Das Projekt „Demokratie auf Achse“
Das Thema des diesjährigen Fachforums für politische Bildung in ländlichen Räumen war „Landwärts“. Eingeladen von der Bundeszentrale für politischen Bildung kamen für zwei Tage Akteure der politischen Bildung zusammen, um sich über die Herausforderungen und die Zukunft ihres Feldes in ländlichen Räumen auszutauschen. Die einführenden Vorträge kamen zu dem Schluss, dass die Teilhabe der Bevölkerung in ländlichen Räumen am politischen Prozess langfristig nur durch die Unterstützung und Stärkung der Kommunalpolitik und -verwaltung gesichert werden könne (vgl. das Forschungsprojekt „Soziale Orte. Ein Konzept zur Stärkung lokalen Zusammenhalts“: Arndt et al. 2020). Hier wurde auf dem Fachforum immer wieder diskutiert, wo die Kompetenzen der politischen Bildung enden und die Verantwortung politischer Institutionen anfängt. Trotz dieser Grenzen der politischen Bildung bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen wurde bei diesem Austausch deutlich, dass das Projekt „Demokratie auf Achse“ der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern nach 14 Jahren im Einsatz nach wie vor eine Antwort auf Herausforderungen der politischen Bildung in ländlichen Räumen gibt. Insbesondere begegnet das Busprojekt dem grundlegenden Problem mangelnder Mobilität und finanzieller Ressourcen für Angebote der politischen Bildung. Im Folgenden soll daher dieses Projekt als erfolgreiches Praxisbeispiel der aufsuchenden politischen Bildung in ländlichen Räumen vorgestellt werden.
Ländliche Räume in Mecklenburg-Vorpommern
Es lassen sich viele Eigenschaften der ländlichen Räume in Mecklenburg-Vorpommern (MV) herausarbeiten. Jeder Landkreis, jede Region hat spezifische kulturelle und sozioökonomische Merkmale, die in Mecklenburg-Vorpommern zumeist vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des Landes gelesen werden. In Kürze lassen sich jedoch drei Gemeinsamkeiten dieser Regionen ausmachen, die für Akteure der politischen Bildung von Relevanz sind: 1) Bevölkerungsdichte- und potenzial der Regionen, 2) Infrastruktur, 3) Einkommensverteilung und Bildungsniveau.
Erstens zeichnen sich ländliche Räume in MV insbesondere durch ihre niedrige Bevölkerungsdichte aus (vgl. www.deutschlandatlas.bund.de/DE/Karten/Wo-wir-leben/006-Bevoelkerungsdichte.html, Zugriff: 05.12.2022). Nach den Indikatoren des Thünen-Instituts zur Bestimmung von Ländlichkeit sind in Mecklenburg-Vorpommern fast alle Gebiete von überdurchschnittlicher Ländlichkeit geprägt. Diese nimmt von West nach Ost stetig zu. Ländlichkeit sei „tendenziell umso ausgeprägter, je geringer die Siedlungsdichte, je höher der Anteil land- und forstwirtschaftlicher Flächen, je höher der Anteil von Ein- und Zweifamilienhäusern, je geringer das Bevölkerungspotenzial und je schlechter die Erreichbarkeit von großen Zentren ist“ (Thünen-Institut 2022; zur Datengrundlage, Indikator Ländlichkeit vgl. Küpper 2016). Auch im Hinblick auf das Bevölkerungspotenzial, dem zukünftigen Wachstum der Bevölkerung im ländlichen Raum, ist die Tendenzen in MV rückläufig.
Zweitens bedeutet das, dass die Bürger*innen in MV im Ländervergleich lange Wegstrecken zurücklegen müssen, um Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Ärzte, Krankenhäuser, Schulen, Supermärkte oder Institutionen der öffentlichen Verwaltung zu erreichen (vgl. Thünen-Institut 2022). Siehe dort die Datengrundlagen zu den Kategorien Erreichbarkeit von Schulen der Stufe SEK I, Krankenhäusern der Grundversorgung, von Supermärkten und Allgemeinmedizinern. Neuste Studienergebnisse zeigen: Wenn Gemeinden in ländlichen Räumen gut an die Verwaltung und öffentliche Infrastruktur angebunden sind, erhöht das auch die Wahrscheinlichkeit bürgerschaftlichen Engagements (vgl. Nikolic 2021). „Es brauch(e) (daher) vor allem neue (Infra-)Strukturen und Institutionen, die öffentliche Orte schaffen, an denen Menschen zusammenkommen und Gesellschaft gestalten können.“ (Arndt et al. 2020, S. 3) Zu betonen ist, dass es hierbei unterschiedliche Ausprägungen zwischen den einzelnen Landkreisen in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Schaut man sich die Unterschiede der ländlichen Räume genauer an, fallen vor allem Vorpommern-Rügen, Vorpommern-Greifswald und konstant die Mecklenburgische-Seenplatte immer wieder als periphere Räume ins Auge.

