Außerschulische Bildung 2/2022

Andere Zukünfte denken können?

Wege utopischer Überschreitung

Utopien sind die denkerische Vorarbeit und damit wesentliche Grundlage dafür, Gesellschaft zu gestalten. Sie sind tief im jeweiligen Jetzt verwurzelt und können ihre Ideen nur aus den jeweiligen Verhältnissen gewinnen, weil die Denkhorizonte gesellschaftlich begrenzt sind, aber zugleich immer ein Potenzial der Überschreitung, des Anders-Denkens gegeben ist. Im Beitrag werden Anlässe und Bedeutung von Utopien ebenso erkundet, wie gesellschaftliche Grenzen und zugleich Möglichkeiten, über das Vorhandene hinauszudenken. von Daniela Holzer

Ein großes Hindernis für die Verwirklichung einer Zukunft, die sich radikal vom Jetzt unterscheidet, ist unser Denken. Und zugleich ist unser Denken grundlegend dafür, eine solche Zukunft zu ermöglichen. Gesellschaftliche Entwicklungen sind nicht „natürlich“ und unausweichlich, sondern gemacht und damit auch gestaltbar und dennoch ist die Frage zu erkunden, inwiefern andere Zukünfte denk- und machbar sein könnten. Ich spreche dabei bewusst von Zukünften in der Mehrzahl, denn die Möglichkeiten sind vielfältig. Utopien spielen dabei die Rolle, anzustrebende andere Verhältnisse zu imaginieren, an denen sich konkrete Wege zu deren Erreichung abzeichnen können und sollen. Zugleich sind Utopien Kritik am Bestehenden und stoßen uns mit Nachdruck auf vorhandene Missstände und Notlagen. Utopien sind aber vor allem Ansätze der Überschreitung. Doch allzu schnell regt sich unser Verstand und pfeift uns von unserem Ausflug in Phantasien und wohliges Begehren zurück. Setzt diese Begrenzung nicht bereits in uns selbst ein, so meldet sich sogleich die gesellschaftlich breit verankerte Position zu Wort, die Utopien als unrealistisch und unerreichbar diffamiert und damit unser an sich zu Überschreitung fähiges Denken in Schranken verweist. Neben der Erkundung der Einbettung von Utopien in gesellschaftliche Verhältnisse und zugleich dessen Potenziale für die Überschreitung dieser, stelle ich auch die Frage, wie es denn überhaupt gelingen kann, bislang Undenkbares zu denken und Unmögliches zu versuchen.

Utopien: Möglichkeit eines Anderen und Kritik am Jetzt

Utopien sind Möglichkeiten eines Anderen, Besseren und zugleich Kritik am Jetzt. Unabhängig von der Darstellungsform – phantastischer Roman, technikorientierter Science-Fiction-Film, konkreter politischer Entwurf u.a.m. – bringen Utopien Vorstellungen von Alternativen zum Ausdruck, die auf der jeweils vorgefundenen Wirklichkeit beruhen. Ob geographische oder zeitliche Utopien (vgl. Bloch 1965–74/1980, S. 53), beiden bleibt der Vorwurf des Unerreichbaren, des Unrealistischen anhaften und entsprechend weitreichend und historisch tief verwurzelt sind Vorwürfe der Irrationalität, der Träumerei, der Unmöglichkeit. Allerdings finden Utopien, utopisches Denken und utopische Entwürfe und Vorstellungen auch Verteidiger*innen, die in ihnen wesentliche Elemente dafür entdecken, über das eingeschränkte und unzureichende Vorhandene hinauszuweisen und Utopieforschungen widmen sich einer differenzierten Betrachtung von Bedingungen und Möglichkeiten von Utopie, beispielsweise Ernst Bloch bereits ab den 1920er Jahren (vgl. Bloch 1959/1985; 1965–74/1980) oder aktueller unter anderem Richard Saage (2007) oder Oskar Negt (2012). In diesen Auseinandersetzungen stehen nicht unterhaltsame Science Fiction und schon gar nicht technokratische Fortschreibungen von Entwicklungen in Form von Zukunftsforschung im Mittelpunkt, sondern Sozialutopien, die zugleich Kritik am Bestehenden und Imagination des möglichen Anderen sind.