Außerschulische Bildung 4/2020

Beschimpft, beleidigt, angegriffen

Gewalt gegen Politiker*innen als Bedrohung für die Demokratie

In den letzten Jahren nimmt die verbale und körperliche Gewalt gegen Politiker*innen eindeutig zu. Der rechtsextremistisch motivierte Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 markiert den traurigen Höhepunkt von Hasskriminalität gegen Amts- und Mandatsträger*innen. Bevor verschiedene Politiker*innen – überwiegend aus der Kommunalpolitik – selbst zu Wort kommen, wird in diesem Beitrag eine Analyse der gegenwärtigen Situation vorgenommen und werden die zentralen Herausforderungen für ein entschlossenes Handeln gegen Hasskriminalität und extremistische Bedrohung benannt.  von Beate Rosenzweig

Auf allen Ebenen des demokratischen Systems, von der Bundes- über die Landes- bis hin zur Kommunalpolitik, werden Politiker*innen mittlerweile beschimpft, bedroht und immer wieder tätlich angegriffen. Die Messerattacken gegen die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) im Oktober 2015 und gegen den Bürgermeister von Altena Andreas Hollstein (CDU) im Juni 2017, der Angriff gegen den Bremer AfD-Landesvorsitzenden Frank Magnitz (Januar 2019), die Schüsse auf das Abgeordnetenbüro des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle (Januar 2020), die jüngsten Morddrohungen u. a. gegen die Bundestagsabgeordneten Claudia Roth und Cem Özdemir und die hessische Landtagsabgeordnete der Linkspartei Janine Wissler, oder auch die massiven sexistischen Beleidigungen u. a. gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast haben die öffentliche Wahrnehmung für das Problem deutlich geschärft. Für 2019 geht das Bundeskriminalamt von 1.674 politisch motivierten Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen aus.

Die meisten der politisch zuordenbaren Straftaten kommen aus dem rechtsextremen Spektrum (609), 310 Straftaten wurden von Linksextremist*innen verübt. Vergleichsweise gering fallen Straftaten aus, die dem Bereich „ausländische Ideologie“ (19) oder „religiöse Ideologie“ (9) zugeordnet wurden. Insgesamt wurden 2019 89 Gewaltdelikte gegen Amts- und Mandatsträger*innen erfasst, davon 20 Körperverletzungsdelikte. Im Vergleich zu 2018 bedeutet dies nicht nur einen Anstieg der Straftaten insgesamt, sondern auch eine Verdopplung der Gewaltdelikte gegen Politiker*innen. Seit 2019 werden Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen gesondert erfasst (vgl. BMI 2020a). Betroffen von den statistisch erfassten Straftaten sind, wie eine kleine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle ergab, Vertreter*innen aller Parteien, vor allem CDU-Politiker*innen, gefolgt von Politiker*innen der AfD, der SPD, der Grünen, der Linken, der CSU und der FDP. Vgl. www.zeit.de/politik/deutschland/2019-12/politische-angriffe-politiker-straftaten-cdu-rechtsextremismus (Zugriff auf diesen und alle weiteren in diesem Beitrag genannten Links: 24.08.2020). Erweitert man den Blick auf die vom Bundesamt für Verfassungsschutz registrierten Straf- und Gewalttaten im Bereich „Politisch motivierte Kriminalität“, so zeigt sich, dass rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten insgesamt erheblich überwiegen, wobei auch linksextremistische Straf- und Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen sind. Der Verfassungsschutzbericht verzeichnet für 2019 insgesamt 21.290 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund und 6.449 Straftaten aus dem linksextremistischen Spektrum. Während rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten überwiegend aus fremdenfeindlichen und antisemitischen Motiven erfolgen, richten sich linksextremistische Gewalttaten in erster Linie „gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole“ (BMI 2020b). Die erfassten Straf- und Gewalttaten im Bereich Hasskriminalität gehen fast ausschließlich auf das Konto von rechtsextremistischen Täter*innen. Vgl. www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/pmk-2019-hasskriminalitaet.pdf?__blob=publicationFile&v=4

„Meinungspluralismus gehört zu einer liberalen Demokratie.“ Foto: Gerd Altmann/pixabay

Wie gravierend der politische Alltag von Amts- und Mandatsträger*innen inzwischen von verbalen und körperlichen Bedrohungen geprägt ist, zeigen aktuelle Untersuchungen. So ergab eine von Report München durchgeführte Befragung unter weiblichen Bundestagabgeordneten, an der sich 77 (von 221) Frauen beteiligt haben, dass die überwiegende Mehrheit bereits Opfer von rechtsextremem Hass bzw. sexistischen und rassistischen Gewalt- und Morddrohungen im Netz waren. Angesichts der anhaltenden Bedrohungen äußerten 11 % der befragten Frauen Zweifel daran, ob sie ihr Amt unter diesen Bedingungen überhaupt weiterhin ausüben wollen. Vgl. www.br.de/mediathek/video/hass-gewalt-und-sexphantasien-angriff-auf-politikerinnen-im-netz-av:5d9cf92394cd3b001abe8e44