Drittens stehen auch die sozioökonomischen Verhältnisse in einem klaren Zusammenhang mit zivilgesellschaftlichem Engagement. Die unterschiedlichen Typen ländlicher Räume werden in aktuellen Studien des Thünen-Instituts nach den Dimensionen Stadt-Land-Kontinuum und den sozioökonomischen Lebensverhältnissen gemessen (vgl. Küpper/Milbert 2020, S. 91). Einige Studien kommen zu dem Schluss, dass Menschen mit gutem Einkommen sich mit einer höheren Wahrscheinlichkeit am politischen Prozess beteiligen (vgl. Bödeker 2012). Insbesondere von Armut betroffene und Menschen ohne Arbeit würden sich aus dem politischen Prozess meist komplett zurückrückziehen. Fratzscher weist bei dieser Hypothese noch auf eine andere Wechselwirkung hin: „Es ist wichtig, die Kausalität zwischen politischer Teilhabe und sozialer Ungleichheit vorsichtig zu analysieren und zu identifizieren. Eine Reihe von Studien zeigt, dass die Kausalität in beide Richtungen verläuft. Eine hohe Ungleichheit bei Chancen, Einkommen und Vermögen führt dazu, dass sich immer weniger Menschen politisch beteiligen. Gleichzeitig berücksichtigt die Politik immer weniger die Anliegen derer, die nicht partizipieren, was wiederum die Ungleichheit erhöhen kann. Die Gefahr ist, dass eine Spirale zwischen Ungleichheit bei der politischen Teilhabe und sozialer Ungleichheit entsteht.“ (Fratzscher 2017, S. 4) Insbesondere in den Kreisen Mecklenburgische-Seenplatte und Vorpommern-Rügen liegt die Arbeitslosenquote mit rund 9 % im Ländervergleich sehr hoch. In den Landkreisen Rostock, Vorpommern-Rügen, Vorpommern-Greifswald, Mecklenburgische-Seeplatte und Ludwigslust-Parchim liegt das Durchschnittsgehalt bei ca. 2.500 Euro Bruttomonatseinkommen, was im Ländervergleich eines der geringsten ist, neben Thüringen und Sachsen (vgl. Thünen-Institut 2022, Kategorie Median Bruttomonatseinkommen in MV). Nach den letzten Erhebungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands lag jedoch die relative Armutsquote 2021 in MV bei lediglich 18,1 % in der Gesamtbevölkerung, was im Ländervergleich wiederum nicht sonderlich hoch ist. Ähnliche Zahlen zeigen auch einige alte Bundesländer wie Hamburg oder Niedersachen auf.
Die politische Bildung in ländlichen Räumen wird zunehmend vor noch größere sozioökonomische Herausforderungen gestellt sein, die sich nur politisch lösen lassen. Angesichts dessen muss danach gefragt werden, was politische Bildung in ländlichen Räumen überhaupt leisten kann und an welchen Punkten es sinnvoll ist, anzusetzen.
