Ein Blick in die Praxis politischer Bildungsarbeit eines gemeinnützigen Vereins für Migrant*innenselbstorganisationen
Das Internationale Begegnungszentrum Friedenshaus e. V. (IBZ) als Träger des politischen Bildungswerks, verfolgt das übergeordnete Ziel, einen Beitrag zur Chancengleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen zu leisten. Der Verein setzt sich entsprechend seiner Satzung entschieden gegen jede Form von Rassismus, Nationalismus und Diskriminierung ein.
Um zu verstehen, was die politische Bildungsarbeit im IBZ konkret ausmacht und auf welchem rassismuskritischen Selbstverständnis diese beruht, ist es unvermeidbar, zunächst einen kurzen Blick auf unsere Vereinsgeschichte zu werfen.
Das IBZ befindet sich im Zentrum von Bielefeld und wurde 1981 von Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte als selbstorganisiertes Begegnungszentrum gegründet. Unser gemeinnütziger Verein ist mit seiner zentralen Lage ein etablierter Anlaufpunkt für Menschen mit internationaler Geschichte. Über die 41 Jahre seines Bestehens hinweg zeigt sich, dass das IBZ als gewachsener Ort der Begegnung, des von- und miteinander Lernens, der politischen Kommunikation sowie der Interessenvertretung von Zugewanderten bedeutsam ist. Anerkannt und wertschätzt, ist der Verein eingebunden in zivilgesellschaftliche Beteiligung und Selbstorganisation in Bielefeld.
Das IBZ ist ein Ort der Weiterbildung und beherbergt zwei Bildungswerke: zum einen das Interkulturelle Bildungswerk Friedenshaus (IBF), das sich in seinen Aufgaben der politischen Bildung widmet, zum anderen das Institut für Friedenserziehung (IFF) welches Integrationskurse sowie Kurse der allgemeinen Weiterbildung anbietet. Neben dem politischen Bildungswerk befasst sich unser Kinder- und Jugendbereich sowie unser interkulturelles Promotorenprojekt mit antirassistischen Themen in Form von kulturellen und politischen Bildungsangeboten. Hauptschwerpunktthemen im IBZ sind entsprechend des Vereinsleitbildes vor allem Antirassismus, Teilhabe- und Bildungschancen für Alle sowie verschiedene gesellschaftspolitische Phänomene. Das Bildungsangebot richtet sich in erster Linie an Menschen mit Flucht- und internationaler Geschichte, BIPoC, aber auch an alle anderen Interessierten. In den letzten Jahren fokussierte sich das Angebot auf Workshops und Veranstaltungen zu den Themen Afrodeutsche Biografien/Anti-schwarzer Rassismus, Islamischer Feminismus, Antisemitismus sowie Intersektionaler Rassismus und koloniale Kontinuitäten. Die pädagogischen Mitarbeitenden des IBZ erarbeiten, konzipieren und realisieren diese und andere Angebote im Team. Intersektionale Perspektiven auf Diskriminierungserfahrungen, sowie Konzepte und Praxis der rassismuskritischen Bildungsarbeit sind nicht zuletzt etablierte Elemente beruflicher Expertise des diversen Teams (vgl. https://ibz-bielefeld.de/team).
Ein besonderes Merkmal des IBZ ist, dass es einen Raum für die Selbstorganisation von aktuell 30 Migrant*innenselbstorganisationen (MSOs) bietet, die sich im IBZ als Hausgruppen organisieren und zum Teil kleine Kulturvereine oder Initiativen sind, die unterschiedliche Staaten und Kulturkreise repräsentieren (u. a. Armenischer Kulturverein, Syrische Initiative, Eritreische Frauengruppe, Ghana Kulturverein, Tamilischer Kultur- und Bildungsverein, Togo Gruppe u. v. m.) (vgl. https://ibz-bielefeld.de/hausgruppen).
