Außerschulische Bildung 3/2021

Die Praxis politischer Bildung in den Zeiten von Corona

Rückblick auf ein krisenreiches und gleichzeitig lehrreiches Jahr

Die Corona-Pandemie hat die Akteure politischer Bildung vor enorme Herausforderungen gestellt. Die Antworten darauf fielen je nach Einrichtung sehr unterschiedlich aus. Während durch die Verlagerung der Seminare ins Digitale die Chance entstand, die inklusiven Vorteile digitaler Bildungsformate zu nutzen, konnten diese durch den enormen Zeitdruck oftmals aber nicht ausreichend wahrgenommen werden. In diesem Beitrag wird nach den Gelingensbedingungen für politische Bildung in Pandemiezeiten gefragt. Gleichzeitig werden die Grenzen neuer (digitaler) Formate ausgelotet. Welche Aspekte können für die Zukunft beibehalten, welche verworfen werden? von Anna Krämer und Georg Pirker

Die Frage, wie (politische) Bildung unter Pandemiebedingungen gelingen kann und welche Probleme dabei auftreten, ist mit der „Turbodigitalisierung“ von Bildung durch die globale Corona-Pandemie überall en vogue. Im Fokus aktueller Studien stehen insbesondere strukturell-materielle Ein- und Ausschlüsse, die sich vor allem mit der technischen Seite des Problems beschäftigen. Diese Auseinandersetzung findet letztlich vor dem Hintergrund der seit den 1990er Jahren geführten Debatte darum statt, ob Ungleichheit und Diskriminierung im Kontext einer digitalen Diversität obsolet oder ob soziale Spaltung und Ungerechtigkeit im Sinne des digital divide durch Digitalisierungsprozesse noch verstärkt werden (vgl. etwa AdB-Fachgruppe „Digitale Medien und Demokratie“ 2019). Auch wenn der Digitalindex 2020/2021 einen Rückgang bei den „digital Abseitsstehenden“ auf 16 % ausmacht, so stellt er weiterhin fest, dass starke Unterschiede im Digitalisierungsgrad der Bevölkerung in Deutschland zu erkennen sind, die sich insbesondere an Alter und formellem Bildungsgrad festmachen lassen (vgl. Initiative D21 2020/2021, S. 42). Dies bestätigte auch eine bereits im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 durchgeführte Studie des Instituts für deutsche Wirtschaft, die aufzeigte, dass soziale Benachteiligung und Bildungsbenachteiligung – etwa im Fall von sogenannten Hartz IV-Haushalten und migrantischen Familien – sich in der Krise verstärken (vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2020; vgl. auch Kramer 2020).

Im Bereich der außerschulischen politischen Bildung stellen wir fest, dass ökonomisch und bildungsbenachteiligte Zielgruppen, egal ob Jugendliche oder Erwachsene, kaum mehr erreicht werden konnten. Und wenn doch, dann galt es viele weitere ausschließende Faktoren mitzudenken, um die Teilnehmenden in Online-Angeboten nicht wieder zu verlieren (vgl. Krämer 2021).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den Gelingensbedingungen für politische Bildung in Zeiten der Pandemie insbesondere als Frage nach Ein- und Ausschlüssen, bzw. nach Teilhabechancen und Teilhabebarrieren.

Die Debatte darum, wie politische Bildung in Zeiten von Corona gelingen kann, wird im Austausch zwischen politischen Bildner*innen intensiv geführt. In ihrer Praxis, in Online- und Hybridseminaren, aber auch in den Überlegungen zu pandemiegerechten Formen von Präsenzveranstaltungen erarbeiten die Bildner*innen eine Expertise hinsichtlich der Fragen, welche Formen der Akquise und welche Methoden gut funktionieren oder auch nicht.

In diesem Beitrag werden wir zunächst einen Blick auf die unterschiedlichen Wege, die die Bildungseinrichtungen für sich in der Pandemie gewählt haben, werfen, um uns dann der Frage nach Ein- und Ausschlüssen zuzuwenden. Wir betrachten zunächst Präsenzveranstaltungen, um uns dann Inklusionschancen, aber auch Teilhabebarrieren in der Online-Bildung zuzuwenden. Da die internationale Jugendarbeit durch die Pandemie nochmals vor spezielle Herausforderungen gestellt ist, aber auch neue Möglichkeiten entdeckt werden, widmet sich ein Exkurs diesem Bereich. Schließlich geht es darum auszuloten, welche Aspekte für die Postpandemie beibehalten und welche verworfen werden sollten.

