Außerschulische Bildung 1/2022

Civic Renewal through Civic Learning

Erkundung der US-amerikanischen politischen Bildung und eine neue transatlantische Ausrichtung

Durch die wachsende Besorgnis über die Civic Health der USA erfährt der Bereich der politischen Bildung einen Zustrom an Energie. Das Streben nach einer New Civics erfordert eine transatlantische Perspektive. Ähnliche Herausforderungen und Ziele vor dem Hintergrund unterschiedlicher Infrastrukturen für politische Bildung bieten eine einzigartige Gelegenheit für produktiven Austausch. In diesem Artikel wird die US Civic Education in den Fokus gerückt, indem die historischen Einflüsse und die Merkmale des Feldes betrachtet werden und untersucht wird, wie ein deutsch-amerikanischer Austausch helfen kann, umfassender über politische Bildung nachzudenken. von Katja Greeson

Ein Jahr nach dem Anschlag auf das US-Kapitol – und damit auf die amerikanische Demokratie selbst – scheint die politische Bildung in den USA gerüstet für politische Entwicklungen. Sie ist von neuen Organisationen und gleichzeitig von parteipolitischen Spannungen geprägt. Tiefgreifende Polarisierung, alarmierende Demokratieskepsis und eine schwer durchschaubare Informationslandschaft haben die Sorge um die Civic Health des Landes wachsen lassen.

Viele sehen darin einen Wendepunkt für die Praxis der politischen Bildung. In einem Land, das im Sumpf der Polarisierung gefangen ist, ist es ein Wunder, dass es überhaupt eine Einigung gibt – aber es scheint tatsächlich eine parteiübergreifende Unterstützung für die Ausweitung der politischen Bildung zu geben. Im Jahr 2021 wurden in 34 Bundesstaaten 88 Gesetzesentwürfe eingebracht, und auf Bundesebene liegen zwei Gesetzesentwürfe auf dem Tisch, die jährlich zwischen $400 Millionen und $1 Milliarde für die politische Bildung bereitstellen würden – 80–200 Mal mehr als die derzeit geschätzten Ausgaben. Dieser Moment für die politische Bildung ist eine lang herbeigesehnte und willkommene Gelegenheit für ihre Befürworter*innen.

Die Herausforderungen und Chancen, mit denen die Demokratie und damit auch die politische Bildung konfrontiert sind, sind nicht nur in den USA zu finden, sondern sind transatlantischer Natur – was die Sinnhaftigkeit einer vergleichenden deutsch-amerikanischen Perspektive nahelegt.

Um diese Perspektive durch fachlichen Austausch wieder zu beleben, haben der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. und das Tisch College of Civic Life an der Tufts University in Boston im Frühjahr 2021 das Projekt Transatlantic Exchange of Civic Educators (TECE) ins Leben gerufen. Gemeinsam mit einer Gruppe von 22 deutschen und amerikanischen TECE-Fellows (Fachkräfte im Bereich der non-formalen politischen Jugendbildung) wollen wir herausfinden, ob die Herausforderungen und Systeme in beiden Ländern kompatibel genug für einen fruchtbaren Austausch sind und welche Formate und Themen sich am besten für einen deutsch-amerikanischen Diskurs, für Wissens- und Erfahrungstransfer eignen.

Auf der Grundlage meiner Forschungen und der Erkenntnisse aus der TECE-Erfahrung versuche ich hier, ein Bild des Civic Learning in den USA zu zeichnen, indem ich verschiedene Beispiele einflussreicher historischer Praxis und Theorie diskutiere und einige Merkmale beschreibe, die das moderne Feld und die Praxis in den USA charakterisieren. Abschließend stelle ich meine Sicht auf die Zukunftsaussichten des deutsch-amerikanischen Austauschs in diesem Bereich dar. Vielen Dank an Georg Pirker für die wertvollen Anregungen zum Artikel.