Andere Studien betonen wiederum den Einfluss des Bildungsgrads und des Zugangs zu sozialen Ressourcen auf zivilgesellschaftliches Engagement. Dies stärkt die These, dass es weniger vom Einkommen als von der sozialen Herkunft abhängt, ob jemand politisches Interesse zeigt (vgl. Kroh/Krönnecke 2013). Wenn man also anstelle der Arbeitslosenquote und des Durchschnittseinkommens den Grad des Bildungsabschlusses betrachtet, wird deutlich, dass im Ländervergleich überdurchschnittlich viele Menschen in MV die Schule ohne Abschluss verlassen, wobei gleichzeitig überdurchschnittlich viele Menschen die Schule mit Hochschulreife verlassen (vgl. Thünen-Institut 2022, Kategorie Schule ohne Abschluss und Schulabgänger ohne Abschluss; Schulabgänger mit Hochschulreife in MV). Wobei auch dies ein Trend ist, der sich in allen neuen Bundesländern zeigt (vgl. ebd., Kategorie Schule ohne Abschluss und Schulabgänger ohne Abschluss; Schulabgänger mit Hochschulreife in Deutschland gesamt). Dies lässt erwarten, dass zukünftig viele Hochausgebildete und solche ohne Abschluss in den Arbeitsmarkt eintreten werden. Für die Entwicklung des Arbeitsmarktes ist hierbei interessant, dass es in MV aktuell relativ wenige Berufstätige ohne Bildungsabschluss im Ländervergleich gibt (vgl. ebd., Kategorie Berufstätige ohne Bildungsabschluss). Dies könnte darauf zurückgeführt werden, dass es Menschen ohne Abschluss immer schwerer haben, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren (vgl. dazu Rukwid 2015, S. 49 ff.). Zumindest die aktuellen Zahlen zu den Schulabschlüssen in MV deuten also darauf hin, dass sich in den nächsten Jahren die soziale Ungleichheit in MV eher verschärfen wird, was wiederum negative Auswirkungen auf die politische Teilhabe haben wird, folgt man Studien, die diesen Zusammenhang herstellen (vgl. Faas/Siri 2017; Fratzscher 2017; Lütters 2022).
Die politische Bildung in ländlichen Räumen wird hier also zunehmend vor noch größere sozioökonomische Herausforderungen gestellt sein, die sich nur politisch lösen lassen. Angesichts dessen muss danach gefragt werden, was politische Bildung in ländlichen Räumen überhaupt leisten kann und an welchen Punkten es sinnvoll ist, anzusetzen. Ist es vielleicht die Aufgabe der politischen Bildung, Bürger*innen über diese Entwicklungen aufzuklären und zu verdeutlichen, dass die Grundlage von politischer Teilhabe auch die sozioökonomische Teilhabe an der Gesellschaft ist? Wie auch immer man diese Frage beantwortet, zeigen bereits diese wenigen Variablen die Grenzen der politischen Bildung. Daher gilt es auch immer wieder, Erwartungsmanagement in meist befristeten Projekten zu betreiben. Ein Grund, warum das Projekt „Demokratie auf Achse“ seit so vielen Jahren erfolgreich im ländlichen Raum unterwegs ist, ist nicht zuletzt, mit erfüllbaren Erwartungen an die Umsetzung zu gehen.
„Demokratie auf Achse“ – Mobil von Ludwigslust-Parchim bis Vorpommern-Greifswald
Seit Mai 2008 ist das Projekt „Demokratie auf Achse“ in allen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns unterwegs. Unter dem Leitspruch „hinaus zu den Menschen“ entstand damals mit einer weiteren Landesbehörde, dem damaligen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Mecklenburg-Vorpommern (www.landesbeauftragter.de/behoerde/aufgaben), die Idee, eine mobile Außenstelle für beide Behörden zu schaffen und so die Bürger*innen aller Altersgruppen in der Fläche des Landes, fernab von Schwerin zu erreichen. Was zunächst als temporäres Projekt geplant und finanziert war, kam so gut an, dass es mehrfach verlängert und schließlich fest im Haushalt der Landeszentrale verankert wurde. Im Schnitt fährt der Demokratiebus jährlich 20.000 Kilometer durch Mecklenburg-Vorpommern und besucht dabei jedes Jahr ca. 50 Bildungseinrichtungen und 30 öffentliche Plätze. Das Projekt entstand damals nicht im luftleeren Raum, sondern setzte sich konkrete, theoretisch fundierte Ziele der aufsuchenden politischen Bildung. Im Folgenden werden daher im ersten Schritt die theoretischen Grundlagen der Projektarbeit und Zielgruppenauswahl sowie das theoretische Leitbild von „Demokratie auf Achse“ beschrieben, um in einem zweiten Schritt, die daraus resultierende konkrete Umsetzung zu erläutern.
Bereits im Mai 2008 folgte das Konzept des Projekts „Demokratie auf Achse“ Ansätzen der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, die erst jüngst im 16. Kinder- und Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als moderne und wirkmächtige Ansätze der Demokratieförderung benannt wurden. Erstens wird in dem Bericht auf die Notwendigkeit der Förderung von aufsuchenden, niedrigschwelligen Angeboten der politischen Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit hingewiesen: „Mit ihren Ausführungen zur offenen Kinder- und Jugendarbeit zeigt die Kommission zutreffend auf, dass die Politik hier einen Rahmen setzen sollte – vor allem, indem sie durch öffentliche Förderung ermöglicht, dass qualifizierte Fachkräfte aktiv dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche sich in offenen Räumen demokratische Prozesse selbstbestimmt und niedrigschwellig aneignen können; ggf. auch durch aufsuchende Arbeit und mobile Angebote. Die Bundesregierung hat die Förderung der Bundeszentralen Strukturen der offenen Kinder- und Jugendarbeit zuletzt deutlich angehoben.“ (Deutscher Bundestag 2020, S. 21 f.).