Auch die bislang größte bundesweite Umfrage zum Thema „Gewalt gegen Kommunalpolitiker*innen“, an der jede/r vierte Bürgermeister*in Deutschland teilgenommen hat, ergab, dass die Zahl der von Hasskriminalität betroffenen Kommunen und Politiker*innen deutlich zugenommen hat. Zwei Drittel der befragten 2.294 Bürgermeister*innen (64 %) gab an, im Rahmen ihrer Tätigkeit bereits selbst beleidigt, beschimpft, bedroht oder sogar tätlich angegriffen worden zu sein. Jede/r 11. Bürgermeister*in wurde körperlich bedrängt, bespuckt oder geschlagen. Selbst in kleinen Gemeinden sind mehr als die Hälfte der Bürgermeister*innen, aber auch Verwaltungsmitarbeitende und Gemeindevertreter*innen, betroffen (vgl. Eberhardt 2020). Gefragt nach ihren persönlichen Erfahrungen berichten die Kommunalpolitiker*innen von Angriffen auf öffentlichen Versammlungen und in Diensträumen, von Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen, wie gelockerten Radmuttern am Auto, Kot im Briefkasten, eingeschlagenen Fensterscheiben, von nächtlichen Drohanrufen, von Hassbriefen sowie diffamierenden Kommentaren in den sozialen Medien, die sich explizit auch gegen Kinder und weitere Familienangehörige richten. Der Vergleich zu einer früheren Befragung (2016) zeigt, dass sich die Form der Bedrohungen in den letzten Jahren deutlich verschärft hat. Ging es in einer ersten Welle von rechtsextremen Hass-Angriffen auf Kommunalpolitiker*innen im Zuge der Aufnahmen von Geflüchteten (ab 2015) vor allem um anonyme Drohungen in den sozialen Medien, so berichten betroffene Politiker*innen aktuell von direkten persönlichen Angriffen (vgl. hierzu insbesondere Heinrich-Böll-Stiftung o. J.). „Der Hass hat sich seinen Weg aus der Anonymität des Netzes in die Rathäuser gebahnt“ (Lauter 2020), so der Chefredakteur des Kommunal-Verlages, Christian Erhart, der die KOMMUNAL-Umfrage zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa realisiert hat (vgl. Erhardt 2020).

Die zunehmenden Anfeindungen haben nicht nur erhebliche persönliche Folgen für die auf extreme Weise angegriffenen Politiker*innen, sondern auch strukturelle Konsequenzen für das kommunale politische Ehrenamt.

Die zunehmenden Anfeindungen haben nicht nur erhebliche persönliche Folgen für die auf extreme Weise angegriffenen Politiker*innen, sondern auch strukturelle Konsequenzen für das kommunale politische Ehrenamt. Rücktritte betroffener Politiker*innen häufen sich, auch die Zahl derjenigen, die bereit sind unter diesen Bedingungen ein politisches (Ehren-)Amt zu übernehmen, ist rückläufig. Vgl. u. a. www.mdr.de/sachsen/bautzen/bautzen-hoyerswerda-kamenz/arnsdorf-spd-buergermeisterin-100.html Die Bedrohung, die damit für die Demokratie einhergeht, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich einer Diskussionsveranstaltung mit Kommunalpolitiker*innen auf den Punkt gebracht: „(…) die Übergriffe (haben) ein Ausmaß und eine Häufigkeit erreicht, die für mich nur eine Schlussfolgerung erlauben: Wir dürfen nicht zulassen, dass Kommunalpolitiker und -kommunalpolitikerinnen in unserem Land zu Fußabtretern der Frustrierten werden. Wir brauchen all die Menschen, die bereit sind, Verantwortung vor Ort zu übernehmen und zu tragen. Sie sind das Fundament, auf dem das Gebäude der Demokratie ruht. Deshalb: wir müssen Zivilität verteidigen, Anstand und Vernunft zurückgewinnen.“ www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2020/03/200310-Zwickau-Kommunalpolitiker.pdf?__blob=publicationFile

Steinmeier verweist damit auch auf das entscheidende Motiv, das hinter den Bedrohungen gegen Politiker*innen steht: die mehr oder weniger gezielte Destabilisierung der Demokratie durch persönliche Einschüchterung sowie durch die bewusste Beschränkung von Meinungspluralität und demokratischer Streitkultur. Demokratie gründet auf der Bereitschaft zum politischen Engagement, zur partizipativen Teilhabe und zum offenen und begründeten politischen Meinungsstreit. Sie gegen Hasskriminalität und extremistische Bedrohung zu verteidigen, erfordert ein entschlossenes Gegenhandeln auf mindestens drei Ebenen:

Erstens gilt es im Rahmen der „wehrhaften Demokratie“ die Regeln des Rechtsstaates konsequent durchzusetzen und Amts- und Mandatsträger*innen sowie Mitarbeitende der öffentlichen Verwaltungen soweit wie möglich zu schützen. Das von der Bundesregierung im Juni 2020 verabschiedete „Gesetzespaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität“ weist in diese Richtung und stellt Kommunalpolitiker*innen und Personen, die aufgrund ihrer beruflichen oder ehrenamtlichen Tätigkeit Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt sind, unter besonderen Schutz. Zudem wird das Strafmaß auf bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe bei Beleidigungen zu Lasten von Kommunalpolitiker*innen erhöht und eine Informationspflicht und Auskunftserteilung sozialer Netzwerke im Falle von Morddrohungen, volksverhetzenden und antisemitischen Äußerungen sowie anderen strafbaren Inhalten an das Bundeskriminalamt eingeführt. Eine durchgreifende Wirkung können diese Regelungen jedoch nur dann entfalten, wenn eine konsequente gerichtliche Verfolgung und strafrechtliche Sanktionierung sichergestellt ist. Dafür ist es auch notwendig, wie insbesondere das jüngste Beispiel gezielter rechtsextremistischer Drohmails von „NSU 2.0“ zeigt, innerhalb der Polizeibehörden konsequent gegen Fehlverhalten vorzugehen. Nur so kann das Vertrauen in die staatlichen Institutionen gestärkt werden.