Historische Einflüsse

Das Hauptziel der amerikanischen öffentlichen Schulen war ursprünglich die Vorbereitung der Schüler*innen auf die demokratische Bürgerschaft. Darüber hinaus hatte Civic Learning durch bürgerschaftliches Engagement schon immer eine starke Tradition in außerschulischen Kontexten und war ein wichtiger Teil amerikanischer Civic Culture.

Tiefgreifende Polarisierung, alarmierende Demokratieskepsis und eine schwer durchschaubare Informationslandschaft haben die Sorge um die Civic Health des Landes wachsen lassen.

Politische Bildung in den USA ist seit langem durch das Erlernen von Demokratie durch die Ausübung von Demokratie gekennzeichnet. Alexis de Tocqueville, ein einflussreicher Protagonist in Amerikas demokratischem Selbstverständnis, stellte eine starke Erfahrungstradition des Erlernens demokratischer Fähigkeiten durch Selbstverwaltung fest. Als externer Beobachter der amerikanischen Demokratie im 19. Jahrhundert bewunderte er die natürliche Tendenz der Amerikaner*innen zum Assoziationismus und betonte die Notwendigkeit, die Rechte und Pflichten der demokratischen Bürgerschaft durch aktive Gestaltung der Demokratie zu erfahren.

Workshop zum Thema Youth Voice Foto: Andi Weiland | andiweiland.de

Während der Progressiven Ära (1896–1916) erlebten die USA einen Zustrom von Sozialdienstorganisationen wie dem YMCA, Scouts und den Settlement Houses. Diese Einrichtungen reagierten auf die Stärken und Bedürfnisse der Gesellschaft und arbeiteten daran, den Menschen die Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, die sie brauchten, um an der Gesellschaft teilzuhaben und zu ihrer Entwicklung beizutragen (vgl. Coughlan/Sadovnik/Semel 2014). Insbesondere Settlement Houses wie das Hull House von Jane Addams in Chicago arbeiteten daran, ein Schulsystem, das Migrant*innen-Communities und Arme nur unzureichend versorgte, durch soziale Dienste und außerschulische Bildungsprogramme zu ergänzen. Addams verstand dieses Modell der Community Education als „protest against a restrictive view of education“ (Addams 1910). Als eine Kombination aus Sozialarbeit, Interessenvertretung und Bildung verkörpern die Settlement Houses den Ursprung des bürgerschaftlichen Engagements als Quellen der politischen Bildung – ein konkretes Beispiel, das die gesamte Community, nicht nur die Schule, zum Zentrum des Lernens und des demokratischen Handelns machte (vgl. Longo 2007).

John Dewey, ein Zeitgenosse von Addams, ließ sich von ihr zu seinem Konzept der Community Schools inspirieren, in denen die Schulen zum Zentrum des Engagements und der Bildung der Community werden. Dewey erkannte den Vorteil, dass Schulen alle Kinder erreichen, und zwar nicht als eine uneinheitlich verfügbare Angelegenheit der Philanthropie, sondern als eine öffentliche Einrichtung, die dem Volk gehört (vgl. Dewey/Dewey 1915). Ein zentraler Grundsatz seiner Theorie ist, dass die Schüler*innen die Möglichkeit haben, demokratische Entscheidungen über reale Probleme innerhalb der Schule und in Zusammenarbeit mit der Community zu treffen. Obwohl er die Schule im Zentrum sah, wichen seine Ideen insofern ab, als er eine erfahrungs- und Community-orientierte Struktur betonte, die Erwachsenenbildung, Berufsausbildung und Community Organizing (vgl. Coughlan/Sadovnik/Semel 2014) anbieten sollte. Damit verschwammen nicht nur die Grenzen zwischen formaler und nicht-formaler Bildung, sondern auch zwischen Jugend- und Erwachsenenbildung.

