Politische Teilhabe von Menschen in prekären Lebenslagen
Menschen in prekären Lebenslagen nehmen weniger am gesellschaftspolitischen Leben teil. Ihre Mitgliedschaften in zivilgesellschaftlichen und politischen Organisationen und Institutionen liegen deutlich unter der Hälfte der normal-verdienenden Bevölkerung. Dies konstatiert der Erste (und bislang einzige umfassende) Armuts- und Reichtumsbericht Baden-Württemberg von 2015 (vgl. Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg 2015). Gleichzeitig zeigt dieser Bericht aber auch, dass Menschen am gesellschaftlichen Rand nicht unbedingt weniger politisch interessiert sind: Unter der nicht armutsgefährdeten Bevölkerung interessierten sich 7,8 % sehr stark und 32,5 % stark für Politik. Bei den Armutsgefährdeten liegen diese Zahlen bei 6 % bzw. 27,5 %. Es geht nicht um gesellschaftspolitisches Desinteresse, sondern um Frustration und Desillusionierung gegenüber dem politischen System. Auch das Nicht-Wählen-Gehen drückt oft keine Passivität aus, sondern ist bei vielen Menschen ein aktiver Schritt, deutlich zu machen, dass es aus Sicht der Betroffenen nichts zu wählen gibt, wie eine Studie der Neuen Arbeit zu langzeitarbeitslosen Nicht-Wähler*innen zeigt (vgl. Denkfabrik-Forum für Menschen am Rande/Sozialunternehmen NEUE ARBEIT 2017).
Nicht Desinteresse, sondern Frust liegt der Skepsis gegenüber der Politik zu Grunde
Politische Bildung hat die Aufgabe, das demokratische Lernen der Menschen zu begleiten und so die Voraussetzung für die Leitidee des Menschenrechts der gleichberechtigten gesellschaftlichen und politischen Teilhabe zu schaffen – aller Menschen. Auch der Fakt, dass die meisten Programme und Angebote öffentlich finanziert sind, verpflichtet, diese auch für alle Menschen zugänglich und attraktiv zu gestalten. De facto erreicht politische Bildung Menschen in prekären Lebenslagen kaum, was man an der Struktur der Seminar-Teilnehmer*innen sehen kann, wer welche Publikationen abholt und nutzt, welche Qualifikationen das Personal mitbringt etc. Einrichtungen der Sozialen Arbeit und Hilfseinrichtungen hingegen erreichen marginalisierte Menschen, verrichten ihre Arbeit aber weitestgehend unpolitisch. Hier stehen Versorgung und Integration in die Gesellschaft im Mittelpunkt, weniger die politische Emanzipation der Betroffenen. Sowohl von der politischen Erwachsenenbildung als auch von der Sozialen Arbeit wird diese Problematik zu wenig adressiert. Es fehlt an geeigneter Infrastruktur und an erprobten Konzepten.