Design politischer Bildung im Bereich Arbeit und Lebensperspektive
Politische Bildung mit dem Themenschwerpunkt Arbeit und Lebensperspektive kann vielfältige Aspekte enthalten. So werden durch die Bildungsreferent*innen Bezüge zur persönlichen Lebensplanung und Zukunftsvorstellung im gesellschaftlichen Kontext hergestellt, zu Nachhaltigkeit und/oder Klimawandel, zu Arbeit 4.0, betrieblicher Mitbestimmung, Chancengerechtigkeit etc.
Jugendliche als heterogene Zielgruppen
Diese Themenweite ermöglicht es, mit unterschiedlichen Zielgruppen aus Sekundarstufen I und II, Berufsschüler*innen, Auszubildenden und Studierenden zu arbeiten. Was das mit den Drohnen und dem Stuhlkreis aus dem Titel zu tun hat, wird sich im weiteren Verlauf des Beitrags herausstellen.
Jugendliche stehen vor der Aufgabe, sich bis zum Ende ihrer Jugendphase vom Elternhaus bzw. der erziehungsberechtigten Institution abzulösen sowie sozial und ökonomisch selbständig zu werden oder zumindest entsprechende Schritte (Schulabschluss, Ausbildung, Bewerbung) eingeleitet zu haben. Dabei sind die Übergänge Schule – Ausbildung/Studium – Beruf eingelassen in politische Vorgaben und Wertesysteme, in ökonomisch-politische Entwicklungen. Die Übergänge sind demnach als politisch zu betrachten (vgl. Bremer et al. 2015). Oder anders: Das Gesellschaftliche wirkt in das Berufliche hinein, ebenso wie die Berufsarbeit in die Gesellschaft zurückwirkt. Das politische Handeln von Personen wird also beeinflusst (vgl. BMFSFJ 2020, S. 239 ff.)
Jugendliche haben an Bildung und Beruf hohe Erwartungen, ebenso wie an ihre Arbeitgeber*innen. So steht bspw. Karriereorientierung an dritter Stelle und folgt damit auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben sowie auf die Planbarkeit von Berufstätigkeit. Fast allen ist ein sicherer Arbeitsplatz wichtig, jedoch dürfen Familie und Kinder gegenüber der Arbeit nicht zu kurz kommen – mit geschlechtsspezifischen Unterschieden, was die Erwartungen an die Reduzierung der Erwerbsarbeit betrifft: „In einer Partnerschaft mit kleinem Kind sollte die Frau und nicht der Mann beruflich kürzertreten. 65 % der Frauen würden gerne maximal halbtags arbeiten – und 68 % der jungen Männer wünschen sich genau das von ihrer Partnerin.“ (Albert/Hurrelmann/Quenzel 2019, S. 25) Geld bzw. der Verdienst aus Erwerbsarbeit hat laut der aktuellen Shell-Jugendstudie ebenso einen hohen Stellenwert bei Jugendlichen.
Jugendliche stehen vor der Aufgabe, sich bis zum Ende ihrer Jugendphase vom Elternhaus bzw. der erziehungsberechtigten Institution abzulösen sowie sozial und ökonomisch selbständig zu werden oder zumindest entsprechende Schritte eingeleitet zu haben.
Geschlechterspezifisch betrachtet, bestehen allerdings auch hier Unterschiede zwischen jungen Frauen und jungen Männern bei der sogenannten Erfüllungsorientierung. Das heißt die Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns im Erwerbsleben steht für junge Frauen im Vordergrund. Zentrale Aspekte sind die Möglichkeiten, sich um andere zu kümmern und etwas Nützliches für die Gesellschaft zu tun. Die Frage nach der Erfüllungsorientierung bietet sich für eine genderreflektierte, arbeitsweltbezogene politische Bildung an. Konservative Familienbilder sowie Geschlechterrollen zu hinterfragen und Perspektivwechsel bezogen auf Gender einzunehmen, sind hier bewährte und leicht einzubringende Ansätze.
Möglichkeiten arbeitsweltbezogener politischer Bildung in dynamischen Zeiten
Wie kann politische Bildung die Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des*der Einzelnen konstruktiv begleiten? – Dem individualistisch-kritischen Modell des Soziologen Ulrich Beck folgend, das davon ausgeht, dass der Beruf der*des Einzelnen nicht nur ein Bestandteil von Produktionsprozessen ist, sondern dass die*der Einzelne darin auch individuelle Entfaltungsmöglichkeiten findet (vgl. BMFSFJ 2020, S. 248). Die Frage stellt sich vor allem vor dem Hintergrund der sich ändernden Arbeitswelt, der bestehenden Hierarchien, der zeitlichen Entgrenzung und dem in manchen Branchen gültigen Glaubenssatz, dass nur die Erwerbsarbeit das reale Leben ist und deswegen auch den Hauptanteil an der Lebenszeit ausmachen darf. In der aktuellen Pandemielage kommen noch die Rufe nach dem Arbeiten von Zuhause hinzu und die mit den Kontaktbeschränkungen einhergehende Unmöglichkeit des analogen, kollegialen Austauschs.
