Diese bewegen sich in einem Spannungsfeld, welches Krisen explizit in den Blick nehmen und gleichermaßen entlasten und Ressourcen stärkend wirkt. Kernkompetenz der beiden freiberuflichen Bildner*innen in diesem Projekt ist es, diesen verschiedenen Formen der Belastungserfahrungen Aufmerksamkeit zu schenken sowie De-Thematisierungen und Stigmatisierungen zu unterbinden. Ihnen kommt die Aufgabe zu, den Raum über eine kritische Haltung und ein empathisches Gespür zu begleiten und informiert zu entscheiden, wann und wie interveniert werden muss. Ein Grundprinzip besteht dabei darin, dass diese Entscheidung zur Intervention nicht zu Lasten der Betroffenen geht. Die Herausbildung und Weiterentwicklung dieser Kompetenzen wird von Seiten der Trägerstruktur in Schulungen prozessorientiert begleitet.
Das Projekt findet täglich von 9 bis 14 Uhr in außerschulischen Lernräumen statt. Jeder Tag hat eine inhaltliche Fokussierung, welche der übergeordneten Zielsetzung des Projekts, der Stärkung der Teilnehmenden im Umgang mit lebensweltlichen Herausforderungen, verpflichtet ist.
Am ersten Tag wird unter dem Titel Blick auf mein Leben mit biographischen Methoden gearbeitet, um den Raum für die Reflexion und Anerkennung bereits vorhandener Kompetenzen der Teilnehmenden zu öffnen. Unter der Prämisse der Ressourcenorientierung werden diverse Lebenswege miteinander geteilt. Die Mehrsprachigkeit der Teilnehmenden wird bereits an dieser Stelle als Expertise explizit anerkannt.
Am Folgetag arbeiten die Teilnehmenden und Bildner*innen in Kooperation mit Erlebnispädagog*innen und Klettertrainer*innen des DAV-Kletterzentrums Bremen. Unter dem Tagestitel Gemeinsam stark werden gezielt gruppenbezogene Ressourcen aktiviert.
Der Tag Umgang mit Problemen wird maßgeblich von den freiberuflichen Bildner*innen des Kooperationspartners Wilde Bühne e. V. gestaltet. Wer sich für die Arbeit der Wilden Bühne interessiert kann gerne die Website besuchen oder in die Folge 2 des Podcasts „Präv&Talk. Der Podcast mit ohne Suchtfaktor“ reinhören: www.lis.bremen.de/fortbildung/suchtpraevention/news-aus-der-suchtpraevention/podcast-der-suchtpraevention-mit-ohne-suchtfaktor-587864 Die Teilnehmenden setzen sich an diesem Tag explizit mit Substanzkonsum auseinander. Theaterpädagogisch begleitet werden sie dabei vom Bühnen-Ensemble, welches aus cleanen und trockenen Menschen mit Suchterkrankung sowie der künstlerischen Leitung besteht.
Für Bildner*innen ist es unerlässlich, eine möglicherweise unbewusst vorhandene Defizitorientierung in Bezug auf die Teilnehmenden abzulegen und den gemeinsamen Raum so zu gestalten, dass vorhandene Ressourcen Wertschätzung erfahren und gestärkt werden.
Bevor am letzten Tag der Projektwoche ein Blick in die nähere Zukunft der Teilnehmenden geworfen wird, rücken an Tag vier die Verhältnisse in den Blick. In diesem Zusammenhang wird derzeit auch die im Anschluss vorgeschlagene Methode „On the map“ erprobt. An dieser Stelle der Projektwoche wird der gemeinsam hervorgebrachte Raum für die Reflexion gesellschaftspolitischer Einflussfaktoren auf die individuelle Gesundheit geöffnet. Die diskriminierungskritische Haltung ist zu diesem Zeitpunkt nicht nur Grundpfeiler der Arbeit, sondern Gegenstand der gemeinsamen Auseinandersetzung. Ähnlich wie die Thematisierung von Sucht gesellschaftlich tabuisiert wird, ist auch das Sprechen über Rassismuserfahrungen in der weißen Dominanzgesellschaft von De-Thematisierungs- und Abwehrtendenzen bedroht. Als strukturelles Phänomen gehört Rassismus jedoch zur Lebensrealität vieler Menschen mit (Flucht-)Migrationserfahrungen. Belastungen, die mit intersektionalen Diskriminierungserfahrungen einhergehen, werden im sozialen Raum des Projekts Take Care, unter dem Dach der Suchtprävention, besprechbar gemacht. Diskriminierungsbezogene Erfahrungen in einem um Schutz bemühten Raum zu teilen, in diesen Erfahrungen ernst genommen zu werden und mit anderen Personen, die ähnliche Alltagserfahrungen machen, Handlungsstrategien zu teilen, ermöglicht Teilnehmenden, eigenen Gefühlen nachzuspüren und Grenzen zu benennen. Es werden zudem Strategien aus den vorherigen Projekttagen, wie beispielsweise „sich als Community zusammentun und Widerstand potenzieren“ aufgegriffen und in ihrem stärkenden Charakter für politisches Handeln fruchtbar gemacht.