Dieser Beitrag stützt sich auf Beobachtungen und Erfahrungen der Autor*innen Ein Dank geht an Carolin Bernhardt (basa e. V.) für ihre Anmerkungen zu Präsenzveranstaltungen. und auf die Studie „Politische Bildung online: all inclusive? Ein- und Ausschlüsse in digitalen Formaten der außerschulischen politischen Bildung – Eine Studie aus machtkritischer und intersektionaler Perspektive“, die von Anna Maria Krämer im Auftrag des AdB 2020 verfasst wurde (vgl. Krämer 2021). Gefördert wurde die Studie durch das BMFSFJ; Unterstützung bei der Durchführung durch Florian Bohn und Prof’in. Dr. Michaela Köttig.

Politische Bildung auf unterschiedlichen Wegen

Die Reaktionen der Träger und Einrichtungen auf die Einschränkungen von Präsenzveranstaltungen durch die Pandemie sahen sehr unterschiedlich aus. Während die einen ihre Belegschaft inklusive der Bildungsreferent*innen in Kurzarbeit schicken mussten, stiegen andere mit voller Arbeitskraft in die Entwicklung digitaler Formate ein. Damit verbunden war ein hoher zeitlicher Aufwand für die Konzeptionsarbeit, was viele an die Belastungsgrenze brachte. Die Erzählungen von politischen Bildner*innen zu ihrer privaten Situation in der Pandemie bilden dementsprechend eine Kontinuität zwischen zwei Extremen ab: Während die einen unter Isolation und mangelnden Möglichkeiten zur Ausübung ihres Berufs litten, wurde die Pandemiezeit von anderen als sehr arbeitsintensiv erlebt und insbesondere von denjenigen, die parallel zum Krisenmanagement die Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen ausgleichen mussten, als deutliche Überbelastung. Freelancer*innen hingegen kämpften mit fehlenden Aufträgen und Existenzängsten oder mit vollen Terminkalendern im Bereich der Online-Bildung.

„In Zeiten der Pandemie stellt sich insbesondere die Frage nach Teilhabechancen und Teilhabebarrieren.“ Foto: Stefanie Mayrwörger

Die Entscheidung von Einrichtungen, keine Online-Formate anzubieten, wird vermutlich nicht ohne Folgen bleiben. In jedem Fall entsteht dadurch ein Gap zwischen den unterschiedlichen Anbieter*innen im Feld. Die Konsequenzen sind derzeit nicht abzuschätzen. Es ist möglich, dass dadurch bestimmte Themen weniger bespielt werden, es ist aber auch möglich, dass sie in vielfältigeren Formaten angeboten werden und damit mehr Personen offenstehen.

Die Gründe dafür, dass gar keine oder nur zögerlich Online-Angebote formuliert wurden, sind vielfältig. Ein Faktor war die zögerliche Reaktion von Geldgeber*innen auf die Situation. Nicht alle finanzgebenden Institutionen machten zeitnah den Weg für eine Umstellung von in Präsenz geplanten Projekten zu Online-Formaten möglich. Die Bundeszentrale für politische Bildung reagierte hingegen sehr schnell mit der Flexibilisierung der Regelförderung, sodass nicht nur unproblematisch von Präsenz auf Online umgestellt werden, sondern auch der Mehraufwand an Konzeptionsarbeit aufgefangen werden konnte.

Auch die schlechte Erreichbarkeit der eigenen Zielgruppe, bzw. die Befürchtung, diese zu überfordern, wurde als Grund für den Verzicht auf Online-Angebote angeführt. In Bildungsstätten mit Tagungshausbetrieb bestand zudem die Angst, sich als Ort überflüssig zu machen, wenn das Online-Angebot als Ersatz für Präsenz zu gut angenommen würde.

Aber es gab und gibt auch inhaltlich-pädagogische Begründungen für den Verzicht auf Online-Formate, etwa bei Angeboten, bei denen die Anwesenheit und das reale Zusammensein bereits Teil des Konzeptes ist, so wie bei bestimmten Lernorten oder bei internationalen Jugendbegegnungen. Gerade auch im diskriminierungs- und rassismuskritischen Bereich gab es die Feststellung, dass bestimmte Herangehensweisen online nicht gut oder nur in angepasster Form durchgeführt werden können, weshalb die These berechtigt ist, dass bestimmte Themen – zumindest so lange Präsenzveranstaltungen nur eingeschränkt oder gar nicht möglich waren – weniger angeboten wurden.

