Außerschulische Bildung 2/2023

Exklusion durch außerschulische politische Bildung?

Aufsuchende Bildungsarbeit als inklusiver Ansatz in prekarisierten Stadtteilen Ostdeutschlands

In diesem Beitrag wird die These plausibilisiert, dass außerschulische politische Bildung ungewollt zur Reproduktion jener Ungleichheiten beiträgt, zur deren kritischer Thematisierung und Überwindung sie Menschen befähigen will. Es wird skizziert, dass und wie im institutionalisierten Feld der politischen Bildung das Problem (partiell) erkannt worden ist und mit dem Ansatz der aufsuchenden politischen Bildung angegangen wird. Mit der Vorstellung eines Modellprojekts werden die Formate, Kriterien und Gelingensbedingungen skizziert. Abschließend wird diskutiert, welchen Beitrag das Modellprojekt zu den Anliegen der aufsuchenden politischen Bildung bisher geleistet hat. von Katrin Reimer-Gordinskaya, Stefanie Kummer, Judith Linde-Kleiner, Achmad Shtewa

Soziale Ungleichheit in der und durch die außerschulische Bildung?

In der Bundesrepublik Deutschland nimmt die soziale Ungleichheit zu: Wohlstandsgewinne konzentrieren sich bei einer winzig kleinen Minderheit der Bevölkerung, knapp 17 % der Gesamtbevölkerung und 20 % der Kinder und Jugendlichen sind armutsbetroffen. Hinzu kommen Obdachlose und Menschen in Notunterkünften (vgl. Butterwegge 2018). Zudem ist die „Illusion der Chancengleichheit“ (Bourdieu et al. 1971) im Schul- und Hochschulsystem (vgl. Becker/Lauterbach 2010) sowie des Aufstiegs in die Funktionseliten (vgl. Hartmann 2002) mit Blick auf soziale Herkunft und familiäre Migrationsgeschichte eine seit langer Zeit gut belegte Tatsache. Und die Deutung, dass damit das meritokratische Prinzip demokratischer Klassengesellschaften verletzt und die Legitimation ungleicher Teilhabe untergraben wird, gehört zum kritischen Diskurs um Diskriminierung in den Sozialwissenschaften (vgl. Scherr 2017).

Ähnliches gilt für Diagnosen zum Zustand der parlamentarischen Demokratie: Die Abgeordneten sind etwa mit Blick auf soziale Herkunft und Migrationsgeschichte weit homogener als die Bevölkerung (vgl. Elsässer/Hense/Schäfer 2017) und relevante Bevölkerungsgruppen, insbesondere Migrant*innen, die dauerhaft ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland leben, sind vom Recht auf politische Mitbestimmung (auf Bundesebene) ausgeschlossen. In Kombination mit der schwindenden Wahlbeteiligung insbesondere von sozio-ökonomisch benachteiligten Gruppen geht dies damit einher, dass Interessen von benachteiligten Minderheiten im politischen System deutlich unterrepräsentiert sind (vgl. Tophoven et al. 2017). Bei der Bundestagswahl 2021 bildeten die mehr als 14,3 Millionen Nicht-Wähler*innen die in absoluten Zahlen stärkste „Partei“ (vgl. Bundeswahlleiter 2023). Anstatt die sozial ungleich verteilte Wahlabstinenz als Zustimmung zum neoliberalen politischen Kurs zu deuten, muss davon ausgegangen werden, dass in der mangelnden materiellen und politischen Teilhabe ein veritables Demokratiedefizit zum Ausdruck kommt.