Für Bildner*innen ist es in diesem Kontext unerlässlich, eine möglicherweise unbewusst vorhandene Defizitorientierung in Bezug auf die Teilnehmenden abzulegen und den gemeinsamen Raum so zu gestalten, dass vorhandene Ressourcen Wertschätzung erfahren und gestärkt werden. Aufgabe ist es, eine Reflexion über Belastungen, Herausforderungen oder Risikoverhalten anzuregen und dabei Handlungsmöglichkeiten zur positiven Lebensgestaltung und zur Bewältigung von Krisen zu stärken. Hierzu zählt auch Fachwissen zu weiterführenden Beratungs- und Unterstützungsangeboten, auf welche bei Bedarf verwiesen werden kann.
Methodenvorschlag: On the map
Als Angebot der non-formalen, außerschulischen Bildung geht es dem Methodenvorschlag „On the Map“ um Perspektivwechsel durch symbolische Repräsentation (in Form eines selbstgewählten Tokens), Versinnbildlichung durch ästhetische Praxis (z. B. in Form von Kartierung und Landschaftsgestaltung) und ressourcenorientiertes Empowerment (z. B. durch das Ausprobieren sozialer Handlungen in einem geschützten Rahmen). Hier geht es zudem, eingewoben in diese drei Grundsätze, um eine rassismuskritische und diskriminierungssensible Grundhaltung – indem sie den Teilnehmenden auf verschiedene Weise Raum lässt, die komplexen Schnittstellen aus „Politik“, „Gesundheit“, „Kultur“ und „Gesellschaft“ im Rahmen der Methode aufzuspüren, zu benennen, zu besprechen, zu besetzen und zu gestalten.
Rahmenbedingungen
- Zielgruppe: Jugendliche und junge Erwachsene mit der geteilten Erfahrung der (Flucht-)Migration
- Gruppengröße: 5–15 Personen (je nach Raumverfügbarkeit, Materialeinsatz und Betreuungsschlüssel und thematischer Ausrichtung)
- Betreuung: mind. zwei mit der Methode vertraute Bildner*innen (Wobei eine wechselseitige Aufteilung in Moderation und Materialbereitstellung sinnvoll sein kann; je nach Kontext und Ausrichtung kann es zudem interessant sein, als anleitende Person selbst an der Übung teilzunehmen.)
- Dauer: zwei Stunden bis zwei Seminartage (à jeweils fünf Zeitstunden); stark abhängig von thematischer Ausrichtung, Gruppengröße, Materialeinsatz.
- Material: abhängig von thematischer Ausrichtung, der zur Verfügung stehenden Zeit- und Raumkapazitäten und der Gruppengröße; falls möglich, gerne die Gruppe an der Materialauswahl beteiligen.
- Token: Für die Token eignen sich prinzipiell verschiedene Materialien: Holz, Ton, Speckstein oder Beton ebenso wie einfacher zu bearbeitende Materialien wie Knete oder Pappe. Je nach thematischer Ausrichtung und verfügbarer Zeit können auch persönliche Gegenstände der Teilnehmenden oder Tier- und Spielfiguren (z. B. aus dem Modellbau) verwendet werden.
- Landschaften: Als Landkarten oder Landschaftsgrundlagen eignen sich ebenfalls verschiedene Materialien: leere Packpapierflächen ebenso wie 2D-Landschaften (z. B. auf der Basis von Stadtplänen hergestellte Spielteppiche zur Repräsentation eines bestimmten Kiezes sowie abstrakte Landschaften, die verschiedene Ebenen der Handlungsfähigkeit adressieren und gesellschaftliche Strukturen metaphorisch repräsentieren) als auch 3D-Landschaften (z. B. Gelände-Rohlinge aus dem Modellbau).
Je nach thematischer Ausrichtung und Zusammensetzung der Gruppe kann es von den Teilnehmenden als stärkend empfunden werden, wenn die Gestaltungskompetenz der Landschaft ganz in ihre Hände gegeben wird und sich im Verlauf der Methode dynamisch entwickeln kann. Steht hingegen ein (potenziell) gemeinsamer Sozialraum der Gruppe im Fokus, kann sich ein grundsätzliches landschaftliches Framing dieses Sozialraums im Vorfeld sehr positiv auf die Annahme und Fokussierung durch die Teilnehmenden auswirken.
Ablauf
Zu Beginn besprechen Bildner*innen und Teilnehmende die zentrale Leitfrage der Einheit und ihre Dauer. Falls möglich, entscheidet man sich gemeinsam für ein Material für die Token oder wählt je einen individuellen Token aus einer zur Verfügung gestellten Vorauswahl (z. B. einer Sammlung aus Tierfiguren) aus. Im Anschluss beschreiben die Teilnehmenden in wenigen Sätzen kurz, warum sie sich für diesen Token entschieden haben, welche Eigenschaften sie mit ihm verbinden und was das alles in diesem Kontext mit ihnen zu tun hat. Welche Sprachen sie hierfür verwenden, ist ihnen freigestellt. Anschließend platzieren sie ihren Token auf der zur Verfügung stehenden Landkarte – zunächst ohne konkrete Vorgaben. Es können zu diesem Zeitpunkt auch für die Teilnehmer*innen zentrale, nicht-anwesende „Akteure“ mittels eines Tokens platziert werden, zum Beispiel „Schule“, „Familie“, „Geld“ oder „Politik“.
