Außerschulische Bildung 3/2022

Ausgeträumt?

Zivilgesellschaft in shrinking spaces und Repression

Welche Auswirkungen haben shrinking civic spaces auf politische Bildung? In immer mehr Gesellschaften in und außerhalb Europas findet eine Einschränkung demokratischer und ziviler Rechte und Freiheiten statt. Die Welt ändert sich und das hat Auswirkungen auf politische Bildung hierzulande. Wir sollten uns und unsere Arbeit kritisch hinterfragen und uns der Situation stellen. Menschenrechte als zentraler Bezugspunkt unserer Arbeit sind unteilbar und universell. von Georg Pirker

Türkische NGO-Aktivist*innen arbeiten im Exil, belarussische zivilgesellschaftliche Akteure suchen Unterschlupf in NGO‘s im Ausland, russische NGO-Aktivist*innen suchen nun Unterschlupf in der Türkei. Foreign agents laws zwingen Organisationen, ihre Aktivitäten einzustellen und kriminalisieren zivilgesellschaftlich engagierte Bürger*innen. Themen wie Vielfalt, sexuelle Selbstbestimmung etc. können in verschiedenen Ländern gar nicht oder nur mit Vorsicht mit jungen Menschen bearbeitet werden, da die zugrundeliegende nationale Gesetzgebung bspw. die Behandlung bestimmter Aspekte gesellschaftlicher Vielfalt unter Strafe stellt, nicht mit dem Kinderschutz vereinbar macht oder schlicht und einfach bestehende Gesetze restriktiv ausgelegt und gehandhabt werden. Die vor 10 Jahren durch den Arab Spring romantisch aufkeimende Hoffnung eines weitergehenden weltweiten demokratischen Wandels erscheint ad acta gelegt.

Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben sich im Februar 2022 die Ausgangslagen für diesen Artikel grundlegend geändert, da vieles von dem, was bislang durch innerstaatliche Repression und Verfolgung gekennzeichnet war, sich insbesondere in Russland nochmals verschärft hat. Es bedeutet die nicht für möglich gehaltene grundlegende Negation europäischer politischer Friedens- und Menschenrechtspolitik und -prozesse, wie sie sich beispielsweise in der Helsinki Schlussakte, im OSZE-Prozess, in der Europäischen Konvention der Menschenrechte und in den EU-Verträgen niederschlägt. Das sind Grundlagen, auf denen das Selbstverständnis politischer Bildungsarbeit fußt. Wir lernen, dass die wirtschaftliche Kooperation mit autoritären Regimen ihren Preis hat: In einer „wertegeleiteten Außenpolitik“, als deren integraler Bestandteil u. a. auch internationale Begegnung und Zusammenarbeit zu verstehen ist, stellen sich vielfach Fragen nach der Verantwortlichkeit staatlichen Handelns. Was ist wichtiger: Menschenrechte und die Einhaltung demokratischer Prinzipien oder wirtschaftliche Interessen und irgendwie nebenbei Völkerverständigung? Den Wettbewerb mit China forcieren und das demokratisch orientierte hindu-nationalistische Indien unterstützen, wo Umwelt und Menschenrechts-NGO‘s schwer unter Druck sind? Das eine predigen, das andere tun, bedeutet auch für unser Arbeitsfeld einen permanenten Widerspruch, der in konkreter Bildungsarbeit schwer auszuhalten ist und Glaubwürdigkeit in Mitleidenschaft zieht.

Shrinking civil space, shrinking democratic spaces, contested spaces, narrowing or closing spaces – mit den Begriffen verbindet sich eine Entwicklung, die Einschränkungen von Menschenrechten für bestimmte Gruppen und von liberalen Grundrechten wie z. B. das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Organisationsfreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht auf Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit betreffen. Es werden Vorgänge beschrieben, die sich in Europa nicht nur in Russland, Belarus, der Türkei ereignen, sondern auch innerhalb der Staaten des Europarats und der EU.