Empowerment-Räume schaffen
Da das Hauptanliegen aller Arbeitsbereiche im IBZ darin besteht, Personen mit Flucht- und internationaler Geschichte als wirkmächtige Akteur*innen zu empowern, ist die Zusammenarbeit mit den Hausgruppen ein zentraler Handlungsraum für die Entwicklung gemeinsamer Bildungsangebote für eine diverse Zielgruppe. Die Hausgruppen arbeiten vernetzt und werden bei Infrastruktur- und Kommunikationsfragen durch die hauptamtlichen Mitarbeitenden des Vereins unterstützt. Zudem sind Mitglieder der Hausgruppen als Bildungsreferent*innen in der politischen Bildungsarbeit engagiert und entwickeln in Kooperation mit den hauptamtlichen Mitarbeitenden offene Bildungsangebote. Dabei kommen Vertreter*innen der Hausgruppen in der Regel bereits mit konkreten Themen, Konzepten und Ideen für entsprechende Formate auf uns zu. Auf diese Weise werden Empowerment-Räume Empowerment-Räume bedeutet, „Menschen mit Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen in Deutschland in sogenannten geschützte(re)n Räumen ermöglichen, auf Situationen, in denen man machtlos, wütend oder unzufrieden war, mit neuem Wissen und neuen Handlungsstrategien ausgestattet, in Zukunft anders agieren zu können.“ (Bendler/Golly 2021, S. 163) geschaffen, in welchen unsere Hausgruppenmitglieder ihr politisches Engagement zu bestimmten gesellschaftlichen Themen selbstständig entfalten und professionalisieren können. Besonderes Augenmerk erfahren dabei Formate und Angebote, die das Themenfeld Flucht, Asyl, Migration und Lebenswege in internationalen Familiengeschichten aufgreifen. Wir unterstützen auf Wunsch der Kursleitenden bei der Öffentlichkeitsarbeit und bei der Bereitstellung von Material, Technik und Räumlichkeiten. Auch bei der Suche nach Referent*innen zu einem bestimmten Thema können wir als hauptamtliche Mitarbeitende mit unserer Arbeit einen Beitrag leisten.
Die Bildungsangebote verbinden die unterschiedlichsten Herkunftskontexte der Teilnehmenden und Aktiven und machen ihre diversen Positionierungen und die Teilhabemöglichkeiten zum Thema.
So findet beispielsweise jährlich die Kursreihe einer Hausgruppe von türkischen Personen mit dem Titel „Kritische Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen“ statt. In diesem Kurs werden unterschiedliche gesellschaftliche Themen (z. B. Flüchtlingspolitik in Europa, Frauenrechte, Kommunalwahlen in der Türkei, Rassismus in Medien und Presse) aufgegriffen und nach einem kurzen Impulsvortrag der Kursleiter*in diskutiert. Auch zur „Historischen Kontinuität der marxschen Gesellschaftstheorie“ führte die gleiche Hausgruppe bereits einen Kurs durch. Weiterhin sind Vorträge wie „Die aktuelle politische Situation in Äthiopien“ von und mit Mitgliedern des äthiopischen Kulturvereins beispielhaft für die Bildungsarbeit mit den Hausgruppen. Mit der MSO Frieden und Hoffnung in Kurdistan e. V. finden zudem ebenfalls regelmäßig Veranstaltungen in unserer Einrichtung zur „Lage in Nordsyrien vor dem Hintergrund aktueller politischer Ereignisse“ statt und auch externe Besucher*innen werden eingeladen, sich an den Diskussionen zu beteiligen. Unterstützt von Vermittlungsschwerpunkten aus der politischen oder der kulturellen Bildung entstehen hier insbesondere internationale Angebote. Sie schließen mitunter auch Empowerment-Prozesse auf dem Weg zur Bildungsentwicklung mit geschlechtersensibler Perspektive ein.
Seit vier Jahren werden zudem gemeinsam mit den Hausgruppen Veranstaltungen während der „Aktionswochen gegen Rassismus“ in einem anderen Bielefelder Stadtteil innerhalb eines Erzählcafés für Senior*innen angeboten. Anliegen hierbei ist, diese Zielgruppe für antirassistische Themen niedrigschwellig zu sensibilisieren, indem beispielsweise ein Hausgruppenmitglied sein Herkunftsland und seine Kultur vorstellt. Neben den Hausgruppen bieten wir im Erzählcafé auch Veranstaltungen an, bei denen Schwarze Autor*innen und Referent*innen aus ihren Werken zu rassismussensiblem Sprachgebrauch vorlesen oder von autobiographischen Erfahrungen und ihrem Leben in Deutschland berichten. Die Bildungsangebote verbinden dabei die unterschiedlichsten Herkunftskontexte der Teilnehmenden und Aktiven und machen ihre diversen Positionierungen und die Teilhabemöglichkeiten in Bielefeld zum Thema.