Zweitens versteht der Bericht politische Bildung als einen „fortwährenden Auftrag“, also als einen lebenslangen Prozess. Drittens solle es der „politischen Bildung stets um die Art und Weise der gesellschaftlichen Verständigung über allgemein verbindliche Regeln gehen“. In diesem Sinne versteht die Bundesregierung politische Bildung als demokratische Bildung. In ihr sollen demokratische Kompetenzen und nicht bloß Wissen vermittelt werden und zwar ein Leben lang. Im Bericht heißt es dazu: „Die Bundesregierung hatte im Berichtsauftrag und im Titel des Berichts eine ‚demokratische Bildung‘ präferiert – die den wichtigen Auftrag hat, dazu beizutragen, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene eine demokratische Haltung, eigene begründete Meinungen sowie die Bereitschaft und Fähigkeit entwickeln, sich demokratisch zu beteiligen. Das Erlernen einer offenen Diskussionskultur, die Stärkung von Toleranz gegenüber anderen Meinungen, Lebensformen und Lebensrealitäten, die Befähigung zu Kompromissen und zur Akzeptanz mehrheitlicher Entscheidungen bei Wahrung von Minderheitenrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien gehören dazu.“ (Ebd., S. 8)
Auch das politische Leitbild des Projektes findet sich in dem Bericht wieder. Die Bundesregierung leitet einen Paradigmenwechsel im Selbstverständnis der politischen Bildung ein, der in der Debatte um die Werturteilsfreiheit der Politikwissenschaft schon lange diskutiert wurde. Danach sei staatlich verantwortete politische Bildung nicht politisch neutral: „Im Gegenteil: Die staatlich verantwortete politische Bildung ist angehalten, für die demokratischen Prinzipien, die Menschenrechte und ihre grundrechtlichen Konkretisierungen einzutreten. Auch Inhalte und Programme von Parteien dürfen Bildungsgegenstand sein, so lange dies ausgewogen geschieht und keine Meinung aufgedrängt wird.“ (Ebd., S. 9) In diesem Sinne wird das Projekt „Demokratie auf Achse“ von dem Grundsatz geleitet, dass politische Bildung in seinem Selbstverständnis auch nur in einer auf Freiheit und Gleichheit begründeten Demokratie möglich ist. Und nicht zuletzt hat auch der Beutelsbacher Konsens nach wie vor an Aktualität in der Arbeit des Projektes nicht verloren, denn dieser bietet die berufsethische Grundlage für das Selbstverständnis der Projektmitarbeitenden im Hinblick auf die Gefahren der Indoktrination und Fremdbestimmung.
Wie werden diese theoretischen Grundannahmen im Projekt umgesetzt? Entsprechend des Verständnisses von politischer Bildung als lebenslangen Lernprozess und im Hinblick auf den demografischen Wandel in ländlichen Räumen Mecklenburg-Vorpommerns, bedient der Demokratiebus eine Vielzahl an Zielgruppen: Kinder und Jugendliche, junge Erwachsene bis hin zu Senioren.
Es geht bei den politischen Planspielen nicht nur um die Vermittlung von Wissen zu den Funktionsweisen der politischen Institutionen, sondern vor allem darum, dass die Teilnehmenden ein Gefühl für ihre eigene politische Haltung bekommen und lernen, dass es in einer Demokratie um den Austausch von Argumenten und das Finden von Mehrheiten geht.
Das Angebot des Demokratiebusses wurde im Jahr 2022 besonders von Grundschulen wahrgenommen. Dies war ein neues Handlungsfeld für die Mitarbeitenden des Busses, die sich bisher vor allem Altersgruppen ab der 9. Klasse gewidmet hatten. Zu diesem Zweck wurde ein neues Planspiel ausgearbeitet, in dem sich die Kinder auf spielerische Art und Weise der Frage widmen „Wie will ich meine Stadt/Gemeinde/Dorf kinderfreundlicher gestalten?“ Zur Lösung dieser Aufgabe wurden Elemente eingebaut, die Aushandlungsprozesse zur Gestaltung ihrer Stadt notwendig machen. In Kleingruppen sollen die Kinder ein gemeinsames Plakat mit Stichpunkten entwerfen, das sie als Gruppe gemeinsam vorstellen. Am Ende des Projekttages wird eine kleine, geheime Wahl durchgeführt. Das Ziel dieses Projekttages ist es, Kindern erste Einblicke in den demokratischen Gestaltungsprozess zu geben und die ersten Schritte hin zu einem Denken für die Gemeinschaft zu wagen.