Mit der Frage zu den Möglichkeiten der politischen Bildung in diesem Themenfeld beschäftigt sich die Fachgruppe seit 2017 intensiv. In den Bildungsstätten der Fachgruppe werden Bildungsveranstaltungen unterschiedlichen Formats umgesetzt, die sich mit den zu Anfang aufgezählten Aspekten beschäftigen.
Wie kann politische Bildung die Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des*der Einzelnen konstruktiv begleiten?
Dabei geht es in der politischen Bildungsarbeit hauptsächlich um die Reflexion der eigenen Lebenssituation, der Vorstellungen vom Leben und der kritischen Analyse bestehender Verhältnisse. Diese an der eigenen Person anknüpfende politische Bildungsarbeit ist dabei in die Peer-Group und in die Gesellschaft eingebettet.
In diesen Seminaren ist es dementsprechend state-of-the-art, wegen der guten, nicht hierarchischen Kommunikationsform öfter im Stuhlkreis mit den Teilnehmenden zu sitzen. Der Stuhlkreis aus dem Titel ist somit schon mal eingeordnet. Dieser steht für die Art und Weise der demokratischen und partizipativen Lernzusammenarbeit in unseren Seminaren. Zu den Drohnen kommen wir noch.
Kompetenzen der Bildungsreferent*innen
Die Fachgruppe selbst bildet sich stetig fort, was aktuelle Tendenzen bzw. politische oder wissenschaftliche Debatten rund um die Arbeitswelt betreffen. Dieses Aneignen von Hintergrundwissen ist ein wichtiger Schritt bei der erfolgreichen Planung von Bildungseinheiten. Nicht, dass aus uns Expert*innen werden müssen, die viele Details wissen und auf möglichst jede inhaltliche Frage eine Antwort haben sollten. Es geht vielmehr darum, einen Überblick zu haben, sich einen eigenen (momentanen) Standpunkt zu erarbeiten und mit den Debatten in Gesellschaft und Wissenschaft in Verbindung zu stehen. Dadurch kann ich mir als politische*r Bildner*in eine Entscheidungsgrundlage erarbeiten, welche Aspekte eines Themas gut zu bearbeiten und wie diese methodisch für die Zielgruppe umsetzbar sind. Wesentlich ist dabei das Meta-Wissen, wo Informationen in welcher Form zur Verfügung stehen.
Robotik und Digitalisierung als identifizierte Lernfelder
Als drängendstes Lernfeld für die Fachgruppe haben wir Robotik und Digitalisierung identifiziert. Es ist eines der sich umfassend verändernden Aspekte unserer Zeit. Das lässt sich bereits rückblickend auch aus dem 19. Jahrhundert berichten: „Der analytische Automat nimmt einen Rang ganz für sich allein ein. Eine ungeheure, neue Sprache ist entstanden.“ Ada Lovelace (1815–1852) Mathematikerin und Computerpionierin; https://1000-zitate.de/autor/Ada+Lovelace (Zugriff: 21.01.2021) Dabei gehen wir von der von Donna Haraway (1995) formulierten Gleichung aus, dass die Mikroelektronik die Übersetzung von Arbeit in Robotik und Textverarbeitung vermittelt, von Sexualität/Fortpflanzung in Gen- und Reproduktionstechnologien und von Geist in Künstliche Intelligenz und Entscheidungsprozesse. So erarbeitete sich die Fachgruppe profundes Wissen in den Themenbereichen Medizintechnik, Pflegeroboter, Cyborg, Der Begriff Cyborg (eingedeutscht auch Kyborg) bezeichnet ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine. Das ist bereits Realität, wenn wir an den dauerhaft eingesetzten Herzschrittmacher denken oder das Cochlea-Implantat zur Verbesserung des Hörens. smarte Städte, autonomes Fahren, Cyber-Sex, Aus Sicht der Fachgruppe ist Sexualität und Sex auch politisch. Der Umgang damit ist gesellschaftlicher Gratmesser. militärischer Einsatz von Drohnen. In allen diesen Themen stecken Aspekte der modernen Arbeitswelt, die unseren und damit auch den jugendlichen Alltag beeinflussen. Sei es der bewusste Umgang mit Pflegerobotern, ihrem Nutzen, ihrer „dunklen“ Seite und der kurze Weg zu den kleinen smarten Lautsprechern in den Wohnungen. Oder seien es Modelle der Smart City (bspw. Hafencity Hamburg) mit brillanter Internetverbindung überall, autonom fahrenden Kleinbussen und der Paketdrohne, die verkehrsunabhängig die Fracht in kürzester Zeit liefern kann. Überall sind Lebensperspektive und Arbeitsweltbezüge enthalten, es zeigt vom Jetzt ausgehend in die Zukunft und beschreibt den vorhandenen Arbeitsalltag.
