Außerschulische Bildung 3/2020

Die globalen Jugendbewegung(en) für das Klima

Was hat das mit politischer Jugendbildung zu tun?

Zu den großen Überraschungen der letzten Jahre gehört das starke Engagement von jungen Menschen in Protestbewegungen. Nahezu ein Viertel der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland gibt im Sommer 2019 an, sich an einer der Mobilisierungen von Fridays for Future beteiligt zu haben. Der Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, ob es dabei um jugendbewegte Themen oder grundlegende Zukunftsfragen geht. Politische Bildung sollte die Schubkraft der Proteste nutzen und Zukunftsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit verstärkt auf die Tagesordnung setzen und einen Beitrag leisten, den weitgehenden Ausschluss der nachwachsenden Generation aus der politischen Willensbildung zu überwinden.  von Roland Roth

Jugend, Jugendbewegungen und soziale Bewegungen

Wer das Protestgeschehen der letzten Jahre national wie international beobachtet, wird den großen Anteil junger Menschen nicht übersehen können, die sich auf Straßen und Plätzen versammeln. Dies war schon bei Aufbrüchen im arabischen Raum der Fall, prägte die transnationale „Occupy!“-Bewegung gegen die Macht der globalen Finanzbranche und wurde besonders in den diversen Klimastreiks sichtbar. Handelt es sich bei den sozialen Bewegungen unserer Tage – wie z. B. Fridays for Future (FFF) oder Black Lifes Matter – deshalb schon um Jugendbewegungen und was kann darunter heute verstanden werden? Mit Blick auf das Alter der Protestteilnehmer*innen scheint die Antwort eindeutig. Auf vielen Demonstrationen dominieren die jüngeren Generationen. Sie prägen das Bild der Straßenproteste, auch wenn sich immer wieder Ältere demonstrativ mit Plakaten wie „Omas fürs Klima“ dazugesellen. Dies mag erstaunen, schien es doch eine Weile so, als sei das Demonstrieren die nostalgische Sache einer alt gewordenen „Protestgeneration“, von der sich jüngere, oft als „pragmatisch“ eingestufte Generationen fernhalten oder lieber – wenn überhaupt – digital aktiv werden.

Solche Generationenbilder waren vermutlich immer schief. Eine mehr oder weniger kleine Teilgruppe der nachwachsenden Generation wird dabei häufig zu deren Generalnenner stilisiert. Zum Beispiel konnten die „Achtundsechziger“ auch in ihren besten Zeiten nie mehr als einige wenige Prozent ihrer Alterskohorte mobilisieren. Erst sehr viel später wurde es schick, dazu gehört zu haben, und die Zahl der fiktiven Protagonist*innen nahm mit jedem Jahrestag zu. Generationenbilder sind häufig auch deshalb unzulänglich, weil in den Jugendstudien der direkte Vergleich mit den Erwachsenen in der Regel fehlt. Die Zuschreibung von Eigenschaften an die nachwachsende Generation wird deshalb leicht zum Ergebnis der Projektionen von in der Regel erwachsenen und älteren Forscher*innen. Der Blick auf das Alter der Protestierenden täuscht auch aus einem anderen Grund. Junge Menschen prägen die große Mehrzahl aller aktuellen Proteste und haben dies auch bei Rebellionen und Revolutionen getan. Aber niemand käme auf die Idee, die Protestbewegungen im arabischen Raum („Arabellion“), die Französische Revolution oder die Nazi-Bewegung deshalb als Jugendbewegungen zu etikettieren.

„When Leaders act like Kids, the Kids become Leaders“ Foto: Goran Horvat/pixabay

Von Jugendbewegung sollte deshalb erst dann gesprochen werden, wenn auch die Agenda des Protests Jugend selbst als Generationenthema aufgreift. Dies war z. B. in den Jugendbewegungen vor dem 1. Weltkrieg der Fall. Deren hoffnungsvolle Parole „Mit uns kommt die neue Zeit“ hat Jungsein mit dem Entwurf einer zukünftigen Gesellschaft verbunden. Es ging der historischen Jugendbewegung u. a. darum, die Fesseln einer noch immer ständisch, militaristisch geprägten Gesellschaft zu überwinden, die sich am Ideal des Reserveoffiziers orientierte. Zudem klang in der Lebensreform, dem Wandervogel und in anderen Strömungen eine ökologische Stadt-, Industrie- und Kapitalismuskritik an, die in den letzten Jahrzehnten gelegentlich aufgefrischt wurde. Zu den zahlreichen Facetten des Themas Jugend und Protest siehe den Sammelband von Roth und Rucht (2000).