Die Herausforderungen und Chancen, mit denen die Demokratie und damit auch die politische Bildung konfrontiert sind, sind nicht nur in den USA zu finden, sondern sind transatlantischer Natur – was die Sinnhaftigkeit einer vergleichenden deutsch-amerikanischen Perspektive nahelegt.

Myles Horton, der 1932 im ländlichen Tennessee die Highlander Folk School gründete, wurde direkt von Dewey und Addams und auch von Grundtvigs dänischen Volksschulen inspiriert. Mit dem Ziel, Bildung mit sozialem Wandel zu verbinden, diente Highlander als Bildungszentrum, das nicht-akkreditierte „Workshop-Retreats“ nutzte, um Menschen außerhalb ihrer Heimatgemeinden zusammenzubringen, um zu reflektieren und gemeinsame Aktionen zu planen (vgl. Longo 2007). Highlander war in den 1930/40er-Jahren zunächst in der Gewerkschaftsorganisation der Appalachian-Region und später als Teil der Bürgerrechtsbewegung der 1950/60er Jahre aktiv und spielte eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung junger Führungskräfte der Bürgerrechtsbewegung, darunter Rosa Parks und Martin Luther King Jr. Hortons Ziel war es, „learners into leaders“ und ihr vorhandenes Wissen in Macht zu verwandeln. Die von Septima Clark geleiteten Grassroots Citizenship Education-Programme des Zentrums wurden entwickelt, um grundlegende Lese- und Schreibfähigkeiten zu fördern und gleichzeitig Afroamerikaner*innen über ihre Bürgerrechte aufzuklären, was Teil einer langen Tradition der nicht-formalen politischen Bildung in afroamerikanischen Communities ist.

Entscheidend für den Erfolg der Highlander-Popular-Education war das Vertrauen in die Kraft des Wissens und der Erfahrung der Community: „You don’t need to know the answer. You can help people get the answers (…). You have to respect their knowledge (…) and help them to respect their knowledge.“ (Horton/Freire 1990, S. 55) Ein Teilnehmer beschrieb diese Erfahrung wie folgt: „The most important thing one ever learned from Highlander, was how we could help ourselves.” (Highlander Research 2012)

Die genannten Beispiele verdeutlichen einige Kernpunkte des amerikanischen Civic Life aber der Zugang zu dieser Art ziviler Lern- und Bildungsmöglichkeiten war bei weitem nicht weit verbreitet. In der jüngeren Geschichte hat ein New Civics-Ansatz versucht, Möglichkeiten zu schaffen, die auf diesen Ideen aufbauen und universeller sind; Ideen, die mit der Tradition der Demokratieerziehung übereinstimmen, aber das Thema auf eine Art und Weise angehen, die auf die jeweilige Situation der Teilnehmenden eingeht (vgl. Ayers/Hunt/Quinn 1998).

Politische Bildung heute

Diese historischen Beispiele für die Praxis und Theorie der politischen Bildung haben gemeinsame Merkmale, die auch heute noch die Ideen des außerschulischen politischen Lernens prägen.

Ein weit gefasstes Konzept der politischen Bildung

Die US-amerikanische Infrastruktur für politische Bildung unterscheidet sich in ihrer Organisation deutlich von der deutschen; ein eigener Bereich der außerschulischen Bildung existiert nicht in gleicher Weise. Vielmehr liegt sie an der Schnittstelle von bürgerschaftlichem Engagement, Popular Education und Jugendarbeit und findet in Schulen und außerschulischen Einrichtungen statt.

Der Schwerpunkt liegt auf der Schule als wichtigstem Schauplatz der politischen Bildung, basierend auf der weithin akzeptierten Ansicht, dass die Schule am ehesten alle jungen Menschen erreicht (vgl. Kahne/Westheimer 2003). Im Gegenzug arbeiten viele kommunale Organisationen und nationale gemeinnützige Organisationen, die sich auf die politische Entwicklung junger Menschen konzentrieren, eng mit dem formalen Bildungswesen zusammen, indem sie Lehrpläne entwerfen, Lehrende ausbilden und Programme in die Klassenzimmer bringen.