Gewalt gegen Politiker*innen als Bedrohung für die Demokratie Foto: Jon Tyson/unsplash

Neben einer konsequenten strafrechtlichen Verfolgung und Sanktionierung von Straf- und Gewalttaten geht es zweitens um eine breite zivilgesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung des politischen Engagements von Amts- und Mandatsträger*innen. Mit der für demokratische Systeme konstitutiven Kritik an politischen Eliten haben persönliche Bedrohungen und tätliche Übergriffe nichts gemein. Hier gilt es vielmehr, sich mit Betroffenen zu solidarisieren und genau das Gegenteil von dem zu tun, was Extremist*innen beabsichtigen: demokratische Haltung zeigen, das heißt, der Bereitschaft, politische Aufgaben zu übernehmen, Respekt zu zollen und politische Partizipation als demokratisches Grundrecht zu würdigen. Eine breite zivilgesellschaftliche Unterstützung von Amts- und Mandatsträger*innen entlarvt dann ganz nebenbei auch die populistische Verlautbarung eines dualistischen Gegensatzes zwischen „denen da oben“ und „uns dem Volk“ als eine simple Form von rhetorischer Inszenierung.

Neben einer konsequenten strafrechtlichen Verfolgung und Sanktionierung von Straf- und Gewalttaten geht es um eine breite zivilgesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung des politischen Engagements von Amts- und Mandatsträger*innen.

Darüber hinaus gilt es drittens, die demokratische Streitkultur gegen Versuche diskriminierender Ausgrenzung und Abwertung zu stärken. Der immer wieder vertretenen Ansicht, „man dürfe in Deutschland seine Meinung nicht (mehr) frei aussprechen“, ist entschieden zu widersprechen. Politischer Meinungsstreit ist vielmehr konstitutiv für die demokratische Willens- und Urteilsbildung. Das bedeutet allerdings nicht, dass eine „streitbare Demokratie“ keine Grenzen der Meinungsfreiheit kennt. Persönliche Bedrohungen, rassistische, sexistische oder antisemitische Beleidigungen und tätliche Angriffe sind schlicht und einfach kriminell. Für eine demokratische Streitkultur gelten andere Regeln: Sie ist geprägt von einer offenen und begründeten Auseinandersetzung über unterschiedliche Standpunkte. Das bedeutet, andere Meinungen als prinzipiell diskussionswürdig anzuerkennen und das eigene Urteil kritisch zu hinterfragen. Die Bereitschaft dazu, anderen gegenüber die eigene Meinung zu begründen und sie argumentativ überzeugen zu wollen, bei gleichzeitiger Offenheit dafür, sich von anderen (besser begründeten) Argumenten überzeugen zu lassen, sind Grundvoraussetzungen demokratischer Streitkompetenz. Wer bereit ist, sich auf diese Weise demokratisch zu streiten, der/die streitet auch grundsätzlich für die Demokratie und gegen Hass und Gewalt.

Zur Autorin

Hon.-Prof’in Dr. Beate Rosenzweig, Politikwissenschaftlerin, ist stellvertretende Direktorin des Studienhauses Wiesneck – Institut für Politische Bildung Baden-Württemberg e. V., Buchenbach, und Honorarprofessorin am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg.
beate.rosenzweig@wiesneck.de

Literatur

BMI – Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.) (2020a): Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2019. Bundesweite Fallzahlen; www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/pmk-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=8
BMI – Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.) (2020b): Verfassungsschutzbericht 2019; www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2019
Eberhardt, Christian (2020): Kommunalpolitiker: Bedrohungen sind an der Tagesordnung; https://kommunal.de/kommunalpolitiker-umfrage-2020
Heinrich-Böll-Stiftung (o. J.): Kommunalwiki: Hass Angriffe auf Kommunalpolitiker/innen; https://kommunalwiki.boell.de/index.php/Hass-Angriffe_auf_Kommunalpolitiker/innen
Lauter, Rita (2020): „Mir wurde empfohlen, sehr gut auf meine Kinder aufzupassen“. Beschimpft, bespuckt, bedroht: Laut einer neuen Studie haben zwei Drittel der Bürgermeister schon solche Angriffe erlebt. Viele überlegen, ihr Amt ganz aufzugeben. In: ZEIT online; www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-03/hass-politiker-bedrohung-uebergriffe-buergermeister-kommunalpolitik

Statements und Erfahrungsberichte von Politiker*innen

Es begann im Jahr 2012 … An der frisch sanierten Fassade eines Hauses im Ort stand: „Der beste Platz für einen Bürgermeister ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos, erfolgreich und leicht zu entfernen.“ Ich erkundigte mich bei einem Anwalt, ob ich eine Chance habe, diesen Spruch entfernen zu lassen. Er verneinte: „Das musst du aushalten, wenn du in der Öffentlichkeit stehst.“

