Außerschulische Bildung 4/2020

Beschimpft, beleidigt, angegriffen

Gewalt gegen Politiker*innen als Bedrohung für die Demokratie

In den letzten Jahren nimmt die verbale und körperliche Gewalt gegen Politiker*innen eindeutig zu. Der rechtsextremistisch motivierte Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 markiert den traurigen Höhepunkt von Hasskriminalität gegen Amts- und Mandatsträger*innen. Bevor verschiedene Politiker*innen – überwiegend aus der Kommunalpolitik – selbst zu Wort kommen, wird in diesem Beitrag eine Analyse der gegenwärtigen Situation vorgenommen und werden die zentralen Herausforderungen für ein entschlossenes Handeln gegen Hasskriminalität und extremistische Bedrohung benannt.  von Beate Rosenzweig

Auf allen Ebenen des demokratischen Systems, von der Bundes- über die Landes- bis hin zur Kommunalpolitik, werden Politiker*innen mittlerweile beschimpft, bedroht und immer wieder tätlich angegriffen. Die Messerattacken gegen die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) im Oktober 2015 und gegen den Bürgermeister von Altena Andreas Hollstein (CDU) im Juni 2017, der Angriff gegen den Bremer AfD-Landesvorsitzenden Frank Magnitz (Januar 2019), die Schüsse auf das Abgeordnetenbüro des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle (Januar 2020), die jüngsten Morddrohungen u. a. gegen die Bundestagsabgeordneten Claudia Roth und Cem Özdemir und die hessische Landtagsabgeordnete der Linkspartei Janine Wissler, oder auch die massiven sexistischen Beleidigungen u. a. gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast haben die öffentliche Wahrnehmung für das Problem deutlich geschärft. Für 2019 geht das Bundeskriminalamt von 1.674 politisch motivierten Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen aus.

Die meisten der politisch zuordenbaren Straftaten kommen aus dem rechtsextremen Spektrum (609), 310 Straftaten wurden von Linksextremist*innen verübt. Vergleichsweise gering fallen Straftaten aus, die dem Bereich „ausländische Ideologie“ (19) oder „religiöse Ideologie“ (9) zugeordnet wurden. Insgesamt wurden 2019 89 Gewaltdelikte gegen Amts- und Mandatsträger*innen erfasst, davon 20 Körperverletzungsdelikte. Im Vergleich zu 2018 bedeutet dies nicht nur einen Anstieg der Straftaten insgesamt, sondern auch eine Verdopplung der Gewaltdelikte gegen Politiker*innen. Seit 2019 werden Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen gesondert erfasst (vgl. BMI 2020a). Betroffen von den statistisch erfassten Straftaten sind, wie eine kleine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle ergab, Vertreter*innen aller Parteien, vor allem CDU-Politiker*innen, gefolgt von Politiker*innen der AfD, der SPD, der Grünen, der Linken, der CSU und der FDP. Vgl. www.zeit.de/politik/deutschland/2019-12/politische-angriffe-politiker-straftaten-cdu-rechtsextremismus (Zugriff auf diesen und alle weiteren in diesem Beitrag genannten Links: 24.08.2020). Erweitert man den Blick auf die vom Bundesamt für Verfassungsschutz registrierten Straf- und Gewalttaten im Bereich „Politisch motivierte Kriminalität“, so zeigt sich, dass rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten insgesamt erheblich überwiegen, wobei auch linksextremistische Straf- und Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen sind. Der Verfassungsschutzbericht verzeichnet für 2019 insgesamt 21.290 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund und 6.449 Straftaten aus dem linksextremistischen Spektrum. Während rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten überwiegend aus fremdenfeindlichen und antisemitischen Motiven erfolgen, richten sich linksextremistische Gewalttaten in erster Linie „gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole“ (BMI 2020b). Die erfassten Straf- und Gewalttaten im Bereich Hasskriminalität gehen fast ausschließlich auf das Konto von rechtsextremistischen Täter*innen. Vgl. www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/pmk-2019-hasskriminalitaet.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Wie gravierend der politische Alltag von Amts- und Mandatsträger*innen inzwischen von verbalen und körperlichen Bedrohungen geprägt ist, zeigen aktuelle Untersuchungen. So ergab eine von Report München durchgeführte Befragung unter weiblichen Bundestagabgeordneten, an der sich 77 (von 221) Frauen beteiligt haben, dass die überwiegende Mehrheit bereits Opfer von rechtsextremem Hass bzw. sexistischen und rassistischen Gewalt- und Morddrohungen im Netz waren. Angesichts der anhaltenden Bedrohungen äußerten 11 % der befragten Frauen Zweifel daran, ob sie ihr Amt unter diesen Bedingungen überhaupt weiterhin ausüben wollen. Vgl. www.br.de/mediathek/video/hass-gewalt-und-sexphantasien-angriff-auf-politikerinnen-im-netz-av:5d9cf92394cd3b001abe8e44