Das Fehlen eines konkreten professionellen Selbstverständnisses von außerschulischer politischer Bildung stellt eine Herausforderung dar, führt aber auch zu einer umfassenderen, phantasievolleren und wirkmächtigen Vorstellung davon, was politische Bildung ausmacht, was sie sein und leisten kann.

Natürlich gibt es auch andere Akteure, die außerhalb des formalen Klassenzimmers tätig sind, wie z. B. soziale- (z. B. der YMCA und die Scouts) und Special-Interest-NGOs (z. B. 4-H und Menschenrechts- oder Umwelt-NGOs), Universitäten (z. B. Abteilungen für Civic Engagement), Bibliotheken, Museen usw. Für viele (aber nicht alle) dieser Organisationen ist die explizite politische Bildung Teil eines umfassenderen Auftrags, sodass politisches Lernen eher ein Nebenprodukt als ein Hauptziel ist. Die Fachleute in diesen Organisationen bezeichnen sich selbst oft nicht als Bildner*innen, obwohl sie eine ähnliche Rolle haben wie außerschulische Bildner*innen im deutschen Kontext.

Dieser strukturelle Unterschied wurde bei der Rekrutierung für das TECE-Fellowship deutlich. Die Verwendung des Begriffs „Non-formal Civic Educator“ trug wenig zur Klärung unserer Zielgruppe für ein amerikanisches Publikum bei, da der Begriff „Educator“ „Lehrer*in“ impliziert und der Begriff „Non-formal“ im amerikanischen Bereich nicht verwendet wird. Um dies zu verdeutlichen, änderten wir die Beschreibung unserer Zielgruppe in „professionals working toward the civic development of young people in out-of-school contexts“. Letztlich spiegelt unsere Gruppe von US-Fellows die Vielfalt der Bereiche und Sektoren wider, die das US-amerikanische Ökosystem des Civic Learning ausmachen, einschließlich der Hochschulbildung, der Jugendarbeit-orientierten NGOs, nationaler politische Bildungsorganisationen und Initiativen zur Community Organizing.

Das CivXNow-Network ist ein Zusammenschluss von über 185 Organisationen, die sich für die Verbesserung der formalen und außerschulischen politischen Bildung einsetzen. Das breite Spektrum von Organisationen, die unterschiedliche Zielgruppen, Ansätze, Ideologien und Bildungssettings vertreten, bietet die Möglichkeit, über die eigene Fachkultur hinweg zu denken, diskutieren und lernen. Diese und andere Entwicklungen deuten darauf hin, dass zunehmend anerkannt wird, dass eine Rückkehr zu einer Community-inklusiven, sektorübergreifenden und kooperativen „broader ecology of civic learning“ entscheidend ist (Longo 2007).

Das Fehlen eines konkreten professionellen Selbstverständnisses von außerschulischer politischer Bildung stellt eine Herausforderung dar, führt aber auch zu einer umfassenderen, phantasievolleren und wirkmächtigen Vorstellung davon, was politische Bildung ausmacht, was sie sein und leisten kann. In zu klar definierten Berufssektoren kann man leicht die Gemeinsamkeiten in der Praxis ignorieren, die unterschiedliche Herangehensweisen miteinander verbinden (vgl. Jeffs/Smith 2021). Die Möglichkeit, von den unterschiedlichen Organisationsformen des Feldes in den USA und Deutschland zu lernen, kann uns helfen, die Vorteile eines definierten und vernetzten Berufsfeldes, wie es sie in Deutschland gibt, zu nutzen und gleichzeitig eine Sichtweise von politischer Bildung zu fördern, die über eine enge Definition und über Fachsäulen hinausgeht, um mehr Vernetzung zu ermöglichen.