Online-Workshopreihe zu Digitalisierung: Eine Kooperation zwischen der Ev. Stiftung Overdyck und basa e. V. – Politische Bildung ist in den stationären Angeboten im Bereich Hilfen zur Erziehung jenseits von Partizipationsprojekten kaum präsent. Durch die Pandemie und die Verlagerung von Angeboten in den Online-Bereich wurde die Zusammenarbeit noch geschwächt. Ein Beispiel dafür, dass Kooperationen in den beiden Feldern auch zu Pandemiezeiten möglich sind, stellt die im ersten Halbjahr 2021 durchgeführte Workshopreihe „Wie soll unsere digitale Zukunft aussehen?“ dar. Gefördert über ein Projekt von Aktion Mensch hatte die Ev. Stiftung Overdyck ihre Wohngruppen mit WLAN und Laptops ausstatten lassen. Das materielle „Upgrade“ wurde durch die Reihe abgerundet. An sechs Nachmittagen kamen Jugendliche aus den verschiedenen Wohngruppen online zusammen, um über Themen wie das Internet allgemein, digitale Zukunftsvisionen aber auch über Kommunikation auf Social Media, Hate Speech und Fake News zu diskutieren.

Gleichzeitig stellte sich gerade für kleinere Träger, aber auch für prekär beschäftigte Freelancer*innen aufgrund des finanziellen Drucks überhaupt nicht die Frage, keine Online-Angebote zu machen, da nicht auf die Einkünfte verzichtet werden konnte. Gerade sie standen und stehen unter einem sehr hohen Druck, schnell neue Angebote zu formulieren, was auch Auswirkungen auf die Qualität der Angebote haben kann, die im learning-by-doing-Modus umgesetzt wurden.

Hier zeigt sich auf struktureller Ebene vielleicht eine der wichtigsten Bedingungen für eine gelingende politische Bildung in Pandemiezeiten, die auch in Zukunft mit Blick auf Online-Bildungsformate gültig bleiben wird: Träger, Geldgeber*innen, Vorgesetzte, aber auch Referent*innen selbst müssen stärker anerkennen, dass Online-Bildung ein grundsätzlich anderes Format mit anderen Anforderungen an pädagogische Konzepte sowie technisches Wissen und Vermittlung ist und dass sich sowohl Teilnehmende als auch Referent*innen hier in einem enormen Lernprozess befinden. Der Mehraufwand bei Konzeption, Fortbildung aber auch Vermittlung und Technikbetreuung im Seminar muss insofern sowohl finanziell als auch personell berücksichtigt werden.

Präsenz unter Pandemiebedingungen

Natürlich gab es auch 2020/21 weiterhin Präsenzveranstaltungen im Feld der politischen Bildung. Ihre Organisation und Durchführung waren jedoch durch Unsicherheit geprägt: Planungsunsicherheit, Unsicherheit von Durchführenden und Teilnehmenden sowie hinsichtlich der teilweise wochenweise wechselnden staatlichen Vorgaben zur Einschränkung der Pandemie. Gerade die Tagungshausleitungen waren beständig damit beschäftigt, ihr Wissen aktuell zu halten und Hygienekonzepte aufzusetzen. Eine wichtige Abwägung betraf hier die Wirtschaftlichkeit, wenn Präsenzveranstaltungen nur mit verringerter Zahl an Teilnehmenden stattfinden konnten, der Personalaufwand gerade wegen der Hygienemaßnahmen aber nicht weniger wurde.

Zwischen Hoffnung auf „Normalität“ und Angst vor Ansteckungen Foto: Ivonne Meißner

Für die Referent*innen ging die Planung von Präsenzveranstaltungen mit einem emotionalen Limbo zwischen Hoffnung auf „Normalität“, Angst vor eigener Ansteckung bzw. Ansteckung von Teilnehmenden und Frust aufgrund kurzfristiger Absagen einher.

Für die Referent*innen ging die Planung von Präsenzveranstaltungen mit einem emotionalen Limbo zwischen Hoffnung auf „Normalität“, Angst vor eigener Ansteckung bzw. Ansteckung von Teilnehmenden und Frust aufgrund kurzfristiger Absagen einher.

Trotzdem fanden auch Präsenzseminare statt, mit reduzierten Teilnehmendenzahlen und strengen Hygienemaßnahmen. Testen und die Hygieneregeln einzuhalten, bedeuten für Aktivitäten neben zusätzlichen finanziellen Risiken auch ein externes Agendasetting, das sich aufs Programm und die Qualität von Seminaren auswirken kann. Gleichsam zeigte sich, dass gerade Schüler*innen an das Tragen von Masken und die Nutzung von Schnelltests durch den Schulbesuch gewöhnt sind und dies keine allzu große Hürde darstellt. Jenseits formeller Vorgaben ist das Sicherheitsgefühl hinsichtlich des Infektionsrisikos sehr individuell. Und so hat es sich gezeigt, dass es für die Herstellung eines sicheren Gefühls für alle Teilnehmenden sinnvoll ist, die Hygieneregeln zu Beginn des Seminars im Rahmen des Möglichen gemeinsam auszuhandeln. Gerade weil Präsenz so lange nicht möglich war, gibt es zudem ein hohes Bedürfnis, sich auch über die eigenen Pandemieerfahrungen mit anderen auszutauschen. Dafür sollte Raum zur Verfügung gestellt werden.

