Was macht eine widerstandsfähige demokratische Gesellschaft aus?
Was heißt demokratische Resilienz?
Unter demokratischer Resilienz verstehen wir im Zusammenhang mit Ansätzen aus der Stadt- und Regionalplanung (vgl. Kegler 2016) und dem Monitoring Demokratische Integration (vgl. Klie 2019a) die Fähigkeit eines Gemeinwesens, in gesellschaftlichen und politischen Krisensituationen sowie in Transformationsprozessen immer wieder zu einer von der Mehrheit der Bevölkerung getragenen Akzeptanz von Demokratie als Gesellschafts-, Staats- und Lebensform zu gelangen und dies in einem die Grundwerte einer pluralistischen Gesellschaft verteidigenden Sinne.
Unser Verständnis von Demokratie geht dabei weit über das einer parlamentarisch repräsentativen Herrschaftsform auf den unterschiedlichen staatlichen Ebenen hinaus. Sie bleibt zentral, macht aber nur eine Dimension eines demokratischen Gemeinwesens aus. Demokratie bietet prinzipiell allen Bürger*innen Mitentscheidungs-, Mitwirkungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten in ihrem Gemeinwesen und ist auf die Identifikation der Bürger*innen mit diesem angewiesen. Demokratie stellt sowohl individuell als auch kollektiv eine Lebensform dar, die sich in ihren institutionellen Ausprägungen immer wieder neu bewähren muss. Dazu gehört auch die Nutzung verschiedener Spielarten und Formen der Demokratie – von Beteiligungsprozessen, kooperativer Demokratie, Bürger*innenräten, Bürgerhaushalten etc. – mit dem Ziel, möglichst viele Bürger*innen zu aktiven Mitgestalter*innen des Gemeinwesens zu machen (vgl. Lessenich 2019).
Demokratie stellt sowohl individuell als auch kollektiv eine Lebensform dar, die sich in ihren institutionellen Ausprägungen immer wieder neu bewähren muss.
Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, Veränderungen und Krisen zu bestehen und auch unter veränderten Bedingungen zu Formen der Stabilität zu gelangen. Resilienz ist in einem pädagogischen Sinne, die Fähigkeit von Personen, Krisensituationen und Stress zu überstehen, nach Krisen aufzustehen, sich um das eigene Wohlbefinden zu kümmern und den eigenen Stress zu regulieren. Das Wohlbefinden, das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit der Welt kommt gerade jungen Menschen heute tendenziell abhanden. Die Welt erscheint kaum regulierbar, die Krisen schwer zu bewältigen, der eigene (politische) Einfluss wird als gering erlebt. Insofern ist die Resilienz mit Blick auf künftige Krisensituationen und ihre Bewältigung gefährdet. Genau auf diesen Aspekt von Resilienz wird es in Zukunft ankommen. Harari (2022) betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Kommunen und Sozialräume als Erfahrungs- und Gestaltungsraum für Demokratie. Hier kann die Erfahrung der Selbstwirksamkeit und demokratischen Mitgestaltung ebenso gemacht werden, wie die Erfahrung, dass auf kommunaler Ebene Aufgaben der Daseinsvorsorge und Zukunftssicherung übernommen und gestaltet werden können – vom Gesundheitswesen bis zur Energieversorgung, vom Jugendclub bis zur Kultur, von dem Engagement für Geflüchtete bis zur Sicherung von Gewerbebetrieben vor Ort.

Gerade vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass der Begriff der Resilienz auch für Regionen und Kommunen Verwendung findet. Hier beschreibt er die Anpassungsfähigkeit an neue Umweltbedingungen und die Fähigkeit, Zukunft zu antizipieren und sich gestaltend auf sie einzustellen. In einem Projekt mit Studierenden der Evangelischen Hochschule Freiburg zum Thema demokratische Integration wurde 2020 das Konzept der demokratischen Resilienz von Kommunen untersucht – theoretisch und in Berliner und Südbadener Sozialräumen empirisch. In dem Monitoring Demokratische Integration (vgl. Klie 2019a; 2019b) werden strukturelle Bedingungsfaktoren von Regionen identifiziert, die eine demokratische Vitalität befördern oder behindern bzw. eher unwahrscheinlich machen. Bei der demokratischen Resilienz geht es weniger um strukturelle Rahmenbedingungen, sondern um kulturelle Aspekte und kommunale Governance.
Resilienz ist in einem pädagogischen Sinne, die Fähigkeit von Personen, Krisensituationen und Stress zu überstehen, nach Krisen aufzustehen, sich um das eigene Wohlbefinden zu kümmern und den eigenen Stress zu regulieren.