Erfahrungs- und handlungsorientiert

Die allgemeine amerikanische Ausrichtung auf erfahrungsorientiertes Lernen durch authentische Gelegenheiten für bürgerschaftliches Engagement und politisches Handeln verbindet einen Community-basierten Ansatz der politischen Bildung mit Wissen und Reflexion. Auch wenn sich die politische Bildung in den Schulen in erster Linie nach wie vor auf Wissen konzentriert und die außerschulische Bildung seit langem stärker handlungsorientiert ist, hat auch die formale Bildung begonnen, stärker handlungsorientierte Strategien anzuwenden.

TECE-Begegnung in Berlin, November 2021 Foto: AdB

In Anlehnung an Toqueville und Dewey wird allgemein davon ausgegangen, dass politische Fähigkeiten und Haltungen durch nicht simulierte Erfahrungen erlernt werden sollten. Dies zeigt sich in der Betonung verschiedener Formen des bürgerschaftlichen Engagements als Methoden der politischen Bildung: sozialkapitalbildende Aktionsformen (z. B. Service Learning und Freiwilligendienste) sowie eher politisch orientierte Aktionen (z. B. Community/Youth/Intergenerational Organizing und Participatory Action Research). Diese Beispiele zeigen, wie Bildung und bürgerschaftliches Engagement zusammenkommen, um durch reflektierte Beteiligung zur Demokratie zu erziehen.

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Service Learning in den USA als eine gängige Form der politischen Bildung entwickelt, die Lernziele mit gemeinnütziger Arbeit und Reflexion verbindet. Diese Praxis ist zwar immer noch weit verbreitet, wurde aber wegen ihrer Dienstleistungsorientierung kritisiert, die die Lernenden dazu auffordert, einfach auf soziale Probleme zu reagieren, anstatt sich mit den Kernursachen eines Problems zu befassen.

In dem Bestreben, vom Community Service zu einem tieferen Engagement zu kommen, ist der Ansatz der Action Civics populär geworden. Action Civics kann viele Formen annehmen, ist aber im Wesentlichen politisches Handeln als eine Form des politischen Lernens, bei dem die Entwicklung von Leadership Development, angeleitete erfahrungsbezogene Bildung und „traditionelle“ politische Bildung kombiniert werden. Im engeren Sinne ist Action Civics ein mehrstufiger Prozess, bei dem junge Menschen mit Unterstützung von Bildner*innen Projekte durchführen, die in einer kollektiven politischen Aktion gipfeln.

Kritik an Action Civics (hauptsächlich ideologisch konservativ) betrachtet die Praxis als ein Labor für linke Protestbewegungen, aber es gibt ein großes Maß an Unterstützung für die Praxis innerhalb des Fachfeldes der politischen Bildung. Der Ansatz wird als bewährter Ansatz in mehrere einflussreiche Publikationen eingeführt, und es wurden sogar Gesetze verabschiedet, die die Aufnahme von politischen Aktionsprojekten in die Bildungsstandards mehrerer Bundesstaaten vorsehen.

Grassroots und Citizen-centered

In den USA gibt es nur wenige öffentliche Mittel für politische Bildung und Jugendarbeit. Organisationen, die in diesem Bereich tätig sind, sind in erster Linie auf die Finanzierung durch Einzelspender und Stiftungen angewiesen. Dies steht im Einklang mit einer Auffassung von staatlicher Verantwortung, bei der in den angelsächsischen Ländern die Zivilgesellschaft eher als von staatlicher Kontrolle losgelöst betrachtet wird (vgl. Konttinen 2009). Darüber hinaus gibt es weder eine nationale Jugendpolitik noch nationale Richtlinien für die politische Bildung, sodass die verfügbaren Möglichkeiten geografisch variieren. In diesem Umfeld muss die Zivilgesellschaft „die Zügel in die Hand nehmen“, weshalb nicht staatlich geförderte zivilgesellschaftliche Organisationen eine so wichtige Rolle spielen. Eine Verwurzelung der Institutionen und Strukturen an der Basis kann dazu führen, dass man stärker auf die Bedürfnisse der Community eingeht, als wenn man sich strikt an staatliche Finanzierungsparameter und thematische Schwerpunkte hält.