Kontext, Aktualität und Kontroverse: Entwicklung eines Workshop-Konzepts
Bis hierher wurden bereits wichtige Schritte für die Entwicklung eines Workshop-Konzepts benannt, die nachfolgend in Ablaufform benannt werden: die Betrachtung der Ausgangslage, das erste Auseinandersetzen mit der jeweiligen Zielgruppe und das Aneignen von Hintergrundwissen. Danach geht es weiter mit der genauen Identifizierung des Gegenstandes für die politische Bildung und deren didaktisch vielfältiger Umsetzung, Vgl. hierzu auch den Beitrag von Ines Pohlkamp in dieser Ausgabe. um zum Schluss den Bezug zur Zielgruppe wiederherzustellen und ein gutes Workshop-Konzept zu entwickeln, welches erprobt werden kann.
Mit den zuvor bereits eingeführten Drohnen möchte ich nun den Weg weitergehen und einige wissenswerte Aspekte beschreiben, die für die Entwicklung eines Workshop-Konzepts zu dieser Thematik wichtig sind. Ich habe mich für dieses Thema aus aktuellem Anlass entschieden, da die Bundesregierung im Oktober 2020 erwog, bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr anzuschaffen und einzusetzen (vgl. Deutscher Bundestag 2020). Dies war bislang nicht möglich, da es gesetzlich nicht vorgesehen war und von den vorherigen Regierungskoalitionen abgelehnt wurde. Durch die Bundeswehr werden bisher ausschließlich Aufklärungsdrohnen eingesetzt. Diskutiert wird die Anschaffung der bewaffneten Drohnen bereits seit fast zehn Jahren, jetzt kam sie wieder auf die tagespolitische Agenda. Politiker*innen wie Parteien ringen um eine Haltung dazu. Diese Kontroverse ist die beste Voraussetzung für politische Bildung. Die Bundeswehr wird von nicht wenigen Jugendlichen in den Seminaren der Fachgruppe als potenzielle Arbeitgeberin gesehen, sodass hier der Bezug zur Arbeitswelt gut hergestellt werden kann. Auch spielen militärische Konflikte im Themenkomplex Globalisierung immer eine Rolle, wo die Beschäftigung mit diesem Teilaspekt interessant sein könnte.
Wie muss man sich so einen Kampfdrohneneinsatz eigentlich vorstellen? Vielleicht so: Anstelle eines Kampffliegers kommt nun der*die Telepilot*in. Frühschicht Irak, Spätschicht Afghanistan, dazwischen Mittagspause (vgl. Thiel 2012). Der familienfreundliche Einsatz auf einer US Military Base irgendwo in Arizona. Die*der Soldat*in als Prototyp des Cyborgs. Bei der Empfehlung des Verteidigungsministeriums zu bewaffneten Drohnen ist das Hauptargument der Schutz der Truppe, der Zivilbevölkerung und ziviler Einrichtungen. „War es nach dem Irak-Krieg das Phantasma des vollkommen virtuellen Schlachtfelds, das die Militärhistoriker in Atem hielt, so ist es seit Afghanistan die Realität des ferngesteuerten Krieges.“ (Ebd.) Die Kriegsführung findet auf Distanz statt. Das Leben des*der eigenen Soldat*innen ist weniger körperlich gefährdet, die Gefahr, dass Zivilist*innen zu Schaden kommen ist dennoch mehr als real (vgl. Gutschker 2016). Es wird nach Untersuchungen davon ausgegangen, dass Drohnenpilot*innen abgeklärtere Entscheidungen treffen können, da sie selbst nicht existentiell gefährdet sind. Stellt sich also möglicherweise die Frage nach einer gar ethischen Verpflichtung zum Einsatz von Drohnen oder steht nicht überhaupt erstmal die Kernfrage der Legitimation des Waffengebrauchs im Vordergrund? Denn Drohnen und deren Art und Weise der Verwendung kommt völkerrechtsgestaltende Bedeutung zu (Konfliktvölkerrecht) (vgl. Koch 2014).