Es ist allerdings nicht zu vernachlässigen, dass die Zeit der Isolation bei jungen und älteren Teilnehmenden ein Unwohlsein in Bezug auf Veranstaltungen in größeren Gruppen erzeugt hat, dass uns noch eine Weile begleiten wird. Auch hatten und haben Präsenzveranstaltungen in Zeiten der Pandemie das Problem, dass in Kauf genommen wird, dass Menschen aus Risikogruppen nicht teilnehmen können, was durch Online- oder Hybrid-Formate anders möglich wäre.

Inklusionschancen durch Online-Bildung

Online-Bildung bietet für Inklusion, verstanden als Abbau von Teilhabehürden für alle, große Chancen.

Zunächst steht sie einer wesentlich größeren Zielgruppe zur Verfügung, da sie ortsungebunden stattfinden kann. Die wegfallende Anreise spart Zeit und Ressourcen und öffnet die Angebote für alle, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, sei es, weil sie auf barrierefreie Zugänge angewiesen sind, sei es, weil sie Kinder oder Angehörige betreuen. Auch berichten zahlreiche Bildner*innen in Deutschland, dass – ohne die Akquise auszuweiten – ihre Seminare nun von Teilnehmenden aus dem gesamten deutschsprachigen Raum besucht werden und diese Dimension potenziert sich in Berichten z. B. spanischer Anbieter*innen, die nun bei spanischsprachigen Teilnehmenden weltweit gefragt sind. Auch wird im Kontext von Online-Bildung verstärkt auf die Möglichkeit zurückgegriffen, Expert*innen und Referent*innen aus dem Globalen Süden in Seminare einzubinden, da dies mit weniger Ressourcen und Aufwand möglich ist.

Aus den Online-Seminaren gibt es positive Rückmeldungen von Teilnehmenden mit Hochsensibilität, von schüchternen Menschen, Menschen mit Sozialphobien und anderen Personen aus dem neurodiversen Spektrum, denen die Teilnahme online leichter fällt als in Präsenz.

Aus den Online-Seminaren gibt es auch positive Rückmeldungen von Teilnehmenden mit Hochsensibilität, von schüchternen Menschen, Menschen mit Sozialphobien und anderen Personen aus dem neurodiversen Spektrum, denen die Teilnahme online leichter fällt als in Präsenz.

Darüber hinaus stehen zahlreiche inklusive technische Lösungen bereit. So können etwa Screenreader und barrierearme Tools mit Zoom-Funktion eingesetzt werden, um Sehbehinderung und Blindheit auszugleichen. Durch gute und individuell regulierbare Soundqualität, aber auch Untertitelfunktionen und Visualisierungen können Menschen mit Hörbehinderung oder Gehörlosigkeit einbezogen werden. Gebärdenübersetzer*innen und andere Dolmetscher*innen können auch über Videokonferenztools arbeiten. Weitere Erläuterungen zu barrierereduzierenden Tools: www.inklusive-medienarbeit.de/tool-tipp-barrierefreie-webkonferenzen; BAG Selbsthilfe 2020; DBSV 2020; www.netz-barrierefrei.de/wordpress/barrierefreies-internet (Zugriffe: 29.06.2021) Dennoch berichten viele Bildungsreferent*innen, dass diese Möglichkeiten nicht genutzt werden. Und so scheint es, dass gerade durch den hohen finanziellen und zeitlichen Druck mal wieder die Chance verpasst wurde, Inklusion von Beginn an mitzudenken.

Hybrid-Format: „Aktionswochen zur Frauenzentraltagung“ von LAG Soziale Brennpunkte Hessen e. V. und der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung – Die LAG Soziale Brennpunkte Hessen e. V. und die Hessische Landeszentrale für politische Bildung führten in 2020 die „Aktionswochen zur Frauenzentraltagung“ durch, die digitale und analoge Elemente verbanden. Thema war „Frauen* in Zeiten der Corona-Pandemie“. Als Abschluss fand ein digitaler Frauenausschuss statt, bei dem die beteiligten Frauen* ihre spezifischen Erfahrungen während der Pandemie diskutierten und gemeinsam Forderungen erarbeiteten, die sich an die landespolitische Ebene richteten. Die Teilnehmerinnen sind vor Ort an Stadtteilzentren angebunden, die die Frauen als Zielgruppe einluden. Für das Online-Format wurde das kostenlose Tool Senfcall genutzt. Um Hürden angesichts des neuen digitalen Formats abzubauen, wurden für den digitalen Austausch vorab Pakete mit Keksen, Bastel- und Moderationsmaterial in die Stadtteilzentren gesendet. Das Online-Format bot trotz der Kontaktbeschränkungen einen überregionalen hessenweiten Austausch zwischen den Teilnehmer*innen, die sich sonst unter Pandemiebedingungen nicht hätten analog treffen können.