Dies gilt sicherlich für unsere historischen Vorbilder Myles Horton und Jane Addams, die mit ihrer bürgerzentrierten politischen Bildung auf einen erkannten Bedarf in ihren Communities reagierten. Die amerikanische „Bootstraps-Theorie“ wird hier dahingehend neu interpretiert, dass der/die einzelne Bürger*in dafür verantwortlich ist, durch aktives Engagement für seine eigenen Rechte und Bedürfnisse zu kämpfen. Es ist daher vielleicht nicht überraschend, dass viele Ansätze der Jugendarbeit und der politischen Bildung darauf abzielen, junge Menschen durch Leadership Development und jugendzentrierte Ansätzen auf diese Rolle der Selbstverwaltung vorzubereiten.

Im Mittelpunkt der Literatur und Praxis steht Youth Voice, d. h. der authentische Ausdruck ihrer Ideen, Vorschläge oder Interessen, der zu organisatorischen, sozialen oder politischen Veränderungen führen kann (vgl. Skali 2015). Youth Voice erfordert, dass junge Menschen in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse durch die Förderung von Handlungskompetenz und den Aufbau von Fähigkeiten zu verwirklichen. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Jugendliche in einzigartiger Weise in der Lage sind, die Bedürfnisse junger Menschen zu erkennen. Ansätze wie Youth Participatory Action Research YPAR ist ein Ansatz, bei dem junge Menschen systematische Forschung betreiben, um ihr Leben und ihre Gemeinden zu verbessern. und Youth Organizing Youth Organizing bezieht Jugendliche in Community Organizing ein, um Machtverhältnisse und Veränderungen in ihren Communities zu bewirken. beziehen Youth Voice als Teil der Logik mit ein.

Viele Community-Organisationen konzentrieren solche Programme auf einkommensschwache oder BIPOC-Communities, die nur begrenzte Möglichkeiten haben, sich politisch zu engagieren, und für die die Inhalte der schulischen politischen Bildung aufgrund von Machtungleichgewichten und unterschiedlichen Lebenserfahrungen möglicherweise nicht relevant sind. Programme, die sich auf das Mitspracherecht und die Führungsrolle von Jugendlichen konzentrieren, können ein ermächtigendes Umfeld schaffen, das den Schwerpunkt auf die Geschichte ihrer jeweiligen Communities, die Demokratie als einen Prozess, an dem alle Menschen teilnehmen sollten, und auf Techniken zur Erzeugung von Macht und zur Schaffung von Veränderungen legt und letztlich besser auf die Bedürfnisse von marginalisierten Communities eingehen kann (vgl. Checkoway 2011).

Foto: Andi Weiland | andiweiland.de

Diese Citizen-centered- und Grassroots-led-Möglichkeiten des politischen Lernens sind in einem Bereich üblich, der aufgrund der Finanzierung und des politischen Kontextes von der Zivilgesellschaft selbst getragen wird. Sie sind aber keineswegs nur in den USA zu finden; sie spiegeln in vielerlei Hinsicht auch den Diskurs um politisches Lernen und politische Bildung junger Menschen im Europäischen Kontext wider. Vgl. z. B. Yael Ohanas Ansatz der Critical Youth Citizenship, die Entwicklung des Kompetenzrahmens RFCDC im Europarat oder das ETS Kompetenzmodell im Jugendbereich. Darüber hinaus haben sich Methoden, die auf dem in Deutschland bekannten Empowerment-Prinzip, einem theoretischen Import aus der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, basieren, weiterverbreitet.

