Utopische und dystopische Konjunkturen der Gegenwart
Hinter den hier aufgeworfenen Fragen steht das sehr grundsätzliche Problem einer begrenzten Vorhersehbar- und Gestaltbarkeit von Zukunft, die keineswegs gegenwartsspezifisch oder auf Umbruchphasen beschränkt ist. Vielmehr handelt es sich um eine grundlegende politiktheoretische und -praktische Frage: Wie lassen sich überhaupt plausible Zukunftsprognosen abschätzen, wie können Worst-Case-Szenarien verhindert werden und welche Funktion sollen umfassende, utopische Zukunftsvisionen erfüllen?
Gegenwärtige Szenarienüberlegungen, wie sie in der sogenannten Zukunftsforschung praktiziert werden, sind häufig planungs- und sicherheitsorientiert. Zum Hintergrund der Zukunftsforschung siehe Seefried 2015. Sie orientieren sich an Probabilitäten und zielen auf die Abschätzung von Unwägbarkeiten und die Minimierung von Risiken ab, weshalb sich ihr zeitlicher Horizont oft eher über Jahrzehnte als Jahrhunderte erstreckt. Damit einhergehende Zukunftsszenarien – Vorhersagen der Klimaerwärmung und möglicher Gegenmaßnahmen oder auch Migrationsszenarien – streben möglichst „realistische“ Projektionen auf Grundlage gegenwärtig verfügbarer Informationen an. Die Konjunktur dieser „Zukunftsforschung“ ist also keineswegs als Rückkehr des utopischen Denkens in die öffentliche Debatte misszuverstehen – sie entfaltet nur begrenzte utopische Energie. Die prognostisch ausgerichtete Variante der „Futurologie“ geht nicht zuletzt aus der Szenarienanalyse des Kalten Krieges hervor (vgl. Pias 2009). Was aber zeichnet demgegenüber genuin utopisches politisches Denken aus – und braucht Politik überhaupt Utopien?