Konkrete Formate unserer rassismuskritischen Bildungsarbeit
Wie sich die rassismuskritische Arbeitsweise neben der Zusammenarbeit mit den Hausgruppen konkret in den Bildungsangeboten widerspiegelt, wird im Folgenden anhand zwei verschiedener Formate vorgestellt.
In Kooperation mit dem Institut für interdisziplinäre Konflikt und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld entstand im Rahmen der Bielefelder Aktionswochen gegen Rassismus 2019 ein Projekt zum Thema „Antisemitismus in Lebens- und Alltagsgegenwart von Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ mit einer Gedenkstättenfahrt nach Bergen-Belsen. In Form einer Workshop-Reihe umfasste dieses Angebot theoretische und historische Hintergründe antirassistischer Phänomene. Die insgesamt 18 Teilnehmenden waren junge Erwachsene zum Großteil mit Einwanderungsgeschichte und muslimischen Glaubens. Der muslimische Kursleiter, ebenfalls mit internationaler Geschichte, war zu dem Zeitpunkt ein angehender Geschichtslehrer und hatte bereits Erfahrungen als Kursleiter mit jungen Erwachsenen im sozialen Kontext gesammelt.
Das über zwei Monate andauernde Projekt umfasste insgesamt zehn Termine. Vor der eintägigen Gedenkstättenfahrt erhielten die Teilnehmenden vorher in vier Sitzungen eine Einführung zum Thema „Erinnerungskultur und Antisemitismus“, welche zum Teil von wissenschaftlichen Mitarbeitenden des IKGs durchgeführt wurden. In Form interaktiver Methoden und in Kleingruppenarbeit befassten sich die Teilnehmenden, neben der schulischen Auseinandersetzung zum Thema Nationalsozialismus, zum Teil das erste Mal mit Antisemitismus als spezielle Form des Rassismus. Mit theoretischem Input und mit Blick auf die Entstehungsgeschichte, wie Antisemitismus bereits im Mittelalter u. a. als Welterklärung fungierte, wurden die Teilnehmenden ins Thema eingeführt. Ziel des Projekts war schließlich, dass sich die Teilnehmenden in Kleingruppen wöchentlich selbstständig damit beschäftigten, wie sich noch heute Antisemitismus in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (u. a. Medien, Schule, Kunst) äußert und weshalb er immer noch ein allgegenwärtiges Phänomen in unserer Gesellschaft ist. Mit dem Einrichten einer öffentlichen Ausstellung in den IBZ-Räumlichkeiten, präsentierten die Teilnehmenden ihre Ergebnisse (u. a. Collagen, eigene Texte und Videopassagen mit Interviews der Teilnehmer*innen zu den Reflexionen zur Fahrt nach Bergen-Belsen) der Projektarbeit vor externen Besucher*innen.