Tiefgreifend polarisiert

Viele sehen in der politischen Bildung eine Lösung für die aktuelle Polarisierung. Es sind neue Programme und Organisationen entstanden, die sich auf die Förderung des Civic Dialogue konzentrieren und die Ziele der politischen Bildung in neue Richtungen treiben. Allerdings ist das Feld selbst zum Gegenstand parteipolitischer ideologischer Kämpfe geworden.

In einer pluralistischen Gesellschaft ist zu erwarten, dass es Debatten darüber gibt, welchen Inhalten und Ansätzen in der politischen Bildung Vorrang eingeräumt werden sollte. So wird z. B. in den USA diskutiert, ob politische Bildung eine patriotische Vaterlandsliebe stärken oder die Teilnehmenden dazu ermutigen sollte, kritisch über die Probleme des Landes nachzudenken. Wie diese Diskussionen aber Teil des Culture Wars werden, stellt eine besorgniserregende Bedrohung dar.

Besonders umstritten ist die Frage, wie man das Thema Rassismus aufgreifen sollte. Im Frühjahr wurde eine Debatte über die Critical Race Theory (CRT) im öffentlichen Raum losgetreten. CRT ist ein akademisches Konzept, das davon ausgeht, dass Rassismus strukturell in rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Institutionen verankert ist. Rassismus ist demnach nicht nur eine explizite Demonstration individueller rassistischer Überzeugungen oder Handlungen, sondern ein historisch verankertes Phänomen, das diskriminierende und ungerechte Machtdynamiken erzeugt. Diese ursprüngliche Definition ist stark missverstanden worden, wobei Kritiker*innen behaupten, dass die Bemühungen, die rassistische Geschichte der USA und deren Auswirkungen auf die aktuelle Politik und Gesellschaft zu verstehen, selbst rassistisch sind und eine anti-weiße, anti-amerikanische Perspektive fördern. In neun Bundesstaaten wurden Gesetze verabschiedet, die solche Diskussionen verbieten; 19 weitere haben entweder bereits ähnliche Gesetze eingeführt oder planen dies (vgl. Ray/Gibbons 2021).

In einer pluralistischen Gesellschaft ist zu erwarten, dass es Debatten darüber gibt, welchen Inhalten und Ansätzen in der politischen Bildung Vorrang eingeräumt werden sollte. So wird z. B. in den USA diskutiert, ob politische Bildung eine patriotische Vaterlandsliebe stärken oder die Teilnehmenden dazu ermutigen sollte, kritisch über die Probleme des Landes nachzudenken.

Es gibt ein allgemeines Bekenntnis zu der Idee, dass politische und historische Bildung überparteilich sein sollte. Dieses Streben nach Überparteilichkeit wird jedoch in einem zunehmend polarisierten Umfeld immer schwieriger, in dem Werte, die einst als gemeinsam angesehen wurden, zunehmend umstritten sind. Wie ein amerikanischer TECE-Fellow es ausdrückte, „even using the term ‚human rights‘ has become controversial”. Aktive Versuche, Bildner*innen, die „nicht neutral“ handeln, mit Geldstrafen und Entlassungen zu bestrafen, machen diese Arbeit immer gefährlicher. Darüber hinaus haben Konservative begonnen, die parteiübergreifenden Versuche, die politische Bildung zu stärken, als linke Versuche zu kritisieren, die politische Bildung als Schauplatz für CRT zu nutzen. Diese Herausforderungen bieten einen Vergleich zu Ansätzen auf europäischer Ebene für „teaching controversial issues“ und zu deutschen Debatten über Neutralität in der politischen Bildung, die in den letzten Jahren durch den Druck der AfD verstärkt wurden.

Relevanz des deutsch-amerikanischen Austauschs

Die politische Bildung in den USA steht an einem Wendepunkt, und der Blick über die Landesgrenzen hinaus ist von großem Wert und steigendem Interesse. Doch die Herausforderungen und Chancen, mit denen die Vereinigten Staaten konfrontiert sind, sind bei weitem nicht einzigartig und sollten mit einer internationalen Perspektive betrachtet werden.

