Außerschulische Bildung 1/2022

„America is back“

Ziele und Herausforderungen der Außenpolitik von Joe Biden

Die Außenpolitik von Joe Biden ist eng mit dem Anspruch verknüpft, die USA wieder als Führungsmacht in der Welt zu etablieren und als verlässlicher Akteur in multilateralen Institutionen und im Einklang mit internationalen Partnern aufzutreten. Der neue Präsident versprach zum Amtsantritt 2021 eine Abkehr von der America First-Politik der Ära Trump, er wolle Demokratien stärken und rief eine Außenpolitik für die Mittelschicht aus. Unter welchen (innenpolitischen) Bedingungen nahm die Biden-Regierung ihre Arbeit auf, um diesen Politikentwurf zu realisieren? Und welche ersten Erkenntnisse lassen sich am Ende des ersten Regierungsjahres über den außenpolitischen Stil von Joe Biden gewinnen? von Sarah Wagner und David Sirakov

America First – US-Außenpolitik in der Ära Trump

Um die außenpolitischen Leitlinien und Handlungen der Biden-Regierung einordnen zu können, bedarf es eines kurzen Rückblicks auf die Amtszeit seines Vorgängers, Präsident Donald Trump. Die Außenpolitik der Trump-Regierung galt vielen Beobachter*innen als „beispiellos“ (Böller/Sirakov 2020, S. 29). So war der Kommunikationsstil des Präsidenten, vor allem auf dessen Lieblingsmedium, dem Kurznachrichtendienst Twitter, von erratischen Ausbrüchen, Drohungen, Beleidigungen, Lügen und Fehlinformationen geprägt. Außenpolitische Inhalte wurden häufig ohne Kontext und vorherige Konsultationen, sei es mit den eigenen Berater*innen oder befreundeten Staaten, auf Twitter verkündet und Ergebnisse von Gipfeltreffen im Nachhinein via Tweet torpediert (vgl. Cochrane 2018). Doch neben diesen diplomatischen und rhetorischen Fehltritten gegenüber Verbündeten war es vor allem die Herauslösung der USA aus internationalen Strukturen und Institutionen, die prägend war für die Außenpolitik von Donald Trump. Die America First-Doktrin zeigte sich im Infragestellen der NATO, einem geplanten Abzug von US-Truppenkontingenten aus Deutschland sowie dem Austritt oder Rückzug aus internationalen Abkommen und Institutionen. Davon betroffen waren unter anderem das Pariser Klimaabkommen, das Abrüstungsabkommen INF, das Transpazifische Partnerschaftsabkommen, die UNESCO, das iranische Nuklearabkommen oder auch das Open Skies-Abkommen.

Diese Form der präsidialen Kommunikation und das Streben nach mehr Autonomie außerhalb von multilateralen Strukturen hatten zwei bedeutende Konsequenzen für die USA auf dem internationalen Parkett: ein Vertrauensverlust in die Verlässlichkeit des Landes sowie ein schwindender Einfluss der USA in den internationalen Beziehungen (vgl. Böller/Sirakov 2020, S. 32). Der schlingernde außenpolitische Kurs von Donald Trump erschütterte das Vertrauen traditioneller Partner und Verbündeter nachhaltig, das Misstrauen gegenüber außenpolitischen Plänen und Projekten der USA wuchs. Dies führte geradewegs dazu, dass es den USA zunehmend schwerer fiel, die Unterstützung bei den Partnern für politische Vorhaben in internationalen Institutionen zu gewinnen. Der sich dadurch einstellende Verlust an Einfluss ermöglichte es zugleich, dass konkurrierende Staaten wie Russland und China ihre Machtpositionen ausbauen konnten (vgl. ebd.).

Der niedrige Stellenwert der Diplomatie für die Trump-Regierung zeigte sich auch an deren Umgang mit dem Außenministerium, dem U.S. Department of State. Hier kam es unter den Außenministern Rex Tillerson und Mike Pompeo zu Einstellungsstopps, radikalen Kürzungsvorschlägen sowie einem Exodus an erfahrenen Diplomat*innen (vgl. Farrow 2021). Diese Aushöhlung des diplomatischen Dienstes und die angespannte Atmosphäre innerhalb des Ministeriums, unter anderem bedingt durch den Führungsstil der von Donald Trump ernannten Mitarbeiter*innen, bildeten die Rahmenbedingungen für den Amtsbeginn des neuen Außenministers, Antony Blinken.

