Außerschulische Bildung 3/2023

Bleibt nur Gegengewalt?

Gesinnungsethischer Verteidigungsbellizismus als Herausforderung für die politische Bildung

Der Krieg in der Ukraine geht einher mit der Forderung, eine Haltungsänderung in der Bevölkerung zugunsten militärischer Konfliktbearbeitung zu bewirken. Davon bleiben die politische Bildung als Ganzes und die Friedensbildung im Besonderen nicht unberührt. Hier wird diskutiert, ob politische Bildung im Sinne von Friedensbildung tatsächlich obsolet zu werden droht. Dazu wird exemplarisch aufgezeigt, dass und mit welchen Argumenten eine Haltungsänderung, eine Relativierung der Friedensbildung und eine Ergänzung durch eine „Pädagogik der militärischen Verteidigung“ gefordert werden. Danach werden die Prämissen dieser Infragestellung der Friedensbildung vorgestellt und hinterfragt. Aus der Sicht des Autors darf Friedensbildung nicht aufgegeben werden. von Thomas Nielebock

Die Entscheidung Putins, seine politischen Interessen gegenüber der Ukraine durch den Einsatz militärischer Gewalt in Form eines gegen alle in der UNO und der OSZE geltenden Regeln und Vereinbarungen verletzenden Aggressionskriegs durchzusetzen, hat die Anwendung militärischer Gegengewalt in Form eines Verteidigungskrieges provoziert. Dieser geht einher mit der Renaissance einer fast alle politischen Lager umfassenden Rechtfertigung militärgestützter Sicherheitspolitik, der im Falle des russischen Krieges und des ihn leitenden gesinnungsethischen Eroberungsbellizismus den Charakter eines „gesinnungsethischen Verteidigungsbellizismus“ (Müller 2022, S. 27) angenommen hat. Dieser lässt sich vom Prinzip der Verteidigung der Ukraine um jeden Preis leiten, ohne dass die Kosten und Risiken sowie die Aussichten einer solchen Politik angemessen diskutiert werden (vgl. dazu aus verantwortungsethischer Sicht Haass/Kupchan 2023; Charap/Priebe 2023). Diese als Zeitenwende deklarierte Politik geht einher mit der Forderung nach und der Beförderung von einer Haltungsänderung in der Gesellschaft in Richtung diskursiver, kognitiver und affektiver Militarisierung (vgl. Brunner 2023) und wird zudem begleitet durch die Infragestellung oder zumindest Relativierung friedenspolitischer Ansätze und deren gesellschaftliche Vermittlung und Verankerung mittels Friedensbildung. Die weitreichenden Herausforderungen für die politische Bildung liegen damit auf der Hand. Die erste Herausforderung besteht darin, das inhaltliche Ziel einer Erziehung „zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung“ (so z. B. die Landesverfassung von Baden-Württemberg, Art.12,1; vgl. auch Meisch/Jäger/Nielebock 2018) zugunsten einer Wertschätzung von militärischer Gewaltanwendung und Krieg (wenn auch nur zur Verteidigung) zurückzustellen. Dies ist implizit verbunden mit der politischen Herausforderung, die Umkehrung der zivilen Werte propagieren zu sollen, auf denen politische Bildung in einer freiheitlichen Demokratie aufbaut und die sie zu verstärken trachtet. Das Selbstverständnis der Bildungsträger und -institutionen, durch politische Bildung die Mündigkeit von Bürger*innen sowie eine kognitive und affektive Werteausrichtung zu befördern, die ein friedliches Zusammenleben ermöglicht, wird dadurch direkt tangiert. Eine zweite Herausforderung ergibt sich für die politische Bildung durch die neue inhaltliche Vorgabe, die die didaktisch-methodische Offenheit pädagogischer Prozesse im Sinne einer Ermöglichungsdidaktik zugunsten einer Erzeugungsdidaktik (vgl. Frieters-Reermann 2018) zumindest in Frage stellt und Gefahr läuft, zu indoktrinieren statt das Selbstdenken zu befördern. Zum Dritten müssen die Bildungsträger und -institutionen überlegen, wie sie auf diese neuen Anforderungen der Politik zu reagieren beabsichtigen.

Haltungsänderung und Relativierung

Unter der Kapitelüberschrift „Sicherheit in Bildung – die Verantwortung und Rolle unserer Bundeswehr“ beschloss die CDU-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg im Frühjahr dieses Jahres, der „schleichenden Entfremdung von Bundeswehr und Gesellschaft“ entgegenzuwirken (vgl. https://cdufraktion-bw.de/2023/04/26/hagel-klares-bekenntnis-zu-einer-starken-bundeswehr-in-baden-wuerttemberg). „Diesen Negativtrend wollen wir zum Positiven hinwenden“, indem Jugendoffiziere verstärkt an Schulen auftreten sollen, damit „eine Verbindung zur Bundeswehr geschaffen, Wissen aufgebaut und das Interesse an und das Verständnis für unsere Landesverteidigung geweckt“ wird. Die FDP-Fraktion im baden-württembergischen Landtag brachte im April 2023 die Anfrage „Bündnisorientierte Sicherheitspolitik im Rahmen der Demokratie- und Friedensbildung an Schulen – Arbeit der Jugendoffiziere wertschätzen“ ein (vgl. Drucksache 17/4605 vom 17.04.2023). Darin wird neben einer Erhebung über die Besuche von Jugendoffizieren an Schulen Im Schuljahr 2021/22 waren es an den öffentlichen baden-württembergischen Schulen 717 Veranstaltungen, die von Jugendoffizieren durchgeführt wurden (vgl. Stellungnahme der Landesregierung vom 08.05.2023 auf die Anfrage der FDP-Fraktion). auch gefragt, „ob es denkbar wäre, in Anbetracht der Kriegssituation in der Ukraine, Jugendoffizieren feste Deputatseinheiten an öffentlichen Schulen vorzusehen, wo diese über einen Zeitraum bündnisorientierte sicherheitspolitische Aufklärungsarbeit leisten, um hierdurch etwa auch gezielt Desinformationen entgegenzutreten.“ Zudem erbittet die Fraktion Berichte, ob Schulen bzw. Lehrkräfte sich explizit gegen den Besuch von Jugendoffizieren ausgesprochen haben“ und was die Landesregierung „explizit unternimmt, um Vorurteilen vorzubeugen, Barrieren abzubauen und den Einsatz von Jugendoffizieren (…) flächendeckend zu ermöglichen.“ Schließlich wird die Landesregierung gefragt, „ob sie die Arbeit der Jugendoffiziere an Schulen (…) als Teil der Friedensbildung ansieht.“