Außerschulische Bildung 1/2021

Corona macht menschenrechtliche Handlungsbedarfe sichtbarer

Interview mit Dr. Sandra Reitz, Leiterin der Abteilung Menschenrechtsbildung am Deutschen Institut für Menschenrechte

Die vorliegende Ausgabe der Außerschulischen Bildung widmet sich den Veränderungen in der Arbeitswelt und deren Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft. Die Corona-Pandemie hat Veränderungsprozesse beschleunigt, die auch nach der Pandemie sicher nicht in Gänze rückgängig gemacht werden (können). Der Blick richtet sich dabei auch besonders auf prekär Beschäftigte, auf die Kinder und jungen Erwachsenen, auf Branchen, die durch Corona heruntergefahren werden mussten, aber auch auf veränderte Arbeitsformen zum Beispiel im Homeoffice.

Die Corona-Pandemie hat eine große menschenrechtliche Dimension. Neben dem Schutz des Lebens und dem Recht auf Gesundheit sind zahlreiche weitere Grund- und Menschenrechte von den Auswirkungen der Pandemie betroffen, beispielsweise das Recht auf Bildung oder das Recht auf Versammlungsfreiheit. In mancher Hinsicht wirkt das Corona-Virus wie ein Brennglas: Es hat besonders prekäre Lebenslagen und menschenrechtliche Handlungsbedarfe sichtbarer gemacht. Dazu gehören zum Beispiel Defizite beim Gewaltschutz von Kindern und Frauen, die Überlastung und die Unterfinanzierung der Pflegenden, fehlende Einrichtungen für Wohnungslose und die unzulängliche Situation von Asylsuchenden in Gemeinschaftsunterkünften. Auf diesen und weiteren vulnerablen Personengruppen muss das Augenmerk jetzt verstärkt liegen. Aus menschenrechtlicher Sicht ist es dabei essentiell, dass Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 das Gleichheitsgebot und das Diskriminierungsverbot berücksichtigen. Denn je nach Lebenslage und Personengruppe wirken sich Corona-Maßnahmen unterschiedlich aus.

Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, Menschenrechte als ein Maßstab für politisches und gesellschaftliches Handeln heranzuziehen. Nicht zuletzt bei der Frage nach einer gerechten Verteilung von Impfstoffen oder bei Triage-Entscheidungen müssen Menschenrechte die Richtschnur sein.

Es sollte sehr sorgfältig zwischen den Erfordernissen des Infektions- und Gesundheitsschutzes, also dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, und dem Menschenrecht auf Bildung abgewogen werden. Kinder und Jugendliche – ebenso wie das pädagogische Personal – müssen natürlich vor dem Corona-Virus geschützt werden. Gleichzeitig muss der Staat einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung gewährleisten. Die Schließung von Bildungseinrichtungen in der ersten Jahreshälfte 2020 hat deutlich gemacht, dass es viele Kinder und Jugendliche gibt, die in ihrer Lernentwicklung zurückfallen. Besonders betroffen sind dabei diejenigen, die ohnehin schon sozial benachteiligt sind. Es sind unterschiedliche Barrieren, die einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung in Pandemie-Zeiten verhindern: Etwa, weil Eltern das Kind beim Lernprozess nicht genügend unterstützen können, weil kein Computer mit Internetzugang zur Verfügung steht oder weil zu Hause eine ruhige Lernumgebung fehlt.