Je nach gewählter Landschaft-Token-Kombination wird der eigene Standplatz nun gestaltet. Im Fall der Beispielbilder geschieht dies, indem die Teilnehmer*innen mit Wachsmalstiften Inseln für ihre Tierfiguren (Token) malen. Ziel ist es, einen individuellen Raum für sich in der Landschaft zu gestalten, der einem für die Dauer der Übung eine Basis bildet. Auch Schriftsprache kann hier, etwa durch Beschriftungen der Inseln mit Namen, zentralen Werten oder Slogans bereits eingesetzt werden.
Die Bildner*innen können in diesem Teil der Methode bereits Aspekte der vorher mit den Teilnehmenden festgelegten Leitfrage ansprechen, falls dies nicht aus der Gruppe selbst heraus geschieht. Nach Absprache können außerdem Bewegungen zwischen den einzelnen Token und/oder des Akteurs-Tokens vollzogen werden, etwa um politische Prozesse (Was ist Politik und wie wirkt sie auf dein Leben? Wie wirkst du auf die Politik?) oder soziale Konstellationen (Wo befinden sich die Anderen im Verhältnis zu dir in dieser Landschaft? Wie entsteht Diskriminierung und Ausgrenzung? Welche Strategien habe ich, um mit Diskriminierung umzugehen? Wie schütze ich mich? Welche Gefühle löst diese Erfahrung bei mir aus?) sinnbildlich nachzuvollziehen und exemplarisch durchzuspielen.
Eine grundsätzliche Gelingensbedingung besteht, neben der Arbeit an und mit den eigenen diskriminierungssensiblen Haltungsgrundsätzen, in der kontextspezifischen Anpassung und dem zielgruppenspezifischen Einsatz der Methode.
Häufig kommen dabei Themen wie Selbstgrenzen, Diskriminierungserfahrungen, Unsicherheit, Zuversicht, Wut und Ohnmacht zur (Bild-)Sprache. Mit Klebezetteln können wichtige Phänomen (z. B. Solidarität, Selbstliebe) festgehalten werden. Für die Bilder*innen besteht die Herausforderung darin, nicht nur im Kontext der Leitfrage kompetent und (bild-)sprachlich verständlich zu sein, sondern auch in angrenzenden Bereichen (z. B. formal-politische/juristischen Frage). Sowie darin, dieses Wissen auf dem schmalen Grat zwischen Beratung, Anleitung, Moderation und Vermittlung so zur Verfügung zu stellen, dass für die Teilnehmenden Stärkung, Ermächtigung, Selbstwirksamkeit in Bezug auf das eigene Verhalten und die jeweiligen Verhältnisse symbolisch erfahrbar werden.
Eine grundsätzliche Gelingensbedingung besteht, neben der Arbeit an und mit den eigenen diskriminierungssensiblen Haltungsgrundsätzen, in der kontextspezifischen Anpassung und dem zielgruppenspezifischen Einsatz der folgenden Elemente der Methode. Mehr noch als andere Methoden der (non-formalen) politischen Bildung erfordert diese unserer Erfahrung nach, dass sich die Bildner*in mit ihren ästhetischen, narrativen und prozessoffenen Charakteristika sicher und verbunden fühlt. Hierzu zählt aus unserer Sicht insbesondere die Kompetenz, spontan fachliche Inhalte (z. B. zu formalen politischen Prozessen oder rechtlichen Grundsätzen) ebenso wie geteilte Erfahrungen der Teilnehmenden (z. B. aus eigenen Diskriminierungs- und/oder Suchterfahrungen) empathisch zu moderieren und in das Geschehen einzubinden.
Take-Home-Reflexionsimpulse für politische Bildner*innen
Inwiefern bin ich als Subjekt von den hier adressierten (multiplen) Diskriminierungsformen (nicht) betroffen? Und inwiefern strukturiert diese (Nicht-)Betroffenheit „meine“ Zugänge, Narrative und Bewältigungsstrategien? Welche Rolle spielt all das für die jeweiligen Entscheidungen, den Raum für das Sprechen über (diskriminierungsbezogene) Herausforderungen und Probleme zu halten bzw. zu schließen?
Welche Beispiele, Biografien oder Phänomene für die hier theoretisch skizzierten „Verwobenheiten zwischen Verhalten und Verhältnissen“ kenne ich aus meinem (Arbeits-)Alltag? Mit welchen Adjektiven beschreibe ich meine diesbezüglichen, inneren Haltungen und Gefühle?
Was reizt mich an einer Durchführung des Methodenvorschlags? In welchem Setting würde ich die Methode gerne einsetzten? Und welche Erwartungen verknüpfe ich damit?
Zur Autor*in/zum Autor
nabila.badirou@posteo.de
Foto: Corvin Sieg
hallo@oleschwabe.de
Foto: Farina Holle