In Zeiten von Ökologie, Nachhaltigkeit und Klimawandel sind die ökologischen Proteste von jungen Menschen auf den ersten Blick konservativ gestimmt, weil sie (noch) Bestehendes retten wollen. Dabei sind sie mit der paradoxen Situation konfrontiert, dass selbst bescheiden auftretende, bewahrend gestimmte Forderungen ohne mehr oder weniger radikale Brüche nicht zu haben sind. Die Wald- und Baumbesetzer vom Hambacher Forst setzen sich vordergründig und auf spektakuläre Weise für den Erhalt eines letzten kleinen Waldstücks in einem Braunkohletagebau-Gebiet ein. Es geht den Protestierenden aber weiterreichend um eine nachhaltige Klimawende, die einen weitgehenden Umbau nicht nur der regionalen Produktions- und Konsumstrukturen erfordert. Gleichzeitig hat das Thema Generationengerechtigkeit an Brisanz gewonnen. Die Nachhaltigkeitsdebatte mündet stets in die Frage, ob und wie es gelingen kann, der nachwachsenden Generation eine bewohnbare Welt zu hinterlassen, die ihr zumindest ähnliche Lebenschancen eröffnet, wie sie für die Generation der Eltern selbstverständlich waren. Die klassische Formel des Generationenvertrags der ökologisch unbekümmerten, prosperitätsgestützten Nachkriegszeit lautete „Du sollst es einmal besser haben!“. Die in den ökologischen Protesten aktiven Jugendlichen melden Zweifel an. Wo von der Infragestellung des alten Generationenvertrags in Protesten explizit die Rede ist, macht es vermutlich heute Sinn, von einer Jugendbewegung zu sprechen.

Profil, Botschaften und Herausforderungen von Fridays for Future

Es gibt wohl keine weltweite Protestbewegung der letzten Jahre, die so starke und anhaltende mediale Aufmerksamkeit erfahren hat wie Fridays For Future (FFF). Die Anfänge waren bescheiden. Nach den Sommerferien weigerte sich am 20. August 2018 eine 15-jährige schwedische Schülerin zur Schule zurückzukehren und protestierte stattdessen vor dem Stockholmer Parlament mit einem Schild „Schulstreik für das Klima“. Bereits am 4. September 2018 gab es den ersten Schulstreik in Den Haag, am 14. September 2018 in Berlin. Es ist nicht zuletzt dem Eigensinn, der Beharrlichkeit und den öffentlichen Auftritten von Greta Thunberg zu danken Zu ihren Auftritten und Reden vgl. Thunberg 2019., dass ihr Hashtag „Fridays for Future“ zum Synonym für eine neue Generation von Klimaprotesten geworden ist, die stark von Schüler*innen sowie jungen Menschen in Studium und Ausbildung geprägt sind. Junge Menschen unter 19 Jahren sind mit FFF erstmals prägend als Initiatoren, Organisatoren und Teilnehmende weltweiter Klimaproteste tätig geworden. Auch bei der zweiten Welle von weltweiten Protesten im März 2019 stellten mit 45 % die 14–19-Jährigen die größte Teilnehmergruppe. Im September des gleichen Jahres, nachdem erstmals Erwachsene explizit zur Teilnahme eingeladen wurden, waren es durchschnittlich noch 31 %. Immerhin stellten die über 45-Jährigen bei den September-Demonstrationen in Stockholm, Sidney, Brüssel und New York bereits fast die Hälfte der Teilnehmenden (de Moor et al. 2020, S. 12).

Einen ersten Höhepunkt erreichten die kontinuierlichen Proteste mit dem dritten Global Climate Strike am 20. September 2019, an dem sich bei 6.000 Einzelprotesten in 185 Ländern weltweit rund 7,6 Millionen Menschen beteiligten. Verlässliche Einblicke in die Motive, Ziele und das Profil von FFF bieten zwei umfangreiche internationale Demonstrationsbefragungen im Frühjahr 2019 in 16 Städten in Europa (Wahlström et al. 2019) und Herbst 2019 weltweit in 19 Städten (de Moor et al. 2020). Die weitere Darstellung greift wesentlich auf die Ergebnisse dieser Befragungen zurück – auch dort, wo sie nicht direkt zitiert werden. Eine davon unabhängige Konstanzer Demonstrationsbefragung hat die Befunde für Deutschland weitgehend bestätigt (Koos/Lauth 2019). Weitere Analysen zu FFF bietet ein im Herbst 2020 erscheinender Sammelband von Haunss/Sommer (2020). Mit insgesamt rund einer Million Teilnehmer*innen in zahlreichen deutschen Städten war der deutsche Beitrag besonders groß. Erst die Covid-19-Krise mit ihren Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen sorgte 2020 dafür, dass dieser jugendgeprägte Protest vorübergehend aus der Öffentlichkeit verschwand, seine digitalen Netzwerkstrukturen jedoch festigen konnte.