Der Demokratiebus wird am häufigsten von öffentlichen Bildungseinrichtungen für junge Erwachsene angefragt. Neben Einrichtungen wie Schulzentren, Gymnasien oder auch Berufsschulen ist der Bus auch zu außerschulischen Einrichtungen wie der Feuerwehr, Bundeswehr oder Haftanstalten eingeladen. Hierbei werden drei Formate genutzt: politische Planspiele, Quizformate und Veranstaltungsformate. Die Angebote für junge Erwachsene sind ebenso wie die für Kinder von dem Leitgedanken der demokratischen Bildung geprägt. Es geht bei den politischen Planspielen nicht nur um die Vermittlung von Wissen zu den Funktionsweisen der politischen Institutionen, sondern vor allem darum, dass die Teilnehmenden ein Gefühl für ihre eigene politische Haltung bekommen und lernen, dass es in einer Demokratie um den Austausch von Argumenten und das Finden von Mehrheiten geht. Auf der anderen Seite sollen sie lernen, im Sinne des sokratischen Prinzips kritisch ihre politische Meinung im Spiegel anderer Perspektiven zu hinterfragen und auch die Vielfalt der Meinungen und Haltungen als Teil der demokratischen Kultur zu verstehen und anzuerkennen. Das Busprojekt bietet eine Vielzahl an Planspielen: 1) das Planspiel Gemeinde, in dem die Beteiligung einer Gemeinde am Aufbau von Windkraftanlagen diskutiert wird; 2) das Planspiel Landtag, in dem der Gesetzgebungsprozess auf Landesebene anhand aktueller politischer Fragestellungen durchgespielt wird; 3) das Planspiel „Europa kontrovers“, in dem ein EU Sondergipfel zum Thema Asyl- und Migrationspolitik gespielt wird; 4) das Planspiel Wahlen, in dem die Teilnehmenden eigene Wahlprogramme erarbeiten und dann in den Wahlkampf gehen; 5) das Planspiel Akronia, in dem es um den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur geht.
Das Projekt „Demokratie auf Achse“ tourt zudem über die Marktplätze Mecklenburg-Vorpommerns, führt Bürgergespräche und Abendveranstaltungen durch und erreicht damit auch Erwachsene und Senioren. Die Touren auf dem Marktplatz haben meist ein übergeordnetes Thema. Im Jahr 2021 ist der Bus mit dem „Wahl-O-Mat“ zum aufkleben durch das Land gefahren. Über solche Quizformate ist es sehr einfach, mit Bürger*innen zu ihren politischen Anliegen und Haltungen ins Gespräch zu kommen. Nach wie vor liegt in Mecklenburg-Vorpommern vielen Menschen das Thema der Aufarbeitung des SED-Regimes am Herzen, daher wurde in der Vergangenheit auch das Angebot, „Anträge auf Akteneinsicht“ im Bus stellen zu können, intensiv genutzt. Dieses Angebot ist immer wieder ein wichtiger Zugang zu den politischen Gefühlen und Gedanken der älteren Bevölkerungsgruppen in Mecklenburg-Vorpommern.
Ausblick
Mittlerweile wird der dritte Bus für seine Fahrt übers Land ausgebaut und ausgestattet. Das Ziel ist allerdings nach wie vor das gleiche geblieben: Die physisch-räumliche Distanz zu interessierten Bürger*innen zu verringern und den Zugang zu politischer Bildung kostenlos und möglichst niederschwellig zu gestalten. Nach über 14 Jahren ist der Kalender des Projekts nach wie vor schnell gefüllt. Aber auch das Busprojekt muss sich entsprechend der aktuellen politischen Kontroversen weiterentwickeln.
