Außerschulische Bildung 3/2023

Eierlegende Wollmilchsau?

Die Ausstellungen der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Dass die Grenzen zwischen Zeitgeschichte und Gegenwart fließend sein können, zeigte die Ausstellung „Postsowjetische Lebenswelten. Gesellschaft und Alltag nach dem Kommunismus“. Wenige Tage vor der Premiere am 15. September 2021 erreichte die Stiftung ein Brief, in dem sich die Botschafter Lettlands, Estlands und Litauens dagegen verwahrten, dass ihre Länder in der Ausstellung als postsowjetische Staaten bezeichnet werden. Doch damit nicht genug: Bei der Premiere auf dem Steinplatz bezeichnete ein Vertreter der russischen Botschaft die Ausstellung als antirussisch und bedauerte, dass sie der Botschaft nicht vor der Veröffentlichung zur Prüfung vorgelegt worden sei. Immerhin erklärte die Vertreterin der ukrainischen Botschaft, dass ihr die Ausstellung gefalle. von Ulrich Mählert

In jenen sonnigen Septembertagen klang der Vorwurf baltischer Diplomaten, die Ausstellung spiele dem russischen Herrschaftsanspruch in Ostmitteleuropa in die Hände, etwas übertrieben. Fünf Monate später sorgte der russische Überfall auf die Ukraine für einen umso größeren Lernschock. Dass damit auch die Nachfrage nach der Ausstellung stieg, war kein Trost. Inwieweit der russische Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 rückblickend als „Zäsur“ für die Bildungsarbeit der Bundesstiftung Aufarbeitung bezeichnet werden muss, lässt sich heute noch nicht sagen. In jedem Fall hat der Krieg die ostmitteleuropäischen Staaten, deren Warnungen vor Russland viel zu lange als übertrieben abgetan wurden, ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

Im Jahr 2023 liegt die Gründung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur durch den Deutschen Bundestag 25 Jahre zurück. Während sich die Bundesstiftung Aufarbeitung in der ersten Hälfte ihres Bestehens vor allem mit der Machterringung und Herrschaftssicherung durch die SED und der Repression gegen Teile der Gesellschaft befasste, gewannen im vergangenen Jahrzehnt übergreifende und transnationale Fragestellungen an Bedeutung, die sich in den Ausstellungen widerspiegeln, die die Stiftung seit 2009 alljährlich in hoher Auflage präsentiert. Waren die ersten Ausstellungen Jahrestagen wie dem 17. Juni 1953, dem Mauerbau 1961 oder der Friedlichen Revolution gewidmet, folgten Ausstellungen, die den Blick ihres Publikums erweiterten. „Der Kalte Krieg“ (2016), „Der Kommunismus in seinem Zeitalter" (2017) und „Die Macht der Gefühle“ (2019) luden zu Zeitreisen ein, die das 20. Jahrhundert in seinen internationalen Verflechtungen zeigten. Parallel dazu widmete sich die Ausstellung „Umbruch Ost“ der Geschichte seit der Wiedervereinigung: Angesichts der Tatsache, dass Deutschland in wenigen Jahren länger besteht als die staatliche Teilung, wird die Zeitgeschichte seit 1990 an Bedeutung gewinnen. Zugleich verlangt die Einwanderungsgesellschaft nach einer Geschichtsvermittlung, die die Zeitzeugenerinnerungen von Zuwanderern einbezieht, wenn es um Diktaturerfahrungen geht. Bezeichnenderweise ist die früher allgegenwärtige Frage, ob die DDR nicht endlich ausreichend aufgearbeitet sei, seit einigen Jahren verstummt. Das mag auch daran liegen, dass die zeitgeschichtlichen Bezugspunkte immer globaler geworden sind und die Zeitgeschichte der Transformation seit 1990 für die politische Kultur der Gegenwart kaum weniger brisant ist als die Zeit der deutschen und europäischen Teilung.

Ende August 2023 wird mit „Aufarbeitung. Die DDR in der Erinnerungskultur” die 17. Ausstellung Premiere feiern, die die Bundesstiftung seit 2009 als Poster-Set für die Bildungsarbeit zur Verfügung stellt. Seit Ende April wird mit „17. Juni kompakt“ erstmals ein Ausstellungsformat erprobt, das auf sechs Tafeln ein zentrales Thema der Teilungsgeschichte behandelt. Die überraschend hohe Zahl von rund 400 Vorbestellungen ermutigt, dieses Format weiterzuentwickeln. Mit inzwischen über 20.000 Präsentationen im In- und Ausland haben sich die Ausstellungen der Bundesstiftung zu einer Art „Eierlegenden Wollmilchsau“ der historisch-politischen Bildung entwickelt, wenn man den materiellen und personellen Aufwand in Relation zur Reichweite der Ausstellungen setzt. Kein anderes Bildungsangebot der Bundesstiftung ist in vergleichbarer Weise in der Lage, die Themen der Bundesstiftung auch in kleine Städte und Gemeinden zu tragen, in denen sonst nie eine Ausstellung zur Geschichte der kommunistischen Diktatur bzw. der deutschen und europäischen Teilung zu sehen wäre.