Über das Alters- und Sozialprofil der Protestierenden geben zwei große internationale Demonstrationsbefragungen in einer Vielzahl von Städten verlässlich Auskunft. Danach liegt der Frauenanteil durchschnittlich bei rund 60 % – bei den bis 19-Jährigen hat er von der ersten zur zweiten Welle sogar von 63 auf 71 % zugenommen. Allerdings sind die Tendenzen in den einzelnen Ländern teilweise gegenläufig; dies vor allem in Deutschland, wo die FFF-Proteste im September 2019 nicht mehr von Frauen dominiert wurden. Was den Bildungshintergrund angeht, liegt Deutschland jedoch im internationalen Trend. Die befragten Erwachsenen haben zu über 70 % einen Hochschulabschluss. „Beim Alter der Protestierenden zeigte sich ebenso eine Veränderung: War die Hälfte der Protestierenden im März jünger als 21 Jahre, so lag der Wert im September bereits bei 28 Jahren. In Deutschland konnte das Team eine noch deutlichere Verschiebung im Medianalter beobachten – dieses stieg von 19 Jahren im März auf 31 Jahre im September.“ (de Moor et al. 2020) Orientierte sich die Bezeichnung Jugendbewegung ausschließlich am Alter, dann hätte FFF im September 2020 aufgehört eine Jugendbewegung zu sein. Übersehen würde dabei, dass es die jungen Trägergruppen von FFF selbst waren, die im September offensichtlich erfolgreich Erwachsene aufgefordert haben, sich dem Klimastreik anzuschließen.

Nachgelassen hat offensichtlich auch der „Greta-Effekt“. Im März 2019 gaben knapp über 40 % der Befragten an, Greta Thunberg habe das Interesse an den Klimastreiks sowie die Teilnahmebereitschaft wesentlich geprägt. „Im September lag dieser Wert nur noch bei einem Drittel. Diese Tendenz fiel in Deutschland sogar noch deutlicher aus. Gaben im März noch 39 Prozent der Befragten an, Greta Thunberg habe ihre Teilnahme an dem Protest beeinflusst, traf das im September nur noch auf 25 Prozent zu.“ (Ebd.)

Neben Überzeugungen und Informiertheit tragen starke Emotionen erheblich zur Protestbereitschaft bei. Dies ist auch bei FFF der Fall. Frust und Wut sind zentrale Triebfedern, um auf die Straße zu gehen. Diese Emotionen spielen auch in der dritten Mobilisierungswelle eine erhebliche Rolle. „Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, dass zur Demobilisierung führen kann, spielte zwar weiterhin eine untergeordnete Rolle, allerdings war ein Anstieg zu beobachten. So gaben im März 2019 über 26 Prozent der Befragten an, ziemlich beziehungsweise sehr hoffnungslos zu sein, im folgenden September waren es schon knapp 35 Prozent (auch hier lag Deutschland im internationalen Trend mit einem Anstieg von 25 auf 34 Prozent).“ (Ebd.)

Mit einem schnellen Abflauen des Protestgeschehens ist in Deutschland nicht zu rechnen. Immerhin repräsentieren die FFF-Proteste eine breite Stimmungslage von jungen Menschen in Deutschland. Bereits im Juni 2019 berichten 24 % der repräsentativ befragten 14- bis 24-Jährigen bereits an einer Veranstaltung von FFF teilgenommen zu haben. Angesichts dieser Zahlen spricht die aktuelle Sinus-Jugendstudie von einem Paradigmenwechsel: „Die ab den 1980er-Jahren gewachsene und zunehmend leidenschaftsloser gewordene Distanz der deutschen Jugend zur Politik, zumindest zu deren institutionalisierten Erscheinungsformen, war bis zum Auftauchen der Fridays-for-Future-Bewegung (FFF) ein konstanter Befund der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung“. Seit FFF „kann von Abstinenz oder gleichgültiger Distanz zur ‚Welt der Politik’ nicht mehr die Rede sein“ (Calmbach et al. 2020, S. 390).

Foto: Harrison Moore/Unsplash

Große Angst vor dem Klimawandel äußern mehr als zwei Drittel der Befragten und ebenso groß ist die Zahl derer, die sich von der älteren Generation im Stich gelassen fühlen und Politiker*innen und Parteien in der Pflicht sehen. Fast die Hälfte der Befragten sieht auch die Wirtschaft in der Pflicht. „Gleichzeitig hat aber nur ein kleiner Teil Vertrauen, dass die Politik (22 Prozent) und die Wirtschaft (32 Prozent) den Klimawandel tatsächlich aufhalten können. Am zuversichtlichsten ist die junge Generation, dass die Wissenschaft (73 Prozent) sowie Umwelt- und Tierschutzorganisationen (73 Prozent) das Klima noch retten können.“ Zu den Daten und Zitaten vgl. www.marktforschung.de/aktuelles/marktforschung/fridays-for-future-ein-drittel-der-jugend-verzichtet-auf-auto-und-fernreisen (Zugriff: 27.07.2020) Die Sinus-Befragung macht zudem deutlich, dass viele Jugendliche bereit sind, ihren Lebensstil zu überprüfen und z. B. auf die nächste Smartphone-Generation zu verzichten. Die Forderung nach einer freiwilligen Veränderung des eigenen Lebensstils findet auch in den Demonstrationsbefragungen breite Unterstützung, ohne die Verantwortung von Politik und Regierungen zurückzustufen.