America is back – Der Amtsantritt von Joe Biden

„America is back. America is back. Diplomacy is back at the center of our foreign policy.“ (The White House 2021) Mit diesen Worten wandte sich Präsident Biden im Februar 2021 im Außenministerium an dessen Mitarbeiter*innen und an das globale Publikum. In seiner Rede zur Außenpolitik betonte der Präsident sein zentrales außenpolitisches Vorhaben, Allianzen zu reparieren, die Führungskraft der USA wiederherzustellen und erwähnte gleich zu Beginn die geopolitischen Herausforderer China und Russland. In der Rede stellte Biden zudem die Verbindung zwischen Diplomatie und demokratischen Werten her. Nur eine Diplomatie, begründet in Werten wie Freiheit, universalen Rechten oder Rechtsstaatlichkeit könne eine Quelle der Stärke sein, so der Präsident. Im deutlichen Gegensatz zu seinem Vorgänger betonte Biden die Wiederaufnahme und Fortführung von internationalen Verpflichtungen und Verträgen, beispielsweise das Pariser Klimaabkommen, die Verlängerung des atomaren Abrüstungsvertrags New Start mit Russland sowie einen Stopp der Abzugspläne von US-Truppen aus Deutschland. Zum Ende der Rede stellte Biden mit der Rolle der Mittelschicht und die sich daraus für ihn ergebende Vermischung von Innen- und Außenpolitik, ein weiteres Kernstück seiner Außenpolitik vor: „There’s no longer a bright line between foreign and domestic policy. Every action we take in our conduct abroad, we must take with American working families in mind.“ (The White House 2021) Diese foreign policy for the middle class betonte Biden auch in einem Beitrag für das Magazin Foreign Affairs, in dem er folgende Ziele seiner Außenpolitik nannte: eine Erneuerung der US-Demokratie und der Allianzen, der Schutz der wirtschaftlichen Zukunft des Landes sowie die erneute Etablierung der USA als globale Führungskraft (vgl. Biden 2020). Diese klar artikulierte Verbindung von innenpolitisch begründeten Interessen und den daraus abzuleitenden außenpolitischen Handlungsempfehlungen muss auch im Kontext der gesellschaftspolitischen Entwicklungen in den USA verstanden werden. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, die steigende ökonomische Ungleichheit sowie die Hyperpolarisierung innerhalb der Gesellschaft und Politik, getrieben von einer sich radikalisierenden Republikanischen Partei, forderten und fordern weiterhin die Aufmerksamkeit der Biden-Regierung. Die Impfkampagne und das Schnüren von Hilfspaketen im Kongress (shots in arms and money in pockets) waren somit von Amtsbeginn an die Priorität der neuen Regierung und auch der amerikanischen Bevölkerung.

Nur eine Diplomatie, begründet in Werten wie Freiheit, universalen Rechten oder Rechtsstaatlichkeit könne eine Quelle der Stärke sein, so Joe Biden. Foto: David Sirakov

In einem Gastbeitrag für die Washington Post im Sommer 2021, kurz vor seiner ersten Europa-Reise und dem G7-Gipfel im britischen St. Ives, erneuerte Biden nicht nur die Beistandsverpflichtung der NATO, sondern betonte erneut die Verknüpfung von innenpolitischen Zielen mit seiner Außenpolitik. So sei eine funktionierende Infrastruktur Voraussetzung, um mit Mächten wie China konkurrieren zu können (vgl. Biden 2021). Er endete seinen Beitrag mit einer für ihn zentralen Frage: „Can democracies come together to deliver real results for our people in a rapidly changing world?“ (Ebd.)

Der Versuch Joe Bidens, die Führungsrolle der USA im globalen Geflecht zu reaktivieren, setzt auch einen gewissen überparteilichen Konsens, der eine aktive Führungsrolle der USA stützt und fordert, voraus (vgl. Böller/Hagemann et al. 2021). Daher überrascht es nicht, dass Biden die Verknüpfung von Innen- und Außenpolitik sucht und ein dominantes Motiv seiner Ansprachen der Wunsch nach mehr Einheit, unity, ist (vgl. ebd.). Denn die in den USA herrschende Polarisierung und die besorgniserregende Entwicklung der Republikanischen Partei beeinflussen die Handlungsfähigkeit der Regierung auch in der Außenpolitik und drohen nicht nur zu einem innenpolitischen Stillstand zu führen.