Besagter Hauseigentümer, der einige Jahre zuvor aus dem Westen Deutschlands kam, lies keine Gelegenheit aus, seine Meinung auf Plakate zu schreiben und diese über die Mauer seines Grundstückes zu hängen. Einmal war es die Beschwerde über den schlechten Straßenzustand einer Kreisstraße, ein anderes Mal war es seine Meinung gegen die Einführung des Euro und die Zusammenarbeit in Europa. Er wurde führendes Mitglied der AfD im Landkreis. Im Jahr der Flüchtlingskrise und der anstehenden Bürgermeisterwahl im Ort richtete er 2015 eine Facebookseite ein. Es wurde massiv gegen Flüchtlinge, die Gemeinde und mich persönlich gehetzt. Man rief zu einem Bürgerbegehren mit dem Ziel eines Bürgerentscheides gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft auf. In einer Veranstaltung der Sächsischen Polizei im Ort unter dem Thema: „Wie schütze ich mich vor Einbrüchen?“ kündigten Versammlungsteilnehmer die Gründung einer Bürgerwehr an. Bürgerversammlungen waren zu dieser Zeit massiv von Wut und Hetze gekennzeichnet.

Ich erreichte bei der Bürgermeisterwahl trotzdem 75,2 % der Stimmen.

Auf der Facebookseite drohte man mir, eine Demo vor meinem Haus im 20 km entfernten Dresden zu machen. Die Anschaffung von Kampfhunden und Armbrüsten wurde gepostet. Gleichzeitig häuften sich Anträge auf „kleine Waffenscheine“. Am 21. Mai 2016 kündigte man die Bildung einer Bürgerwehr an, wenn sich der Gemeinderat und ich mich nicht für das Ende der geplanten Asylunterkunft einsetzen würden. Am selben Nachmittag fesselten vier Männer einen irakischen Kunden im Nettomarkt, der sich mit der Verkäuferin nicht verständigen konnte. Der Geflüchtete wurde von den Männern überwältigt, verprügelt und vor dem Markt an den Baum gebunden, obwohl er niemanden bedroht hatte. Einer der vier Männer war der CDU-Bürgermeisterkandidat des vergangenen Jahres. Die vier Männer, wie auch ihre Anwälte bezeichneten diese Tat als Zivilcourage. Eine Woche nach dem Vorfall wurde ein Video im Internet hochgeladen, welches den Vorgang zeigt. Das Medieninteresse war bundesweit innerhalb von Stunden präsent. Ich bezeichnete die Tat als Selbstjustiz.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte und im April 2017 war ein Prozess gegen diese vier Männer angesetzt. Eine Woche vor Prozessbeginn fand man die Leiche des Geflüchteten im Tharandter Wald. Die Anwälte der Männer (Maximilian Krah, früher CDU, heute Europaabgeordneter der AfD, und Frank Hannig, Stadtrat der Freien Wähler in Dresden, Ex-Verteidiger im Lübcke-Mordprozess) riefen zu Spenden für die vier Männer bei PEGIDA in Dresden, bei „1%“ und der Identitären-Bewegung auf. Der Staatsanwalt wurde mit dem Tode bedroht. Das Verfahren endete ohne Beweisaufnahme nach Einigung zwischen Staatsanwaltschaft, Richter und Verteidigung nach nur einem halben Tag, obwohl 10 Prozesstage angesetzt waren. Unter anderem wurde die Einstellung des Verfahrens mit zu geringem öffentlichen Interesse begründet. Noch am selben Abend feierte man bei PEGIDA „diesen Sieg“ wie einen Freispruch und forderte mich in der Sitzung des Gemeinderates auf, zurückzutreten und mich bei ihnen zu entschuldigen. Ich zeigte dies an. Über die Anzeige wurde bisher nicht entschieden. 20.000 EUR gesammelte Spenden verteilte man großzügig an Vereine des Ortes. Nur ein Verein nahm die Spende nicht an.

Der Ort ist gespalten. In den Vereinen zieht rechtes Gedankengut ein. Landkreis und Gemeindeverwaltung werden mit Dienstaufsichtsbeschwerden beschäftigt, die sich als haltlos erweisen. Standhafte Gemeinderäte fühlen sich bedroht und ziehen weg. Bis zu meinem Ausscheiden aus dem Amt wird im Netz gegen mich gehetzt, werde ich diffamiert. Die Mitte der Gesellschaft schweigt dazu. Im Februar 2019 erkrankte ich an Burnout. Um auf die Vorgänge aufmerksam zu machen wählte ich die Öffentlichkeit. Wieder ist das Medieninteresse sehr groß und ich erhalte viel Zuspruch aus der ganzen Bundesrepublik.

Im Oktober 2019 beantragte ich meine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand, der der Landrat zum Ende November 2019 zustimmte. Zuvor hatte die AfD einen Antrag gestellt, mich abzuwählen, da ich dem Ort ihrer Meinung nach geschadet habe. Rechtsanwalt Hannig und ein Mitglied der Bürgerwehr zeigten mich gleichzeitig wegen Verleumdung an. Das Verfahren wurde Ende Juni 2020 mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Görlitz eingestellt, da meine Unschuld festgestellt wurde.

Wegen der zahlreichen Übergriffe und Beleidigungen gegen Kommunalpolitiker*innen hat der Bundestag den § 188 des Strafgesetzbuches dahingehend geändert, dass auch sie nun unter seinen besonderen Schutz fallen.