FFF bringt ein Lebensgefühl zum Ausdruck, das in der Sinus-Studie von 14- bis 17-Jährigen 2019 bestätigt wurde: „Das Erleben von Macht- und Einflusslosigkeit der Jugendlichen macht sich vor allem am säkularen Umwelt- bzw. Klimaproblem fest: Die Rettung des Planeten wird von Politik und Wirtschaft hintertrieben. Die junge Generation wird nicht gehört, muss aber die Folgen tragen.“ (Calmbach et al., S. 400)

„Wir sind die Gegenwart und die Zukunft“: Kinder und Jugendliche als politische Akteure

Wer die Herausforderungen von FFF für die politische Jugendbildung ausloten will, muss sich mit den Stimmungslagen und Einschätzungen der jungen Menschen auseinandersetzen, die in großer Zahl auf der Straße waren und breite Unterstützung bei Gleichaltrigen finden. „Das Thema ‚Klimawandel/Umweltschutz’ beunruhigt in hohem Maße nahezu alle Befragten. Die zunehmende Zerstörung der Lebensgrundlagen auf der Erde wird von den Jugendlichen als entscheidend für ihre eigene und die Zukunft ihrer Kinder empfunden. Dieses Problem ist aus Sicht der Jugendlichen zu einer zentralen Frage der Generationengerechtigkeit geworden.“ (Ebd., S. 405)

Wer die Herausforderungen von FFF für die politische Jugendbildung ausloten will, muss sich mit den Stimmungslagen und Einschätzungen der jungen Menschen auseinandersetzen, die in großer Zahl auf der Straße waren und breite Unterstützung bei Gleichaltrigen finden.

Es geht somit für die nachwachsende Generation nicht um ein Thema unter vielen, sondern um eine zentrale Zukunftsfrage und eine Frage der Generationengerechtigkeit, die Erwachsene in allen Berufen und Milieus ernst nehmen sollten. Es dürfte schwerfallen, diesem wissenschaftlich gut gestützten Befund zu widersprechen. Umso mehr beklagen Jugendliche die verbreitete Ignoranz der Erwachsenenwelt gegenüber ihren Sorgen. „Verbreitet ist die Einschätzung, dass die Klimakrise von den Verantwortlichen (Politik/Regierung sowie Wirtschaft) nicht ernst genommen wird und mögliche Problemlösungen verschleppt oder sogar hintertrieben werden. Die Teenager fordern, verbindliche Klimaziele zu setzen und diese auch durchzusetzen, den Kohleabbau zu stoppen und regenerative Energien zu fördern. Insgesamt, so die übereinstimmende Meinung, muss das existenzielle Thema ‚Klima und Umwelt’ noch sehr viel höhere politische Priorität bekommen.“ (Ebd., S. 406)

Angesichts dieser Erfahrungen und Einschätzungen gerät professionelle politische Bildung in eine paradoxe Situation. Sie muss einerseits anerkennen, dass junge Menschen sehr wohl zu selbstorganisierten Lernprozessen in der Lage sind. Viele der Sprecher*innen von FFF können sich in TV-Talkshows nicht nur behaupten, sondern auch durch Fachwissen und rhetorische Fähigkeiten überzeugen. Einmal mehr hat sich bestätigt, dass Engagement in sozialen Bewegungen zu einer enormen Beschleunigung von sozialen und politischen Lernprozessen führen kann.

Zum anderen kratzt FFF an einer Grundannahme politischer Jugendbildung. Nicht die jungen Leute sind das Problem, das durch organisierte politische Lernprozesse zu verkleinern ist, sondern die Ignoranz in der Erwachsengeneration, deren Logik die implizite Botschaft enthält: „Nach uns die Sintflut.“ Politische Beteiligung ist in der nachwachsenden Generation weniger ein Nachfrage-, sondern vielmehr ein Angebotsproblem. Sie fordern in wachsender Zahl ein Ende ihres gezielten Ausschlusses aus der Politik: „Immer wieder angeführte Themen sind: die als zu gering angemahnte Teilhabe der jungen Generation an politischen Entscheidungsprozessen sowie die mangelnde Repräsentation von Jugendlichen und ihren Anliegen im politischen Raum. Verbreitete Überzeugung unter den Befragten ist, dass die Jugend nicht gehört wird und Jugendliche von den Politiker*innen bzw. von der etablierten Politik nicht ernst genommen werden. Häufig unterstellt man diesen – wenn nicht der gesamten älteren Generation – Ignoranz und Zynismus. Diese Kritik findet sich in allen jugendlichen Lebenswelten.“ (Ebd., S. 410) Egoistische wirtschaftliche (Profit-)Interessen und kurzsichtige Klientelpolitik werden als weitere Ursachen dafür gesehen, dass wirksame politische Maßnahmen gegen den Klimawandel ausgebremst werden (vgl. ebd., S. 413).