Im deutlichen Gegensatz zu seinem Vorgänger betonte Biden die Wiederaufnahme und Fortführung von internationalen Verpflichtungen und Verträgen, beispielsweise das Pariser Klimaabkommen, die Verlängerung des atomaren Abrüstungsvertrags New Start mit Russland sowie einen Stopp der Abzugspläne von US-Truppen aus Deutschland.

Diese zunehmende Verflechtung von Innen- und Außenpolitik erklärt auch, warum die US-Außenpolitik zunehmend verlangsamt, blockiert und unzuverlässiger wird (vgl. Sirakov 2021, S. 96). Die wachsende Polarisierung der politischen Lager, also die sich vergrößernde Distanz zwischen den ideologischen Positionen der Parteien, ist besonders in einem politischen System wie dem der USA fatal für die Erarbeitung und Durchsetzung von politischen Inhalten. Denn im Sinne der Gewaltenteilung und -kontrolle ist erfolgreiche Politik von der Zusammenarbeit der jeweiligen Parteien und Institutionen abhängig, doch genau der hierfür notwendige Konsens stellt sich immer seltener in der US-Politik ein. Die Arbeit im Kongress leidet darunter nachhaltig. Immer weniger parteiübergreifende Initiativen und vermehrt Abstimmungen entlang der Parteilinien haben eine deutlich gesunkene Zahl an Gesetzen trotz großem Handlungsdruck zur Folge. Eine parteipolitisch motivierte Blockade wird nunmehr regelmäßig der politischen Lösungssuche vorgezogen (vgl. ebd., S. 100). Der Präsident muss daher verstärkt auf Instrumente wie executive orders oder agreements zurückgreifen, die er ohne den Kongress umsetzen kann. Diese Form von exekutiven Dekreten können jedoch von nachfolgenden Präsidenten nahezu genauso schnell und unkompliziert zurückgenommen werden, wie sie verfasst wurden. Während internationale Verträge eine Zustimmung des Senats erfordern, kann der Präsident diese Notwendigkeit durch die Nutzung von executive agreements umgehen. Hier handelt es sich um internationale Vereinbarungen die keiner Zustimmung des Senats bedürfen und basierend auf Urteilen des Supreme Courts internationalen Verträgen gleichrangig sind, gleichzeitig jedoch auch weniger Verlässlichkeit und Planungssicherheit für internationale Partner bieten. Der Wiedereinstieg von Joe Biden in das Pariser Klimaabkommen wurde zwar international begrüßt, kann somit aber problemlos von der nächsten Republikanischen Administration rückgängig gemacht werden (vgl. ebd., S. 106).

„There’s no longer a bright line between foreign and domestic policy. Every action we take in our conduct abroad, we must take with American working families in mind.“ Joe Biden

Doch entgegen der weitläufigen Vorstellung von Polarisierung ist die Entwicklung in den vergangenen 25 bis 30 Jahre nicht das Ergebnis eines von den Demokraten oder den Republikanern zu gleichen Teilen vorangetriebenen ideologischen Auseinanderdriftens. Vielmehr trägt die Republikanische Partei den Hauptanteil der Polarisierung im US-Kongress. Betrachtet man vor diesem Hintergrund den aktuellen Zustand der Republikanischen Partei ist es zudem fraglich, in welchem Ausmaß eine parteiübergreifende Zusammenarbeit im Kongress und mit dem Weißen Haus in internationalen Fragen des Klima- und Demokratieschutzes aktuell und in Zukunft möglich sein wird. Denn Klimaschutzziele, die durch im Kongress beschlossene legislative Pakete und Maßnahmen erreicht werden sollen, erfordern angesichts traditionell knapper Mehrheitsverhältnisse insbesondere im Senat in aller Regel parteiübergreifende Unterstützung. Doch diese kann Joe Biden sogar in den eigenen Parteireihen nicht garantieren, wie das Scheitern seines Build Back Better Plans (ein Sozial- und Klimapaket) im Senat verdeutlicht (vgl. Cassidy 2021).