Hürden und Teilhabebarrieren online

Auch wenn eine quantitative Untersuchung hierzu noch aussteht, so scheint die Feststellung zutreffend, dass mit den Angeboten während der Pandemie eher privilegierte Zielgruppen erreicht wurden. Gerade Fortbildungen für Fachkräfte waren sehr gefragt, während ökonomisch und bildungsbenachteiligte Jugendliche und Erwachsene kaum noch erreicht wurden. Woran liegt das? Ein wichtiger Grund war der Einbruch von Kooperationen mit Schulen und Sozialträgern, die ihre Arbeit mit den wiederholten Schließungen einstellen und dann oftmals den Kontakt zur Klientel erst wiederherstellen mussten. Lediglich die Arbeit mit bereits bestehenden Gruppen konnte weitergeführt werden. Online-Angebote wurden oftmals nur im Kontext lang bestehender Kooperationen als Ersatz angenommen. Daneben spielten strukturelle Gründe, wie die fehlende technische Ausstattung, das begrenzte technische Wissen oder aber der Mangel an einem eigenen Arbeitsplatz eine wichtige Rolle.

Neben der Ausstattung wurde aber auch festgestellt, dass bei (auch jüngeren) Teilnehmenden das technische Wissen zur interaktiven Teilnahme an Online-Seminaren fehlte. Die Annahme, dass Jugendliche, also die sogenannten digital natives, „intuitiv“ jedes Tool bedienen könnten, ist so nicht richtig und führt dazu, dass der digital divide unsichtbar gemacht wird. Gerade die Nutzung von zu vielen Tools führt zu einem Gefühl der Überforderung. Teilnehmende verstummen oder verlassen das Seminar mit dem Gefühl, dass sie oder ihre Technik nicht gut genug für die Teilnahme sind.

Eine andere Ebene von Teilhabebarrieren, mit denen umgegangen werden muss, bringen die Spezifika der Online-Kommunikation an sich mit. So stellen wir fest, dass Personen, die sich bereits im Präsenzseminar durch diskriminierende Blicke – aufgrund von Rassismus, Bodyismus, Sexismus etc. – unwohl fühlen, sich im Online-Seminar noch unwohler fühlen, da sie nicht wissen, wer sie anguckt. Wie viele der anderen Faktoren, ist dies indes eine Hürde mit der proaktiv umgangen werden kann, entweder indem die Kameranutzung nur optional ist oder aber der eigene Bildausschnitt mit Teilnehmenden besprochen und selbstbestimmt bearbeitet wird. In diesem Fall kann umgekehrt aus dieser Hürde wieder eine Chance werden.

Exkurs internationale Begegnungsarbeit

In der internationalen Begegnungsarbeit hat die Pandemie auf vielfältige Weise Spuren hinterlassen. Angesichts der globalen Herausforderung durch die pandemische Lage muss davon ausgegangen werden, dass klassische Begegnungsarbeit insbesondere von Gruppen und von jungen Menschen, mit vielen Ländern weltweit auf längere Sicht nur eingeschränkt möglich sein wird.

Die Ungleichzeitigkeit von Lockdowns bedeuten für Organisator*innen und Teilnehmende ungewisse Planungsperspektiven, in bilateralen Formaten und erst recht in solchen mit mehreren Partnerorganisationen.

Partnerschaften, die bislang auf langfristige Kooperation und Planung angelegt waren, sind gezwungen ad hoc zu arbeiten, wollen sie überhaupt Begegnungen ermöglichen. Zwar entstehen immer wieder Zeitfenster, in denen kurzfristig ein Austausch bewerkstelligt werden kann, jedoch bedeutet dies, Flexibilität vor Planungssicherheit zu stellen, Flexibilität in Hinsicht auf Dauer, Zusammensetzung der Teilnehmenden, Programme, Instrumente und Umsetzungsformate.

Angesichts der globalen Herausforderung durch die pandemische Lage muss davon ausgegangen werden, dass klassische Begegnungsarbeit insbesondere von Gruppen und von jungen Menschen, mit vielen Ländern weltweit auf längere Sicht nur eingeschränkt möglich sein wird.