Dies ist der Hintergrund für den beachtlichen Mobilisierungserfolg der Kombination von begrenzter Regelverletzung (Verweigerung des Schulbesuchs für einige Stunden) mit einer generationsspezifischen Zuspitzung des Klimathemas. Die Aufmerksamkeit war schon deshalb garantiert, weil sich mit dem Verstoß gegen die in den meisten Ländern geltende Schulpflicht auch das System Schule herausgefordert sehen musste. Dass es bei den Schüler*innenstreiks fürs Klima um fundamentale Rechte der nachwachsenden Generation (nachhaltige Lebensbedingungen, gesunde Umwelt etc.) geht, wurde in den von Erwachsenen geführten öffentlichen Debatten häufig ignoriert und stattdessen das „Schulschwänzen“ in den Vordergrund geschoben. Jungen Menschen wurde implizit oder explizit das Recht abgesprochen, sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen und dabei die Formen des Protests zu wählen, die ihnen angemessen erscheinen (vgl. Greenwell 2020; Meade 2020). Das Hochjubeln und die danach fast unvermeidliche Abwertung von Greta Thunberg als Person gehört zum Repertoire eines Adultismus, der sich von einer 15-Jährigen nichts sagen lassen will.

Eine Reihe von Schulen und Kollegien haben aber auch positiv reagiert und dabei geholfen, die Folgen des Schulstreiks bildungsverträglich abzufedern. Zahlreiche Kommunen haben die Initiativen der „Schulkinder“ aufgegriffen, den „Klimanotstand“ ausgerufen und entwickeln seither gemeinsam mit den Protestierenden neue lokale Klimaschutzpläne.

Aber die Schüler*innenproteste haben ein bekanntes Manko noch einmal verdeutlicht. Von der Schulpflicht war oft die Rede, aber dass Kinder auch politische Rechte haben, d. h. sich zusammenschließen und demonstrieren können, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen, schien weithin unbekannt. Die Bereitschaft von Erwachsenen und politisch Verantwortlichen, Kinderrechte zum Maßstab der öffentlichen Debatte zu machen, erwies sich als wenig ausgeprägt, obwohl es sich bei der UN-Kinderrechtskonvention, der Deutschland 1992 beigetreten ist, seither um geltendes Recht handelt.

Zur Aktualität des Protests als Form politischen Handelns und Lernens

Nun ist es keineswegs ungewöhnlich, dass sich Protestbewegungen in die öffentliche Meinungsbildung einmischen. Das Beispiel der Anti-Atombewegung und ihrer Erfolge dürfte noch präsent sein. Seit den 1970er Jahren sind viele westliche Demokratien zu Bewegungsgesellschaften geworden, d. h. die Beteiligung an Demonstrationen und anderen Formen des Protests sind zu einem festen Bestandteil des politischen Handlungsrepertoires vieler Bürger*innen geworden. Längst gehören soziale Bewegungen und Proteste auch in Gesellschaften mit eingeschränkten politischen Rechten weltweit zum Alltag. Für die außerschulische politische Bildung sind solche Mobilisierungen in mehreren Dimensionen bedeutsam:

  • Im Vergleich zu anderen Formen des politischen Engagements zeichnet sie aus, dass sie zentral auf öffentliche Sichtbarkeit durch Protest setzen. Sie bringen mit ihren Aktionen oft verdrängte und vernachlässigte Themen auf die politische Agenda oder unterstreichen deren Dringlichkeit. Ziviler Ungehorsam stellt eine Reaktion auf Versammlungs- und Protestformen dar, die an Strahlkraft und Wirkung eingebüßt haben. FFF ist auch eine Reaktion auf die uneingelösten Versprechen der diversen UN-Klimagipfel, wie in Kopenhagen 2009 und Paris 2015 sowie die sie begleitenden Demonstrationen (vgl. de Moor 2020). Protestaktionen enthalten in der Regel nicht nur einfache Botschaften, sondern bieten zugleich einen Deutungsrahmen an. Im Falle von FFF werden Klimawandel und die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft so verknüpft, dass die Zukunft des Planeten mit der durch den Klimawandel eingetrübten Lebensperspektive der jungen Generation zusammenkommen.
  • Sichtbare Proteste benötigen mobilisierende Netzwerke, zu denen meist auch zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen gehören, die nicht zentral oder ausschließlich auf Protest setzen. Solche „Mikromobilisierungskontexte“ lassen sich bereits mit einem Blick auf Unterstützer und Unterzeichner von Aufrufen identifizieren. Aber zu ihnen können je nach Thema Kirchengemeinden, Sportvereine, Jugendclubs oder Gewerkschaftsgruppen, aber auch Volkshochschulen und Bildungsstätten gehören. Nicht zuletzt dieses lokal geprägte zivilgesellschaftliche Organisationsgefüge und seine aktiven Vernetzungen entscheiden über die Resonanz von Protesten.
  • Gut erforscht ist auch, was die Ereignisgeschichte und der Blick auf Bewegungsikonen in der Regel verdeckt. Erfolgreiche Protestbewegungen kommen nicht ohne einen längeren, oft unspektakulären Vorlauf in Schwung. Ihre Themen müssen anschlussfähig sein. Dies ist angesichts der Mobilisierungserfolge von FFF unübersehbar. Sie sind „auch Ergebnis der jahrzehntelangen Kärrnerarbeit von umwelt- und klimapolitischen Organisationen, darunter die großen Umweltverbände und spezialisierte Gruppierungen wie Climate Justice Now! und die offensiv gegen die Braunkohleförderung agierende Gruppe Ende Gelände.“ (Rucht 2019, S. 7)
  • FFF hat das Thema Klimawandel nicht entdeckt, sondern kann auf den Stand wissenschaftlicher Forschung, auf nationale Programme und internationale Abkommen verweisen, die gemeinsam auf die Dringlichkeit dieser Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe verweisen. Im Unterschied zum Anti-AKW-Protest der 1970er Jahre agiert FFF im Konsens mit dem klimawissenschaftlichen Mainstream, wie vor allem das breite Unterstützungsnetzwerk Scientists for Future verdeutlicht (vgl. Hagedorn et al. 2019). Deshalb können auch die Forderungen dieser Protestbewegung – trotz der drängenden Tonlage – eigentümlich moderat ausfallen, geht es doch weitgehend um die Umsetzung der Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz vom Dezember 2015. Das Vertrauen der Protestierenden in die Klimaforschung ist ausgeprägt. Drei von vier Demonstrierenden stimmen der Forderung zu, Regierende sollten nach den Vorgaben der Wissenschaft handeln, selbst wenn die Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist (vgl. de Moor et al. 2020, S. 27).
  • In nur wenigen Monaten ist es den protestierenden Jugendlichen 2019 gelungen, in der Bundesrepublik ein lokal verankertes Netzwerk aufzubauen. Damit wurde nicht nur die eigene Mobilisierungskraft gestärkt, sondern auch eine handlungsorientierte Lokalisierung des Klimathemas vorangebracht. Angeregt und mit Unterstützung von FFF-Gruppen hatten bis zum Frühjahr 2020 bereits mehr als 100 Orte in Deutschland – von Konstanz bis Berlin – den Klimanotstand ausgerufen (zum aktuellen Stand s. https://www.klimabuendnis-hamm.de/klimanotstand-in-jedem-rathaus). Weitere Städte und Regionen Europas sind in diesem Sinne aktiv. Im Kern geht es um lokale Klimaschutzpläne und -maßnahmen, die ein breites Themenspektrum aufgreifen. Dazu gehören nicht nur Maßnahmen der Kommunalverwaltungen und Schulen, sondern auch konkrete zivilgesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten, nicht zuletzt der Jugendlichen selbst (vgl. Reis 2020). Auch in der lokalen Umsetzung des Klimathemas kann FFF an die Tradition des „Bottom-Up Urbanism“ (Arefi/Kickert 2019) anknüpfen, der gerade im Handlungsfeld Klima seit der Lokalen Agenda 21 (angestoßen vom Rio-Gipfel 1992), in lokalen Klimabündnissen und Projekten den Klimawandel „nicht nur ‚lokalisiert’, sondern sinnhaft mit lokaler Relevanz aufgeladen“ hat (Heinelt/Lamping 2014, S. 87). Die Initiative Scientists for Future hat eine aktuelle Übersicht zu einer beachtlichen Zahl von lokalen Klimainitiativen („Graswurzelprojekte“) angelegt (nachzufragen bei kontakt@energiewende-jetzt.org).
  • FFF hat das Klimathema, wie schon die Namensgebung verdeutlicht, in Richtung Zukunftsfähigkeit zugespitzt. Es geht dabei einerseits um die Artikulation von wissenschaftlich begründeten, aber auch angstbesetzten Risiken. Andererseits gibt es in diesen Ängsten ein Vertrauen auf mögliche Lösungen, die protestierend eingeklagt werden. Die Beteiligten an den FFF-Protesten haben nach wie vor hohe Erwartungen an die Veränderungskraft dieser Bewegung. Diese brisante Mischung spiegelt sich in der Stimmungslage der Protestierenden wider: „When expressing their emotions concerning climate change and global warming, the majority of protesters felt worried, frustrated and angered, as well as anxious about the future, although they did not often express a feeling of hopelessness. Therefore, despite a general tendency of decreasing hopefulness that important environmental issues can be addressed through policies, FFF participants show that their action is driven by feelings, awareness of the issues and a willingness to engage in finding solutions.“ (de Moor et al. 2020, S 4) Für die Stärkung der Zukunftsfähigkeit durch FFF ist einerseits die Bereitschaft der Protestierenden entscheidend, sich an der Suche nach konkreten, meist lokalen Lösungen aktiv zu beteiligen. Andererseits kommt es darauf an, dass sich Schulen und Hochschulen, Politik und Verwaltung dafür öffnen.

Systemische Herausforderungen für die Bewältigung der Klimakrise

Der FFF-Protest ist ein kräftiger und Mut machender Schritt auf einem langen Weg in Richtung nachhaltige Entwicklung als notwendige Voraussetzung zur Sicherung der Lebensgrundlagen heutiger und künftiger Generationen. Mit der „Agenda 21“ hatte die UN-Konferenz von Rio de Janeiro schon 1992 Leitlinien festgelegt, wie die globale Entwicklung im 21. Jahrhundert international, national, regional und lokal auf eine tragfähige Basis gestellt werden könne. Mit der in New York 2015 von allen Staaten der Welt verabschiedeten Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDG) wurde dieser Rahmen erneuert und erweitert. „Transforming our World“, „Leave no one Behind“ und „Ein Weiterso ist nicht akzeptierbar“ lauten einige der Hauptüberschriften dieses weltweiten Abkommens. Die Klimabeschlüsse von Paris 2015 sind letztlich Teil der 2030-Agenda.