Die Handlungsmöglichkeiten lassen sich hier einteilen in räumlich und inhaltlich. Inhaltlich will das Projekt mit den politischen Entwicklungen mithalten. Das Feld der Medienkompetenz wird für die politische Bildung immer wichtiger. Bürger*innen zu vermitteln wie sie zwischen vertrauenswürdigen und nicht-vertrauenswürdigen Quellen unterscheiden können, ist die Grundlage für informierte Entscheidungen in einer Demokratie. Dass Politik immer auch ein emotionales Handlungsfeld bleiben wird, lässt sich nicht leugnen, es sollte daher der Anspruch der politischen Bildung sein, möglichst vielen Menschen Ressourcen für eine faktenbasierte Entscheidungsfindung an die Hand zu geben. Konkret soll dafür ein politisches Planspiel in das Angebot des Busprojektes aufgenommen werden, das für alle Altersgruppen ab der 10. Klasse anwendbar ist und das Ziel hat, den Unterschied von Fakten und Meinungen zu vermitteln.

Ein weiteres großes Themenfeld ist die ökologische Nachhaltigkeit. Das Busprojekt deckt diesen Themenbereich teilweise bereits mit einem Planspiel zur Beteiligung von Gemeinden am Ausbau von Windkraftanlagen ab, aber die eigentlich drängende Aufgabe ist es, mit Bürger*innen das Für und Wider der mit der Abkehr von fossilen Brennstoffen einhergehenden technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu reflektieren. Dies beginnt bei der Sorge um die Preise von Benzin und reicht bis zur Sorge um die ästhetische Zerstörung ländlicher Räume durch Windkraftanlagen. Diese Bedenken muss die politische Bildung unvoreingenommen mit Bürger*innen diskutieren und ihnen zeigen, wie sie ihre Standpunkte in das politische System einbringen können.
Mit der wachsenden sozialen Ungleichheit wird ein drittes großes Themenfeld, die Rolle des Sozialstaats in der Demokratie, benannt, dem von Seiten der politischen Bildung mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Politische Bildung sollte es ebenso als Teil ihrer Aufgabe sehen, die Bedeutung von Artikel 20 Absatz 1 „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ in seiner Gänze für Bürger*innen zu vermitteln und die Wahrnehmung des Sozialstaates mit ihnen zu diskutieren. Politische Bildung arbeitet hauptsächlich mit der Vermittlung der Prozesse und Aufgaben des demokratischen Bundesstaates. Aber nicht ohne Grund wurde das Sozialstaatsprinzip nach dem Zweiten Weltkrieg in das Grundgesetz aufgenommen und von der Ewigkeitsklausel geschützt. Eine Grundannahme dahinter ist, dass zu große soziale Ungleichheit die Demokratie gefährdet und dass der Staat eine Verantwortung für das wirtschaftliche Wohlergehen der Bevölkerung hat. Insbesondere die Unterstützung von Menschen ohne Arbeit ist in der Bevölkerung sehr umstritten. Hier sollte die politische Bildung die Diskussion, inwiefern der Freiheits- und Gleichheitsbegriff unserer Demokratie mit dem Sozialstaatsprinzip und seinen konkreten Maßnahmen verbunden sind, als Teil ihrer Aufgabe verstehen.
Mit den räumlichen Handlungsmöglichkeiten gelangen wir wieder zum Anfang dieses Artikels. Wie eingangs festgestellt existieren große Unterschiede in Mecklenburg-Vorpommern zwischen den ländlichen Räumen der Mecklenburgischen-Seenplatte, Vorpommern-Rügen und Vorpommern-Greifswald im Vergleich zu Ludwigslust-Parchim oder Nordwestmecklenburg. Mit dem „Demokratieladen“ in der Hansestadt Anklam in Vorpommern hat die Landeszentrale auch hier schon vor langer Zeit ein Projekt ins Leben gerufen, das dauerhaft vor Ort einen Anlaufpunkt für Bürger*innen der Regionen bietet. Gerade in diesen Gebieten braucht es vor allem eine dauerhafte Stärkung der Kommunalpolitik und -verwaltung durch Projekte der politischen Bildung, um langfristig die politische Teilhabe auch in ländlichen Räumen auszubauen. Ein sehr erfolgreiches Beispiel ist hier der bereits im Koalitionsvertrag der Regierung Brandenburgs aufgenommene Verein „Dorfbewegung Brandenburg. Lebendige Dörfer e. V.“, in dem lokale politische Akteure einander helfen und darin unterstützen, durch Wissensaustausch ihre politischen Anliegen über die politischen Institutionen der Kommune und des Landes einzubringen (vgl. https://spd-brandenburg.de/wp-content/uploads/191024_Koalitionsvertrag_Endfassung.pdf, S. 7, Zugriff: 20.12.2022).
Zur Autorin

L.Klingsporn@lpb.mv-regierung.de