Es geht mir inzwischen viel besser, ob ich wieder voll belastbar werde, weiß ich nicht. Stress vertrage ich nicht.

Im September 2020 findet nach Verschiebung wegen Corona die neue Bürgermeisterwahl statt. Neben einem Kandidaten des ortsansässigen Bürgerforums kandidiert ein Bewerber für die CDU und der am Netto-Vorfall Beteiligte ehemalige CDU-Gemeinderat für die AfD. Man darf gespannt sein wie die Wahl ausgeht. Anmerkung der Redaktion: Der CDU-Kandidat Frank Eisold hat im zweiten Wahlgang mit 48 % die Wahl zum Bürgermeister gewonnen.

Seit Jahren ermahnt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eindringlich, unsere Demokratie zu schützen. Im Wissen um die Geschichte in der Weimarer Republik und die Vorgänge im Nationalsozialismus ist dies aus meiner Sicht momentan unsere wichtigste Aufgabe!

Martina Angermann, Bürgermeisterin a. D. in der Gemeinde Arnsdorf in Sachsen

„Demokratie leben ist manchmal ein steiniger Weg.“

Ein feiner Unterschied zwischen einer Diktatur und einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie besteht ja darin, dass man bei einer Demokratie mitmachen kann – wohingegen man in einer Diktatur mitmachen muss. Erstere funktioniert indes bei weitem besser, wenn zivilgesellschaftliches Engagement (egal ob in Sportvereinen, Verbänden der sozialen Wohlfahrtspflege, in Gewerkschaften, bei der Feuerwehr, in Kirchen oder in demokratischen Parteien) auf ein hohes Maß an positiver Resonanz in der Öffentlichkeit stößt und von vielen Schultern getragen wird. Beides ist mit Blick auf parteipolitisches Engagement zunehmend seltener der Fall. Durch den seit einigen Jahren andauernden Rechtsruck innerhalb der bundesrepublikanischen Gesellschaft ist auch die Rhetorik in der politischen Auseinandersetzung, aber ebenso im Gespräch mit Vertreter*innen bestimmter Bevölkerungsmilieus, schärfer geworden. Öffentliche Debatten werden oft nicht mehr mit dem eleganten Florett des gut begründeten Arguments ausgetragen, sondern eher mit der verbalen Streitaxt der Diffamierung und des persönlichen Angriffs.

Ein feiner Unterschied zwischen einer Diktatur und einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie besteht ja darin, dass man bei einer Demokratie mitmachen kann – wohingegen man in einer Diktatur mitmachen muss.

Diesen tendenziellen Qualitätsverlust demokratischer Streitkultur empfinde ich als kommunalpolitisch Engagierter im Ehrenamt als außerordentlich bedauerlich. Denn er führt dazu, dass immer weniger Menschen Lust darauf bekommen, bei gesellschaftlichen Herausforderungen vor Ort mit anzupacken. Hinzu kommt, dass gesellschaftspolitische Gegner zwischen den wichtigen Kategorien „Rolle“, „Person“, „Qualifikation“ und „Funktion“ kaum noch Unterschiede machen. Regelmäßig zielen insbesondere übellaunige Hasskommentatoren und Trolle in den sozialen Netzwerken mit ihren feindseligen Tiraden auf die Desintegration und Denunziation der gesamten Person. Dies begann bei mir bereits vor über acht Jahren: In der rechtsextremen Online-Postille „Mecklenburg und Pommern-Info“ wurde ich als linker „Reißzahn der Demokratie“ verunglimpft. Andere Blogger und ultranationale Autoren wie Michael Klein, Heike Diefenbach und Norbert Höfs (u. a. „ScienceFiles“, „PI-News“ oder „MyHeimat“), rücken meine Kolleg*innen und mich als Person immer wieder bewusst in die Nähe linksextremistischer Attitüden. Hauptberuflich leite ich ein Demokratiezentrum in Westmecklenburg. Im Team sind wir im ländlichen Raum zwischen Ostsee und Elbe unterwegs, um bürgerschaftliches Engagement zu stärken, Demokratiepädagogik und Menschenrechtsarbeit an Schulen weiterzuentwickeln, aber ebenfalls dabei mitzuhelfen, Verwaltungen, Vereine und Verbände in ihren Partizipations- und Diversityansätzen sowie in ihrer pluralen Kommunikations- und Organisationskultur voranzubringen. Dies macht sehr viel Freude, bringt indes auch Herausforderungen mit sich: Zerstochene Reifen, Nazi-Symbolschmierereien auf dem Privat-PKW, wiederholte Pöbeleien, Gewaltandrohungen, Brüllattacken und Stiefeltritte von Neonazis gegen die Türen unserer Büros, öffentliche Einschüchterungsversuche bis hin zu tätlichen Übergriffen – dies alles ist in der Vergangenheit bereits vorgekommen. Manches ist indes nicht einmal justitiabel. Wenn beispielsweise am Rande einer Demonstration, an der auch gewaltaffine Rechtsextreme teilnehmen, gebrüllt wird: „Trepsdorf, wir kennen dich, auch du hast Familie!“, dann ist in der Tat eine rote Linie überschritten, deren Querung und die damit verbundenen, potenziellen Konsequenzen ich niemandem wünsche.