Abenteuer mit den Allianzen? Die Zustimmungswerte in der Bevölkerung

Die Polarisierung in der Außenpolitik erstreckt sich nicht nur auf die Entscheidungsträger*innen in Washington D.C. Auch in der US-Bevölkerung unterscheiden sich die Einschätzungen in Bezug auf die Rolle, die das eigene Land in den internationalen Beziehungen spielen soll. Während mit 71 % Zustimmung Demokrat*innen überwiegend der Ansicht sind, dass viele Probleme der Nation in Zusammenarbeit mit anderen Ländern gelöst werden können, stimmen lediglich 33 % der Republikaner*innen dieser Haltung zu (vgl. Pew Research Center 2021b).

Die Polarisierung in der Außenpolitik erstreckt sich nicht nur auf die Entscheidungsträger*innen in Washington D.C. Auch in der US-Bevölkerung unterscheiden sich die Einschätzungen in Bezug auf die Rolle, die das eigene Land in den internationalen Beziehungen spielen soll.

Insgesamt betrachtet unterstützt mit 68 % eine Mehrheit der US-Bevölkerung ein globales Engagement der USA und sieht eine aktive Außenpolitik im Interesse des Landes (vgl. Chicago Council on Global Affairs 2020, S. 10). Wie diese dann jedoch konkret ausgestaltet und entlang welcher Themenschwerpunkte sie organisiert werden soll, wird wiederum parteipolitisch unterschiedlich bewertet. Andere Untersuchungen sehen die Unterstützung für ein globales Engagement der USA zudem etwas weniger rosig. Laut einer Befragung des Pew Research Institutes stimmen 50 % der Amerikaner*innen der Aussage zu, dass die USA sich weniger auf Probleme in der Welt, sondern eher auf Herausforderungen im eigenen Land konzentrieren solle (vgl. 2021a).

Kurz nach dem Amtsantritt von Joe Biden konnte der neue Präsident relativ gute Zustimmungswerte verzeichnen. 60 % der Bevölkerung gaben an, Vertrauen in seine Außenpolitik zu haben – Donald Trump erreichte zu Amtsbeginn lediglich 46 %. Allerdings zeigte sich auch hier eine enorme Differenz zwischen den politischen Lagern: 72 % der Republikaner*innen hatten kein oder wenig Vertrauen in die Fähigkeit von Joe Biden, in der Außenpolitik „the ‚right thing‘“ zu tun, wohingegen 88 % der Demokrat*innen etwas oder viel Vertrauen in ihn hatten (vgl. ebd.).

Ein Jahr nach seinem Amtsantritt sehen diese Zahlen jedoch anders aus. Das Gallup-Institut dokumentiert einen deutlichen Vertrauensverlust für Joe Biden in der Außenpolitik. Erhielt er in dieser Umfrage im Februar 2021 noch 56 % Zuspruch, fiel dieser Wert im November 2021 auf 38 %. Und auch unter den Präsident Biden positiv zugewandten Demokraten schwand das Vertrauen in seine Außenpolitik von 92 auf 73 % (vgl. Gallup 2021).

Einhergehend mit dem Machtwechsel im Weißen Haus wandelte sich auch das USA-Bild in der deutschen Bevölkerung. Foto: AdB

Werfen wir einen Blick über den Atlantik, sehen die Zahlen für Joe Biden erfreulicher aus, vor allem im direkten Vergleich zu seinem Vorgänger. 78 % der Deutschen gaben an, Vertrauen in den US-Präsidenten zu haben, die richtigen Entscheidungen in der Außenpolitik zu treffen – für lediglich 10 % der deutschen Bevölkerung traf dies am Ende seiner Amtszeit auf Donald Trump zu (vgl. Pew Research Center 2021c). Einhergehend mit dem Machtwechsel im Weißen Haus wandelte sich auch das USA-Bild in der deutschen Bevölkerung. 59 % der Deutschen gaben an, eine positive Sicht auf das Land zu haben – im Vergleich zu 26 % im Jahr 2020 (vgl. ebd.). Mit diesen hohen Werten verbanden sich in der internationalen Gemeinschaft und vor allem in Deutschland natürlich auch bestimmte Hoffnungen, was das außenpolitische Auftreten und die Prioritätensetzung der USA betraf. Mehr Konsultationen, bessere Kommunikation und mehr gemeinsame Projekte erhoffte man sich von der Biden-Regierung. Doch konnte sie bislang liefern?

