Ein Statement
Als ein unausgesprochener Hintergrundkonsens der außerschulischen politischen Bildung konnte vor Beginn des Krieges gegen die Ukraine eine Skepsis gegen Rüstung, Militarismus und Kriegsführung angenommen werden. Ermöglicht wurde dieser durch ein zweifellos naives Vertrauen in die Stabilität einer regelbasierten internationalen Ordnung und diplomatische Konfliktlösungen. Dass diese internationale Ordnung immer auch durch die NATO als militärisch hochgerüstetes Militärbündnis unter US-amerikanischer Führung abgesichert war, war in der politischen Bildung ebenso eher ein randständiges Thema wie die Neuausrichtung des strategischen Konzeptes der NATO nach der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes oder die geopolitische Bedeutung der seit 1999 vollzogenen NATO-Osterweiterung. Mit einiger Berechtigung kann der politischen Bildung rückblickend insofern die Tendenz zu einer naiven Ignoranz gegenüber der Tatsache attestiert werden, dass nationale und internationale Politik immer auch eine Machtpolitik war und ist, die neben der ökonomischen, ideologischen und politischen Macht auch auf militärischer Macht basiert (vgl. Mann 2012). Dies gilt auch für diejenigen Theorien und Konzepte der politischen Bildung, die sich selbst dezidiert als kritische verstehen. Denn der Fokus der Gesellschaftskritik liegt hier auf der Analyse der Auswirkungen der kapitalistischen Ökonomie sowie der Kritik von Geschlechterverhältnissen, Diskriminierung und Rassismus. Militärbündnisse, geopolitische Strategien, Aufrüstung, Kriegsführung und Auslandseinsätze waren auch in diesen Kontexten in den zurückliegenden Jahren weitgehend vernachlässigte Themen. Explizit pazifistische und antimilitaristische Positionen waren in der Fachdiskussion der politischen Bildung ohne erkennbaren Einfluss. Was Olaf Müller (2022a) für die Gesellschaft insgesamt annimmt, trifft insofern auch auf die politische Bildung zu: „Ich glaube nicht, dass unsere Gesellschaft zuvor pazifistisch gewesen ist. Es herrschte lediglich ein weitgehender Konsens darüber, dass wir uns keine großen Sorgen um Krieg und Frieden in Europa zu machen brauchten.“
Im Krieg
Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat sich dies nunmehr offenkundig geändert. Denn dieser Krieg ist geografisch nahe, seine politische Bedeutung ist weitreichender als die des Kosovo-Kriegs und der Auslandseinsätze der Bundeswehr und Deutschland ist durch die Fluchtmigration aus der Ukraine sowie die Waffenlieferungen in unübersehbarer Weise in das Kriegsgeschehen involviert. Obwohl es sich dabei völkerrechtlich nur um die Unterstützung einer legitimen Selbstverteidigung und nicht um eine direkte Kriegsbeteiligung handelt, kann auch nicht davon abgesehen werden, dass Waffenlieferungen der NATO-Mitgliedsstaaten von entscheidender Bedeutung für die Kriegsführung der Ukraine sind sowie, dass Art und Umfang der Waffenlieferungen Auswirkungen auf den Verlauf und die Dauer des Krieges sowie die Kriegsziele haben (vgl. Streeck 2022). Für die politische Bildung ist dabei in besonderer Weise folgenreich, dass sich dies im dominanten politischen und medialen Diskurs erstens mit der Aufforderung zu einer geistig-moralischen Zeitenwende im Sinne der vermeintlich unabdingbaren Verabschiedung von pazifistischen Positionen und mit der Forderung verbindet, die Notwendigkeit einer massiven Stärkung der eigenen militärischen Kapazitäten anzuerkennen. Dies ist zweitens mit einer einflussreichen Sichtweise verschränkt, in der ein einfaches und moralisch aufgeladenes Freund-Feind-Schema an die Stelle einer differenzierten Betrachtung der Genese und Dynamik des Krieges tritt (vgl. etwa Watkins 2022). Zweifel an der Rechtfertigbarkeit des Krieges und an der Unterstützung der Ukraine gelten in der Folge ebenso als obsolet wie Skepsis gegenüber der Notwendigkeit einer Stärkung der militärischen Kapazitäten der Bundeswehr und der NATO. Folgt man dieser Sichtweise, dann hätte dies für die politische Bildung die naheliegende Konsequenz, dass pazifistische und antimilitaristische Positionen als irrelevant gelten sollten oder nur noch als unzeitgemäße und utopische Irrwege in den Blick zu nehmen wären, also nicht als ein eigenständiger und relevanter Lerngegenstand politischer Bildung.