Untersuchungen zeigen auch, dass für Telepilot*innen durch die stete Beobachtung und die lange virtuelle Nähe zu feindlichen Gruppen eine sehr große mentale Belastung entsteht (vgl. ebd.). Sie sehen die Bewegungen, ein Teil des Lebens und auch bei Abschuss bleibt die Drohnenkamera auf dem Geschehen. Das ist in einer Kriegshandlung vor Ort nicht der Fall. Für die beschriebenen Abläufe werden Begriffe, wie „Vögel“ für Drohnen, „Ziele“ für Menschen, „Jackpot“ für die erfolgreiche Mission oder „im Einsatz getötete Feinde“ (Enemy killed in action) für Opfer genutzt. Informationen über die Ziele werden ähnlich wie bei Sportsammelkarten dargestellt: Verhaltensmuster, Geheimdienstwert, geografische Daten (vgl. Tagesspiegel/dpb 2015). Die Kette von Befehlen – von Befehlshaber*innen zu Entscheidungsträger*innen – wird auch Kill Chain genannt: find, fix, finish. Das wirft die gesellschaftspolitische Frage nach einer Enthumanisierung auf.
Interesse wecken für Drohnen?
Mit Blick auf die Zielgruppe: Für wen könnte ausgerechnet der Komplex „bewaffnete Drohnen“ interessant sein? Auch wenn aktuell eine Debatte dazu existiert, ist es doch etwas von der Lebensrealität Jugendlicher entfernt, es sei denn, es handelt sich um politische Bildung mit Bundeswehrrekrut*innen. Manchmal muss/kann man als politische*r Bildner*in Themen anregen, diese vorschlagen. Die Beschäftigung mit einer Sache ist wie oben beschrieben auch immer Anlass für Reflexion und die Formulierung eines eigenen Standpunkts aufgrund einer fundierten Auseinandersetzung damit. So ist es sehr gut vorstellbar, dass eine Bildungseinheit zu Drohnen Teil eines Seminars zum Thema Globalisierung ist. Globalisierung prägt das Leben heutiger Jugendlicher, das ist schnell hergeleitet. Oder es ist Teil eines Seminars zu Berufsethik oder neue Technologien oder zum Sinn des Lebens. Einiges ist denkbar.
In diesem Fall sollte die Altersgrenze bei mindestens 16 Jahren mehr oder weniger eingegrenzt werden, je nach der zu erwartenden Aufmerksamkeitsspanne.
Design eines Workshops/Bildungseinheit
Der folgende Vorschlag für einen Workshop entstand aus den gesammelten Informationen zu Zielgruppe, Sachlage, aktuellem politischen Thema. Der Workshop selbst ist noch nicht durchgeführt worden und somit ein Plan zur Durchführung.
Zur Realisierung im Seminar sind der Einheit vorangegangen u. a. Kennenlernen, Erwartungsmanagement und die Bearbeitung verschiedener Themen und Fragen im Seminarkontext. Der Workshop könnte auch von einer Teilgruppe des Seminars bearbeitet werden, während die andere Teilgruppe sich mit der Frage der Licht- und Schattenseiten von Pflegerobotern in der Care-Arbeit beschäftigt.
Dieses Konzept ist auch digital adaptierbar. Hier bräuchte es dann mehr Pausen, kürzere Einheiten und eine stärkere Fokussierung.
Durch moderierte Gespräche und Diskussionen mit folgenden Fragestellungen, die in der Regel sehr anregend sind, kann ein Arbeitsweltbezug in Hinsicht auf die oben beschriebene Erfüllungsorientierung hergestellt werden. Vorteil ist die persönliche Betroffenheit, was die Meinungsfindung betrifft und die genderbewusste Fortführung der Beschäftigung mit dem Sinn von Erwerbsarbeit:
- Welche Tätigkeiten (nicht nur Erwerbsarbeit) sind wichtig für uns und unsere Gesellschaft? (Begrifflichkeiten Arbeit, Erwerbsarbeit, Care einführen)
- Welche Jobs sind aus Sicht der Teilnehmenden besonders sinnvoll? Warum? Sind diese erstrebenswert? (Stichwort Erfüllungsorientierung)
- Welcher Job ist der überflüssigste der Welt und warum? Welchen Lohn müsste ich erhalten, um diesen auszuführen? Ethische Frage: Ist es egal, mit was ich meinen Lebensunterhalt verdiene? (Provozierende Fragen, die Anlass zum Weiterdenken und Kontroversen gibt)
Das Konzept wird zu einem späteren Zeitpunkt auch über die digitale Plattform https://politischbilden.de abrufbar sein. Für Anregungen und Fragen steht die Fachgruppe gerne zur Verfügung.
Zur Autorin
berger@hochdrei.org