Das zweite Beispiel bezieht sich auf ein anderes Format. Im Frühjahr 2022 wurde mit der Antirassismustrainerin Mariette Nicole Afi Amoussou eine Veranstaltung mit dem Titel „How to be an Ally? Verbündete*r sein im Kampf gegen Rassismus“ realisiert. In diesem Workshop entwickelten die Teilnehmenden Strategien und Handlungsmöglichkeiten, um den von Rassismus betroffenen Menschen Solidarität entgegenzubringen. Mariette Nicole Afi Amoussou schaffte einen offenen und kritischen Raum, in dem auch die Unsicherheiten, die weiße Menschen gegenüber Rassismus haben, reflektiert wurden. Mit grundlegenden Fragen zu Vorurteilen, Stereotypen, Privilegien und gesellschaftliche Machtverhältnisse regte die Kursleiterin zur Diskussion an. Ziel dabei war es, dass die Teilnehmenden von eigenen Positionen und Erfahrungen aus betrachteten, wie Rassismus unsere Gesellschaft prägt. Dabei wurden verschiedene Formen von Diskriminierung (z. B. Geschlecht, Sexualität oder gesellschaftliche Klasse) in ihrem Zusammenwirken und gegenseitigen Bedingen (Intersektionalität), betrachtet. Mithilfe von Rollenspielen erprobten die Teilnehmenden, wie eine weiße und privilegierte Person sich solidarisch mit BIPoC zeigt, die mit rassistischen Inhalten konfrontiert werden. Ziel hinter dem Konzept des Allyship ist es, dass weiße Personen als Verbündete auftreten, um damit verantwortungsvoll und bewusst solidarisch handeln.
Die Zusammensetzung der Teilnehmenden war hinsichtlich des Vorwissens und ihrer Expertise zum Thema sehr vielfältig. Ein großer Teil der Personen setzte sich bereits über einen längeren Zeitraum privat oder aus beruflichen Beweggründen mit der Entstehung von Rassismus, Critical Whiteness und rassismussensiblem Sprachgebrauch auseinander. Auf der anderen Seite gab es Teilnehmende, die sich zum ersten Mal mit der Thematik befassten und bislang nicht sensibilisiert waren. Diese unterschiedlichen Erfahrungen, die die Teilnehmenden mitbrachten, wusste die Referentin durch den Einsatz passender Methoden sowie durch den Rückgriff auf ihre Erfahrung produktiv einzusetzen. Dies verdeutlicht, dass es bei diesem Bildungsformat sehr wichtig ist, einen Raum zu schaffen, in dem auch in heterogenen Gruppen Einzelne nicht aus Angst davor, einen falschen Begriff zu nutzen, Unsicherheiten aussprechen können.
„Auf Augenhöhe“ arbeiten
Unser Verständnis, die politische Bildung rassismuskritisch zu gestalten, zeigt sich, wie bisher beschrieben, in Form von Kooperationen mit unseren Hausgruppen aber auch mit unseren verschiedenen internen Arbeitsbereichen (z. B. mit interkulturellem Promotorenprojekt oder dem Kinder- und Jugendbereich des IBZ), da ähnliche Themenschwerpunkte verfolgt werden und die gleiche Zielgruppe haben. Zusammenfassend zeichnet sich die rassismuskritische Bildungsarbeit im IBZ dadurch aus, dass entsprechend des Vereinsleitbildes unser Ziel darin besteht, Ansprechstrukturen auf Augenhöhe zu schaffen. Dieses spiegelt sich zum einen in der konzeptionellen Entwicklung von Bildungsangeboten, der Kursleitenden-Auswahl und der Zielgruppe wider, zum anderen zeigt sich unser Ansatz ebenso in der diversen Teamzusammensetzung und dem ebenso divers besetzten Vorstand. Vor allem die Zusammenarbeit mit den Hausgruppen zeigt, dass ein wichtiger Teil unserer Bildungsarbeit von Personen aktiv gestaltet wird, die selbst von Rassismus betroffen sind und aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Kultur Diskriminierungserfahrungen im Alltag erleben.
Regelmäßige interne Fortbildungen und der Austausch im Team können wesentlich dazu beitragen, die eigene Arbeit zu reflektieren und vorhandene Strukturen immer wieder anzupassen.
Die Begegnungen in unserer Einrichtung tragen ebenfalls dazu bei, Vorurteilen entgegenzuwirken und für einen rassismuskritischen Blick zu sensibilisieren. Dennoch ist es auch bei der Entwicklung und Präsentation weiterer politischer Bildungsangebote ein essenzieller Prozess, kontinuierlich die eigene Positionierung und Haltung zu hinterfragen. Regelmäßige interne Fortbildungen und der Austausch im Team können wesentlich dazu beitragen, die eigene Arbeit zu reflektieren und vorhandene Strukturen immer wieder anzupassen.
Zur Autorin
s.adameh@ibz-bielefeld.de