Nach über einem Jahr ist durch Kurzarbeit wie auch durch die nicht vorhandene Gelegenheit, freiberufliche und junge Peers in Arbeitskontexte einzubinden, die Personaldecke in den Partnerstrukturen ausgedünnt. Gerade dort sind viele Mitarbeitende zur beruflichen Umorientierung genötigt. Das bedeutet eine Herausforderung für den Neustart von Begegnungsarbeit, da vielfach Trainer*innenteams neu aufgebaut und qualifiziert werden müssen.

Internationale Begegnungsarbeit: Hybride Herbstschule im „Unsung Heroes Dialogues Projekt“ (Culture goes Europe, Erfurt; www.cge-erfurt.org/the-unsung-hero-dialogues-promoting-solidarity-and-diversity-through-awareness-and-policy-reform – Hier zeigten sich die besonderen Herausforderungen internationaler Bildungsarbeit in der Praxis: Für Teilnehmende vor Ort stellte sich zunächst die Schwierigkeit des Transfers mit dem Zug vom Flughafen zur Bildungsstätte: Wo besteht das Risiko einer Infektion? Wo findet der erste Test statt? Wann wird das Testergebnis mitgeteilt? Wie lange ist vor Ort die Quarantäne einzuhalten? Wie ist mit positiven Testergebnissen umzugehen? Dann verschärfte das Bundesland während der Maßnahme die Hygienebedingungen: Die Organisator*innen standen ab dann im täglichen Austausch mit dem Gesundheitsamt, um zu sehen, wie die Teilnehmenden weiter geschützt werden können: Es wurde entschieden, die Gruppe vor Ort nochmals zu teilen und auch vor Ort lediglich online kommunizierend zu tagen. Das hatte Folgen fürs Team, das sich ebenfalls in Gruppen aufteilen musste. Sowohl die Teamenden vor Ort als auch die Online-Betreuung konnten nur noch digital miteinander kommunizieren.

Mobilität als solche fordert heraus. Quarantäneregeln und -zeiten sind keine Aktivitätszeiten und in den Kostenstrukturen von Förderung nicht abgebildet. Ein negativer Test reicht mitnichten aus, um eine Begegnungsaktivität zu besuchen, da je nach Land Quarantänezeiten eingehalten werden müssen. Die Ausdünnung von Flugverbindungen und teilweise harte Transitregeln lassen zudem An- und Abreisen zu einer kostspieligen Angelegenheit werden.

Auch der Wechsel ins Digitale bringt besondere Herausforderungen. Welche Tools und welche Anforderungen sind angemessen, um allen Partner*innen gerecht zu werden? Was wird pädagogisch dem Ziel einer Kooperation und Begegnung gerecht? Die durch Corona bedingten Stornierungen und Verschiebungen beschäftigen viele Träger gerade in der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern. Aber nicht zuletzt galt es, geeignete Formate zu finden und auszuprobieren, die non-formales digitalisiertes Bilden und Begegnen ermöglichten.

Man mag vermuten, dass gerade der Bereich der internationalen Jugendarbeit (IJA) bei der Nutzung digitaler Instrumente auf eine gewisse Erfahrung zurückgreifen kann. Für viele Träger war und ist es jedoch nach wie vor nicht die Regel, digital unterstützte internationale Kooperationen durchzuführen. Dies liegt nur teilweise an Faktoren wie Internetausstattung etc. So äußerten bspw. knapp 40 % der Adressaten einer Umfrage, die der Kampagne 100% Erasmus+ zugrunde lag, dass digitale Lernangebote nicht in ihrem Interesse seien.

Tagungshausleitungen sind beständig damit beschäftigt, ihre Hygienekonzepte aktuell zu halten. Foto: Ivonne Meißner

In der IJA schafft Digitalisierung veränderte Mobilitätsmöglichkeiten und Angebote. Es ist anzunehmen, dass das Arbeitsfeld vor einem generell veränderten Mobilitätsverhalten steht, und dass digitalisierte Praxis hierfür eine Tür geöffnet hat. Digitalisierung kann helfen, Bilden und Begegnen niederschwelliger zu gestalten und Alternativen zu eröffnen.

Schließlich: Was rechnet sich und was ist abrechenbar? Die Regelungen im Kinder- und Jugendplan des Bundes, KJP International ermöglichten insbesondere im Bereich der Globalmittel eine schnelle Flexibilisierung, die vielen Trägern hilfreich war, die half, Verluste aufzufangen und Neues zu erproben. In den Sonderprogrammen und auch bei den Jugendwerken sind mittlerweile ähnliche, gut funktionierende und an Ermöglichung orientierte Praktiken etabliert. Dennoch: Ad hoc-Stornierungen und -Verschiebungen bedeuten zusätzliche Arbeit. Immer in Vorleistung zu gehen, führt bei entsprechend heruntergefahrenem Betrieb und wenigen Rücklagen schnell zur großen Belastung.