Die Biden-Regierung – das erste Jahr

Wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde die Personalpolitik von Joe Biden, der erfahrene und bekannte Gesichter in seinem Team versammelte mit dem Anspruch, die angeschlagenen transatlantischen Beziehungen professionell zu reparieren und zu stärken. Außenminister Antony Blinken, Deputy Secretary of State Wendy Sherman, der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, Director of National Intelligence Avril Haines, Botschafterin der USA bei den Vereinten Nationen Linda Thomas-Greenfield oder auch die im November 2021 durch den Senat bestätigte Botschafterin bei der NATO, Julianne Smith, sammelten schon in der Obama-Administration Erfahrung in der (internationalen) Politik. Gleichzeitig mussten mehrere Positionen, vor allem die Posten der Botschafter*innen, auf ihre Besetzung warten, da die Republikanischen Senatoren Ted Cruz, Josh Hawley und Marco Rubio bestimmte Ernennungen blockierten, um eigene außenpolitische Prioritäten im Senat zur Abstimmung zu bringen (vgl. Ioanes 2021). Erst als hier eine Einigung erzielt wurde, kam es zu einer Bestätigung diverser außenpolitisch wichtiger Posten. In der Folge konnte die Biden-Regierung Mitte Dezember mehr politische Ernennungen verzeichnen als die Trump-Regierung zum gleichen Zeitpunkt.

„The Biden foreign policy agenda will place the United States back at the head of the table, in a position to work with its allies and partners to mobilize collective action on global threats.” So formulierte es Präsident Biden (2020, S. 71) in seinem Gastbeitrag für die Foreign Affairs. In einem Gipfelmarathon im Sommer 2021 (G7-Gipfel, NATO-Gipfel, EU-US Gipfel) konnte das Biden-Team dann beginnen, Alliierte und Partner zu mobilisieren und die transatlantische Partnerschaft zu erneuern (vgl. Europäischer Rat 2021). Mit dem Wiedereintritt in internationale Organisationen und Abkommen (Pariser Klimaabkommen, Weltgesundheitsorganisation, UN-Menschenrechtsrat) sowie der Aufgabe von Plänen, US-Truppen aus Deutschland abzuziehen, untermauerte die Biden-Regierung ihre Verpflichtungen an die internationale Gemeinschaft. Doch angesichts außenpolitischer Herausforderungen traf der hohe Anspruch der Regierung auch in einigen Bereichen auf eine herausfordernde Realität.

„The Biden foreign policy agenda will place the United States back at the head of the table, in a position to work with its allies and partners to mobilize collective action on global threats.” Joe Biden

Im Dezember 2021 fand der Summit for Democracy statt, an dem Vertreter*innen von mehr als 100 Ländern auf Einladung der USA über die Vorzüge der Demokratie und über die Notwendigkeit, diese gegenüber autoritären Entwicklungen zu verteidigen, sprachen. Die Erosion von Demokratien wurde als globales Problem definiert, Schritte zur Stärkung der Demokratie vereinbart. In einem Folgegipfel 2022 soll die Umsetzung dieser Schritte bewertet werden. Kritik entzündete sich jedoch nicht nur an der Einladungsliste, sondern auch an der Frage, ob die Krise der Demokratie wirklich geopolitisch bedingt sei oder nicht eher eine interne Herausforderung der jeweiligen Länder darstelle (vgl. Serhan 2021). Im Hinblick auf China beispielsweise führt das Team um Biden das Narrativ eines Konflikts zwischen Demokratie und Autokratie fort, was auch als „Ideologisierung der geopolitischen und geoökonomischen Hegemonialkonkurrenz“ (Rudolf 2022) gewertet werden kann. Denn, so führt Peter Rudolf weiter aus, trotz aller Kritik an autoritären Systemen gehen die USA im Ausbau anderer Beziehungen relativ pragmatisch vor, so zum Beispiel im Verhältnis zu illiberalen Demokratien wie Indien und den Philippinen oder autoritären Staaten wie Thailand und Vietnam (vgl. ebd.).