Zu den Voraussetzungen für demokratische Resilienz von Gemeinwesen auf kommunaler Ebene zählen eine von Vertrauen geprägte Beziehungskultur innerhalb der Bürgerschaft, sowie zwischen Kommunen und Bürger*innen und der Zivilgesellschaft. Geschlossene Subkulturen, von Hartmut Rosa „Echokammern“ genannt (vgl. Rosa 2017), gefährden potenziell die Integrationsfähigkeit von Gemeinwesen und den sozialen Zusammenhalt und damit auch die demokratische Resilienz. Insofern ist eine Voraussetzung die Öffnung von „Echokammern“, aber auch die Konfliktbereitschaft in der Bürgerschaft und das Aushalten und Aushandeln unterschiedlicher Meinungen, Positionen und religiöser Überzeugungen. Die notwendige Pluralität und Toleranz muss aber einhergehen mit einer Kompromisslosigkeit gegenüber menschen- und demokratiefeindlichen Tendenzen: Zu den gesellschaftlichen und anthropologischen Voraussetzungen eines demokratischen Gemeinwesens gehört der Schutz von Menschen- und Grundrechten und die Bejahung der Demokratie als Gesellschaftsform.
Demokratische Resilienz kennt Bedrohungen und ist aktuell in besonderer Weise Herausforderungen ausgesetzt.
- Der demografische Wandel stellt vielerorts, insbesondere im ländlichen Raum, ein gleiches Niveau der Daseinsvorsorge als Bedingung guten Lebens in Frage und verlangt so nach neuen Antworten auf die Gewährleistung einer ausreichenden Daseinsvorsorge.
- Die zunehmende Kommerzialisierung und Entstaatlichung öffentlicher Aufgaben vom Gesundheitswesen über die Pflege, von der Gewährleistung ausreichenden Wohnraums bis zur Mobilitätssicherung stellt sich insbesondere für strukturschwache Regionen als Bedrohung einer ausreichenden Daseinsvorsorge dar und ist, wie die aktuellen Krisen zeigen, nicht geeignet, gleichwertige Lebensbedingungen in allen Teilen Deutschlands zu erhalten und auf traumatische Krisen vorbereitet zu sein.
- Eine reine Wachstums- und auf Effizienz hin ausgelegte Steigerungslogik, gebunden an die Figur des Bruttoinlandsproduktes, ist nicht geeignet, die künftigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Gesellschaft im Sinne einer Fundamentalökonomie die Voraussetzungen zum Leben und damit auch der Wirtschaft für ihre Produktivität bewahrt (vgl. Froud et al. 2019).
- Die Zunahme sozialer Ungleichheit, insbesondere auf der Vermögensebene, Diese und andere Ungleichheiten beschreibt Lessenich in seinem Essay „Grenzen der Demokratie: Teilhabe als Verteilungsproblem“ als Abschottungsmechanismen, die viele Menschen vom demokratischen Prozess ausschließen. Außer Vermögensungleichheit nennt er Staatsbürgerschaft und Macht als Probleme der Demokratie (vgl. Lessenich 2019). und regionaler Unterschiede in den jeweils geltenden Strukturbedingungen, stellen die demokratische Integration als Voraussetzung für demokratische Resilienz in Frage.
- Hinzu kommt die zunehmende Komplexität von Problemkonstellationen in Zeiten der Globalisierung, in der Bürger*innen immer mehr die Erfahrung machen, dass sie weder vor Ort noch auf nationalstaatlicher Ebene Einfluss auf die ihr Leben mitbestimmenden Dynamiken weltwirtschaftlicher Art nehmen können.
- Die Corona-Pandemie hat die soziale, demokratische und wirtschaftliche Stabilität auf die Probe gestellt und deutlich gemacht, wie wichtig die regionale und nationale Handlungsfähigkeit ist.
- Das Erstarken autoritärer Regime in der Welt – erstmals befinden sich demokratische Staaten weltweit wieder in der Minderheit – und die gezielte Beschädigung demokratischer Institutionen als Voraussetzung für Frieden, Freiheit und Wohlstand, etwa in den USA und Brasilien, bringen die globale Stabilität ins Wanken.
Um die demokratische Resilienz zu stärken, sind auf allen staatlichen Ebenen – besonders auf der örtlichen – Strategien und Maßnahmen erforderlich, die sowohl auf der Makro- als auch auf der Meso- und Mikroebene ansetzen. Eine stärkere Übertragung politischer Kompetenzen von örtlich zu regelnden Angelegenheiten auf die Kommunal- und Gemeindeebene gehören ebenso dazu, wie die Entwicklung einer kommunalen Governance. Zu ihr gehören etwa:
- Transformationsplattformen aus Wirtschaft, Verwaltung, Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft mit charismatischen Führungspersönlichkeiten;
- Entwicklung von Langzeitvisionen, Transformationsendbildern und entsprechenden Agenden;
- Förderung von Bildung, Bewusstseinsbildung und Dialogfähigkeit;
- Management von Konflikten und Spannungsfeldern (vgl. Kegler 2016).