Internationale Begegnungsarbeit: Seminare „Digital competences in non-formal education” und „Crisis management in youth work” von naturkultur e. V. – Geplant war ein multilaterales Seminar in Präsenz, das zum Ziel hatte, Fachkräfte aus neun Ländern zum Thema digitale Kompetenzen in der non-formalen Bildung zu schulen. Da ein Treffen in Präsenz nicht möglich war, wurde das Seminar in ein digitales umgestellt, wobei die Dauer von sechs Tagen Präsenz auf zwei Wochen digitale Aktivitäten im zwei Tages-Rhythmus gestreckt wurde. Mit dem Inhalt des Trainings konnte zugleich ein durch Corona befeuerter, gewachsener Bedarf der europäischen Partner*innen, sich in Fragen digitaler Bildung auszutauschen und weiterzubilden, bearbeitet werden. Das Beispiel bestätigt: Die europäische Jugendarbeit steckt mitten im Prozess der digitalen Transformation. Politischer Bildung kommt hierbei eine zentrale Aufgabe zu, die verschiedenen gesellschaftspolitischen, rechtlichen und praktischen Dimensionen auszuarbeiten und diese im Kontext europäischer Qualifizierungsprogramme zum Thema und Gegenstand zu machen.

Im Bereich europäischer Projekte, die im „alten“ Erasmus+ Programm gefördert sind, zeichnete sich durch die im Sommer 2020 beschlossene Mittelreduzierung für die Durchführung digitaler und hybrider Alternativmaßnahmen eine wirkliche Herausforderung ab, weswegen mehrere Träger aus dem Bereich der politischen Bildung im AdB und dem weiteren Umfeld eine Bestandsaufnahme zu Problemen und Herausforderungen der reduzierten Förderpraxis digitaler und hybrider Projekte angingen und hierfür mittlerweile auf der Europäischen Ebene die Kampagne „digital100%Erasmus+“ (https://100percenterasmusplus.eu/en/get-involved) gestartet haben. Digital ist nicht günstiger! Gerade inklusive Begegnungsmaßnahmen bedeuten einen hohen Betreuungsaufwand, der sich in den EU-Programmen aktuell nicht in den Kostenstrukturen abbilden lässt.

Mit den beschriebenen digitalisierten Begegnungsformen oder den kreativ angegangenen analogen Umplanungen stellte sich einmal mehr heraus, dass mit einer flexiblen Handhabung Praxis angeregt und unterstützt werden kann, Formate neu zu denken und zu entwickeln und diese beispielhaft durchzuführen.

Bedingungen für eine gelingende politische Bildung in Zeiten der Pandemie und was wir für die Postpandemiezeiten gelernt haben

Man kann eine tödliche Pandemie wohl kaum als Chance begreifen, dennoch können wir daraus lernen.

Für die internationale Begegnungsarbeit hat die Pandemie möglicherweise die größten Einschnitte gebracht. Die Corona-Pandemie ist eine weltweite, zeitgleiche und ortsunabhängige Zäsur, die die Lebenswelt aller Menschen vor ungekannte Herausforderungen stellt. Die Pandemie kann und darf daher nicht Grund sein, um die eminent wichtige und solidarische Erfahrung von Austausch und Begegnung zu beeinträchtigen. Gerade in Deutschland sollten wir uns bewusst sein, dass wir auch eine Verpflichtung zum solidarischen Handeln haben. In diesem Sinne müssen wir uns grundsätzliche Fragen stellen, etwa wie das Recht aller Jugendlichen und Erwachsenen auf umfassende Bildung aufrechterhalten werden kann, wenn sich nur wenige Staaten weltweit den Zugang zu Impfstoffen gesichert haben.

Daneben lehren uns die hier nachgezeichneten Erfahrungen und Reflexionen, dass Inklusion – so wie es auch der 16. Kinder- und Jugendbericht fordert – insgesamt stärker im Feld der politischen Bildung mitgedacht werden muss. In diesem Bereich wurde – so hoffen wir – durch die Erkundung neuer Formate ein neues Bewusstsein hergestellt.

Wir würden für das Feld der politischen Bildung mit einem Gewinn aus der Krise hervorgehen, wenn wir neue Online- und Hybrid-Angebote im Sinne der Inklusion und des Überwindens von Grenzen neben unseren Präsenzangeboten weiterentwickeln und für mehr Zielgruppen öffnen.