Foto: Mika Baumeister/Unsplash

Auch wenn um Begriffe wie Transition und Transformation gerungen wird, ist der Mehrzahl der Beteiligten deutlich, dass die Umsetzung der SDG und der Pariser Beschlüsse an die Substanz der gegenwärtigen Wirtschaftsweisen gehen, der aktuellen Ungleichverteilungen von Reichtum und Macht, aber auch von nicht nachhaltigen Lebensstilen. Entsprechend groß ist der Widerstand, auch bei einem Teil der Jugendlichen (vgl. Calmbach et al. 2020).

Wer in diesem Kontext als Gesprächspartner*in ernst genommen werden will, muss die eigene Organisation als Teil der Lösung kenntlich machen. Die Stiftung Zukunftsfähigkeit hat diese Herausforderungen exemplarisch in ein Glaubensbekenntnis gefasst, das von FFF stammen und auch für die politische Bildung Vorbild sein könnte (https://stiftungzukunft.org/ueber-uns/1146-2).

Der FFF-Protest ist ein kräftiger und Mut machender Schritt auf einem langen Weg in Richtung nachhaltige Entwicklung als notwendige Voraussetzung zur Sicherung der Lebensgrundlagen heutiger und künftiger Generationen.

Es genügt nicht, sich auf den aktuellen Stand der Nachhaltigkeitsdebatten zu bringen und dabei die Kapitalismusfrage zu vernachlässigen. Aktuelle Perspektiven bietet z. B. Leal Filho 2019. Die Energie- und Klimawende wird nur als Demokratieprojekt gelingen. Zusammenfassend: Renn 2020 Es gibt gute Gründe, nicht allein auf monetäre Anreize und Marktpreise oder/und auf staatliche Sanktionen und Subventionen zu setzen. Ihre Steuerungswirkungen sind begrenzt und häufig sozial unausgewogen; von den vielfältigen Widerständen und exit-Optionen ganz zu schweigen. Es braucht eine verantwortliche Bürgerschaft (ecological citizenship), die gerade die Energiewende auch zu ihrer eigenen Sache macht. Gefordert ist jede und jeder Einzelne in ihrem/seinem Alltagsverhalten. Nur durch wechselseitige Unterstützung und Bekräftigung in der Bürgerschaft sind jene Verhaltens- und Einstellungsveränderungen zu erwarten, die mit dem Projekt „Energiewende“ verbunden sind. Per ordre de mufti wird sie auf Dauer nicht durchzusetzen sein. Gefragt ist vielmehr die Beteiligung der Bürger*innen auf allen Ebenen und in allen Handlungsfeldern. Nur wer gefragt und beteiligt wird, übernimmt auch Verantwortung.

Ob die von Unternehmen und Behörden verstärkt angebotene Beteiligung von den Bürger*innen nur als Symbolpolitik und Akzeptanzmanagement erlebt wird, entscheidet sich nicht zuletzt an der Qualität der Beteiligungsprozesse selbst. Zentrale Qualitätsstandards sind bekannt: frühzeitig, transparent, öffentlich, alternativenreich, ergebnisoffen, fair, verbindlich, wirksam. Werden sie nicht eingehalten, drohen negative Lernprozesse, aus Enttäuschungen entstehen „Wutbürger“. An geeigneten Methoden und Verfahren herrscht kein Mangel, aber wirksame Beteiligung muss von Politik und Wirtschaft gewollt und/oder von der Bürgerschaft erstritten werden.

Beiträge der außerschulischen Jugendbildung zur Weiterentwicklung von Fridays for Future – und umgekehrt

In der Darstellung der Agenda von FFF und der Resonanz der Bewegung in der jungen Generation sind bereits zahlreiche Herausforderungen und Anknüpfungspunkte für die Jugendbildung deutlich geworden. Sie reichen von der Anerkennung, Aufbereitung und Verbreitung der angesprochenen Zukunftsthemen, der stets möglichen Zusammenarbeit mit Aktiven von FFF bis zum Brückenbauen zu neutralen und distanzierten Jugendmilieus, die sich von FFF eher bedroht oder belästigt sehen.

Als Bildungsorte haben Jugendbildungsstätten auf Dauer wohl nur eine Zukunft, wenn es ihnen gelingt, sich glaubwürdig als ökologisch nachhaltige Orte zu präsentieren.

Von den zahlreichen Dimensionen der Nachhaltigkeits- und Zukunftsagenda war schon die Rede. Gerade in lokaler Perspektive lassen sich vielfältige Projekte denken, wie z. B. die Erarbeitung von lokalen Klimaplänen, die von Bildungsstätten gefördert werden können. Unabdingbar scheint es dabei, stärker als bisher das Thema Generationengerechtigkeit auf die Agenda zu setzen. Dazu gehören zentral Kinder- und Menschenrechte.