Zu den Voraussetzungen für demokratische Resilienz von Gemeinwesen auf kommunaler Ebene zählen eine von Vertrauen geprägte Beziehungskultur innerhalb der Bürgerschaft, sowie zwischen Kommunen und Bürger*innen und der Zivilgesellschaft.
Kommunale Governance stärkt das Zusammenwirken der unterschiedlichen gesellschaftlichen Sektoren – Staat/Kommune, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Bürgerschaft – und schafft dafür im aristotelischen Sinne örtliche Räume der gemeinsamen Sorge für die Zukunft. Vielfältige Maßnahmen zur Demokratiebildung gehören zu den Bausteinen, um demokratische Resilienz zu stärken. Voraussetzung ist dabei eine Grundhaltung der Gelassenheit, die Diskurse auf Augenhöhe in einem Klima der Angstfreiheit und gegenseitiger Wertschätzung ermöglicht, verbunden mit der Leidenschaft, die Zukunftsfähigkeit eines Ortes zu sichern.

Besonders relevant ist die Förderung von Kompetenzen der demokratischen Resilienz bei jungen Menschen durch die Ermöglichung von glaubwürdigen Demokratieerfahrungen, die Beteiligung an der Gestaltung von Transformationsprozessen (etwa im Klimawandel) und die kompromisslose Vermittlung demokratischer Werte in einer Kultur der Anerkennung, in welcher der junge Mensch Selbstwirksamkeit erfährt (vgl. Edler 2017). Insofern ist die Sicherung demokratischer Resilienz auch immer von einzelnen Personen und (charismatischen) Persönlichkeiten abhängig und auf die effektive Umsetzung in (Bildungs-)Einrichtungen angewiesen.
Zu den Bausteinen für eine „demokratische Resilienz“ von junger Menschen gehören:
- die Fähigkeit andere Meinungen gelten zu lassen und sich für sie zu interessieren;
- sich aus unterschiedlichen Quellen zu informieren – und sich nicht allein in Echokammern sozialer Netzwerke zu beheimaten;
- die Erfahrung, vor Ort etwas – im Kleinen – bewegen zu können;
- demokratische Aushandlungsformen und Spielarten der Demokratie – in Schule, Freizeit, Zivilgesellschaft und Kommune kennenzulernen;
- die eigene Meinung auch öffentlich kundzugeben und für sie einzutreten;
- das Ringen um Bedingungen guten Lebens heute und in Zukunft zu erleben und Teil davon zu sein;
- Leidenschaftlichkeit für gesellschaftliche Ziele und eine gerechtere Gesellschaft zu erleben und zu leben;
- wissenschaftliche Erkenntnisse zu respektieren, bewerten zu können und als Basis für politische Entscheidungen anzuerkennen;
- Demokratie als Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit einer offenen, freien Gesellschaft zu erkennen, die immer wieder neu geschaffen werden muss – und nicht nur „von den da oben“;
- die Manipulierbarkeit durch Social Media und andere Medien zu erkennen;
- sich zu engagieren und Verantwortungsrollen zu übernehmen – in Schule und Zivilgesellschaft;
- die Erfahrung, dass sich vor Ort für die Zukunftsfähigkeit der Kommune wichtige Aufgaben und Herausforderungen bewältigen lassen.
Ausblick
Demokratie als Gesellschafts- und Staatsform ist nicht mehr selbstverständlich als die beste Form des Zusammenlebens anerkannt. Autokratische Deformierungen parlamentarischer Demokratien auf der ganzen Welt stellen eine lebendige und beteiligungsorientierte demokratische Gesellschaft infrage. So hat etwa die Ideologie sowie das Gesellschafts- und Staatsverständnis des politischen China, und damit verbunden die enorme wirtschaftliche Dynamik und Potenz, mit der Tradition einer pluralistischen Demokratie wenig bis nichts gemeinsam (vgl. Tingyang 2020). Umso wichtiger erscheint es, dass sich Bürger*innen mit dem Thema „Demokratische Resilienz“ auf theoretischer und praktischer Ebene beschäftigen und junge Menschen in ihrer demokratischen Resilienz gestärkt werden.
Zum Autor

www.thomasklie.de
Foto: EH Freiburg / Fotograf: Marc Doradzillo