Gerade Online-Bildungsangebote bieten als eigenständige Formate, die nicht lediglich als defizitäre Adaptation von Präsenzformaten gesehen werden, viele neue Möglichkeiten – auch für die internationale Bildungsarbeit. Die beschriebenen Hürden können durch eine konsequente Teilnehmendenorientierung bereits vor dem Seminar angegangen werden. So müssen sich inklusive Online-Bildungsangebote an der Technikausstattung und dem Technikwissen der Teilnehmenden orientieren, so wie es bei den „Aktionswochen zur Frauenzentraltagung“ oder aber der Online-Workshop-Reihe zu Digitalisierung (siehe die eingefügten Beispiele) gemacht wurde. Technikvermittlung muss zum selbstverständlichen Aspekt von Online-Bildung werden, um alle Teilnehmenden mitzunehmen. Ebenso muss sich die Auswahl von Methoden und Tools an den Möglichkeiten und Bedarfen der Teilnehmenden ausrichten, um möglichst viele Formen der Interaktion zu ermöglichen ohne zu überfordern. Unabhängig von der Corona-Erfahrung ist anzunehmen, dass die Prozesse der Digitalisierung ein zunehmend wichtiges Aktivitätsfeld für die politische Bildung darstellen: mit Tools in der Bildungsarbeit, aber auch als Thema hinsichtlich der gesellschaftlichen Folgen.

Wir würden für das Feld der politischen Bildung mit einem Gewinn aus der Krise hervorgehen, wenn wir neue Online- und Hybrid-Angebote im Sinne der Inklusion und des Überwindens von Grenzen neben unseren Präsenzangeboten weiterentwickeln und für mehr Zielgruppen öffnen.

Zur Autorin/zum Autor

Dr. Anna Maria Krämer ist Referentin für politische Bildung bei basa e. V. Die promovierte Politikwissenschaftlerin bringt seit 2017 ihre Perspektive auf postkoloniale, feministische und intersektionale Theorie in die Jugendbildungspraxis bei basa e. V. didaktisch ein. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Bereiche diversitätssensible und diskriminierungskritische Bildung, kritische historische Bildung sowie Digitalisierung.
anna.kraemer@basa.de
Georg Pirker ist Referent für internationale Bildungsarbeit im AdB und Vorsitzender des europäischen Netzwerks DARE – Democracy and Human Rights Education in Europe.
pirker@adb.de

Literatur

AdB-Fachgruppe „Digitale Medien und Demokratie“ (2019): Zwischen Ohnmacht und Selbstermächtigung. Bericht der Fachgruppe „Digitale Medien und Demokratie“. In: AdB-Jahresbericht 2019 – Programm Politische Jugendbildung im AdB; www.adb.de/download/praxisbericht/Bericht_Fachgruppe_Digitale-Medien-und-Demokratie_0.pdf (Zugriff: 31.05.2021)
BAG Selbsthilfe (Hrsg.) (2020): Leitfaden Online-Konferenz-Tools. Gängige Programme, Vor- und Nachteile, hilfreiche Tutorials; www.bag-selbsthilfe.de/fileadmin/user_upload/_Informationen_fuer_SELBSTHILFE-AKTIVE/Leitfaden_Online-Konferenz-Tools.pdf (Zugriff: 29.06.2021)
DBSV – Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (Hrsg.) (2020): Barrierencheck für Konferenzplattformen; www.dbsv.org/aktuell/barrierencheck-fuer-konferenzplattformen.html (Zugriff: 29.06.2021)
Initiative D21 (Hrsg.) (2020/2021): D21 Digitalindex 2020/2021. Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft; https://initiatived21.de/app/uploads/2021/02/d21-digital-index-2020_2021.pdf#page=38 (Zugriff: 31.05.2021)
Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.) (2020): Häusliches Umfeld in der Krise: Ein Teil der Kinder braucht mehr Unterstützung. Ergebnisse einer Auswertung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP); www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Report/PDF/2020/IW-Report_2020_Haeusliche_Lebenswelten_Kinder.pdf (Zugriff: 29.06.2021)
Krämer, Anna Maria (2021): Politische Bildung online: all inclusive? Ein- und Ausschlüsse in digitalen Formaten der außerschulischen politischen Bildung – Eine Studie aus machtkritischer und intersektionaler Perspektive, herausgegeben vom AdB e. V.; www.adb.de/Studie_Politische_Bildung_online_all_inclusive (Zugriff: 02.08.2021)
Kramer, Bernd (2020): Kein Computer, kein Kontakt. In: Süddeutsche Zeitung vom 20.04.2020; www.sueddeutsche.de/bildung/homeschooling-schulschliessung-hartz-iv-1.4881546 (Zugriff: 29.06.2021)