Nichtsdestotrotz bin ich der Überzeugung, dass sich konstruktives gesellschaftliches Engagement in unserer Demokratie unbedingt lohnt! Denn „Demokratie entsteht dort, wo Menschen sich mit Wertschätzung begegnen, wo sie ohne Furcht vor Benachteiligung freie Entscheidungen treffen können. Demokratische Räume sind Lern- und Lebensräume, die die Bedürfnisse, Eigenarten und Rechte des Gegenübers im Blick behalten. Als demokratisch gelten ergo gesellschaftliche Beziehungsgefüge, bei denen Individuen selbstwirksam, emanzipiert und akzeptiert – miteinander und füreinander – Verantwortung übernehmen.“ (Daniel Trepsdorf: „Aufstand der Umlaute“)

Dr. Daniel Trepsdorf, ehrenamtlicher Kommunalpolitiker der Partei DIE LINKE in der Landeshauptstadt Schwerin, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Vorsitzender des Kulturausschusses, Mitglied im Hauptausschuss, ehrenamtlicher Richter am Schweriner Arbeitsgericht, Unterstützer von Amnesty International und der Sea Shepherd Conservation Society. Hauptberuflich leitet er das RAA-Demokratiezentrum Westmecklenburg.

Habe ich Bedrohungen erlebt? Ja, sowohl im Netz als auch in der analogen Welt. Lasse ich mir davon meinen Gestaltungswillen nehmen? Nein!

„Die Stadt gehört allen Menschen, die dort leben. Debatte und Streit der Meinungen sind zentraler Teil der Demokratie. Grundregeln der demokratischen Kultur und des angemessenen Umgangs müssen eingehalten werden. Denn es darf nicht sein, dass es besonderen Mut erfordert, sich ehrenamtlich oder hauptberuflich in der Stadtpolitik oder für die Gesellschaft zu engagieren.“ Diese Sätze stammen aus einer Resolution, die der Deutsche Städtetag Ende 2019 formuliert hat, und sie fassen sehr gut zusammen, worum es geht.

Nach meiner Wahl zum Oberbürgermeister von Hannover am 10. November 2019 gingen die Hasskommentare im Sekundentakt ein – auf Twitter, Instagram und Facebook. Es war alles dabei: von beleidigenden und rassistischen Kommentaren bis zu Morddrohungen mit dem Hinweis, dass ich es jetzt auf eine „Abschussliste“ geschafft hätte. Solche strafrechtlich relevanten Nachrichten habe ich angezeigt. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum und man kann dort nicht ungefiltert seine Ansichten verbreiten und Drohungen aussprechen. Wer als Politiker*in mit rechtspopulistischen Anfeindungen konfrontiert ist, sollte dies nicht auf sich beruhen lassen. Wir dürfen solche Äußerungen nicht unkommentiert stehen lassen, dann sie sind pures Gift für unsere demokratische Gesellschaft.

Meinungspluralismus gehört zu einer liberalen Demokratie. Ich muss nicht mit allem einverstanden sein, was andere denken und sagen, aber ich muss es aushalten. Immer vorausgesetzt, dass diese Meinungen sich im demokratischen Rahmen bewegen. Nicht hinnehmen dürfen wir, wenn Menschen in unserem Umfeld aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert oder bedroht werden. Es ist nicht akzeptabel – auch nicht im Internet! Ich wünsche mir eine Debattenkultur, die ein respektvolles und offenes Miteinander pflegt und ermöglicht.

Meinungspluralismus gehört zu einer liberalen Demokratie. Ich muss nicht mit allem einverstanden sein, was andere denken und sagen, aber ich muss es aushalten. Immer vorausgesetzt, dass diese Meinungen sich im demokratischen Rahmen bewegen.

Wirken sich Anfeindungen und Bedrohungen auf mein Leben und meine Arbeit aus? Hier muss man zunächst unterscheiden zwischen digitaler und analoger Welt. Wenn ich mir die Nachrichten in den sozialen Netzwerken angeschaut habe – wozu ich derzeit aus Zeitmangel nicht mehr so oft komme –, dann konnte manchmal der Eindruck entstehen, draußen stünden Menschen mit Mistgabeln und Fackeln. Gehe ich dann raus und suche den persönlichen Kontakt, dann sind die Begegnungen nett. Das muss man also schon einmal trennen. Wenn ich persönlich beleidigt werde, wie es in diesem Mai im Rahmen einer Demonstration passiert ist, oder wenn ich eine Drohmail bekomme, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet ist, dann lässt mich das natürlich nicht kalt. Ich versuche aber, damit gelassen umzugehen und mir nicht ständig darüber Gedanken zu machen. Diese Hetze zielt darauf, Angst zu machen. Das möchte ich vermeiden. Ich habe für Hannover viel vor und setzte meine Energie lieber für die Themen ein, die unsere Stadt voranbringen werden, wie den Ausbau der Digitalisierung und die Mobilitätswende.

Belit Onay, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover

Ich habe leider auch die Erfahrung einer Drohung mit den Worten „Sie und ihre Kinder werden brennen Madame“ gemacht. Kommentare voller Hass wie „Hoffentlich verreckst du. Missgeburt!“ „Geh zurück wo du gekommen bist“ „Du bist nur geduldet hier“ oder Verspottung über meinem anders klingenden Namen höre ich nicht selten.