Der pragmatische Realismus der Biden-Regierung zeigte sich bisher am deutlichsten in der Entscheidung, den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zu forcieren – ohne große vorherige Absprache und Planung mit den vor Ort involvierten Verbündeten (vgl. Wulf 2021; Shifrinson/Wertheim 2021). So war der Abzug innenpolitisch zwar die Einlösung eines Wahlversprechens, außenpolitisch sorgte er jedoch für höchste Irritationen unter den Partnernationen und beschädigte das vorher langsam wieder aufgebaute Vertrauen. Und auch das überraschend initiierte Bündnis mit Australien und dem Vereinigten Königreich (AUKUS) und der Export von U-Booten nach Australien sorgten nicht nur in Frankreich für Verärgerung und ließen Zweifel aufkommen, wie ernst die Biden-Regierung die Beziehungen zu den europäischen Partnern denn nun wirklich nehme (vgl. Detsch 2021).

Hinsichtlich der deutsch-amerikanischen Beziehungen war Bidens erstes Amtsjahr durch ein hohes außenpolitisches Entgegenkommen gegenüber Deutschland geprägt. Der nichtvollzogene Abzug der US-Truppen (es gab sogar eine leichte Aufstockung), die Lösung von Handelsdisputen oder die Aufhebung von Sanktionen im Kontext von Nord Stream 2 signalisierten die Bereitschaft der Biden-Regierung, ein neues Kapitel in den transatlantischen Beziehungen zu beginnen. Gleichzeitig erhofft man sich dadurch natürlich auch zukünftig mehr Bereitschaft auf deutscher Seite, sich den amerikanischen Positionen gegenüber China und Russland anzunähern und sich strategisch neu zu orientieren. Der aktuell an Intensität zunehmende Konflikt um den Truppenaufmarsch Russlands an der Grenze zur Ukraine macht dabei nicht nur die sicherheitspolitische Fragilität im europäischen postsowjetischen Raum deutlich, sondern zeigt zudem, wie notwendig eine mit eigenen Fähigkeiten ausgestattete politische wie strategische Positionierung Deutschlands und der EU tatsächlich ist.

Die USA – eine „backsliding democracy“? Foto: Louis Velazquez/unsplash; https://unsplash.com

Die deutsche Ampel-Regierung, die in diesem Jahr zudem die G7-Präsidentschaft innehat, hat sich klar zu den transatlantischen Beziehungen, zur NATO sowie einem ausgeglicheneren Burden Sharing verpflichtet – wie sich dies konkret im Austausch mit der Biden-Regierung und gerade mit Blick auf Russland zeigen wird, bleibt abzuwarten. Die großen Fragen der transatlantischen Außenpolitik sind noch unbeantwortet: Wie vereint wird der Auftritt der USA und Deutschlands sein bei einer möglichen Invasion Russlands in der Ukraine? Wie erfolgreich kann man sich auf eine Position gegenüber China einigen? Und wie werden die Verhandlungen über das Nuklearabkommen mit dem Iran voranschreiten? Das Jahr 2021 hat die Grundlagen gelegt, die Biden-Regierung und ihre Partner werden sich 2022 an den ersten Resultaten messen lassen müssen.

Fazit

Am Ende des ersten Amtsjahres ist der basierend auf den anfangs hohen Erwartungen gegenüber der Biden-Regierung entstandene Enthusiasmus einer ebenso zu erwartender Ernüchterung gewichen. So gab es eine Rückkehr in multilaterale Institutionen und der Tonfall und die Zusammenarbeit unterschieden sich deutlich von der Trump-Regierung. Dennoch zeigte sich der pragmatische Realismus von Joe Biden in Entscheidungen wie dem Abzug aus Afghanistan oder dem Schmieden des AUKUS-Bündnisses.