Notwendiger denn je ist auch die Unterstützung von wirksamen Formen der politischen Beteiligung junger Menschen. Das Gefühl, weder gefragt noch gehört zu werden, das besonders von den jungen Aktiven vorgetragen wird, zwingt zu einer Überprüfung der vorhandenen Beteiligungsangebote.

Nicht zu vergessen ist auch, dass FFF eine Schüler*innenbewegung ist. Außerschulische Jugendbildung kann dazu beitragen, dass die Impulse des Protests in der Schule auf fruchtbaren Boden fallen. Das betrifft nicht zuletzt die Schulkultur, aber auch die Öffnung der Schulen in die Kommune hinein.

Lokale Kooperationsansätze haben bei den aktiven Jugendlichen besondere Chancen, wie die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit politischer Akteur*innen und Institutionen zeigt: „Die politischen Parteien landen auf dem letzten Platz; nur ein Viertel der Befragten hält sie für ‚eher vertrauenswürdig’ (…). Den besten Wert erreicht die Stadt- bzw. Gemeindeverwaltung, die vier von fünf Jugendlichen als ‚eher vertrauenswürdig’ einschätzen.“ (Calmbach et al. 2020, S. 415) Stadt- und Gemeindeverwaltungen (inklusive Kommunalparlamente) gelten als überschaubare, ortsnahe Einrichtungen, die der demokratischen und sozialen Kontrolle unterliegen, sodass es wenig Möglichkeiten zum Machtmissbrauch gibt. Allerdings ordnen die 14- bis 17-Jährigen die Stadt- und Gemeindeverwaltungen nicht der eigentlichen politischen Sphäre zu. „Als regionale Einrichtungen werden sie im Vergleich mit den Vertreter*innen der ‚großen Politik’ als deutlich bürgernäher wahrgenommen.“ (Ebd., S. 423)

Auch Bürgerinitiativen halten zwei Drittel der befragten Jugendlichen für „eher vertrauenswürdig“. Allerdings gilt dies nicht für alle Bürgerinitiativen, denn Pegida stößt eher auf Ablehnung (vgl. ebd., S. 428).

Ein letzter Punkt soll besonders hervorgehoben werden. Von der starken Wissenschaftsorientierung der Klimaproteste können sich Jungendbildungseinrichtungen ermutigt sehen. Auch bei Corona waren ähnliche Orientierungen zu spüren, als längere wissenschaftliche Podcasts ein Millionenpublikum fanden. Das ausdauernde Zuhören auf Demonstrationen ermutigt zur Parole „Mehr Wissenschaft wagen!“ Dazu gehört auch die Sensibilisierung für ein plurales, fehlerfreundliches Wissenschaftsverständnis, das nicht ausschließlich auf naturwissenschaftliche „Wahrheiten“ fixiert ist.

Sozialen Bewegungen wird oft ihr Bildungsbias vorgehalten. Sie seien eine Veranstaltung der Bessergebildeten, wie das bei FFF auch weithin der Fall ist. In einer Gesellschaft, in der rund die Hälfte der nachwachsenden Generation höhere Bildungsabschlüsse erreicht, geht es nicht mehr um kleine Eliten. FFF ist auch eine Aufforderung, sich von Fake-News und anderen herrschaftlichen Verdummungsversuchen nicht irre machen zu lassen. Lüge und Ignoranz waren schon immer ein herrschaftliches Privileg. Auch wenn es aktuell in besonders widerlicher Weise ausgeübt wird, stimmt es hoffnungsvoll, dass es zumindest in den westlichen Ländern eine breite kritische Öffentlichkeit gibt und Jugendliche in ihren Protestmobilisierungen auf eine wissenschaftlich begründbare Agenda Wert legen. Davon lebt auch politische Bildung.

Zum Autor

Dr. Roland Roth war Professor für Politikwissenschaft am Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er arbeitete außerdem an der University of California in Santa Cruz, am Wissenschaftszentrum Berlin und an der Universität Wien. Roth war sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“. Sein wissenschaftliches und politisches Interesse gilt vor allem den Themenfeldern Demokratie, soziale Bewegungen, Integration, Bürger- und Menschenrechte.
roland.roth1@gmx.de
Foto: Timo Jaster/Stiftung Mitarbeit

Literatur

Arefi, Mahyar/Kickert, Conrad (Eds.) (2019): The Palgrave Handbook of Bottom-Up Urbanism; www.palgrave.com/gp/book/9783319901305 (Zugriff: 29.07.2020)
Calmbach, Marc et al. (2020): Sinus-Jugendstudie 2020 – Wie ticken Jugendliche? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Bonn: bpb
Greenwell, Marianne (2020): Fridays for Future and Children’s Rights. Frankfurt am Main: Wochenschau Verlag
Hagedorn, Gregor et al. (2019): The concerns of the young protesters are justified. In: GAIA 28/2, pp. 79–87
Haunss, Sebastian/Sommer, Moritz (Hrsg.) (2020): Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel. Konturen der weltweiten Protestbewegung. Bielefeld: transcript Verlag (i. E.)
Heinelt, Hubert/Lamping, Wolfgang (2014): Städte im Klimawandel: Zwischen Problembetroffenheit und Innovationserwartung. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 27/2, S. 79–89
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