Ich bin einiges an Diskriminierung in den sozialen Medien gewöhnt und habe gelernt, die Hasskommentare „wegzudenken“, auch wenn es mir nicht immer leichtfällt. Ich bewahre lieber positive Berichte und Zuspruch für meine Öffentlichkeitsarbeit, die mir viel mehr wert sind, in meinem Herzen. Negatives würde mir die Kraft rauben, meinen Weg weiterzugehen. Das lasse ich nicht zu, denn es gibt noch viel zu tun.

Wir können unterschiedliche Meinungen haben, zusammen diskutieren, uns kritisieren, aber ich frage mich, was in den Köpfen von Menschen vorgeht, dass sie bereit sind Menschenleben auszulöschen, nur weil es nicht zu ihrem Weltbild passt. Niemand hat das Recht, Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen.

Nach einer schlaflosen Nacht und Angst um meine Familie habe ich nach der Morddrohung eine Anzeige gemacht.

Wie jede Mobbingbetroffene fragte ich mich auch, warum jemand so eine Morddrohung ausspricht. Störte es ihn, dass ich einen Migrationshintergrund habe, eine Muslimin, eine Frau oder Nationalratskandidatin bin? Auf jedenfall wollte ich, dass er keinem anderen Menschen das Gleiche antut.

Ich werde niemandem die Freude machen und mich vom öffentlichen Leben zurückziehen. Wir müssen jetzt erst recht mehr Öffentlichkeitsarbeit leisten, um Vorurteile abzubauen und die Menschen für ein friedliches Zusammenleben ermutigen – denn wir gehören zur Schweizer Gesellschaft und leisten unseren Beitrag dazu. Die Schweiz ist meine zweite Heimat und die SP mein politisches Zuhause, weil sie meine Werte vertritt.

Ich danke allen Menschen, die sich für die Gerechtigkeit und gegen Rassismus einsetzen. Ich weiß: Wir sind mehr. Wir müssen uns alle überall gegen Rassismus wehren. Es darf nicht sein, dass Minderheiten wegen ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe oder geschlechtlichen Orientierung diskriminiert werden. Wenn jemandem mein Aussehen, meine Religion oder mein Migrationshintergrund nicht gefällt, ist es sein Problem und nicht meins.

Ich werde meine Lebensfreude nicht von Rassisten verderben lassen.

Ich wünsche allen Leser*innen eine schöne Zeit und bleibt alle gesund.

Mit freundlichen Grüßen aus der Schweiz, Alime Kösecioğulları

Alime Kösecioğulları ist politisch interessierte Kulturvermittlerin im Kanton Aargau in der Schweiz und Lokalpolitikerin der Sozialdemokratischen Partei (SP).

Ich brenne für die Kommunalpolitik. Meinen Ort mitgestalten, mitreden, mitentscheiden wofür unsere, meine, Gelder ausgegeben werden, wie wir das Miteinander, die Gemeinschaft gestalten. Klar, da gab es schon immer viele andere Meinungen und harte Diskussionen. Seit Beginn meines politischen Engagements und der damit verbundenen Öffentlichkeit, begegne ich leider mehr und mehr einem Hass, den ich zuvor nicht für möglich gehalten hatte. Von Online-Kommentaren über persönliche Beleidigungen bis hin zu Gewalterlebniswünschen, das ganze Spektrum an psychologischer Gewalt, das niemand erleben möchte und das ich hier, im kommunalen Umfeld, nie für möglich gehalten hätte.

Dabei ist es inzwischen völlig egal, um welches Thema es geht. Ob mir bei einem Beitrag zum Thema sexualisierte Gewalt, bei der der Täter nicht-deutscher Herkunft war, gewünscht wird, mir oder meiner Familie möge das doch auch mal widerfahren, oder ob es um eine Kundgebung zur Verkehrswende geht und mir mit unschönen Worten vorgeworfen wird, durch eine idiotische Veranstaltung nur unnötigen Stau zu produzieren: Auffällig ist, dass die Wortwahl immer härter wird, sachliche Diskussionen oft nicht mehr möglich sind, die Hemmschwelle für verletzende und unangebrachte Kommentare immer weiter sinkt. Besonders nachdenklich macht mich, dass viele Kommentierende, insbesondere in den sozialen Medien, Menschen sind, die ich kenne.

Die Wucht mit der einige dabei ihre Wut auf alles und jede*n jederzeit und ungezügelt zum Ausdruck bringen, macht mich oft fassungslos. Diese Verrohung, das unreflektierte Herausschreien persönlicher Unzufriedenheiten auf andere, die sich in dem Moment gar nicht wehren können.

Ich schätze mich glücklich, in einer Demokratie zu leben, in der ich meine Meinung frei äußern kann, in der ein echter Schlagabtausch der Meinungsvielfalt erfolgen kann. Doch zu welchem Preis?