Die Veröffentlichung der Nationalen Sicherheitsstrategie im Frühling 2022 wird weiter Auskunft darüber geben, welche globalen Prioritäten und Herausforderungen die US-Regierung ausmacht. Und das Ergebnis der Zwischenwahlen im Herbst 2022 wird zeigen, über welchen Rückhalt und mithin Handlungsspielraum Joe Biden dann innen- und zu einem gewissen Grad auch außenpolitisch noch verfügt. Wie konkret kann er seine Außenpolitik und ihre Ergebnisse im Wahlkampf als Erfolg für die Mittelschicht deklarieren und werden die Wähler*innen dieser Darstellung folgen? Werden sie beispielsweise Bidens Einsatz für eine globale Mindeststeuer für Konzerne von 15 % als Verbesserung der eigenen finanziellen Lage sehen? Des Weiteren werden der Verlauf der Pandemie und die wirtschaftliche Entwicklung, hier vor allem die Inflation, den Handlungsspielraum der Biden-Regierung bestimmen.

Die neue deutsche Regierungskoalition und internationale Partner der USA müssen sich zukünftig an eine volatile US-Außenpolitik gewöhnen, die stark von den innenpolitischen Entwicklungen in den USA beeinflusst und zuweilen überschattet wird.

Und auch in Zukunft wird die anhaltende Polarisierung im Lande weniger Möglichkeiten eröffnen, eine langfristige und verlässliche Außenpolitik zu entwickeln, die den Führungsanspruch der USA untermauern kann (vgl. Böller/Lohmann/Sirakov 2021). Insbesondere die Glaubwürdigkeit der USA in ihrem Verlangen, Demokratien stärken zu wollen, erscheint angesichts der jüngsten Einstufung des Landes als „backsliding democracy“ (IDEA 2021) nicht nur als eine Mammutsaufgabe internationalen Ausmaßes, sondern in erster Linie eine innenpolitische Herausforderung. Die neue deutsche Regierungskoalition und internationale Partner der USA müssen sich zukünftig an eine volatile US-Außenpolitik gewöhnen, die stark von den innenpolitischen Entwicklungen in den USA beeinflusst und zuweilen überschattet wird.

Zur Autorin/zum Autor

Sarah Wagner, M.A., ist seit 2015 als Bildungsreferentin für die Atlantische-Akademie Rheinland-Pfalz tätig. 2020 veröffentlichte sie gemeinsam mit Kollegen einen Sammelband zur Politik der Trump-Administration; 2021 wurde sie als Fellow für das Transatlantic Exchange of Civic Educators (TECE) Programm ausgewählt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. die US-Innenpolitik, die Demokratische Partei und die zivil-militärischen Beziehungen in den USA.
wagner@atlantische-akademie.de
Dr. David Sirakov ist seit 2015 Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz. Er ist überdies Mitglied des Beirats des Obama Institute for Transnational American Studies der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und gehörte der „Expertengruppe USA“ der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin an. Seine Forschungsschwerpunkte sind u. a. politische und gesellschaftliche Polarisierung, der Aufstieg des Populismus in Europa und den USA und die US-Außenpolitik.
sirakov@atlantische-akademie.de