Eine Wiederbelebung der Investitionen in den deutsch-amerikanischen zivilgesellschaftlichen Austausch scheint in Sicht zu sein. Der Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung 2021–2025 spricht sich für die Förderung des transatlantischen zivilgesellschaftlichen Jugendaustauschs aus und spiegelt die ersten Bemühungen um die Einrichtung eines deutsch-amerikanischen Jugendwerks wider, die bereits angelaufen sind. Das TECE-Projekt hat es uns ermöglicht, die bestehenden strukturellen und logistischen Hindernisse aufzudecken, die wichtigsten Themen zu identifizieren und die Bedeutung der politischen Bildung als Schwerpunkt solcher Initiativen zu unterstreichen.

Der TECE-Prozess hat versucht, die Wesensmerkmale der politischen Bildung in beiden Ländern hervorzuheben und zu untersuchen und wesentliche Fragen zu dieser Arbeit mit einer vergleichenden Außenseiterperspektive neu zu bewerten. Weitere Informationen über das Projekt finden Sie hier: www.tece-usde.org Unterschiedliche kulturelle und sozioökonomische Landschaften und Unterschiede in der Struktur und Praxis der politischen Bildung bieten die Möglichkeit, über den Tellerrand zu schauen. Auf diese Weise werden wir herausgefordert, umfassender darüber nachzudenken, was politische Bildung ist und sein kann.

Zur Autorin

Katja Greeson ist Projektreferentin für das Projekt „Transatlantic Exchange of Civic Educators“ (TECE) beim Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. Ursprünglich aus den USA stammend, war sie dort in der politischen Jugendorganisation und Kampagnenarbeit tätig, bevor sie sich auf politische Bildung im transatlantischen Kontext konzentrierte. Sie ist Politikwissenschaftlerin mit Master-Abschlüssen von der UNC-Chapel Hill und der Universitat Pompeu Fabra.
greeson@adb.de

Literatur

Addams, Jane (1910): Twenty Years at Hull House. New York: Penguin Books
Ayers, William/Hunt, Jean Ann/Quinn, Therese (1998): Teaching for social justice. New York: Teachers College Press
Checkoway, Barry (2011): Education for Democracy by Young People in Community-Based Organizations. In: Youth & Society, 45(3), pp. 389–403
Coughlan, Ryan W./Sadovnik, Alan R,/Semel, Susan F. (2014): A History of Informal, Out-of-School Education. In: Teachers College Record, 116/14, pp. 359–382
Dewey, John/Dewey, Evelyn (1915): Schools of To-Morrow. New York: The Knickerbocker Press
Highlander Research and Education Center – Folk Alliance International Lifetime Achievement (2012): www.youtube.com/watch?v=dAUCZH-r3KQ (Zugriff: 28.11.2021)
Horton, Myles/Freire, Paolo (1990): We Make the Road by Walking: Conversations on Education and Social Change. Temple University Press
Jeffs, Tony/Smith, Mark (2021): The Education of Informal Educators. In: Educ. Sci., 11, pp. 488
Kahne, Joseph/Westheimer, Joel (2003): Teaching Democracy: What Schools Need to Do. In: Phi Delta Kappan, 85(1), pp. 34–66
Konttinen, Annamari (2009): Civic Mind and Good Citizenship. University of Tampere
Longo, Nicolas (2007): Why community matters: connecting education with civic life. Albany: State University of New York
Ray, Rashawn/Gibbons, Alexandra (2021): Why are states banning critical race theory?; https://tinyurl.com/ra8c8b72 (Zugriff: 29.12.2021)
Skali, Loubna H. (2015): What We Know about „What Works“ in Youth Civic Engagement and Voice, Youth Organizations, Youth Leadership and Civic Education; https://tinyurl.com/5n6b89ze (Zugriff: 29.12.2021)