Ich suche gerne das Gespräch mit Menschen, auch mit denen, die eine andere Meinung haben. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch viel Überwindung. Für mich aber ist das unerlässlich, auch wenn es viel Kritik beinhaltet und auch nicht immer schön ist. Nur: Das allein wird unsere Demokratie nicht retten. Wir brauchen insgesamt viel mehr Transparenz. Viel mehr öffentliche Information. Und vor allem: Viel mehr Bürgerbeteiligung! Von Informationsprozessen über Mitbestimmung. Auf allen Kanälen, für alle Altersgruppen entsprechend. Denn genau diese Meinungsvielfalt aller Bürger*innen, die brauchen wir dringend in den Kommunalparlamenten. Wir können und dürfen die Entscheidungshoheit über Aspekte unseres täglichen Lebens, über unser Miteinander, nicht einigen wenigen Gleichgesinnten und/oder Privilegierten überlassen. Wie also können wir künftig alle Gesellschaftsschichten, alle Geschlechter – insbesondere Frauen leiden unter den persönlichen Anfeindungen! – motivieren, sich auf kommunalpolitischer Ebene zu engagieren? Und wie können wir verhindern, dass die wenigen, die sich überhaupt noch einbringen, nicht resigniert aufgeben? Mehr Wertschätzung? Von wem, wie? Mehr Bezahlung? Mehr Sicherheit? Wie soll das aussehen? Selbst nach vielen Jahren in der Kommunalpolitik weiß ich darauf keine gute Antwort.

Veronika Jones, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN MURNAU, ist Gemeinderätin in Murnau und Fraktionssprecherin sowie Kreisrätin Garmisch-Partenkirchen und dort Stellv. Fraktionssprecherin.

Nicht jeder hat im Leben die gleichen Startbedingungen. Aber es ist die Aufgabe der Politik, jeder und jedem die bestmöglichen Chancen auf Bildung und für eine sichere Zukunft zu ermöglichen. Oft ist es ein hehres Ziel und leider nicht in jedem Fall erreichbar. Aber es muss unser aller Antrieb sein. Für jeden, der sich engagiert und der sich bei uns zuhause fühlen möchte, egal, ob hier geboren, egal, welcher Herkunft. Seit 2017 sitzt jedoch eine politische Kraft im Deutschen Bundestag, deren Ziel genau das Gegenteil ist. Ihr Ziel ist Ausgrenzung, Nationalismus, Egoismus und Zersetzung unserer demokratischen Zivilgesellschaft. Garniert mit Lügen und Hetze.

Meine Fraktion sitzt leider in Reichweite zu diesen Menschen. Zwischen meinem Tisch und dem eines Abgeordneten aus der Abteilung Hass und Hetze befindet sich nur ein schmaler Gang. Meine Fraktion und ich bekommen daher die unappetitlichen Ausfälle unserer unerwünschten Nachbarn täglich und hautnah mit. Wenn Frauen zum Rednerpult gehen, dann feixen die Damen und Herren vom rechten Rand wie am Skattisch. Ich würde mich als eine gestandene Frau im besten Alter bezeichnen, die so etwas abkann, aber wenn es um jüngere, noch unerfahrenere Kolleginnen geht, ärgert mich dieses Vorgehen in besonderer Weise und maßlos.

Eine junge Kollegin bspw., die ihre erste Rede hält, fühlt sich dann wirklich und zurecht als Opfer und leidet unter diesem Gefeixe sehr. Rechtsradikalen in einem deutschen Parlament wieder ausgesetzt sein zu müssen, ist unerträglich. Wir dürfen nicht zulassen, dass so etwas dauerhaft zur Norm wird. In diesem Kontext ist Jugend- und Erwachsenenbildung besonders wichtig.

„Denn nur mit einer umfassenden und anständig finanzierten Jugend- und Erwachsenenbildung können wir uns der Gefahr des Populismus entgegenstemmen.“

Diskursverschiebung, steigende Gewalt von rechts und Faschisten in deutschen Parlamenten haben ein erschreckendes Wertevakuum in unserer Gesellschaft entstehen lassen, sachliche Debatten wurden von Menschenfeindlichkeit gekapert. In den Nachwendejahren sind Einrichtungen der Jugendbildung regelrecht zusammengebrochen. In diese Lücken sind rechte Gruppierungen unter dem Deckmantel von ehrenamtlichen Vereinen gestoßen. Anstatt aber junge Menschen und die Zivilgesellschaft für die Demokratie zu sensibilisieren und gegen rechts zu stärken, sind seit Jahrzehnten die schulische und außerschulische politische Bildung sowie Erwachsenenbildung in zunehmend prekäre Ausstattungen gedrängt worden. Dabei kann man nur mit Bildung und mit der Chance auf lebenslanges Lernen die Menschen immun machen gegen Menschenfänger, Hetzer und Extremisten, die das Blaue vom Himmel versprechen.

Zur großen Empörung vieler wurde nach dem Attentat von Halle bekannt, dass Mittel zur Stärkung des demokratischen Bewusstseins und entsprechende Programme drastisch gekürzt worden sind. Das müssen wir dringend wieder rückgängig machen. Die schulische Bildung ist leider immer noch zu schwach, um diese Lücken aufzufangen. Daher gilt es nicht nur, wieder mehr Mittel für Programme zur Stärkung des demokratischen Bewusstseins in der Zivilgesellschaft zur Verfügung zu stellen, sondern entsprechende Programme und Ansprechpartner auch in den Schulen und außerschulischen Bildungsstätten gleichermaßen zu fördern, zu finanzieren und einzurichten. Insbesondere die Lücke an einem Interesse für demokratische Strukturen zwischen den verschiedenen Bildungsgraden ist immer noch viel zu groß. Auch da muss dringend angesetzt werden. Denn nur mit einer umfassenden und anständig finanzierten Jugend- und Erwachsenenbildung können wir uns der Gefahr des Populismus entgegenstemmen.

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, MdB, ist Mitglied des FDP-Bundesvorstandes