Literatur

Biden, Joseph R. (2020): Why America Must Lead Again. Rescuing U.S. Foreign Policy After Trump. In: Foreign Affairs, 99:1, pp. 64–76; www.foreignaffairs.com/articles/united-states/2020-01-23/why-america-must-lead-again (Zugriff: 20.12.2021)
Biden, Joseph R. (2021): My trip to Europe is about America rallying the world’s democracies; www.washingtonpost.com/opinions/2021/06/05/joe-biden-europe-trip-agenda (Zugriff: 20.12.2021)
Böller, Florian/Sirakov, David (2020): America First, America Alone. Innenpolitische Bedingungen der US-Außenpolitik. In: WeltTrends. Das außenpolitische Journal, 169, S. 29–34
Böller, Florian/Lohmann, Johannes/Sirakov, David (2021): Ausmaß und Auswirkung parteipolitischer Polarisierung. In: Overhaus, Marco (Hrsg.): State of the Union. Langfristige Trends in der US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik und ihre Konsequenzen für Europa, SWP-Studie 2021/S 06, Juni 2021, S. 7–12
Böller, Florian/Hagemann, Steffen/Herr, Lukas D./Müller, Marcus (2021): Second Image Reconsidered: Die Außen- und Sicherheitspolitik der USA nach der Ära Trump. In: Dies. (Hrsg.): Weltmacht und Demokratie. Die Außen- und Sicherheitspolitik der USA nach der Ära Trump. Baden-Baden: Nomos, S. 9–26
Cassidy, John (2021): Joe Manchin Kills the Build Back Better Bill; www.newyorker.com/news/our-columnists/joe-manchin-kills-the-build-back-better-bill (Zugriff: 13.01.2022)
Chicago Council on Global Affairs (2020): Divided We Stand. Democrats and Republicans Diverge on US Foreign Policy; www.thechicagocouncil.org/sites/default/files/2020-12/report_2020ccs_americadivided_0.pdf (Zugriff am 20.12.2021)
Cochrane, David (2018): Trump’s tweets undo weekend of G7 diplomacy — and puzzle Canadian officials; www.cbc.ca/news/politics/g7-communique-leaders-negotiations-1.4699871 (Zugriff: 05.01.2022)
Detsch, Jack (2021): The Good, the Bad, and the Ugly of Biden’s First Year; https://foreignpolicy.com/2021/12/30/biden-nato-russia-putin-china-afghanistan (Zugriff: 07.01.2022)
Europäischer Rat (2021): EU-US summit statement: „Towards a renewed Transatlantic partnership“; www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2021/06/15/eu-us-summit-statement-towards-a-renewed-transatlantic-partnership (Zugriff: 05.01.2022)
Farrow, Ronan (2021): Can Biden Reverse Trump’s Damage to the State Department? www.newyorker.com/books/page-turner/can-biden-reverse-trumps-damage-to-the-state-department (Zugriff: 20.12.2021)
Gallup (2021): Biden Approval Ratings Mostly Underwater; https://news.gallup.com/poll/357545/biden-approval-ratings-mostly-underwater.aspx (Zugriff: 05.01.2022)
IDEA (2021): The Global State of Democracy; www.idea.int/blog/democratic-backsliding-different-causes-divergent-trajectories (Zugriff: 05.01.2021)
Ioanes, Ellen (2021): The Senate’s last-minute confirmation push, explained; www.vox.com/2021/12/18/22843610/senate-confirmation-votes-ambassadors-judges-schumer-cruz-hawley (Zugriff: 05.01.2022)
Pew Research Center (2021a): Majority of Americans Confident in Biden’s Handling of Foreign Policy as Term Begins; www.pewresearch.org/politics/2021/02/24/majority-of-americans-confident-in-bidens-handling-of-foreign-policy-as-term-begins (Zugriff: 20.12.2021)
Pew Research Center (2021b): Americans’ views of key foreign policy goals depend on their attitudes toward international cooperation; www.pewresearch.org/fact-tank/2021/04/23/americans-views-of-key-foreign-policy-goals-depend-on-their-attitudes-toward-international-cooperation (Zugriff: 20.12.2021)
Pew Research Center (2021c): America’s Image Abroad Rebounds With Transition From Trump to Biden; www.pewresearch.org/global/2021/06/10/americas-image-abroad-rebounds-with-transition-from-trump-to-biden (Zugriff: 20.12.2021)
Rudolf, Peter (2022): Kollektive Gegenmachtbildung – US‑Chinapolitik unter Präsident Biden; www.swp-berlin.org/publikation/kollektive-gegenmachtbildung-us-chinapolitik-unter-praesident-biden (Zugriff 10.1.2022)
Serhan, Yasmeen (2021): Diplomacy Alone Can’t Save Democracy; www.theatlantic.com/international/archive/2021/12/main-challenge-facing-biden-democracy-summit/620955 (Zugriff: 05.01.2022)
Shifrinson, Joshua/Wertheim, Stephen (2021): Biden the Realist; www.foreignaffairs.com/articles/united-states/2021-09-09/biden-realist (Zugriff: 05.01.2022)
Sirakov, David (2021): Bipartisanship in Decline: Die parteipolitische Polarisierung und ihre Auswirkungen auf die Außenpolitik der USA. In: Böller, Florian et al. (Hrsg.): Weltmacht und Demokratie. Die Außen- und Sicherheitspolitik der USA nach der Ära Trump. Baden-Baden: Nomos, S. 95–113
The White House (2021): Remarks by President Biden on America’s Place in the World; www.whitehouse.gov/briefing-room/speeches-remarks/2021/02/04/remarks-by-president-biden-on-americas-place-in-the-world (Zugriff: 30.11.2021)
Wulf, Herbert (2021): Im Abseits; www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/im-abseits-5435 (Zugriff: 05.01.2022)